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Updated: 18.12.2012 15:51
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Dinosaurierdemo

Man fühlt sich in die 1970er Jahre versetzt, jene Zeiten, als westdeutsche Gewerkschaften für neue Atomkraftwerke auf die Straße gingen. Für den 7. Februar ruft die Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di die Beschäftigten der Energiewirtschaft und der kommunalen Versorgungsbetriebe zu einer Demonstration nach Berlin auf. Aber nicht gegen die allgegenwärtige Privatisierungswelle und die Liberalisierung des Strommarktes, mit der vielerorts die Stadtwerke zerschlagen werden, richtet sich der Protest, sondern gegen den Klimaschutz. Die deutsche Energiewirtschaft werde durch "unfaire Auflagen beim Emissionshandel" benachteiligt, heißt es im Aufruf zu der erwähnten Demonstration.

Allein schon das Datum der Aktion macht stutzig. An einem Wochentag soll bundesweit demonstriert werden. Ginge es gegen die Rente mit 67, so würden von der CDU über den BDI bis zur SPD alle "politischer Streik" rufen und über die "Diktatur" der Gewerkschaften oder ähnliches schwadronieren. Aber die Gefahr derartiger Aktionen scheint nicht zu bestehen, und in diesem Fall ist ver.di das Wohlwollen der Konzerne sicher.

Was ist der Hintergrund? Deutschland hat sich in völkerrechtlich verbindlichen Verträgen dazu verpflichtet, die Emissionen seiner Treibhausgase gegenüber dem Basisjahr 1990 um 21 Prozent zu senken. Diese Gase entstehen unter anderem in den großen Kohle- und mehr noch Braunkohlekraftwerken der Energieversorger. Den größten Teil der Reduktionsverpflichtungen hat man bereits en passant durch die Deindustrialisierung Ostdeutschland erledigt, aber ein bisschen bleibt noch bis 2012, dem Stichjahr, zu erledigen. Also hat man sich in der EU geeinigt, einen Markt für Verschmutzungsrechte einzuführen. Kraftwerksbesitzer bekommen bestimmte Mengen Treibhausgas zugebilligt, die sie produzieren dürfen. Nehmen sie die Rechte nicht selbst in Anspruch, so können sie mit ihnen Handel treiben.

Der Dreh- und Angelpunkt des Konzepts liegt nun in der Höhe der zugeteilten Zertifikate, und genau hier beginnt der Streit. Die Bundesregierung will für die Periode 2008 bis 2012 jährlich für 482 Millionen Tonnen Treibhausgaszertifikate vergeben. Die EU-Kommission will hingegen maximal 453 Millionen Tonnen genehmigen. In den vergangenen Jahren hat der Treibhausgasaustoß der betroffenen Industrie bei durchschnittlich 477 Millionen Tonnen gelegen. Die Unternehmen hatten allerdings für 499 Millionen Tonnen jährlich Zertifikate bekommen und konnten mit den restlichen 22 Millionen ein schönes Zusatzgeschäft machen. Derzeit kostet eine Tonne etwa 30 Euro.

Die EU-Kommission fordert also, dass in Deutschland der jährliche Treibhausgasausstoß aus Kraftwerken und Industrieanlagen um 24 Millionen Tonnen oder bescheidene fünf Prozent gesenkt wird. Das findet ver.di "unfair". Zum Vergleich: Der gesamte Ausstoß an Treibhausgasen betrug in Deutschland im Jahre 2004 etwa 1,015 Milliarden Tonnen. Um einen weiteren Klimawandel aufzuhalten muß dieser Betrag in den nächsten Jahrzehnten auf etwa 100 Millionen Tonnen im Jahr reduziert werden. Mit neuen Kohlekraftwerken, wie sie der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske gemeinsam mit seinen Kollegen von den Industriegewerkschaften Bauen Agrar Umwelt, Metall und Bergbau Chemie Energie im Dezember in einen Brief an die Bundeskanzlerin forderte, wird das nicht zu machen sein. Schon gar nicht mit neuen Braunkohlekraftwerken, wie sie zum Beispiel RWE baut, in dessen Aufsichtsrat Bsirske sitzt.

Einige ver.di Mitglieder aus verschiedenen Umweltverbänden wie Greenpeace, dem Deutschen Naturschutzring und Mitarbeiter am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie haben bereits im Dezember mit einem Protestschreiben auf Bsirskes Vorstoß gegen den Klimaschutz reagiert. Unter anderem weisen sie ihn auf jüngste ökonomische Studien hin, nach denen der Weltwirtschaft eine schwere Krise vergleichbar mit der von 1929 droht, sollte nicht rechtzeitig gegen den drohenden Klimawandel vorgegangen werden. Auch die Angst um Arbeitsplätze lassen sie nicht gelten, sondern meinen, daß durch den nötigen Strukturwandel vielmehr neue entstünden.

Interessant an der Demonstration am 7. Februar ist auch die Rednerliste. Einerseits beklagt ver.di sich im Aufruf über die Nöte der Stadtwerke und wirft Interessen mit jenen der Energiekonzerne in einen Topf. Andererseits hat man sich den Mannheimer Oberbürgermeister und Präsidenten des Verbandes kommunaler Unternehmen Gerhard Widder als Redner eingeladen. Widder ist zugleich auch quasi-Chef der ehemaligen Mannheimer Stadtwerken. Aus denen ist inzwischen ein bundesweit agierender Konzern, die MVV, geworden, der eifrig andernorts Stadtwerke aufkauft, sie zergliedert und massiv Arbeitsplätze abbaut. So zum Beispiel in der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt Kiel. Bei den dortigen Stadtwerken strebt der Mehrheitseigner MVV, selbst immer noch im Besitz der Stadt Mannheim, die Vernichtung mehrerer hundert Arbeitsplätze an. Ein prima Bündnispartner für eine Gewerkschaft.

Artikel von Wolfgang Pomrehn vom 29.01.2007


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