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Updated: 18.12.2012 15:51
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Gegen die Entlassungen: Erneuter Protest bei TMD Friction in Leverkusen

Ein Bericht der Arbeiterkorrespondenz Köln vom 18.05.2009

Am Mittwoch, den 13. Mai 2009 wurde zum dritten Mal vor dem Werk von TMD Friction in Leverkusen demonstriert. Etwa achtzig Leute fanden sich diesmal zum Schichtwechsel ein, um erneut die Rücknahme der Entlassungen zu fordern. 42 KollegInnen hatten sich im Februar trotz erheblichen Drucks von Seiten der Geschäftsleitung geweigert, Aufhebungsverträge zu unterschreiben. (siehe im LabourNet Germany)

Erneuter Protest bei TMD Friction in Leverkusen Seitdem kämpfen die 42 KollegInnen vor dem Arbeitsgericht und mit öffentlichen Aktionen um ihre Arbeitsplätze. Auf der 1.Mai-Demo in Köln waren sie mit einem Transparent präsent und verteilten Flugblätter mit dem Aufruf zur Protestaktion vor dem Werk. In Leverkusen haben sie beim Bürgermeister vorgesprochen, um ihn daran zu erinnern, dass die Stadt Leverkusen und das Land NRW vor zwei Jahren auf 100 Millionen Euro Gewerbesteuer verzichtet haben, damit die TMD-Arbeitsplätze in Leverkusen bleiben. Die Firma hatte dafür im September 2007 zugesagt, vier Jahre lang die Arbeitsplätze zu erhalten.

Am 28. und 30. April fanden vor dem Arbeitsgericht die ersten Gütetermine statt. Mangels Angebot der Geschäftsleitung kam es zu keiner Einigung. Mehrere KollegInnen nutzten aber die Gelegenheit, der Richterin die Geschichte der Kündigungen ausführlich aus ihrer Sicht darzustellen. TMD Friction ist inzwischen von dem Finanzinvestor Pamplona Capital Management aufgekauft worden. Die KollegInnen gehen davon aus, dass die Entlassungen mit diesem Aufkäufer abgesprochen waren, denn schließlich würden ihr Chef und der Chef von Pamplona sich gut kennen, die hätten zusammen studiert. Sie hoffen nun, dass das Gericht die Kündigungen für unwirksam erklärt (nach §613a BGB, Betriebsübergang). Da aber auch das Arbeitsgericht unter Stellenabbau leidet, findet der erste Kammertermin in dieser Sache erst am 4. September statt.

Erneuter Protest bei TMD Friction in Leverkusen In der Zwischenzeit wollen sie weiter Öffentlichkeit und Kontakte schaffen. Zum Beispiel zu ihren ehemaligen KollegInnen, von denen noch etwa 150 in der Produktion arbeiten. Die Entlassenen wissen, dass viele von ihnen die Aktionen gut finden, aber sie werden von der Geschäftsleitung eingeschüchtert. So trauen sich nur wenige, die nach der Frühschicht aus dem Werk kommen, sich offen an die Seite ihrer demonstrierenden Ex-KollegInnen zu stellen.

Bei der Kundgebung wird ein Brief der Entlassenen an die Geschäftsführung und den Betriebsrat von TMD Friction verlesen. Die Geschäftsleitung weisen sie auf das hohe Ausmaß von Schrottproduktion hin, das durch das Fehlen der qualifizierten Entlassenen entstanden ist, und auf die rechtliche Fragwürdigkeit der Kündigungen: "Sie haben bei Ihrem ganzen Vorgehen vergessen, dass Ihre Mitarbeiter keine Maschinen sind, und auch dass Maschinen nicht ohne qualifizierte Arbeiter funktionieren." Sie fordern ihre Chefs auf, den Ruf der Firma durch "Rückläufer" und nicht eingehaltene Liefertermine nicht völlig zu verspielen, und stattdessen eine außergerichtliche schnellere Einigung mit den Entlassenen zu finden: "Wie auch immer Sie sich entscheiden, spätestens Ende des Jahres haben wir alle eine Antwort. Wer bis dahin die meisten Verluste eingefahren hat, lässt sich nur vermuten." Und vom Betriebsrat fordern sie, sich endlich für die KollegInnen einzusetzen: "Wir haben, außer Ausreden ("Zeitdruck", Überrumpelung von Seiten der Geschäftsführung etc.) immer noch keine spürbare Unterstützung vom Betriebsrat erhalten. Hiermit fordern wir unsere Vertreter nochmals auf, ihren Standpunkt klar zu definieren, und alle Ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zur Unterstützung Ihrer Kollegen auszuschöpfen."

Erneuter Protest bei TMD Friction in Leverkusen Ein weiterer Redebeitrag kommt von AktivistInnen der Kampagne "Zahltag!" aus Köln (siehe unten). Die Kampagne betreibt einmal monatlich das "Cafe Zahltag" als offenen Treffpunkt. Zum Cafe am Montag vor deren Demo hatten sie die entlassenen KollegInnen von TMD eingeladen. Zwei Kollegen kamen und berichteten vor fast dreißig ZuhörerInnen. Dabei sprachen sie auch die Schädlichkeit der Arbeit an. Bis 1992 wurde bei TMD Asbest verarbeitet, das mittlerweile in der gesamten EU verboten ist. Viele Kollegen von TMD, die heute in Rente sind, sind an Asbestose erkrankt. Die Lungenkrankheit kann viele Jahre nach dem Kontakt mit Asbest ausbrechen. Einige der Entlassenen, die bis zu dreißig Jahre bei der Firma gearbeitet haben, von der sie jetzt so skrupellos abserviert werden, tragen die tödliche Gefahr in sich. Ein Grund mehr für die KollegInnen zu sagen: "Wir lassen uns nicht entsorgen!"

In der Diskussion wurde vorgeschlagen, Verbindungen zu anderen Belegschaften herzustellen, die in der Region mit Entlassungen konfrontiert sind, und die KollegInnen der anderen TMD Werke in Essen, Hamm und Coswig mit Flugblättern über die Situation und die Aktionen der KollegInnen in Leverkusen zu informieren. Immer wieder wurde betont, wie wichtig es ist, die Kämpfe gegen die Folgen der Krise zu verbinden. Die gemeinsame Kundgebung am 13.Mai im Industriegebiet Leverkusen-Fixheide war ein kleiner Anfang.


Etwas Schöneres als die Krise...

An der heutigen Kundgebung nehmen nicht nur Leute teil, die unmittelbar von der Entlassung durch TMD Friction betroffen sind. Neben Familien und Feunden der Entlassenen haben sich auch einige Leute, die mit der Firma nichts zu tun haben, entschlossen, heute hier zu sein, u.a. einige Leute aus Köln von der Kampagne "Zahltag!" - wir von "Zahltag!" haben uns bislang hauptsächlich mit Kämpfen von Erwerbslosen an verschiedenen Arbeitsämtern und ArGen und den Zumutungen und Schikanen durch Hartz IV auseinandergesetzt und an eingen Kölner ArGen verschiedene kleinere und größere Zahltage durchgeführt, um unsere Rechte und die anderer Betroffener gegenüber der ArGe und den ausführenden SachbearbeiterInnen gemeinsam durchzusetzen. Bei unseren "Zahltagen!", bei denen wir uns - je nach Ausgangslage in größerer, mal in kleinerer Zahl - gegenseitig ins Amt begleiten, haben wir die Erfahrung gemacht, daß es einen entscheidenden Unterschied macht, ob wir, wie vorgesehen, einzeln und allein dort vorsprechen, um unsere Anliegen und Forderungen vorzutragen, oder ob wir uns - mit all unser Wut und Entschlossenheit - zusammentun. Bei "Zahltagen" geht es uns nicht nur darum, was das Gesetzespaket "Hartz IV" für die einzelnen vorsieht. Wenn wir zu vielen auf dem Amt auftauchen, signalisieren wir: Euren Gesetzen und Eurer Macht, diese gegen uns auszulegen, setzen wir unsere Empörung, unsere Wut und unsere Entschlossenheit entgegen. Wir wollen nicht länger gefügig sein, uns unterordnen und Eure Zumutungen hinnehmen, wir wollen uns nicht länger in unseren Rechten beschneiden lassen.

Heute sind wir deshalb aus verschiedenen Gründen auch hier in Leverkusen. Zunächst einmal, weil die entlassenen ArbeiterInnen um Unterstützung ihres Kampfes gegen die Entlassungen gebeten haben, und weil wir denken, daß es sich immer lohnt, gemeinsam über Gruppenzugehörigkeiten hinweg für und manchmal auch gegen etwas zu kämpfen. Zum anderen aber macht uns die Methode, mit denen die TMD-ArbeiterInnen vor die Tür gesetzt oder in die Auffanggesellschaft abgeschoben worden sind, wütend - wir nennen das, was hier passiert ist, "Erpressung", und Erpressung ist eine Methode, der wir in unseren Auseinandersetzungen an der ArGe immerzu begegnen, und die langsam im gesellschaftlichen Umgang vor allem von oben nach unten zur Normalform wird. An der Arge bedeutet das: Das Abschieben von Hartz IV-EmpfängerInnen in verschiedene Maßnahmen, angefangen bei der Eingliederungsvereinbarung, über deren Inhalte ich nicht selber zu bestimmen habe, dann verschiedene Trainingsmaßnahmen zum Teil ohne jeden Sinn und Verstand, die zwangsweise Verschickung in einen 1-€-Job und andere Schikanen mehr - und all das unter Androhung von Sanktionen wie der Kürzung oder sogar Streichung des Geldes. All das nennen wir Erpressung, und das ähnelt sehr den Methoden, mit denen die ArbeiterInnen vor die Wahl gestellt wurden, nun - unter Lohnverzicht - entweder 10 Monate lang in einer Auffanggesellschaft das Schreiben von Bewerbungen zu trainieren oder eben direkt in die Arbeitslosigkeit entlassen zu werden. Diese Art der Erpressung mit der Androhung von Arbeitslosigkeit kennen wir auch aus anderen Arbeitskämpfen - zum Beispiel bei der Ausgliederung von Teilbereichen bei Bayer, bei der Teile der Belegschaft zur Unterzeichnung von Aufhebungsverträgen genötigt werden, um dann bei einer Tochtergesellschaft zu viel mieseren Bedingungen den gleichen Job zu machen. Oder bei Opel in Bochum, wo der Belegschaft Lohnverzicht, Urlaubsverzicht und zukünftige Entlassungen nach dem Rouletteprinzip abgepresst wurden. Mit der Androhung von Hartz IV, bei dem das Prinzip Erpressung bereits Gesetz ist, steht die permanente Drohung im Raum, bald zu denen zu gehören, die in dieser Konkurrenz-Gesellschaft "überflüssig" gemacht werden, und die damit jedes Recht auf gesellschaftliche Teilhabe und auf ein würdiges Leben zu verlieren. Und auch für die im Betrieb Verbliebenen werden sich die Arbeitsbedingungen vermutlich radikal verschlechtern - ihnen wird mit der Entlassung der Anderen schon jetzt bedeutet, daß sie in der nächsten Runde zu den Verlierern im Arbeitsplatz-Poker gehören können, wenn sie den Einsatz nicht erhöhen.

Unsere Erfahrungen an den ArGen und die Erfahrungen der Entlassenen bei TMD, Bayer oder Opel zeigen, daß Erpressung heute eine allgemeine gesellschaftliche Umgehensweise beschreibt, ein gesellschaftliches Klima, in dem mir permanent bedeutet wird, daß ich etwas zu verlieren habe und dieses auch verlieren werde, um mich auch weiterhin gefügig zu machen und mich selbst und mein Leben den "Erfordernissen des Marktes", insbesondere des "Arbeitsmarktes" anzupassen. Ich soll mich selbst zur Ware machen. Meine ganze Existenz und mein Recht auf ein würdevolles Leben werden von einem Arbeitsplatz abhängig gemacht. Wer keine Arbeit hat, soll auch nicht essen, was er will. Und schon gar nicht über sich selbst bestimmen dürfen. Welche Ausmaße dieses Denken annimmt, zeigt sich bei den Bestimmungen des Zuwanderungsgesetzes: Wer bisher in Deutschland geduldet war, aber bis zum Ende des Jahres keinen Arbeitsplatz vorzuweisen hat, der soll auch nicht hierbleiben dürfen. Ohne Job kein Recht auf Aufenthalt, so einfach ist das. Wir wollen aber nicht länger hinnehmen, daß Arbeit, insbesondere Lohnarbeit, zur Bedingung dafür gemacht wird, wer überhaupt noch irgendwelche Rechte hat, über sich selbst, über sein Leben und das Wie, Wo und Wann der eigenen Existenz zu bestimmen.

Dieser "Markt" und dessen "Erfordernisse" werden dabei immer mehr zu etwas scheinbar "naturgegebenem", zu etwas, was unumstößlich scheint. Der "Markt" und die Interessen, die dahinter stehen, sind aber eben keine Jahreszeiten, die es eben einfach so gibt, und an deren Erfordernisse man sich und sein Leben eben anzupassen hätte. Wir sehen im Kampf der TMD-Entlassenen die berechtigte Antwort auf den Blödsinn vom "Gürtel enger schnallen" - nämlich das Beharren darauf, daß Würde und Respekt etwas ist, das wir uns gemeinsam zurückholen müssen, und daß wir es uns nicht gefallen lassen werden, wie mit uns umgegangen wird - weder hier bei TMD noch an der ArGe noch auf dem Ausländeramt oder anderswo.

Und auch deshalb sind wir heute hier - wir wollen nicht länger vereinzelt und gegeneinander ausgespielt werden - diejenigen, die noch einen Arbeitsplatz haben, die, denen in Auffanggesellschaften noch Aufschub gewährt wird, die, die sich - beharrlich und phanatasievoll - gegen Entlassungen wehren, gegen Schikanen auf den Arbeitsämtern, im 1-€-Job, im täglichen Kampf ums Überleben oder im Abschiebegefängnis. Wir wollen nicht länger in einem Klima der Erpressbarkeit und in verschiedenen Zonen der Verwundbarkeit leben - denn was ein würdevolles Leben ist und zu welchen Bedingungen bestimmen wir selbst!

Dabei geht es nicht nur um in Gesetzen und nach Markterfordernissen festgeschriebene Rechte. Worum es jetzt mehr als alles andere geht, ist unsere moralische Empörung und unser moralisches Recht auf ein würdevolles Leben. Unsere Erfahrungen bei verschiedenen Zahltagen an den Arbeitsagenturen haben gezeigt, daß es nicht reicht, sich auf diejenigen Rechte zu verlassen, die uns noch zugestanden werden (und die dann nicht einmal eingehalten werden, wie ja auch das Beispiel der TMD-Entlassungen zeigt). Wir glauben nicht an das Märchen von den Arbeitslosen, die angeblich auf Kosten der Beschäftigten leben, wenn gleichzeitig durch Hartz IV im Allgemeinen und durch 1-€-Jobs im speziellen Lohndrückerei betrieben wird, und wenn Teile von Belegschaften angeblich zur Standortsicherung gekündigt werden und damit die Mehrarbeit der Restbelegschaften begründet wird. Wir wollen den Kreislauf gemeinsam durchbrechen und - unabhängig davon, was Gesetze für uns vorsehen - nicht mehr länger gefügig sein. Der Kampf der hier versammelten TMD-ArbeiterInnen gegen ihre Kündigung ist dabei ein Anfang - denn das moralische Recht, über ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen selbst zu bestimmen, haben auch die anderen Ex-TMD-ArbeiterInnen auf ihrer Seite, denen ein erniedriegender Vertrag bei der Auffanggesellschaft abgepresst wurde.

Wir sind heute hier, weil wir glauben, daß wir unsere Kämpfe nur gemeinsam gewinnen können, und weil wir uns dabei nur auf uns selbst verlassen können und eben nicht auf die Gesetze. Die Kämpfe gegen die Kündigung, sowie die für eine Wiedereinstellung zu den alten Bedingungen gehören zusammen, und verbunden mit den Kämpfen für bessere Arbeitsbedingungen, aber auch für bessere Lebensbedingungen von Erwerbslosen, Flüchtlingen und anderen, die zu Überflüssigen erklärt werden, gehören zusammen! Gemeinsam haben wir nicht nur die besseren Voraussetzungen und den längeren Atem, sondern vielleicht sogar mehr Spaß, wenn wir dabei voneinander lernen. An all den verschiedenen Orten geht es vor allem um unser moralisches Recht, unser Leben und unsere Lebensbedingungen selbst zu gestalten und das Klima von Erpressbarkeit und Verwundbarkeit nicht länger hinzunehmen. Wir wollen uns nicht länger mit Almosen abspeisen lassen - denn Rechte werden erkämpft und nicht erbettelt.


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