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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Daniel Behruzi zur Genese des Zukunftsvertrages 2016 bei Opel Bochum Daniel Behruzi, Autor bei der jungen Welt, hat uns freundlicherweise mehrere seiner Artikel zur Verfügung gestellt, die wir nachfolgend dokumentieren. Alle Artikel erschienen zuerst in der jungen Welt.
Artikel aus der jungen Welt vom 12.09.2008: Verzicht ohne Ende Nächster »Zukunftsvertrag« bei Opel-Bochum: Lohnsenkung, Schlechterstellung von Leiharbeitern und Arbeitsintensivierung sollen Investitionen sichern Bei Opel-Bochum wird die nächste Kürzungsrunde eingeläutet. Mit dem »Zukunftsvertrag 2016«, der demnächst unterzeichnet werden soll, würden die Lohnkosten gesenkt und die Produktion rationalisiert. Damit setzt Carl-Peter Forster, Europachef des Mutterkonzerns General Motors (GM), seine Strategie, bei jedem Modellwechsel Zugeständnisse der Belegschaften zu verlangen, fort. Bei den Gegenleistungen bleibt die General-Motors-Spitze vage. So wird in dem jW vorliegenden Entwurf für eine Betriebsvereinbarung versichert, das Management sage zu, »daß neben dem neuen Zafira mindestens ein weiteres Modell der Delta-II-Kompaktwagenklasse« in Bochum gebaut werde und daß durch Investitionen eine Produktion von 55 Fahrzeugen pro Stunde im Drei-Schicht-Betrieb garantiert werde. Zuletzt wurde die Fertigung in der Ruhrgebietsstadt von 53 auf 49 Autos pro Stunde reduziert. Deshalb werden den Stammbeschäftigten unbezahlte Freischichten verordnet - allein in diesem Jahr sollen es 48 werden -und Leiharbeiter gekündigt. Gemeint ist mit der versprochenen Investition der neuen Astra (Delta II), der außer an den GM-Standorten Ellesmere Port (Großbritannien) und Gliwice (Polen) auch in Bochum vom Band laufen soll. Allerdings ist der Produktionsbeginn hier erst Mitte 2011 -ein Jahr später als in den beiden anderen Werken - geplant. »Sonst war Bochum bei neuen Modellen immer von Anfang an dabei, jetzt soll das aus Kostengründen nicht der Fall sein«, erläutert Andreas Felder, Betriebsrat der Gruppe »Gegenwehr ohne Grenzen« (GoG) im jW-Gespräch. Vor diesem Hintergrund sei zu befürchten, daß das neue Modell - dem Verzicht der Beschäftigten zum Trotz - letztlich doch nicht nach Bochum kommen werde. Denn der in einer tiefen Krise steckende US-Konzern hat in Europa Überkapazitäten, die etwa anderthalb Werken entsprechen sollen. Neben dem belgischen Antwerpen könnte Bochum mittelfristig auf der Abschußliste stehen. Dieser Angst gibt eine im Entwurf der Betriebsvereinbarung enthaltene Revisionsklausel Nahrung. »Sollten sich die wirtschaftlichen Grundannahmen (...) wesentlich verändern und hieraus z.B. unvorhergesehene Personalüberhänge entstehen, werden die Geschäftsleitung und Betriebsrat durch eine neue Vereinbarung versuchen, der geänderten Situation Rechnung zu tragen«, heißt es am Ende des Papiers. Im Gegensatz zu den Versprechungen des Managements sind die Zugeständnisse, die der Belegschaft abverlangt werden, konkret und verbindlich. So soll in den Jahren 2011 und 2016 jeweils ein Prozent der im Flächentarif vereinbarten Lohnerhöhungen auf übertarifliche Entgeltbestandteile angerechnet werden. Traditionell wird das Tarifgehalt in den Großkonzernen aufgestockt. Allerdings wurde bereits bei Opel ein Großteil dieser Beträge abgebaut, so daß viele Lohngruppen schon jetzt auf Flächentarifniveau liegen, wie Felder erläutert. Mit dem neuen »Zukunftsvertrag« sollen die noch verbliebenen übertariflichen Zahlungen jetzt vollends gestrichen werden. Zudem soll die Differenz zwischen tariflichem und betrieblichem Weihnachtsgeld - ersteres liegt bei 55, letzteres bei 70 Prozent des Monatseinkommens - per »Bonussystem« nicht mehr gleichmäßig an alle, sondern nach »Leistung« ausbezahlt werden. Weitere geforderte Zugeständnisse sind die Reduzierung der Zahl der Ausbildungsplätze von aktuell 75 auf 40 pro Jahr sowie die weitere »Flexibilisierung« von Arbeitseinsätzen entsprechend der »betrieblichen Belange«. Deutlich schlechter gestellt würden mit der Vereinbarung insbesondere die Leiharbeiter im Bochumer Werk. Bislang werden diese entsprechend der untersten Opel-Lohngruppe mit 13,79 Euro pro Stunde bezahlt. Künftig sollen sie mehr als 2,50 Euro pro Stunde weniger verdienen: 11,20 Euro. Ein weiteres zentrales Element des »Zukunftsvertrags« ist die Reduzierung der Fertigungszeit auf 15 Stunden pro Fahrzeug. Bis Ende 2007 hatten die Bochumer Opelaner eine Zielvorgabe von 27 Stunden. Erreicht werden soll die weitere drastische Verkürzung zum einen durch die »Optimierung« der Bewegungsabläufe. »Da müssen die Leute bald rennen, um ihre Arbeit noch zu schaffen«, kommentiert Betriebsrat Felder. Zum anderen soll die Zeitverkürzung durch eine geringere Fertigungstiefe erreicht werden. Das heißt, daß noch mehr Aufgaben - bis hin zur Just-in-time-Anlieferung ans Band - an Fremdfirmen übertragen werden. Laut Felder ist der »Zukunftsvertrag 2016« Teil einer Strategie von GM, seine Kosten in Europa um rund 500 Millionen Dollar (ca. 354 Millionen Euro) zu senken. »Wir haben mehr als genug verzichtet: Die Einkommen werden immer weiter gekürzt, Personal abgebaut und die Standorte gegeneinander ausgespielt. Es wird Zeit, daß Betriebsrat und IG Metall dagegen endlich Widerstand organisieren, statt das alles mitzutragen.« Interview aus der jungen Welt vom 12.09.2008: »Wir werden gegeneinander ausgespielt« Linke Beschäftigtenvertreter lehnen »Zukunftsvertrag« ab. Ein Gespräch mit Annegret Gärtner-Leymann. Annegret Gärtner-Leymann ist Betriebsrätin für die Gruppe »Offensiv« im Bochumer Opel-Werk Bei Opel-Bochum soll erneut ein »Zukunftsvertrag« zwischen Betriebsrat und Geschäftsleitung unterzeichnet werden. Wie beurteilen Sie den vorliegenden Entwurf? Ich halte von solchen Verzichtsverträgen auf Kosten der Belegschaft grundsätzlich nichts. Aber selbst wenn man die Logik des gegenseitigen Gebens und Nehmens zugrundelegt, ist das ein schlechter Vertrag. Denn sämtliche Zusagen des Konzerns zur Sicherung der Arbeitsplätze sind sehr schwammig formuliert, während die Zugeständnisse der Belegschaft ganz konkret sind. Sie befürchten, daß das Werk trotz dieser Vereinbarung auf dem Spiel stehen könnte? Ja. Weiterer Stellenabbau, aber auch Entlassungen sind darin nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Und wenn die Revisionsklausel wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten greift, ist sowieso alles in Frage gestellt. Statt die Beschäftigung zu sichern, ermöglicht der Vertrag durch die darin enthaltene Intensivierung der Arbeit noch weitere Rationalisierungen, also Stellenabbau. Ein Punkt in der Vereinbarung ist die Schlechterstellung von Leiharbeitern. Ja, und das steht eindeutig im Widerspruch zur IG-Metall-Kampagne »Gleicher Lohn für gleiche Arbeit«, mit der ja die Situation von Leiharbeitern verbessert werden soll. Wir hatten erkämpft, daß Leiharbeiter zumindest entsprechend der unteren Opel-Lohngruppe bezahlt werden müssen. Das würde mit der jetzt vorliegenden Vereinbarung aufgehoben, was für die Betroffenen neben dem Lohnverlust noch weitere Verschlechterungen wie geringeren Urlaubsanspruch zur Folge hätte. Die Befürworter der Vereinbarung argumentieren, daß Bochum nur so das neue Astra-Modell bekommen und damit gesichert werden könne. Solche Entscheidungen hängen von ganz anderen Faktoren ab. Und bei Nokia in Bochum haben wir hautnah miterlebt, wie die Beschäftigten deutlichen Verzicht geübt und der Konzern extreme Gewinne eingefahren hat - trotzdem wurde das Werk zugemacht. Eigentlich wollten die Belegschaftsvertreter von General Motors in Europa durch die europäischen Rahmenvereinbarungen verhindern, daß die Belegschaften gegeneinander ausgespielt werden. Steht die Bochumer Vereinbarung dazu im Widerspruch? Das ist definitiv der Fall. Eigentlich hatte man gesagt: Wir bieten alle keinen Verzicht an - dann können sie uns nicht erpressen. Daß das auch in anderen Werken unterlaufen wird, rechtfertigt keine Zustimmung in Bochum. Letztlich passiert jetzt aber genau das: Die Belegschaften werden gegeneinander ausgespielt. Dieses Unterlaufen der Solidarität drückt aber weder den Willen der Bochumer noch den der anderen europäischen Belegschaften aus. Hier muß man sich fragen, ob die Entscheidungen der jeweiligen Betriebsratsmehrheiten tatsächlich auch das Bestreben der Belegschaft widerspiegeln. Wie ist jetzt die Stimmung unter den Kollegen? Der Vertrag ist bei fast allen auf massive Kritik gestoßen. Viele sagen: Bei den Preissteigerungen können wir auf gar nichts mehr verzichten. Hinzu kommt, daß die Kollegen die Erfahrungen mit dem letzten »Zukunftsvertrag« keineswegs positiv bewerten. Ich will aber nicht verhehlen, daß es auch andere Stimmen gibt. Den Leuten wird natürlich auch Angst gemacht. Aber die große Mehrheit sieht das eindeutig kritisch. Artikel aus der jungen Welt vom 12.09.2008: Hintergrund: Opel/General Motors Opel gehört seit 1929 zum US-amerikanischen General-Motors-Konzern. In Deutschland produziert das Unternehmen an den Standorten Rüsselsheim (Pkw, Komponenten, 18300 Beschäftigte), Bochum (Pkw, Komponenten, 5238 Beschäftigte), Eisenach (Pkw, 1900 Beschäftigte) und Kaiserslautern (Komponenten, 2400 Beschäftigte). Die Zahl der Arbeitsplätze hat sich seit 1991 von 56800 auf aktuell rund 27900 fast halbiert. General Motors, seit 100 Jahren das Schwergewicht unter den Autokonzernen, steckt in einer tiefen Krise, die gar in der Insolvenz enden könnte. Allein im zweiten Quartal dieses Jahres mußte GM Verluste von 15,5 Milliarden Dollar (10 Milliarden Euro) verbuchen. In den USA reagiert der Autobauer mit Werksschließungen und der Vernichtung Zehntausender Arbeitsplätze. Die deutsche Tochter Opel, die rund 80 Prozent des GM-Europageschäfts ausmacht, gilt hingegen als Hoffnungsträger. Sie hatte 2007 zum zweiten Mal in Folge schwarze Zahlen geschrieben. Opel war neben Ford Vorreiter bei der Etablierung betrieblicher »Wettbewerbsbündnisse« in Deutschland. Die erste derartige Vereinbarung 1993 beinhaltete die Anrechnung übertariflicher Entgeltbestandteile auf die Tariferhöhungen und die Senkung der Abwesenheitszeiten im Gegenzug für Standortgarantien. Obwohl die Gewinne daraufhin anstiegen, folgte bereits 1995 der nächste Deal, der reduzierte Lohnerhöhungen für den vorübergehenden Ausschluß betriebsbedingter Kündigungen vorsah. Die nächste Vereinbarung 1997 beinhaltete neben Lohnkürzungen auch die Zustimmung des Betriebsrats zum »sozialverträglichen« Abbau von mehr als 3000 Stellen. Im Rahmen des »Olympiaprogramms« 2001 wurde die Reduzierung des Weihnachtsgeldes und der Lohnerhöhungen für den zweijährigen Ausschluß von Kündigungen vereinbart. 2005 folgte schließlich der »Zukunftsvertrag 2010«. Dieser besiegelte die »sozialverträgliche« Vernichtung von 9500 Jobs, eine weitgehende Arbeitszeitflexibilisierung und die Anrechung übertariflicher Entgelte auf die Lohnhöhungen. Im Gegenzug sagte der Konzern Investitionen zu und schloß Entlassungen sowie Werksschließungen vorübergehend aus. Artikel aus der jungen Welt vom 24.09.2008: Schnell durchgezogen Betriebsrat im Bochumer Opel-Werk soll schon heute über neuen »Zukunftsvertrag« abstimmen. Kritik an mangelnder Diskussion in der Belegschaft Überraschend schnell soll der neue »Zukunftsvertrag« für das Bochumer Opel-Werk unterzeichnet werden. Bereits auf seiner heutigen Sitzung wird der Betriebsrat nach jW-Informationen dem Abkommen, das Investitionszusagen im Gegenzug für Zugeständnisse der Belegschaft vorsieht, sein Placet geben. Betriebsratschef Rainer Einenkel hatte kürzlich noch erklärt, die Entscheidung werde voraussichtlich Mitte Oktober fallen. »Beschlußfassung Betriebsvereinbarung Nr. 12/2008 Zukunftsvertrag 2016.« So heißt es unter Punkt eins der jW vorliegenden Tagesordnung für die Sitzung der Bochumer Beschäftigtenvertretung am heutigen Mittwoch. Von einer vorausgehenden Diskussion ist dort nicht die Rede. Dabei liegt das aktuelle Papier, über das das Gremium befinden soll, erst seit Dienstag vergangener Woche vor. Der Entwurf unterscheidet sich zwar nur unwesentlich von dem vorangegangenen, auch dieser ist in der Belegschaft jedoch nur wenig diskutiert worden. Lediglich eine Infostunde der Vertrauensleute habe sich mit dem Abkommen bislang befassen können, berichtete Andreas Felder, Betriebsrat der Gruppe »Gegenwehr ohne Grenzen« (GoG) am Dienstag auf jW-Nachfrage. »Das ist eindeutig zu wenig. Wir fordern, daß die Vereinbarung vernünftig in der Belegschaft diskutiert und den Kolleginnen und Kollegen zur Abstimmung vorgelegt wird.« Das verlangt auch Betriebsrätin Annegret Gärtner-Leymann von der Gruppe »Offensiv«. »Man will den Deal wohl möglichst schnell über die Bühne bringen, damit sich erst gar keine Opposition dagegen formieren kann«, vermutete sie im Gespräch mit junge Welt. Dabei habe es bei den wenigen Treffen, die zu der Frage bisher stattgefunden haben, viele kritische Stimmen gegeben. Über den »Zukunftsvertrag 2010«, der 2005 geschlossen worden war, hatte noch die gesamte Belegschaft abstimmen können. Das war seinerzeit in Gewerkschaftskreisen als »Erhöhung der Legitmität des Betriebsrats« gefeiert worden. Doch dieses Mal sollen die Beschäftigten nicht gefragt werden. »Das bestätigt die Vermutung, daß solche Abstimmungen nur dann durchgeführt werden, wenn man ein entsprechendes Ergebnis erwartet«, meinte Gärtner-Leymann. Inhaltlich sieht auch der neue Vereinbarungsentwurf vor, daß zwischen 2011 und 2016 jeweils ein Prozent der ausgehandelten Lohnerhöhungen auf übertarifliche Leistungen angerechnet wird, so daß die einstmals deutlich über dem Flächentarif liegenden Opel-Gehälter vollends auf dessen Niveau abgesenkt sind. Des weiteren sind eine Reduzierung der Zahl der Ausbildungsplätze, Verschlechterungen in der Bezahlung von Leiharbeitern sowie die Steigerung der Produktivität vorgesehen. Die Fertigungszeit für ein Fahrzeug soll von jetzt über 25 auf 15 Stunden gesenkt werden. Insbesondere dieser Teil der Vereinbarung macht Felder wütend. »Der Druck auf die Kolleginnen und Kollegen am Band ist schon kaum auszuhalten. Wenn die Leistungsschraube jetzt noch weiter angezogen wird, kann man dem auf keinen Fall zustimmen«, betonte er. Betriebsratschef Einenkel, der für jW in den vergangenen Tagen nicht zu erreichen war, hält den Kritikern der Vereinbarung entgegen, nur so könne die Fertigung des neuen Opel-Astra für den Ruhrgebietsstandort gewonnen werden. Allerdings sind die Investitionszusagen im »Zukunftsvertrag« sehr schwammig formuliert und mit einer Revisionklausel versehen, die bei einer Änderung der »wirtschaftlichen Grundannahmen« greifen könnte. Dennoch ist davon auszugehen, daß die Betriebsratsmehrheit die Vereinbarung durchwinken wird. Denn diese sieht sich durch die Ergebnisse einer Konferenz von rund 240 gewerkschaftlichen Vertrauensleuten am Wochenende gestärkt. Bei der dort stattfindenden Wahl zur IG-Metall-Vertrauenskörperleitung setzten sich die Vertreter der Betriebsratsmehrheit erstmals seit acht Jahren wieder gegen ihre Kritiker durch. |