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Updated: 18.12.2012 15:51
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Einseitiger Klassenkampf

Sam Gindin über verpasste Chancen einer gesellschaftlichen Tarifpolitik in den USA

Wie schon im express 10-11/07 berichtet, stellten sich die Tarifverhandlungen und -Ergebnisse zwischen den Big-Three der US-Autoindustrie (GM, Chrysler und Ford) und der UAW diesmal alles andere als vorhersehbar dar. Die dekadenlang vollzogenen, ritualisierten und schablonenhaften Tarifverhandlungen der UAW mit einem »auserwählten« Big-Three-Unternehmen inklusive anschließendem allseitigen »Abnicken« der Ergebnisse erfuhren eine nachhaltige Erschütterung.
Die Mitte Oktober von UAW und GM unterzeichnete Vereinbarung beinhaltet u.a. den besonderen Knackpunkt einer zweistufigen Lohnstruktur in eigens definierten sog. »Nicht-Kernbereichen« der Unternehmen. Neueingestellte erhalten demnach weniger Lohn für gleiche Arbeit, einer der ureigensten gewerkschaftlichen Grundsätze (»Gleicher Lohn für gleiche Arbeit«) wurde mit tatkräftiger Mithilfe der UAW aufgekündigt.
Außerdem bereitet die Umstrukturierung der Gesundheitsfonds (in die Verantwortung der UAW und mit einem nicht unerheblichen ökonomischen Risiko behaftet) nicht nur den innergewerkschaftlichen Opponenten Bauchschmerzen.
Dementsprechend weiteten sich Opposition und Widerstand gegen den neuen Automobilindustrie-Tarifvertrag bei GM und – untypisch – bei Chrysler über eine »Rank-and-file-Rebellion« aus. Die sog. »Vote No«-Kampagne führte dazu, dass »nur« 65 Prozent Zustimmung für den ausgehandelten Vertrag erzielt wurden, vier Belegschaften lehnten ihn komplett ab.
Bleibt abzuwarten, ob und wie sich Opposition und Widerstand gegen diese Entwicklungen, die von vielen Beteiligten und Beobachtern als größte Veränderungen in der Geschichte der UAW seit Ende des zweiten Weltkrieges betrachtet werden, ausweiten und verstetigen.

Frustriert über die neue Aggressivität der Arbeitgeber der USA, warf Douglas Fraser, damals UAW-Präsident, diesen Arbeitgebern 1978 vor, einen »einseitigen Klassenkampf« zu führen »gegen die arbeitende Bevölkerung, die Arbeitslosen, die Armen, die Minderheiten, die sehr Jungen und die sehr Alten, und sogar gegen viele aus der Mittelklasse unserer Gesellschaft.« Er warnte: »Wir in der UAW beabsichtigen daher, die Verbindungen zu denen wieder zu stärken, die an den Kampf glauben: die Art von Leuten, die sich in den dreißiger Jahren hingesetzt haben und die in Selma in den Sechzigern marschiert sind.« Traurigerweise war diese Drohung nicht ernst gemeint, und die versprochene Verbündung mit den sozialen Bewegungen wurde zu Gunsten einer weiteren Identifikation mit den Unternehmen fallen gelassen. Seitdem haben Autoarbeiter – und US-amerikanische Arbeiter generell – dafür den Preis bezahlt.

Die UAW-Verhandlungen der letzten Monate hätten eine Chance geboten, einer ganzen Generation von Niederlagen der Arbeiterklasse ein Ende zu bereiten. Aber wieder einmal war es nur eine Klasse, die gekämpft hat. Im Ergebnis hat nun die Gewerkschaft, die einst als Vorreiter neue Sozialleistungen für die Arbeiterschaft durchsetzte, dazu beigetragen, diese abzuschaffen. Die selbe Gewerkschaft, deren große Sitzstreiks einst die Macht der Solidarität demonstrierten, verhandelt nun in schäbiger Weise niedrigere Löhne für noch nicht eingestellte und noch nicht stimmberechtigte Beschäftigte. Wie das Wall Street Journal bemerkt, bestimmt mit dem neuen Tarifvertrag nicht länger die UAW die Höhe der Latte, sondern Toyota.

Die zentralen Elemente des Tarifvertrags sind die Krankenversicherung, die Bedingungen für Neueinstellungen sowie die Lohnvereinbarung. Diese Verhandlungen werden gravierende Folgen auch für kanadische Arbeiter haben, vor allem für die kanadischen Autobeschäftigten, die im September 2008 in Verhandlungen mit den Big Three eintreten werden.

Eine verpasste Gelegenheit

Die meisten Schlagzeilen hat wohl die Änderung des Krankenversicherungssystems für Pensionäre gemacht. Die USA sind das einzige entwickelte Land, in dem es kein staatliches Gesundheitssystem gibt. Krankenversicherung wird damit zu einer Angelegenheit, die privat erworben oder als Sozialleistung des Arbeitgebers ausgehandelt werden muss. Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte die UAW ein »privatisiertes Wohlfahrtssystem«, in dessen Rahmen die Unternehmen die Gesundheitsausgaben der Beschäftigten und Pensionäre (einschließlich noch lebenden Ehepartnern) bezahlten. Gerade dieses privatisierte System – einst Symbol der Stärke der Arbeiter im Autosektor – ist jetzt in der Krise.

Mit zunehmendem Wettbewerb in der Autoindustrie sind steigende Gesundheitsausgaben ein zentraler Wettbewerbsfaktor geworden. Unternehmen aus anderen Ländern genießen den Vorteil sozialisierter Gesundheitskosten; Unternehmen, die erst seit Kurzem in den USA produzieren, haben erst wenige bezugsberechtigte Pensionäre. GM hingegen trägt diese Kosten selbst, und inzwischen sind es pro aktivem Beschäftigtem fast fünf Ruheständler bzw. Ehepartner, für die aufgekommen werden muss – 73000 Arbeiter gegenüber 340000 Pensionären.

Über 65-Jährige erhalten eine Gesundheitsversorgung durch das Medicare-Programm. Aber viele der GM-Pensionäre sind weit unter 65, auch weil der vorgezogene Ruhestand als Alternative zu Entlassungen gefördert wurde. Die Kosten für ihre Gesundheitsversorgung werden voll aus dem zwischen UAW und GM verhandelten Vertrag finanziert.

Der offensichtliche Ausweg aus diesem Dilemma lautet: Man muss dem Rest der entwickelten Welt in eine beitragsfinanzierte staatliche Krankenversicherung folgen. Die UAW wäre in der Lage, eine solche Kampagne anzuführen. Krankenversicherung ist das Thema Nr. 1 in den Umfragen; die Präsidentschaftswahl wirft ihre Schatten voraus; die Wall Street und die Medien machen Druck auf die UAW, GM aus der Verpflichtung zu entlassen – angesichts dieser Gemengelage hätte die UAW erklären können, dass die Frage des Gesundheitssystems nicht durch Tarifverhandlungen zu lösen ist. Sie hätte dagegen kämpfen können, dass die Beschäftigten in eine falsche Lösung gedrängt werden. Natürlich hätte man ihr vorgeworfen, die US-amerikanische Autoindustrie zu zerstören. Die mediale Aufmerksamkeit hätte die UAW aber auch als Plattform nutzen können, um ihren Punkt zu machen und für die 47 Millionen US-AmerikanerInnen ohne Krankenversicherung zu sprechen, für die zig Millionen, denen keine angemessene Gesundheitsversorgung zuteil wird, und für die Millionen, die gerade dabei sind, die Krankenversicherung zu verlieren, die sie bis zum Ende ihres Lebens gesichert glaubten. (...) Währenddessen hat GM die Verantwortung für die Verwaltung der notwendigen Gesundheitsversorgung für die Ruheständler auf die Gewerkschaft abgeschoben.

Das Vehikel dafür nennt sich Voluntary Employees Beneficiary Association (VEBA) und ist ein neuer Fonds, der im Januar 2010 realisiert werden soll. Zunächst hatte GM argumentiert, die gesamten Gesundheitskosten für die Pensionäre würden sich auf etwa 50 Mrd. USD belaufen. Mit dieser Summe sollte demonstriert werden, wie hoch die Arbeitskosten bei GM sind. Als es aber darum ging, Bares für diese zukünftigen Gesundheitskosten aufzubringen, fielen die Schätzungen plötzlich in den Keller. Nun hieß es plötzlich, nicht einmal 30 Mrd. USD – also nur 60 Prozent des zuvor überall herumposaunten Betrages – wären nötig. Die Details sind komplex, aber scheinbar lässt sich Folgendes festhalten:

  • GM wird 24,1 Mrd. USD bar an die Gewerkschaft zahlen und eine Anleihe von 4,5 Mrd. USD einrichten, möglicherweise in Form von GM-Aktien.
  • In diesem Betrag wird ein Vorschuss von GM auf Kapital enthalten sein, welches VEBA später aus Inflationsausgleichszahlungen (cost-of-living adjustments, COLA) und Löhnen zufließen soll (dazu siehe weiter unten).
  • Falls nötig, wird GM der Gewerkschaft 20 Jahre lang maximal 165 Mio. USD pro Jahr bezahlen. Die Gewerkschaft hat eingewilligt, GM darüber hinaus um keine weiteren Gelder zu bitten.
  • Sollte das nicht ausreichen – was passieren kann, wenn das Kapital niedrigere Erträge einbringt oder die Gesundheitskosten schneller steigen als erwartet –, müssen entweder Leistungen gestrichen oder Zuzahlungen erhöht werden. Laut der Vereinbarung müssen Leistungskürzungen oder Kostensteigerungen nicht mit den Arbeitern abgestimmt werden, sondern können von den Verwaltern des Fonds beschlossen werden.
  • Darüber hinaus wird eine Umschichtung vom Pensionsfonds in den VEBA-Fonds vorgenommen: Ruheständler »erhalten« eine spezielle lebenslange Zusatzleistung von 66,70 USD monatlich, müssen aber dann 51,67 im Monat an den VEBA-Fonds abführen. Diese Beträge sind nach Steuern identisch.

Diesen Betrug an Rechten und Prinzipien verkauft die Gewerkschaft als Erfolg, mit dem Argument, es gebe nun schließlich diesen Fonds, der weiterhin für Leistungen zahlen werde, auch wenn GM nach 2010 Pleite gehe. Da aber das Kapital erst nach und nach aufgestockt wird und wahrscheinlich GM-Aktien enthalten wird, wäre ein Teil der versprochenen Mittel wahrscheinlich im Fall einer Pleite von GM doch nicht verfügbar.

Der gesunde Menschenverstand hätte allerdings geboten, die Pensionäre von heute und von morgen zu verteidigen, indem man den neuen Fonds ablehnt und verlangt, dass GM mit dem Geld selber einen Fonds auflegt, der die entsprechenden Leistungen garantiert, bis ein staatliches Gesundheitssystem soweit ist, diese Aufgabe zu übernehmen. Anstatt am jetzigen Gesundheitssystem herumzudoktern und es damit noch schlimmer zu machen, müsste man dieses US-amerikanische Desaster beenden.

Ungleichheit als höchstes Ziel

Ein fundamentales Prinzip des CIO – der Keimzelle der Industriearbeiterbewegung, die der UAW zur Geburt verhalf – war die Gleichheit der Arbeiter ungeachtet Ausbildung, Geschlecht und Rasse. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit und geringe Lohnunterschiede am Arbeitsplatz galten aus Prinzip und sollten Solidarität für kommende Kämpfe begründen.

Laut der neuen Vereinbarung jedoch sollen Arbeiter, die für Jobs im »Nicht-Kernbereich« des Unternehmens neu eingestellt werden – also in den Bereichen Komponenten, Maschinen, Material und Reinigung – die Hälfte von dem verdienen, was gegenwärtig Beschäftigte dort verdienen. Beim Materialtransport sind das z.B. 14 USD pro Stunde. Laut Detroit Free Press sind ein Viertel bis ein Drittel der Jobs in einer Montagefabrik als »Nicht-Kernbereich« zu definieren.

Für neu Eingestellte gibt es außerdem eigene Ruhestandsregelungen; sie bekommen keine Krankenversicherung in der Zeit nach der aktiven Berufstätigkeit – eine Regel, die für alle zukünftigen Beschäftigten gilt, nicht nur für diejenigen in den »Nicht-Kernbereich«-Jobs. Anstatt der existierenden Pension bekommen sie einen Beitrag von 1 USD pro Arbeitsstunde für einen individuellen Rentensparplan, den GM von der Steuer absetzen kann.

Es ist unschwer zu sehen, wo das hinführt, nämlich:

  • zu einer geschwächten Gewerkschaft: Das erste, was neue Arbeiter sehen werden, ist die Kollaboration der Gewerkschaft mit dem Unternehmen mit dem Ziel, sie zu Beschäftigten zweiter Klasse zu machen;
  • zu einer großen Bedrohung für die Zulieferindustrie: GM hat Arbeit in Autoteilefabriken mit niedrigeren Löhnen ausgelagert und droht mit weiteren Auslagerungen, um seine »Kernbelegschaften« zu schwächen. Durch die neue Vereinbarung können sie jetzt der Teileindustrie damit drohen, die Arbeit in die GM-Fabriken zurückzuholen, wenn sie mit den Löhnen nicht noch weiter runtergehen;
  • zu einem Präzedenzfall für die Ausdehnung des Zwei-Klassen-Entlohnungssystems auf »Kernaufgaben«. Wenn die Gewerkschaft schon selber den Schlüssel umgedreht hat, wären die Unternehmen wohl dumm, jetzt die Türe nicht aufzustoßen;
  • und schließlich: Organizing? – Vergiss es! Warum sollte irgendjemand Gewerkschaftsmitglied werden wollen – aus Stolz auf die Tatsache, dass in ihren Betrieben inzwischen vielleicht niedrigere Standards gelten als in Betrieben ohne Gewerkschaft?

Die Rate der Neueinstellungen ist bei GM besonders zentral, weil dort die Belegschaften sehr viel älter und näher am Ruhestand sind als bei Chrysler und Ford. Bei GM könnte es bald eine beträchtliche Anzahl an Neueinstellungen geben. Laut Bloomberg können 63,5 Prozent der Beschäftigten von GM im Laufe der nächsten fünf Jahre in Pension gehen, aber nur 30 und 31 Prozent bei Chrysler und Ford.

Mehr ist weniger

Eine Broschüre der UAW versucht die neue Vereinbarung aktiven Beschäftigten zu verkaufen, indem sie auf ein steigendes Einkommen über die vierjährige Laufzeit hinweist. Ruheständler stimmen schließlich nicht über die Vereinbarung ab, und Neueinstellungen sind erst potenziell beschäftigt und stimmberechtigt. Es wird versichert, der Zuwachs betrage für einen typischen Montagearbeiter stolze 13056 USD.

Die ersten 3000 sind ein Bonus auf den Vertragsabschluss. Drei jährlich zahlbare Einmalzahlungen betragen ca. 2100, 2800 und 2100 – bei regelmäßiger Arbeit mit 10 Prozent Überstunden. Der Rest kommt aus geschätzten 68 US-Cent Inflationsausgleichszahlungen (COLA), ebenfalls auf Überstunden hochgerechnet.

Auch wenn man außer acht lässt, was in den Bereichen Krankenversicherung und Neueinstellungen sowie bezüglich Sozialleistungen und Arbeitsrechten aufgegeben wurde, um diese Einkommenszuwächse zu »erringen«, bleibt zu beachten:

  • Laut Vereinbarung werden jedes Quartal 10 Cent von den COLA in den VEBA-Fonds abgeführt (s.o.), um »Gesundheitskosten« abzudecken. Über die Laufzeit des Tarifvertrags ergibt das bei gleichen Annahmen zu Arbeit und Überstunden eine Reduktion von 6240 USD bzw. nahezu der Hälfte des angeblichen Lohnzuwachses. Sollte die Inflation stärker steigen als um die von der UAW veranschlagten 2,44 Prozent, könnte es nach diesen Umschichtungen sogar passieren, dass gar keine COLA-Zahlungen übrig bleiben.
  • Vergangenen September hat die UAW eingewilligt, »vorübergehend« auf den dreiprozentigen jährlichen Zuwachsfaktor (AIF, Annual Improvement Factor) zu verzichten; auch er wurde zur Deckung von Gesundheitskosten verwendet. Der Tarifvertrag macht jetzt aus »vorübergehend« einen Dauerzustand. Was da preisgegeben wurde, 75 Cent für einen Montagearbeiter, hätte mit Überstunden ca. 7200 US-Dollar über die Laufzeit des Vertrages erbracht.
  • Zusammen ergeben die bei den COLA und dem AIF hingenommenen Verluste einen höheren Betrag als die in der Broschüre genannten »Zuwächse«. Einmalbeträge, die den Löwenanteil des »Einkommenszuwachses« unter dem neuen Tarifvertrag ausmachen, steigern weder die Lohnrate noch lohnabhängige Leistungen wie Urlaubsgeld, Krankheits- und Unfallzahlungen sowie Lebensversicherung. Die erwähnten Verluste hingegen beeinflussen Löhne und Sozialleistungen sehr wohl.
  • Um einfach nur ihre momentane Kaufkraft zu erhalten, müssten GM-Montagearbeiter, die momentan 28,17 US-D in der Stunde verdienen, in vier Jahren 31,02 US-D erhalten. Da sie aber am Ende der Vertragslaufzeit nur geschätzte 28,85 US-D verdienen werden, werden sie bis dahin real 2,17 US-D verloren haben.

Beschäftigungssicherheit?

Wie in allen von Konzessionen dominierten Tarifverträgen lautet das zentrale Versprechen des GM-UAW-Vertrages: Beschäftigungssicherheit. Da lohnt es sich, sich die Geschichte solcher Versprechen zu vergegenwärtigen. Ende der siebziger Jahre stand die UAW-Mitgliedschaft bei 450000 GM-Beschäftigten. Nach einer Serie von Tarifverträgen, von denen jeder einzelne feierlich Beschäftigungssicherheit gelobte, ist die Mitgliedschaft bei GM inzwischen auf 73000 gesunken – ein frappierender Schwund von 84 Prozent! Schwer auszumachen, warum neue Versprechen von Beschäftigungssicherheit auch nur einen einzigen Arbeiter in Sicherheit wiegen sollten.

Eines der Probleme, die man sich einhandelt, wenn man Zugeständnisse macht, ist, dass man damit die Ansicht befördert, die Belegschaft sei der Grund für »Performanz«-Probleme des Unternehmens. Dass also die Probleme behoben werden könnten, indem die Arbeiter weniger für sich reklamieren. So lenken Konzessionen von den echten Problemen ab – und das hört nie auf. Wenn sie bemerken, dass sie Beschäftigte auch mit weniger abspeisen können, ist es für die Unternehmen eine ständige Versuchung, mehr zu fordern und dafür den Wettbewerb verantwortlich zu machen.

Lohnkosten sind nicht das Problem. Löhne und Sozialleistungen von Montagearbeitern machen weniger als 10 Prozent der Kosten eines Autos aus. In diesem Zusammenhang sind die Differenzen zwischen den Lohnzahlungen der Unternehmen nicht ausschlaggebend.

Die gewerkschaftliche Antwort hierauf ist klar, vor allem jetzt, da die Wettbewerber von GM vor allem innerhalb der USA zu finden sind: Nicht Konzessionen, sondern die Ausdehnung der gewerkschaftlichen Organisierung über den ganzen Sektor, so dass Löhne und Sozialleistungen aus dem Wettbewerb herausgenommen werden. Das ist natürlich ein schwieriger Weg – aber wenn man gleichzeitig schlechtere Tarifverträge aushandelt, ist er komplett verbaut.

Die Produktivität ist in der Autoindustrie schnell gestiegen: Seit 1987 hat sie sich mehr als verdoppelt. Im weltweiten Vergleich schneiden die Big Three gut ab. Der Harbour-Felax-Bericht, für Analysten die Bibel der Produktivität, konstatiert: »Die Big Three haben die Produktivitätslücke im Vergleich mit Japan so gut wie geschlossen.« Die Arbeiter haben eine starke Berechtigung, an diesen Zuwächsen beteiligt zu sein, besonders angesichts der Tatsache, dass die Anzahl der von ihnen geleisteten Arbeitsstunden in der Nachkriegsära entgegen der Tendenz im Rest der industrialisierten Welt stetig gestiegen ist.

Ein zentrales Problem bei GM, mindestens so wichtig wie die Kosten der Gesundheitsversorgung, ist die Produktpolitik. Die Entschlossenheit, mit der GM weiterhin auf größere Fahrzeuge und die mit diesen verbundenen höheren kurzfristigen Profite setzt, hat die Gewerkschaft nicht zu verantworten. Hätte sie GM aber dafür kritisiert, trotz steigender Benzinpreise und Umweltprobleme an Spritschleudern festzuhalten, anstatt still zu halten oder das Unternehmen darin auch noch zu unterstützen – ihre Mitglieder könnten sich heute sicherer fühlen.

Nichts ist unvermeidlich

An dem, was den Autobeschäftigten und ihrer Gewerkschaft widerfahren ist, ist nichts unvermeidlich. Wenn aber die Geschichte des letzten Vierteljahrhunderts eines lehrt, dann dies: Ohne Widerstand der Arbeiterklasse wird alles immer nur noch schlimmer.

Es drängt sich die Frage auf, ob dieser Tarifvertrag zum Katalysator werden kann, an dem sich die kollektive Empörung der Autobeschäftigten in ganz Nordamerika ausdrücken und die seit langem erwartete Revolte gegen den einseitigen Klassenkampf entzünden wird, der gegen die Arbeiter geführt wird.

(Aus: LaborNotes, Nov. 2007) in einer Übersetzung von Anne Scheidhauer

Erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 12/07


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