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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Versicherte Arbeitsplätze Bernd Riexinger* über das Lehrstück Allianz und verpasste Chancen Niemand hätte vor eineinhalb Jahren den Allianz-Beschäftigten zugetraut, dass sie einen lang andauernden und öffentlich vielbeachteten Kampf um ihre Arbeitsplätze führen und zumindest Teilerfolge erzielen könnten. Bis dato waren die Allianz-Beschäftigten eher für ihre starke Identifikation mit dem Konzern und eine ausgeprägt sozialpartnerschaftliche Orientierung bekannt als für Protest und Auseinandersetzung. In vielerlei Hinsicht ist die Auseinandersetzung bei Allianz ein Lehrstück: einerseits dafür, was auch in gewerkschaftlich schwach organisierten Bereichen möglich ist, andererseits für verpasste Chancen der Gewerkschaft ver.di. Umstrukturierung des Konzerns Kurz nach der Sommerpause 2005 versetzte der Konzern die Belegschaften in helle Unruhe. Die Ankündigung, das Europageschäft neu zu ordnen und sich in diesem Zusammenhang in Deutschland »neu aufzustellen« (Allianz Deutschland AG), ließ die Spekulationen über Folgen für Standorte und Arbeitsplätze aus dem Boden sprießen. Sie erhielten weitere Nahrung durch den Rücktritt des bisherigen Vorstandsvorsitzenden der Allianz Versicherungs AG, Dr. Rainer Hagemann, der mit der Neuordnung nicht einverstanden war. In einem ersten Schritt wurde angekündigt, dass ab 1. Januar 2006 die verschiedenen Versicherungssparten, die bis dahin in eigenständigen Aktiengesellschaften betrieben wurden, zu einer Allianz Deutschland AG zusammenzufassen (Lebens-, Sach-, Krankenversicherung und die Vertriebsgesellschaft). In den Medien wurde spekuliert, dass es in diesem Zusammenhang Standortschließungen und Arbeitsplatzabbau geben werde. Die Financial Times z.B. verteilte eine kostenlose Ausgabe an die Beschäftigten an verschiedenen Allianz-Standorten, in der sie von der Vernichtung von 8500 Arbeitsplätzen sprach. Die Geschäftsleitung versuchte die Beschäftigten zu beruhigen, in dem sie für 2006 zusagte, keine der Standorte und Niederlassungen zu schließen. Dies trug jedoch nicht zur Beruhigung, sondern eher zu weiteren Befürchtungen bei. Begründet wurde die Umstrukturierung mit dem Verlust von über einer Million Kunden an die kostengünstiger arbeitende Konkurrenz. Als weiteres Ziel der Neuordnung wurde eine deutliche Kostensenkung angegeben. Für große Empörung sorgte die Aussage der Geschäftsleitung, dass zwar das Grundgerüst stehe, man ansonsten jedoch noch nicht wisse, wie genau die Arbeitsabläufe organisiert werden sollten und welche Folgen die Umstrukturierung für Beschäftigte und Standorte haben würde. Bereits auf der ersten Betriebsversammlung, auf der die Neuordnung verkündet wurde, führte ver.di Stuttgart die Beschäftigten zur ersten Protestdemonstration um das Allianz-Gebäude der Sach-Versicherung. Über 800 Beschäftigte beteiligten sich an dieser bisher noch nie so stattgefundenen Aktion. Dies war zugleich der Auftakt für zahlreiche weitere Protestaktionen im Allianz-Konzern. Im Winter 2005 konnte ver.di dann zu ersten Warnstreiks und Tagesstreiks aufrufen: Bei den für die Branche laufenden Tarifverhandlungen war die Friedenspflicht abgelaufen. In verschiedenen Standorten wurde diese Chance genutzt. So rief ver.di die Beschäftigten von Allianz »Sach« und »Leben« zu einem ersten gemeinsamen Tagesstreik zusammen mit den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes auf. Zusammen mit 8000 Beschäftigten des öffentlichen Dienstes sowie des Einzelhandels streikten auch 700 Versicherungsbeschäftigte und beteiligten sich an einer Großdemonstration von annähernd 10000 Beschäftigten in Stuttgart. Zuvor waren bereits im November 1000 Beschäftigte von Allianz »Sach« und »Leben« auf die Straße gegangen. Im Dezember gab es Proteste von über 2000 Allianzern in Stuttgart, Karlsruhe, Hamburg, München und Leipzig. Konzerntarifvertrag oder Sozialplan? Um sich aus der Friedenspflicht zu befreien und der Auseinandersetzung eine Perspektive zu bieten, legte sich ver.di frühzeitig auf die Forderung nach einem Konzerntarifvertrag fest. Die Kernforderungen, die während der gesamten Auseinandersetzung aufrecht erhalten wurden, waren:
Trotz der Forderung nach einem Konzerntarifvertrag, die auch mit den Betriebsräten abgesprochen war, waren diese nicht bereit, auf Verhandlungen mit der Konzernleitung zu verzichten und diese an die Gewerkschaft ver.di zu delegieren. Das wäre eine starke Waffe gewesen und hätte die Konzernleitung gewaltig unter Druck gesetzt. Mit Beratung des ehemaligen HBV-Vorsitzenden Lorenz Schwegler (Rechtsanwalt) schloss die Arbeitsgemeinschaft der Betriebsräte Ende April einen Sozialplan ab. Zu diesem Zeitpunkt war überhaupt noch nicht klar, wie die Konzernstrukturierung im Konkreten aussehen soll. Auch war nicht klar, ob und welche Standorte geschlossen und wie viele Arbeitsplätze abgebaut werden. Die Konzernleitung wollte Ruhe in den Laden bekommen und drängte daher auf den Abschluss des Sozialplans. Die Einschätzung der Betriebsräte war, dass sie zu einem späteren Zeitpunkt keinen Sozialplan mit dieser materiellen Ausstattung bekommen würden. Ein Interessensausgleich wurde nicht abgeschlossen. Aus meiner Sicht war der Abschluss des Sozialplans ein strategischer Fehler, der die Betriebsräte und ver.di arbeitsrechtlich und gewerkschaftspolitisch in eine schlechtere Position gebracht hat. Glücklicherweise ließ sich die Belegschaft im weiteren Fortgang des Prozesses davon wenig beeinflussen. Man kann im Nachhinein trefflich spekulieren, was die Betriebsräte dazu bewogen hat, diesen Schritt zu gehen. Nach meiner Einschätzung hatten sie gehofft, dass alles nicht so schlimm kommen würde wie befürchtet. Das war auch die bisherige Erfahrungswelt bei Allianz. Ende Juni kam dann die Hiobsbotschaft, dass die Konzernleitung insgesamt zehn Standorte schließen will, darunter große wie Köln oder Dortmund. Insgesamt sollen der Neustrukturierung 7500 Arbeitsplätze zum Opfer fallen: 5000 bei der Versicherung und 2500 bei der Dresdner Bank. Angesichts der hohen Teilzeitquote im Konzern hätte das den Abbau von 9000 Arbeitsplätzen bedeutet. Eine Protestkultur entsteht Als Reaktion auf diese Ankündigung wurde die Forderung nach einem Konzerntarifvertrag wieder in den Vordergrund gerückt, so dass am 31. Juli 2006 ein bundesweiter Warnstreiktag ausgerufen werden konnte. 4000 Beschäftigte in Stuttgart, Köln, Hamburg, München und Karlsruhe beteiligten sich daran. Nach der Sommerpause wurden die Protestaktionen fortgesetzt. Im Laufe der Auseinandersetzung, die Ende 2006 vorerst beendet wurde, entwickelte sich an verschiedenen Standorten eine richtige Protestkultur. Zahlreiche für Allianz ungewohnte Aktionsformen sind entstanden. Allein bei der Sach-Versicherung in Stuttgart fanden insgesamt 15 Protestaktionen statt, darunter vier Tage Streik. Die Aktionen reichten von der Umzingelung des Gebäudes, Demonstrationen und Kundgebungen durch die Innenstadt nach jeder Betriebsversammlung über gemeinsame Demonstrationen mit anderen Konzernen, die von Arbeitsplatzabbau bedroht wurden, bis hin zu Postkartenaktionen, in die die Kunden einbezogen wurden, und einer völlig neuen Diskussionskultur auf den Betriebsversammlungen. In Stuttgart wurden die Betriebsversammlungen lediglich unterbrochen, so dass zeitweise fast jeden Monat eine stattfand. Vor dem zweitägigen Streik am 9. und 10. November 2006 führte der Betriebsrat in Stuttgart zum Beispiel eine ganztägige Betriebsversammlung durch. Auf den Betriebsversammlungen wurde nicht nur umfassend berichtet, sondern ausführlich diskutiert. Viele Beschäftigte meldeten sich zu Wort. Sie waren empört über die Verhaltensweise eines Konzerns, der neun Milliarden Euro Jahresgewinn einstreicht und dennoch massenhaft Arbeitsplätze vernichtet. Auch für standortübergreifende Solidarität ist die Sensibilität gewachsen. So unterschrieb fast die gesamte Stuttgarter Belegschaft Aufrufe gegen die Schließung des Standortes in Köln. In Köln wurden 100000 Unterschriften gegen die Standortschließung gesammelt. Der Organisationsgrad bei Allianz ist deutlich gestiegen, wenn auch die gewerkschaftlich Organisierten immer noch eine Minderheit sind. Interessenausgleich statt Konzerntarifvertrag Trotz der Forderung nach einem Konzerntarifvertrag und der Bildung einer Haustarifkommission konnten sich die Betriebsräte nicht dazu entschließen, auf Verhandlungen über Interessenausgleiche zu verzichten. Die gewerkschaftlichen Aktionen, Warnstreiks und Tagesstreiks dienten so in erster Linie dazu, die Position der Betriebsräte bei den Verhandlungen zu stärken. Unter dieser Bedingung war jedoch klar, dass die Konzernleitung keinen ernsthaften Anlass sah, mit jemand anderem als den Betriebsräten zu verhandeln. Der Bundesbetreuungssekretär von ver.di war jedoch erstmals bei den Verhandlungen voll beteiligt. Besser wäre es nach meiner Einschätzung gewesen, auf Verhandlungen zu verzichten und voll auf die Karte Konzerntarifvertrag zu setzen. Die Konstellation bei Allianz und die strukturelle Schwäche von ver.di ließen dies jedoch nicht zu. Auch hatten die Betriebsräte zwei Unternehmensberater beauftragt, sich mit dem Unternehmenskonzept auseinander zu setzen. Diese kamen zu dem Schluss, dass die Grundentscheidungen für die Neustrukturierung richtig sind, jedoch auf die Standortschließungen und den geplanten Arbeitsplatzabbau in diesem Ausmaß verzichtet werden kann. Ob die Arbeit der Betriebsratsberater hilfreich für den Kampf um einen Konzerntarifvertrag war, müsste gesondert bewertet werden. Ich bin da eher skeptisch. Der Abschluss der Interessensausgleiche Mitte November beendete vorerst den Kampf der Allianz-Beschäftigten um ihre Arbeitsplätze. Die Eckpunkte der Vereinbarung beinhalteten:
Die Konzernleitung bleibt bei dem Vorhaben, 5000 Arbeitsplätze bei der Versicherung zu vernichten, um die geplanten Kosteneinsparungen zu erreichen. So soll der Personalabbau am Standort Köln zwei Drittel der Beschäftigten umfassen. Das Verhandlungsergebnis ist bei den Belegschaften durchaus nicht auf Jubel gestoßen. Ohne Zweifel ist es ein Teilerfolg. Erstmals ist es Belegschaften beim Allianz-Konzern gelungen, bisher als unveränderlich geltende Konzernentscheidungen zu beeinflussen und ein ernsthaftes Gegengewicht aufzubauen. Zweifelhaft ist, ob der Kampf mit diesem Ergebnis beendet werden musste oder ob es nicht realistischer und besser gewesen wäre weiter zu machen. Berücksichtigt werden muss dabei jedoch auch, dass nicht alle Belegschaften gleichermaßen gekämpft hatten. In manchen Standorten gab es heftige Gegenwehr. Es gab jedoch auch Standorte, wo so viel wie nichts lief. ver.di ist gut beraten, die jetzige Phase lediglich als eine Etappe zu betrachten, die Haustarifkommission nicht aufzulösen und die Forderung nach einem Konzerntarifvertrag aufrecht zu erhalten. Der jetzt stattfindende Prozess massenhafter Versetzungen und Änderungen der Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen muss durch kollektive Forderungen und Prozesse begleitet werden (siehe auch das Strategie-Papier zur weiteren Vorgehensweise im Allianz-Konzern in dieser Ausgabe des express). * Bernd Riexinger ist Geschäftsführer des ver.di-Bezirks Stuttgart. Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 1/07 |