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Updated: 18.12.2012 15:51
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Lohnarbeit für Selbstbestimmung?

Arbeitnehmer in der Persönlichen Behindertenassistenz

»Persönliche Behindertenassistenz« mag vielen als randständiges Beschäftigungsfeld erscheinen. Doch nicht nur werden zunehmend mehr Menschen zum Pflegefall, auch der politisch gewollte Ersatz von stationärer durch ambulante Pflege macht dieses Feld zu einem Wachstumsmarkt. Mit ihrem »Scheiß-Streik« hatten die Mitglieder des im vergangenen Jahr gegründeten Netzwerks »Unabhängiger Arbeitnehmervertretungen in der Persönlichen Assistenz« (UAPA) auf die Situation in der Pflege insgesamt aufmerksam gemacht. Wir dokumentieren den Versuch einer »Lagebeschreibung« von Slave Cubela, Betriebsrat und Mitglied der UAPA:

Vorbemerkung: Die Entstehung der Persönlichen Behindertenassistenz (PBA) beginnt in den siebziger Jahren mit der sog. Independent Living-Bewegung in den USA. In dieser Bewegung forderten Behinderte das Recht auf ein selbst bestimmtes Leben jenseits der Bevormundungen von Einrichtungen, Pflegefachkräften und Ämtern aller Art ein. Nach langen Auseinandersetzungen gelang es der Behindertenbewegung, ein solches Berufsfeld der Assistenz jenseits der klassischen Pflege nach und nach auch in der BRD zu etablieren. Zunächst von Zivildienstleistenden und Studierenden geleistet, entwickelte sich die PBA ab den neunziger Jahren immer mehr zu einem Tätigkeitsfeld für ungelernte ArbeitnehmerInnen, die nun unter möglichst weit gehender Kontrolle des Behinderten bzw. des Assistenznehmers diesem ein reibungsfreies Alltagsleben zu ermöglichen suchten. Diese keineswegs spannungsfreie Arbeit wird zurzeit auf zweierlei Weise vermittelt: Entweder sind die ArbeitnehmerInnen bei ambulanten Diensten angestellt, die sie dann nach Rücksprache mit dem Assistenznehmer diesem zuweisen; oder aber sie sind direkt bei dem Assistenznehmer angestellt, der dann gleichzeitig als Arbeitgeber fungiert.

Mit der Gründung des Netzwerks »Unabhängiger Arbeitnehmervertretungen in der Persönlichen Assistenz« (UAPA) im Jahr 2008 haben die Arbeitnehmer in der PBA begonnen, sich als branchenspezifischer Akteur zu organisieren. Der folgende Text war Diskussionsgegenstand des 2. bundesweiten Treffens der UAPA, das vom 20. – 22.11.2009 in Frankfurt am Main stattfand und auf dem sich Arbeitnehmervertretungen und Beschäftigte aus zehn Städten von Rostock bis Freiburg trafen. Die vorgetragenen Positionen blieben dort nicht unkritisiert. Sie sollen in überarbeiteter Form als gemeinsames UAPA-Papier Ende Januar in einem Tagungsreader des Frankfurter Treffens erscheinen. [1]

Eine Lagebeschreibung der gegenwärtigen Situation der Arbeitnehmer in der Persönlichen Behindertenassistenz (PBA) vorzunehmen, ist aus vielerlei Gründen schwierig. Zunächst wäre zu klären, von welchen Arbeitnehmern die Rede sein soll. Von den »klassischen« Behindertenassistenten? Von den Integrationshelfern in der Schul- und Kinderassistenz? Von den inzwischen gesetzlich vorgeschriebenen Pflegefachkräften in der PBA? Oder von den Einsatzleitern und Verwaltungsmitarbeitern in den verschiedenen ambulanten Diensten? Sodann: soll es hier nur um jene Arbeitnehmer gehen, die in größeren Vereinen und Genossenschaften als persönliche Behindertenassistenten arbeiten oder aber auch um jene – häufig genug migrantischen – Assistenten, die bei den behinderten bzw. zu pflegenden Assistenznehmern direkt angestellt sind? [2] Darüber hinaus gibt es innerhalb der Behindertenassistenz regionale Unterschiede, die den Schluss von lokalen Erfahrungen auf das Ganze verbieten. Und schließlich: Wo gibt es statistische Daten oder Studien, die eine Analyse und Bewertung der gegenwärtigen Situation der Assistenten in der PBA empirisch absichern und stützen könnten?

Die folgenden Überlegungen bewegen sich also argumentativ auf heiklem Geläuf, dennoch scheinen sie mir aus zwei Gründen notwendig zu sein. Die Gründung der UAPA und ihr erster Geburtstag in diesem Jahr machen deutlich, dass zumindest die in der UAPA versammelten Beschäftigten und Arbeitnehmervertreter seit dem Berliner Treffen im vergangenen Jahr von ähnlichen Problemen und Erfahrungen ausgehen und dies als sinnvolle Grundlage und Anlass zur Schaffung eines gemeinsamen Netzwerks betrachten. Wenn die UAPA darüber hinaus genauer wissen will, warum sie wohin will, dann muss früher oder später der Versuch einer Beschreibung der Arbeitsituation in der PBA als Basis dieses Netzwerks erfolgen – mag auch die Datenbasis dieser Beschreibung einstweilen problematisch sein.

Bundesweite Zahlen zur PBA

Beginnen wir mit einigen allgemeinen Überlegungen zur PBA in Deutschland. Legt man den so genannten »Behindertenreport 2005« des Statistischen Bundesamtes zugrunde, dann lebten 2005 8,6 Millionen amtlich anerkannte behinderte Menschen in Deutschland. Grob zusammengefasst lässt sich der »behinderte Normalbürger« (54 Prozent männlich, 46 Prozent weiblich) in der BRD dabei wie folgt charakterisieren: Er oder sie ist schwer behindert (ca. 85 Prozent), älter als 55 Jahre (71 Prozent) und bestreitet seinen Unterhalt vor allem aus Renten und Pensionen (63 Prozent).

Der genaue Umfang, in dem diese Gruppe Leistungen der Persönlichen Assistenz aus UAPA-Betrieben in Anspruch nimmt, ist schwer zu beziffern, denn hierzu bräuchte es nicht nur Daten über die Empfänger von Unterstützungsleistungen nach SGB XI (Soziale Pflegeversicherung) und XII (Sozialhilfe), in denen die Mehrfachnennungen herausgerechnet wären. Zudem wären diese Zahlen immer noch kaum aussagekräftig, da die PBA nur einen Teil der Pflege und Eingliederungsarbeit nach SGB XI und XII ausmacht. Legt man vor diesem Hintergrund trotzdem die Zahlen des Statistischen Bundesamts zur Leistungsentwicklung nach SGB XI und XII für das Jahr 2007 zugrunde, dann kommt man zu folgendem groben Orientierungswert: 504000 Menschen erhalten durch ambulante Pflegedienste Hilfe nach SGB XI, 269000 Menschen erhalten außerhalb von Einrichtungen Eingliederungshilfe für behinderte Menschen (Kap. 6 SGB XII), 89500 Menschen erhalten ambulante Hilfe zur Pflege (Kap. 7 SGB XII), d.h. also knapp 862500 behinderte Menschen gehören bundesweit zumindest potentiell zu den Assistenznehmern der PBA.

In den UAPA-Betrieben arbeiten demgegenüber rund 2200 Kollegen in der PBA für 320 Assistenznehmer, so ergeben die Daten, die wir für unser UAPA-Treffen 2008 in Berlin ermittelt hatten. [3] Gleichzeitig deuten die Ergebnisse der Bemühungen des letzten Jahres, weitere Betriebe in der BRD zu finden, in denen zum einen im Geiste der Behindertenbewegung Persönliche Assistenz angeboten wird und in denen zum anderen Arbeitnehmervertretungsstrukturen vorhanden sind, darauf hin, dass die Gruppe der in diesem Sinne in der PBA Beschäftigten bundesweit vergleichsweise klein ist. Wir können, grob geschätzt [4], von knapp 1500 Assistenznehmern und rund 12000 PBA ausgehen, die in Vereinen und Genossenschaften organisiert sind bzw. arbeiten.

Betrachtet man die Kostenstruktur der öffentlichen Ausgaben für die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen (Kap. 6, SGB XII) und berücksichtigt dabei den Umstand, dass ambulante Eingliederungshilfe rund viermal billiger ist als stationäre, zeigt sich eine erstaunliche Entwicklung: Während der Anteil für diese Hilfeleistung bei ihrer Einführung 1963 rund fünf Prozent der gesamten öffentlichen Sozialhilfeausgaben betrug, so sind inzwischen 56 Prozent der gesamten Sozialhilfeausgaben Eingliederungshilfe für behinderte Menschen! [5] Warum dies so ist, kann hier nicht debattiert werden, aber soviel ist klar: Sollten in den nächsten Jahren weitere Einschnitte ins soziale Netz der BRD erfolgen, dann dürfte die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen als größter Kostenfaktor hierbei immer mehr ins Fadenkreuz des Neoliberalismus geraten.

Arbeitsmotivation

Welchen Blick haben Behindertenhelfer auf ihre Arbeit, und was motiviert sie in der PBA? Um vorläufige Antworten auf diese Fragen geben zu können, möchte ich im Folgenden kurz auf einige Ergebnisse der Mitarbeiterbefragung, die 2009 im Club Behinderter und ihrer Freunde (CeBeeF) Frankfurt e.V. bei knapp 130 Helfern und Verwaltungskräften durchgeführt wurde, Bezug nehmen.

Zunächst fällt auf, dass die Mehrzahl (70 Prozent) der CeBeeF-Mitarbeiter ihre Arbeit in der PBA als unterbezahlt empfinden. [6] 67 Prozent fordern den Betriebsrat in dieser Hinsicht zu verstärktem Engagement auf. Sodann springt ins Auge, dass fast alle Befragten die Arbeit in der PBA für anspruchslos halten, insofern 83 Prozent in der PBA keine hohen Erwartungen durch die PBA an sich feststellen können und 90 Prozent sich durch ihre Arbeit im CeBeeF nicht überfordert fühlen. [7] Dieses Ergebnis implizit bestätigend ergab die Frage nach besonderen Belastungen der PBA Erstaunliches: Nur 23 Prozent der Mitarbeiter denken infolge der Arbeitsbelastung über einen neuen Job nach. [8] Auffällige Werte bei der Frage nach Arbeitsbelastungen ergaben sich nur in zwei Hinsichten: 35 Prozent der Befragten fühlen sich durch ihre Arbeit seelisch belastet, während 37 Prozent die ständige potentielle Einsatzbereitschaft bei Dienstausfällen als Problem hervorheben (wobei jedoch gleichzeitig 82 Prozent der Mitarbeiter ihre Arbeitszeitwünsche im CeBeeF berücksichtigt sehen). [9] Schließlich kritisieren viele der Befragten die Arbeit in der PBA als perspektivlos: So geben 43 Prozent an, dass ihre individuellen Fähigkeiten in der PBA nicht gefördert werden, 55 Prozent betonen, dass ihr berufliches Weiterkommen in der PBA des CeBeeF nicht unterstützt wird, und 53 Prozent sind davon überzeugt, dass sie in einem anderen Job bessere berufliche Aufstiegsmöglichkeiten haben.

Wenn die meisten Mitarbeiter des CeBeeF Frankfurt ihre Arbeit also als unterbezahlt, anspruchslos, punktuell belastend und perspektivlos erfahren, warum arbeiten sie dann in der PBA? Haben sie durch die sozialen Verhältnisse und ihre eigene Biographie keine andere Wahl? Zwei Ergebnisse der Mitarbeiterumfrage sprechen gegen diesen oder ähnliche Schlüsse. Erstens nämlich gibt ein hoher Anteil (80 Prozent) der CeBeeF-MitarbeiterInnen an, dass sie gerne in der PBA arbeiten und dass sie diese Arbeit auch erneut wählen würden. Selbst wenn ein Teil dieses erstaunlichen Ergebnisses den Besonderheiten des CeBeeF Frankfurt geschuldet sein mag, so legt die hohe Zustimmungsquote doch nahe, dass viele Mitarbeiter in der PBA Assistenten aus Überzeugung sind. Und wenn 61 Prozent der Befragten angeben, dass es die Arbeit mit den Assistenznehmern ist, die sie motiviert, und 89 Prozent davon überzeugt sind, dass die Gleichstellung Behinderter durch den CeBeeF gefördert wird, dann liegt folgendes Ergebnis nah: Die Arbeit in der PBA scheint für viele trotz aller Kritik und Erschwernisse aus einem einfachen Grund immer noch Berufung zu sein. PBA ist im Gegensatz zu vielen anderen Formen der Lohnarbeit sinnvolle Emanzipationsarbeit mit Behinderten und für Behinderte! [10]

Wer arbeitet in der PBA? Versuch einer Typologisierung

Dass die Mehrzahl der Behindertenhelfer Assistenten aus Überzeugung sind, lässt sich erhärten, wenn man – wie etwa auch beim ersten UAPA-Treffen – sieht, dass typische Gespräche von Behindertenhelfern untereinander schnell bei jenen kleinen und großen Abenteuern enden, die diese stets unberechenbare Arbeit nach sich zieht. Man denke an kleine und große räumliche Barrieren, die Assistenten häufig genug mit Risiko zu überwinden helfen. Man denke an jene Vielzahl von Alltagssituationen, in denen Helfer und Behinderte als Team unsensiblen »Normalmenschen«, Ämtern, Ärzten und Vorschriften die Stirn bieten und so nicht selten zu einer Emanzipation der Behinderten beitragen. Man denke an das gemeinsame Glücksgefühl, das entsteht, wenn es Helfern und Behinderten gelingt, auch spontane, ungewöhnliche oder schwierige Wünsche der Assistenznehmer zu realisieren.

Dass PBA immer noch großteils Arbeit aus Überzeugung ist, lässt sich auch verstehen, wenn man einen genaueren Blick auf die Behindertenassistenten selbst wirft. Denn die Mehrzahl dieser Assistenten lässt sich auf Basis meiner Erfahrungen – nach 14 Jahren Arbeit in der Branche und knapp vier Jahren Betriebsratsarbeit – wie folgt charakterisieren: Es sind Individuen mit einer hohen sozialen Sensibilität und Sozialkompetenz, die – wenngleich wie jeder Arbeitnehmer an guten Löhnen interessiert – insbesondere die Zeitautonomie zu schätzen wissen, die ihnen diese Arbeit bieten kann.

Um das zu präzisieren, möchte ich vorschlagen, die Mehrzahl der BehindertenhelferInnen in vier Gruppen einzuteilen. Erstens die Gruppe der Studierenden. Dass diese Gruppe, die in den achtziger und neunziger Jahren die Mehrzahl der Arbeitnehmer in der PBA stellte, wegen ihres Studiums zeitliche Flexibilität ihrer Arbeit zu schätzen weiß, ist leicht verständlich. Interessanter ist aber, dass es meist Studierende aus den Geistes- und SozialwissenschaftlerInnen bzw. pädagogischer Fachrichtungen sind, die in der PBA arbeiten, also jene Studierenden, die mit ihrem Studium »mehr Sinn« verbinden als eine bloße Berufsausbildung oder soziale Aufstiege. Zweitens die Gruppe der »Umtriebig-Kreativen«. Diese Mitarbeitergruppe, häufig genug Ex-StudentInnen, verbindet ihre Arbeit in der PBA mit einer Vielzahl anderer Projekte: So arbeiten im CeBeeF z.B. Künstler, Theaterkoordinatoren, politische Aktivisten, Zeitschriftenmitarbeiter, Philosophen, Juristen, Boxtrainer in sozialen Brennpunkten, Restaurantbetreiber und IT-Unternehmer als Behindertenhelfer. Die Häufung dieser Mitarbeitergruppe in der PBA scheint dabei wie folgt erklärbar: Auf der einen Seite sind dies Individuen, die trotz aller materieller Schwierigkeiten und Risiken in ihrem Leben ihren persönlichen Leidenschaften und Talenten einen großen Platz einräumen; auf der anderen Seite sorgt genau dieser Idealismus dafür, dass diese Mitarbeiter die PBA neben der zeitlichen Flexibilität wegen des sinnvollen, emanzipativen Charakters dieser Arbeit schätzen. [11] Die dritte Gruppe in der PBA sind die »Dazuverdiener«. Meine Vermutung ist, dass diese Gruppe innerhalb der PBA in den letzten Jahren zahlenmäßig am stärksten gewachsen ist, was einerseits daran liegen dürfte, dass in der BRD ein Job allein zum Überleben immer seltener ausreicht. [12] Andererseits gibt es in dieser Gruppe aber auch viele Mütter, die unter anderem durch ihre Kinder häufig über eine hohe Sozialkompetenz verfügen [13] und die umgekehrt an der PBA schätzen, dass sie hier aus den Familienzwängen ausbrechen und zumindest einen Fuß in die Arbeitswelt setzen können. Viertens schließlich scheinen mir noch die »sinnsuchenden Sozial- und Pflegeberufler« erwähnenswert, denn gerade im examinierten Bereich der entsprechenden Genossenschaften und Vereine in der PBA finden sich erstaunlich viele MitarbeiterInnen, die bewusst in die PBA gehen, weil sie die Zustände in anderen Pflegebereichen für schwierig oder gar unhaltbar halten. Dass daraus eine besondere Motivation für die Arbeit in der PBA entspringt, liegt auf der Hand.

Hoffnungsschimmer

Wie stehen nun die Chancen, dass diese verschiedenen Mitarbeitergruppen [14] die Probleme ihrer Arbeit in der PBA gemeinsam überwinden? Oder anders gefragt: Wenn die Arbeit in der PBA den Mitarbeitern einerseits als unterbezahlte, anspruchslose, punktuell belastende und perspektivlose Arbeit erscheint, wenn diese Arbeit aber andererseits trotzdem von einer »bunten« Gruppe von Mitarbeitern mit hoher Sozialkompetenz aus Überzeugung gemacht wird – müssten da nicht Tendenzen und Potentiale erkennbar sein, die die Arbeit in der PBA zu verbessern helfen?

Eine dieser Tendenzen ist meines Erachtens die gestiegene Verweildauer der Beschäftigten in der PBA. Denn wenn bei der Bremer Assistenzgenossenschaft knapp 70 Prozent der Mitarbeiter über fünf Jahre im Betrieb und im CeBeeF Frankfurt bzw. bei ad Berlin knapp 50 Prozent der Arbeitnehmer über vier Jahre dabei sind, dann dürfte diese Arbeitskontinuität in der PBA nicht nur im Vergleich zu jener Phase, in der hauptsächlich Studierenden in der PBA arbeiteten, neu sein. Sie sorgt vielmehr zugleich dafür, dass die MitarbeiterInnen sich vermehrt mit ihrer Situation in der PBA auseinandersetzen. Je länger die Individuen als PBA arbeiten, umso mehr steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich über ihre Arbeitswelt Gedanken machen und sie versuchen in ihrem Interesse zu verändern.

Ein zweiter Aspekt, auf den es in diesem Kontext einzugehen gilt, sind die mannigfachen Potentiale, die innerhalb der Arbeitnehmerschaft der PBA vorhanden sind. Gelänge es nämlich, diese kreativen und reflexiven Potentiale für Aktivitäten zur Verbesserung der Arbeitssituation zu nutzen, dann sollte es – wie im Falle des »Scheiß-Streiks« [15] – nicht nur möglich sein, mit interessanten Aktionen auf die problematischen Arbeitsbedingungen in der PBA aufmerksam zu machen. Zugleich scheinen mir z.B. eigene Positionsbestimmungen und Eingriffe in die Diskussionen zur Behindertenpolitik denkbar oder aber der Aufbau einer juristischen Beratung sowohl für die vielen migrantischen ArbeitnehmerInnen in der PBA, aber auch für jene ArbeitnehmerInnen, die außerhalb von Genossenschaften und Vereinen im so genannten »Arbeitgebermodell« direkt bei einzelnen Behinderten angestellt sind.

Neben der neuen Arbeitskontinuität in der PBA und den vielen Potentialen innerhalb der verschiedenen Behindertenassistenten könnte auch der steigende ökonomische Druck auf die Pflegedienste und damit auch deren Beschäftigte paradoxerweise Hoffnung für die Zukunft machen. Denn verdankt sich nicht der Anstoß zur Gründung der UAPA durch den ad Berlin-Betriebsrat der Aussicht auf die dann auch erfolgte Lohnkürzung durch die ad-Geschäftsführung? Zehren nicht alle UAPA-Betriebe von Lohnniveaus, die in den neunziger Jahren etabliert worden sind, deren Attraktivität langsam, aber sicher sinkt, so dass viele Betriebe immer mehr Probleme haben, neue Helfer zu finden, während es bei den Stammbelegschaften zu rumoren beginnt? Wenn sich diese Entwicklung durch die Krise der öffentlichen Kassen zuspitzen sollte, könnte dies nicht bei vielen Arbeitnehmern in der PBA dazu führen, dass sie Konflikten und (Selbst-) Organisierungsversuchen zumindest offener gegenüber stehen als jetzt?

Schließlich sollte die Etablierung des UAPA-Netzwerkes als Hoffnungsschimmer für eine bessere Zukunft der Beschäftigten in der PBA unterstrichen werden. Endlich füllt sich nämlich die bisher so leer scheinende bundesdeutsche Landkarte mit Betrieben, die in der Tradition der PBA stehen und die über die eine oder andere Form der Arbeitnehmervertretung verfügen. Endlich können hier verschiedenste Erfahrungen der Arbeitswelt der PBA ausgetauscht und Alternativen zum eigenen Betrieb sichtbar werden. Endlich können gemeinsame Aktionen und Aktivitäten bundesweit diskutiert und organisiert werden. Und endlich zeichnet sich ein potentieller bundesweiter Akteur für die Verbesserung der Arbeitssituation in der PBA ab.

Hindernisse

Diesen Tendenzen und Potentialen für eine gelingende Verbesserung der Arbeitsverhältnisse in der PBA stehen leider auch einige Hindernisse im Weg.

Zunächst stechen hier vier innerbetriebliche Hemmnisse hervor. Erstens lässt gerade die Gruppe der Umtriebig-Kreativen sich viel zu selten für eine offensive Vertretung ihrer Arbeitnehmerrechte gewinnen, eben weil ihr eigentlicher Lebensschwerpunkt außerhalb der PBA liegt. Warum sollte diese Mitarbeitergruppe ihre kostbare Zeit für politische Aktivitäten innerhalb der Arbeitswelt der PBA opfern, wenn sie unter anderem deshalb in der PBA arbeitet, um jenseits dieser Arbeit Zeit für ihren eigentlichen Lebensschwerpunkt zu haben?

Zweitens ist auch die Gruppe der »Dazuverdiener« schwierig zu mobilisieren, denn entweder rauben Zweit- und Drittjobs oder aber Kind und Familie diesen KollegInnen Zeit und Kraft. Zudem scheint mir, dass viele Arbeitnehmervertreter in der PBA auch Schwierigkeiten haben, diese Mitarbeitergruppe für eine kämpferische Betriebspolitik zu gewinnen. Könnte es sein, dass hier der akademische Hintergrund der meisten Interessenvertretungen für Verständigungshemmnisse sorgt?

Drittens findet sich auch innerhalb der UAPA-Betriebe ein großer Riss zwischen »Verwaltungs«-Mitarbeitern und (ungelernten) Helfern, denn insbesondere die Verwaltungsmitarbeiter sehen sich oft als »bessere« Kollegen, da sie entsprechend ihrer Qualifikation (Studium oder examinierte Pflegeausbildung) arbeiten. Sie verteidigen dieses Selbstbild umso vehementer nach unten, je mehr sie in die heikle Situation geraten, Vorgesetzte von Arbeitnehmern zu sein, die häufig genug über vergleichbare oder gar höhere Abschlüsse, Qualifikationen und Kenntnisse als sie verfügen, aber nicht diesen Qualifikationen entsprechend arbeiten.

Viertens schließlich steht die engagierte Arbeitnehmervertretungsarbeit in der PBA auch in vielen UAPA-Betrieben auf tönernen Füssen, weil sie in dezentralen (Tendenz-)Betrieben mit vielen Teilzeitbeschäftigten nur mit einem hohen Maß an Selbstausbeutung zu bewältigen ist und weil deshalb die Gefahr der Resignation, aber auch die Fluktuation innerhalb dieser Interessenvertretungen hoch ist.

Doch nicht nur innerbetriebliche Hindernisse stehen Initiativen für eine Verbesserung der Arbeit in der PBA entgegen, noch größer sind die außerbetrieblichen Hemmnisse. Wenn die These stimmt, dass der steigende ökonomische Druck auf die PBA dazu führen könnte, dass viele Kollegen in der PBA offener ihre Interessen artikulieren, dann ist zugleich aber zweifelhaft, ob daraus jene Entschlossenheit entstehen kann, die notwendig wäre, um Druck auf jene großen politische Akteure auszuüben, die sich hinter den öffentlichen Kassen verstecken und die gerade auf der Ebene der Europäischen Union den Wettbewerbsdruck auf die Arbeitnehmer bewusst verschärfen. Die Arbeitsverhältnisse in der PBA sind ohne Zweifel kritik- und verbesserungswürdig, sie sind aber keineswegs für eine breite öffentliche Kampagne skandalisierbar. Denn in welchem Bereich des bundesdeutschen Gesundheitswesens brennt gegenwärtig für die abhängig Beschäftigten eigentlich nicht der Baum? [16] Und auch wenn die Real- und Nominallöhne in der PBA sinken mögen und kaum mehr zum Leben reichen, geht es nicht vielen Branchen noch schlechter? Hält man schließlich aufgrund dieser Hemmnisse Ausschau nach Bündnispartnern, die der UAPA beim Kampf für bessere Arbeitsbedingungen in der PBA helfen könnten, so fallen einem Gewerkschaften und Behindertenbewegung ein. Aber warum sollte eine Gewerkschaft wie ver.di den Arbeitnehmern in der PBA bundesweit helfen, wenn sie in vielen anderen einstmals besser organisierten Bereichen heute in der Defensive ist? Ist es außerdem falsch, festzustellen, dass der große Schwung in der Behindertenbewegung fehlt, da viele ihrer ehemaligen Aktivisten älter geworden sind und junge engagierte Behindertenaktivisten kaum nachrücken?

Erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 12/09


1) Der Tagungsreader kann über den Betriebsrat des CeBeeF e.V. bestellt werden: betriebsratev@cebeef.com beziehbar. Über die gleiche Adresse kann Kontakt mit der UAPA aufgenommen werden.

2) Glaubt man der Schweizer WOZ, dann arbeiten in Deutschland 100000 bis 200000 Pflege- und Betreuungskräfte – hauptsächlich Osteuropäerinnen – legal oder illegal in Haushalten älterer Menschen. Vgl. Susy Greuter/Sarah Schilliger: »Ein Engel aus Polen«, in: WOZ, 5. November 2009

3) Es lagen vor die Daten aus Berlin (2x), Frankfurt (1x), Hamburg, Bremen, Marburg und Erlangen. Aus den Frankfurter Zahlen wurde der Bereich Kinder- und Jugendhilfe in der Schule herausgerechnet.

4) Die Schätzung beruht auf folgenden Erfahrungswerten: In der UAPA oder ihrem Dunstkreis befinden sich aktuell Betriebe aus folgenden Städten: Berlin (2x), Frankfurt (2x), Hamburg, Bremen, Marburg, Erlangen, Münster, Dortmund, Freiburg und Rostock. Zugleich wissen wir von Betrieben aus Göttingen, Hannover, Lüneburg, Wuppertal, München, Offenburg, Karlsruhe und Coburg, in denen PBA angeboten wird. Leider gibt es in diesen Betrieben keine Arbeitnehmervertretung, oder aber die Kontaktaufnahme blieb einseitig. Ausgeklammert aus dieser Schätzung sind all jene Betriebe, in denen PBA nur ein kleines Angebot neben anderen ist (wie z.B. im Roten Kreuz, der AWO, dem ASB) sowie all jene Assistenznehmer und -geber, die im Rahmen des sog. Arbeitgebermodells zueinander finden.

5) Vgl. Statistisches Bundesamt, Statistik der Sozialhilfe: Eingliederungshilfe für behinderte Menschen 2007, Wiesbaden 2009, S. 6

6) Der Einheitslohn für die Helfer in der PBA des CeBeeF Frankfurt am Main e.V. beträgt gegenwärtig 9,31 Euro/Stunde brutto.

7) Es wäre falsch, daraus den Schluss zu ziehen, dass Arbeit in der PBA einfache Arbeit ist, die jeder machen kann. Wie im Folgenden noch gezeigt wird, ist die subjektiv empfundene Anspruchslosigkeit der Arbeit in der PBA wohl eher die Folge der besonderen Qualifikationen der Mitarbeiter, die in diesem Bereich arbeiten.

8) Legt man die aktuellen Umfrageergebnisse der Mitarbeiterbefragung des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe (DBfK) 2008/2009 (»Wie sieht es im Pflegealltag wirklich aus? – Fakten zum Pflegekollaps«) zugrunde, dann denken in Krankenhäusern, Pflegeheimen und ambulanten Diensten zur Zeit 33 Prozent der Mitarbeiter, also zehn Prozent mehr als im CeBeeF, über einen Berufsausstieg nach.

9) Warum die CeBeeF-HelferInnen bestimmte Belastungsformen in der Umfrage kaum nennen, lässt viele Interpretationen zu. In jedem Fall gibt es eine Reihe anderer Belastungsformen, die hier nicht unerwähnt bleiben dürfen, weil sie zumindest in Beratungsgesprächen des CeBeeF-Betriebsrates häufiger Thema sind: so die körperliche Belastung bei bestimmten Assistenznehmern, die Belastung durch Nacht- und Schichtarbeit, aber auch durch gesetzlich nicht gedeckte Pflegeaktivitäten.

10) Im CeBeeF Frankfurt wird diese PBA aus Überzeugung dadurch verstärkt, dass sowohl Assistenznehmer als auch die persönlichen Assistenten das Recht haben, ihr jeweiliges Gegenüber auszuwählen. Zwar ist dieses Recht für die persönlichen Assistenten eingeschränkt, da niemand unendlich lange Assistenznehmer ablehnen kann, bis es für ihn passt. Dennoch erhöht dieses doppelte Wahlrecht die Motivation der persönlichen Assistenten ungemein, denn in den meisten Fällen arbeiten sie im CeBeeF bei ihren Wunschkunden oder können bei persönlichen Problemen mit dem entsprechen-den Behinderten von sich aus neue Wege im CeBeeF gehen.

11) Es sollte jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass dieses Lebens-Modell der Umtriebig-Kreativen in den letzten Jahren brüchiger geworden ist. Je schwieriger es nämlich die sozialen Verhältnisse für diese Gruppe machen, ihre Sinn- und Talentprojekte erfolgreich zu verfolgen, desto mehr verblasst für diese Menschen auch der Glanz der Arbeit in der PBA, und diese erscheint ihnen immer mehr als Mühsal und biographische Sackgasse. Der Grund ist nicht überraschend, denn all diese Individuen hätten am liebsten von ihrer Leidenschaft und ihren Talenten gelebt, d.h. schon der Einstieg in die PBA erfolgte nie ganz freiwillig. Und dies wird den Menschen dann besonders deutlich, wenn der große Zug, die Hoffnung, die sich hinter ihren eigentlichen Lebensprojekten verbarg, schwindet.

12) Insofern kann man wohl einen Teil der »Dazuverdiener« als ungelernte Prekarier bezeichnen, d.h. es gibt auch innerhalb der PBA immer mehr Mitarbeiter, die als ehemalige Leiharbeiter, Lagerarbeiter, Reinigungskräfte oder Arbeitslose deshalb in die PBA wechseln, weil sie hier vergleichsweise erträgliche Arbeits- und Lohnbedingungen vorfinden. Über die Qualität der Arbeit und die Kompetenzen dieser ungelernten Prekarier erlaube ich mir kein Urteil – denn auch wenn die PBA für diese Mitarbeitergruppe zunächst ein Job wie jeder andere ist, warum sollte die eigene Ausgrenzungserfahrung und das Wissen um die Bedeutung von Solidarität diese ungelernten Prekarier nicht zu motivierten und kompetenten HelferInnen machen? Ein kleines Indiz für diese Eignung der ungelernten Prekarier in der PBA scheint mir der Hinweis eines kritischen Sozialarbeiters in Frankfurt zu sein, der kürzlich darauf hinwies, dass viele Ein-Euro-Jobber gerade Arbeit im sozialen Bereich besonders motiviert und kompetent leisten. Sollte dies tatsächlich so sein und bleiben, dann wären Ein-Euro-Jobber nicht nur billige Konkurrenz per Gesetz für die Arbeitnehmer in der PBA – sie wären auch eine kompetente Konkurrenz!

13) Damit will ich keine einfache Kausalität zwischen Mutterschaft und Sozialkompetenz behaupten – nur dass die Wahrscheinlichkeit, dass das eine das andere befördert, steigt – wie auch im Falle der Vaterschaft.

14) Jenseits dieser Mitarbeitergruppen lässt sich anhand der betrieblichen Daten in der UAPA der durchschnittliche UAPA-Helfer wie folgt charakterisieren: »Er« ist genauso genommen eine »Sie« (in 6 von 6 Auskunft gebenden Betrieben sind Frauen in der Mehrzahl), sie ist zumeist zwischen 30-40 Jahre alt (4/4), arbeitet seit 2-4 Jahren im Betrieb (4/4), ist vorwiegend sozialversicherungspflichtig beschäftigt (6/7), verdient zwischen 8,10 Euro und 10,73 Euro, sie kennt Sonn-, Feiertags- und Nachtzuschläge (in mindesten fünf Betrieben), und sie hat zwischen 24-32 Tagen bezahlten Urlaub im Jahr. Allerdings muss hinzugefügt werden, dass die Spitzenwerte bei Lohn und Urlaub erst nach zehn Jahren Betriebszugehörigkeit bzw. ab dem 50. Lebensjahr erreicht werden.

15) Vgl. dazu Express 1/2009 und 3/2009. Im Frühjahr diesen Jahres wurde der so genannte Scheiß-Streik als Kampfmaßnahme der ArbeitnehmerInnen im Pflegebereich durchgeführt. Dabei wurden unter dem Motto »den Scheiß an die zurückgeben, die für beschissene Arbeitsbedingungen verantwortlich sind« einen Monat lang befüllte Kotröhrchen an die unterschiedlichsten privaten und gemeinnützigen Pflegedienstanbieter, paritätische Wohlfahrtsverbände, politischen Entscheidungsträger, Zeitarbeitsfirmen und Vermittlern von ausländischen Billigpflegekräften u.a.m. versandt.

16) Hier seien noch einmal die die aktuellen Umfrageergebnisse der Mitarbeiterbefragung des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe (DBfK) 2008/2009 (»Wie sieht es im Pflegealltag wirklich aus? – Fakten zum Pflegekollaps«) erwähnt. Auch wenn die Zahlen sicher nicht repräsentativ sind, scheint die Rede vom Pflegekollaps berechtigt.


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