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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Europäisch gesehen: Stuttgart 21 und der Streik in Frankreich Der Streik in Frankreich - und ein Traum von Oskar Lafontaine... - auch ein europäischer Vergleich zu verschiedenen Formen der Bürger-Beteiligung
Vorbemerkungen Vielleicht wäre es ja der Schweiß einer/s klugen Analytikerin/s einmal wert, zu gucken, warum der bürgerschaftliche Unmut sich in Deutschland an derartigen Konflikten mit einem Bahnhof (oder verlängerten Atomkraftwerken usw.) Luft macht, während er in Frankreich bei der Rente durch Streik eskaliert? Zunächst hält uns die Spannung über den "Ausgang" von Stuttgart 21 u.a. Proteste in Deutschland wie auch der Streiks in Frankreich in Aufregung! Aber europäisch erweitert (= siehe am Schluß!) könnte uns über dieses hoffnungslose Europa schlicht eine Depression "überfallen"! Meine Erkenntnisse reichen jedoch eher zu den Gewerkschaften in Frankreich als in die Tiefe der deutschen bürgerschaftlichen Bewegungen mit ihren anderen rechtlichen Möglichkeiten der Beteiligung.(allein auf das Demonstrationsrecht gestützt?) (siehe aber www.labournet.de/branchen/dienstleistung/tw/bahn/s21protest.html ) Nur bei dem Referendum fällt einem schon auf, dass dies in Frankreich anscheinend "landesweit" möglich ist, während gerade dies "bundesweit" bei uns ausgeschlossen ist - und vor allem auf die kommunale Ebene verbannt wurde - bisher! Jedoch zurück zur Streikbewegung in Frankreich: Wenn die deutschen Gewerkschaften Europa verstehen würden, müssten sie "wie eine Frau" oder "wie ein Mann" hinter den französischen Streiks stehen. Nur ich befürchte sie haben diese gewerkschaftlichen Dimensionen von Europa noch längst nicht begriffen. Ja, aber erst einmal gibt in Frankreich noch die Arbeiterbewegung mit sozialen Themen den Protest-Takt an! Auch das hat seine Gründe, meine ich. Und nun spitzen sich die Verhältnisse inzwischen auch in Frankreich weiter zu.... Was kannst du von dieser europäischen Denke halten - die eben nicht nur ökonomisches ( = Mindestlohn) einbezieht, sondern sozusagen "politökonomisch" auch die institutionellen Bedingungen (spezifisches Streikrecht u.a.) unter dem gemeinsamen "Dache" des Euro zum Gegenstand hat? So habe ich auch aus der Ökonomie so gute Anregungen erhalten, aber ich gehe eben ein wenig weiter. Was hältst du jetzt davon - oder findest du es totalen "Schmarr`n"? - Ich glaube nur, dadurch kommt man zu einem klareren Bild und Erkenntnisgewinn. Der Streik in Frankreich - und ein Traum von Oskar Lafontaine - und das aktuelle "Spiel über die Bande" , in Frankreich mit Hilfe der EU die Gewerkschaften und Arbeitnehmer an die Kandare zu legen? - Oder einfach zu wenig Toqueville - Ja, es gab einmal den Traum von Oskar Lafontaine, dass es doch hätte möglich werden können, dass dieses "Lohndumping" aus Deutschland durch die Schaffung einen gewaltigen Niedriglohnsektors genauso wie in Frankreich durch einen politischen oder "General"streik hätte verhindert werden können. Da dies im deutschen "politischen System" nicht gelingen konnte, wurde die hiesige Regierung mit Deutschland und dieser Lohndrückerei unter dem Dache der gemeinsamen Währung wettbewerbsmäßig in eine "Poleposition" gegenüber den anderen Ländern gebracht. Dieser unsoziale Wettbewerbs-Druck aus Deutschland soll nun über die Institutionen der EU nach Frankreich neoliberal fixiert runtergebrochen werden - und den Gewerkschaften auch in Frankreich "das Kreuz der Widerstandskraft gebrochen" werden. Dies habe ich ein wenig aufzudröseln versucht, da derartige "politökonomischen Zusammenhänge" in den bisherigen Diskursen in Europa - gelinde gesagt - total unterbelichtet sind - jedoch unter dem gemeinsamen Dach einer Währung "existentiell" bedeutsam werden: www.labournet.de/internationales/fr/gew_bahl.html So ermöglicht das französische "Politische System" mit seinem Streik(-recht) Beteiligungen des einzelnen Arbeitsbürgers, die in Deutschland verwehrt sind. Nur besteht jetzt die konkrete Gefahr, dass über den gemeinsamen Euro vermittelt durch die europäischen Institutionen das Lohn(-dumping-)diktat auch für die französischen Gewerkschaften exekutiert wird. Wir können daher mit Spannung verfolgen, wie diese Konflikte in Frankreich - jetzt aktuell um die Rente - gelöst werden können - auch nur durch eine weitere Schwächung der Gewerkschaften unter der strengen Vorgabe einer in die Krise geratenen neoliberalen oder marktradikalen Wirtschaftsideologie? Der neueste Stand der Streikbewegung wird hier von Bernard Schmid aus Paris reflektiert : "Sozialer Aufruhr in Frankreich" www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33474/1.html oder auch www.labournet.de/internationales/fr/rente2010_17.html oder auch allgemein www.labournet.de/internationales/fr/rente.html Aber kein Mai ´68 In einer Analyse zum sechsten landesweiten Protesttag am Samstag,16. Oktober 2010, wo 3 Millionen Demonstranten erwartet werden, findet die FR, dass zwar Parallelen zum legendären Mai ´68 in Frankreich gezogen werden. Jedoch dieser Vergleich hinke, da ´68 von dem Glauben an das kollektive Glück, die Vision einer besseren Gesellschaft beseelt war und damals Millionen Franzosen, zumal junger, erfasst hatte. Dieses Mal sei aber statt einem Glauben, einer Vision die totale Perspektivlosigkeit zu beklagen (vielleicht "dank" dieser neoliberal "verkorksten" EU, deren neoliberal-fixierte "Verfassung" das französische Volk mit einem klaren "Non" abgeschmettert hatte?). Die zum Teil unausgewogene Rentenreform allein kann es jedoch nicht sein, diesen Massenprotest abschließend zu erklären. Die Meinungsumfragen sprechen da eine klare Sprache: 72 Prozent der Franzosen haben sich mit den streikend Protestierenden solidarisch erklärt und sich dafür ausgesprochen, diese Renten-Novelle notfalls mit unbefristeten Streiks zu verhindern. Nein, es geht bei diesen Streiks schon auch ums Prinzip. So ist es neben der zu Teilen ungerechten Rentenreform eben auch die Ungerechtigkeit schlechthin, die Millionen Menschen zu Streiks und auf die Straße treibt. Und so nehmen sich die Franzosen die Freiheit heraus (die sie eben haben!), lautstark Gleichheit und Brüderlichkeit, diese Ideale seit der französischen Revolution lautstark einzufordern. Und wer sollte der Gleichheit und Brüderlichkeit denn auch zum Sieg verhelfen, wenn nicht das Volk? Das hatte doch auch schon der Philisoph Aristoteles für das alte Athen festgehalten (www.fr-online.de/politik/meinung/gleichheit-und- bruederlichkeit/-/1472602/4748404/-/index.html ) Aber ein so hoffnungsloses Europa. Um auf die jetzige Perspektivlosigkeit zurückzukommen, die der Verfasser dieser Analyse in der FR - wohl zu recht ! - konstatiert, wäre es redlicher und besser gewesen, nicht den großen Bogen zum Mai ´68 oder gar zur französischen Revolution (so sympathisch mir das ist) zurückzuschlagen, sondern bei dem klaren "Non" der Franzosen zu der EU-Verfassung zu verweilen sowie seine bürger-verächtliche Nichtbeachtung durch die europäischen Regierungen in den Mittelpunkt zu stellen. (Siehe hierzu im Überblick noch einmal: www.labournet.de/internationales/fr/eurefend.html sowie www.tagesschau.de/inland/meldung118888.html und www.ag-friedensforschung.de/themen/Europa/verf-frankreich-non.html ) Diese klare Ablehnung des neoliberal-fixierten Verfassungswerkes wurde jedoch von den europäischen Regierungen nebst ihren Parlamenten einfach ignoriert und ausgehebelt. ( www.nachdenkseiten.de/?p=2434 und www.nachdenkseiten.de/?p=2509 ) So hatte die EU gewissermaßen Handlungsfähigkeit - gegen das Volk! - demonstriert, aber an Legitimation hatte diese EU-Verfassung keineswegs gewonnen. So aber wurde diese Perspektivlosigkeit - oder sagt man besser Hoffnungslosigkeit für die Bürger - durch die Regierenden "von oben" selbst "eingepflanzt". Wo sollen denn die Visionen heute angesichts dieser markt-radikalen Borniertheit herkommen? Dem hatte das Bundesverfassungsgericht noch eines "draufgesetzt" und die Nachrangigkeit der Arbeitnehmerrechte auch noch zum "neuen deutschen Sozialstaat" verklärt.( www.nachdenkseiten.de/?p=4032 , siehe in dieser Besprechung des Urteils von Wolfgang Lieb insbesondere diese grundgesetzwidrigen und das GG aushebelnden Passagen zum Streikrecht durch den "Verfassungs"-Vertrag - dazu auch noch www.nachdenkseiten.de/?p=4043#h21 ) So haben wir also eine Rechtsordnung uns verschaffen lassen - nicht nur ohne Volk, sondern auch noch gegen das Volk. Das in Europa aufzubrechen, wird eine Herkules-Aufgabe werden - vielleicht vergleichbar mit der Ausmistung des Augias-Stalles. Und diese große Aufgabe schwebt jetzt immer mehr über den Streiks in Frankreich - und dass 72 Prozent der Franzosen diesem Streik - sogar unbefristet - zustimmen, zeigt, wie ernst es diesem Volk ist , seine Respektierung und damit Würde wieder zu finden! Wiedererlangung der Menschenwürde bei einem zur Seite geschobenen Grundgesetz ? Diese so widerstandslos von unserem Verfassungsgericht - dem Hüter der Verfassung! - vorgenommene "Aufhebung" auch von Grundrechten müsste einen medialen Aufschrei wert sein. Gerade haben wir sechzig Jahre Grundgesetz gefeiert und Christian Bommarius hat dazu eine bemerkenswerte "Biografie" vorgelegt. (www.dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/911122/ ) Und was hebt er besonders hervor? Diese Grundrechte, mit denen eine "kopernikanische Wende" im Verfassungsverständnis einläutet wurde, sind das Herzstück unserer Verfassung. Erstmals hatte diese Verfassung damit auch einen Schutz der Bürger vor der Gesetzgebung des Parlamentes vorgesehen. (S. 120) Dieses Mal sollte im Grundgesetz eben der Mensch im Mittelpunkt stehen. Wenn das Grundgesetz als Organismus verstanden würde, so Bommarius, dann schlüge sein Herz in den Grundrechten (S. 173). Und den Siegeszug traten die Grundrechte eben mit jenem Bundesverfassungsgericht 1958 in der bundesdeutschen Gesellschaft mit dem Lüth-Urteil an. (S. 226) Ja, der Mensch sollte im Mittelpunkt der Verfassung stehen - darauf bauten dann sehr wirkungsmächtig der Philosoph Jürgen Habermas die Vorstellung vom "Verfassungspatriotismus" auf. ( http://phase2.nadir.org/rechts.php?artikel=430 sowie http://de.wikipedia.org/wiki/Verfassungspatriotismus ) Und jetzt wird dieses Verfassungsverständnis als zentrale Grundlage für das politische Verständnis dieser Republik - so über den "Umweg" der EU - leichtfertig aufgegeben. Ja, es wird so löchrig mit Hilfe dieser EU-"Verfassung" geschlagen, dass ein Schweizer Käse mit seinen Löchern einem noch als sicheres Fundament vorkommen kann. Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 18.10.2010 |