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Updated: 18.12.2012 15:51
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"Gott kann man nicht bestreiken!"

Das Bielefelder Arbeitsgericht hat am 3.3. einer Klage mehrerer Ev. Landeskirchen, Diakonischer Werke und Ev. Unternehmen stattgegeben, die verdi Streikaufrufe in diesem Bereich untersagt. Die katholische und die evangelische Kirche beschäftigen in ihren Wohlfahrstverbänden Caritas und Diakonie ca. 1,2 Millionen Arbeitnehmer. Über die Hintergründe und Auswirkungen des Prozesses sprach für ND Stefan Konrad mit dem Linken-Europaabgeordneten Jürgen Klute, der als Prozessbeobachter in Bielefeld war. Jürgen Klute ist evangelischer Pfarrer und verdi-Mitglied. Das Interview erschien zuerst in gekürzter Form im Neuen Deutschland vom 12.03.2010

ND: Nachdem in einigen evangelischen Einrichtungen Ende 2009 Warnstreiks für Tarifverträge stattfanden, zog die ev. Kirche vor Gericht um Streiks untersagen zu lassen. Die Kirche hat Recht bekommen. Verdi will sich das Streikrecht nicht nehmen lassen. Wie geht es weiter?

J.K.: Ver.di wird das Urteil auswerten und dann in die nächste Instanz gehen, davon gehe ich aus. Mittlerweile befassen sich auch 2 Abgeordnete der Linksfraktion im Bundestag - Michael Schlecht und Bodo Ramelow -  mit diesem Thema. Damit erhält dieses Thema nun auch die nötige politische Aufmerksamkeit.

ND: Kirche weigert sich Tarifverträge abzuschliessen und beruft sich auf grundgesetzliche Privilegien (GG Art. 140), nachdem sie "ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes ordnet und verwaltet." Sind dadurch die Rechte der Beschäftigten ausser Kraft gesetzt?

J.K.: Die Kirche interpretiert den Art. 140 des GG offensichtlich so. Dieser Artikel des GG nimmt Regelungen der Weimarer Reichsverfassung von 1919 auf. Dort heißt es in Art. 137 (3) "Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Sie verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde." Mit dieser Regelung ist eigentlich 1919 die Trennung von Staat und Kirche beschrieben worden, denn zuvor hatten die Landesfürsten und der Kaiser weitgehende Eingriffsrechte in die kirchlichen Angelegenheiten. Gleichzeitig wird hier aber auch klargestellt, dass das Selbstbestimmungsrecht nicht grenzenlos ist. Die Kirchen haben kein staatsgleiches Souveränitätsrecht, sondern sind mit ihrem Selbstbestimmungsrecht eingebunden in den für alle geltenden rechtlichen Rahmen. In der Weimarer Republik haben die Kirchen das auch so verstanden. Damals unterlagen sie dem allgemeinen Arbeitsrecht und es gab während der Zeit auch Streiks in der Kirche. Erst nach 1945 haben die Kirchen sich mit Rückgriff auf den 1937 von den Nazis im Bereich des öffentlichen Dienstes eingeführten Begriff der "Dienstgemeinschaft" den heutigen arbeitsrechtlichen Sonderweg erstritten. Als 1952 das Betriebsverfassungsgesetz eingeführt wurde, haben die Kirchen der damaligen Bundesregierung abgerungen, dass die Kirchen nicht unter das BtrVG fallen. Im Gegenzug haben sie bessere Regelungen im kirchlichen Arbeitsrecht zugesagt, als das BtrVG. Diese Zusage haben sie aber bis heute nicht erfüllt. Statt dessen versuchen die Kirchen heute das ihnen 1919 zugestandene Selbstbestimmungsrecht zu einem Souveränitätsrecht umzudeuten. Damit wollen sie sich von allen tarif- und betriebsverfassungsrechtlichen Regelungen befreien, um sich auf dem in den letzten Jahren entstandenen "Sozialmarkt" Wettbewerbsvorteile zu sichern.

ND: Auch kirchliche Krankenhäuser und Seniorenheime werden zu 100 % nicht aus Kirchengeldern, sondern aus Krankenkassenbeiträgen, der Pflegekasse und öffentlichen Steuergeldern finanziert, Kindertagesstätten erhalten lediglich einen geringen Zuschuss der Kirche. Warum sehen die Kirchen die genannten Einrichtungen, und offensichtlich auch die dort Beschäftigten, als ihr Eigentum an?

J.K.: Ich bin nicht sicher, ob sie die Einrichtungen als ihr Eigentum ansehen. Diese Regelung gilt ja nicht nur für die Kirchen, sondern für alle Wohlfahrtsverbände, die entsprechende Einrichtungen unterhalten. Begründet wird das mit dem so genannten Subsidiaritätsprinzip, das in der katholischen Soziallehre entwickelt worden ist. Danach sollen soziale Dienste möglichst in zivilgesellschaftlicher Selbstverwaltung durchgeführt werden. Das dieses Prinzip mit der Gründung der BRD eingeführt wurde, ist ja auch eine Reaktion auf die Gleichschaltung aller zivilgesellschaftlichen Organisationen während der Nazi-Diktatur gewesen. Durch das Subsidiaritätsprinzip soll eine Wiederholung einer solchen Gleichschaltung unterbunden werden. Da aber die Wohlfahrtsverbände mit ihren sozialen und gesundheitlichen Einrichtungen Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge erbringen, werden diese Dienste in der oben beschriebenen Form finanziert. Dagegen ist solange nichts einzuwenden, wie diese Strukturen transparent gehalten werden und die von den Wohlfahrtsverbänden erbrachten Dienste einer demokratischen Kontrolle und Steuerung unterzogen sind. Hier gibt es grundsätzlichen Verbesserungsbedarf. Das Hauptproblem ist aber heute, dass diese Dienste immer mehr dem Wettbewerbsprinzip untergeordnet werden. Das führt dazu, dass die Wohlfahrtsverbände, die ja auch zunehmend mit privatwirtschaftlichen Anbietern konkurrieren müssen, mehr und mehr auf die Nutzung von Wettbewerbsvorteilen setzen. Die Kirchen sehen derzeit ihren größten Wettbewerbsvorteil in ihrem arbeitsrechtlichen Sonderweg, den sie vehement verteidigen und Ausbauen wollen. Und da gilt dann: Wer in seinen Betrieben ein Streikverbot durchsetzen kann, dem bleiben auch alle mit einem Streik verbundenen Kosten erspart. In privaten und öffentlichen Krankenhäusern kommt es ja immer mal wieder zu Streiks. Die Kirchen als streikfreie Arbeitgeber haben da natürlich handfeste Kostenvorteile, die sie schamlos ausnutzen.

ND: Diakonie-Vorstand Günther Bahrenhoff verkündete nach dem Bielefelder Urteil: "Gott kann man nicht bestreiken!" Kirche verlangt von den Beschäftigten eine Mitwirkung am Verkündungsauftrag. Wie können wir uns das angesichts von Personalmangel und steigender Arbeitsverdichtung in sozialen Einrichtungen vorstellen? Murmelt der Arzt bei der Gallenoperation Gebete?

J.K.: Der Satz "Gott kann man nicht bestreiken!" ist natürlich Unsinn. Denn darum geht es gar nicht. Es geht um die Aushandlung der unterschiedlichen und manchmal auch gegensätzlichen Interessen zwischen den Beschäftigen einer diakonischen Einrichtung und deeren Träger. Das Neue Testament ist ja nicht so wirklichkeitsblind, dass es keine Konflikte kennt. Es mahnt allerdings zu einer respektvollen und humanen Form der Austragung von Konflikten. Dem widerspricht ein Streik aber nicht. Streiks sind ja eine zivilisierte und öffentliche Form der Austragung von Interessenskonflikten. Mitwirkung am Verkündigungsauftrag würde aus meiner Sicht hier heißen, die Beteiligung von Mitarbeitenden im sozialen und im wirtschaftlichen Bereich weiterzuentwickeln, also das Arbeitsleben in kirchlichen Einrichtungen zu demokratisieren. Denn darauf zielt doch die Botschaft des Evangeliums: auf soziale Gerechtigkeit, auf Machtbegrenzung und Partizipation. Im Sozialwort der Kirchen von 1997 spiegelt sich das durchaus noch wieder. 

ND: Um Löhne und Sozialleistungen zu sparen gründen Kirchen eigene Leiharbeitsfirmen oder betreiben Outcoucing. Plötzlich spielt Christlichkeit keine Rolle mehr und es wirken Marktmechanismen.

J.K.: Leider ist das so. Wo es von Vorteil ist, verteidigen die Kirchen ihren arbeitsrechtlichen Sonderweg. Wo es aber billiger ist, sich des Betriebsverfassungsgesetzes zu bedienen, haben sie auch damit keine Probleme. Eine andere Antwort auf den Neoliberalismus ist den Kirchen in ihren Einrichtungen bisher nicht eingefallen. 

ND: Sie haben sich in diesem Verfahren auf die Seite der Beschäftigten und verdi gestellt und sind mit dieser Position als Pfarrer offensichtlich recht einsam. Ist Kirche glaubwürdig, wenn sie gegen verdi und die Arbeitnehmer klagt, ansonsten immer postuliert, auf Seiten der Schwachen und Unterdrückten zu kämpfen?

J.K.: Der Glaubwürdigkeit der Kirchen kommt das nicht zugute. Hier zeichnen sich mittlerweile auch Probleme für die Kirchen ab. Das ist den Verantwortlichen in der Kirche aber offenbar egal.

ND: Wie sieht das Europaparlament und das Europäische Recht die Sonderstellung der Kirchen in Deutschland? Selbst in katholisch geprägten Ländern wie Spanien oder Italien halten sich die Kirchen an die für alle geltenden Regeln.

J.K.: Nun, der arbeitsrechtliche Sonderweg der Kirchen in Deutschland ist nicht nur innerhalb Deutschlands ein Sonderweg, sondern wohl weltweit. Er entspringt einem vordemokratischen Denken. Das wurde übrigens in den 1950er und 1960er Jahren intensiv diskutiert. Aber die autoritären und vordemokratischen Gruppen innerhalb der Kirche haben sich damals durchsetzen können. Dieser Sonderweg hat auch viele diskriminierende Aspekte. Etwa, wenn es um die Religionszugehörigkeit der Mitarbeitenden oder der Mitglieder der Mitarbeitervertretungen gibt. An dieser Stelle gibt es Widersprüche zum Recht der EU, aber auch mit dem EU-Wettbewerbsrecht dürfte das Streikverbot in der Kirche Probleme bekommen. Die EU akzeptiert im Lissabon-Vertrag zwar die besonderen kirchlichen Traditionen in den einzelnen Mitgliedsländern und nimmt die Kirchen insofern aus dem EU-Recht aus. Der Europäische Gerichtshof sagt aber ganz deutlich, dass Marktteilnehmer sich an das Recht des EU-Binnenmarktes zu halten haben, unabhängig davon, ob der Marktteilnehmer ein gemeinnütziger Verein oder eine kirchliche Einrichtung ist. Das Recht der EU anerkennt zwar durchaus den so genannten Tendenzschutzparagraphen im BtrVG. Ob das EU-Recht aber auch die kirchliche Interpretation des Art. 140 GG deckt, ist sehr zu bezweifeln.


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