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Updated: 18.12.2012 15:51 |
4 Jahre Betriebsrat im Markt der Einschüchterung - 4 Jahre Horrortrip Erlebnisbericht eines Metro-Mitarbeiters (Name der Redaktion des LabourNet Germany bekannt) Teil 4 - 2004: Zuckerbrot und Peitsche 1. Zuckerbrot - warum? Das Jahr 2004 begann für mich mit Zuckerbrot. Ich wurde auf einmal zu Veranstaltungen geschickt. Zwei davon fielen für mich besonders ins Gewicht: Einmal fuhr ich zu einem zu einen Treffen mit anderen Betriebsräten, bei dem ich feststellte, dass sich wohl auch in den meisten anderen Betrieben "Tribunale" gebildet hatten. Der eine Typ auf dem Meeting rühmte sich als Betriebsrat, eine Kassiererin erwischt zu haben, wie sie sich um 5 Euro vertippt hatte; dass er sie sich dann schnappte und sie gleich zur Betriebsleitung gebracht hätte. Es gab einen anderen, der sich rühmte, dass bei ihm eine Aushilfe zwei Tage in der Woche in der untersten Lohngruppe 12 Stunden täglich arbeite. Auf meinen Hinweis, dass dies ungesetzlich sei, erwiderte er, dass er einen guten Draht zu den Ämtern hätte und somit keine Probleme dabei sehe. Auch ging es noch um Probleme die mit ver.di und den geplanten Ladenöffnungszeiten zusammen hingen. Die meisten auf der Veranstaltung waren sich einig, dass dies eh nicht zu verhindern wäre. "Und jetzt kommt ver.di und will sich da einmischen; die haben doch jahrelang nichts für uns gemacht und jetzt wollen die sich einmischen." Auch ich war zu dieser Zeit der Meinung, dass ver.di sich eigentlich nicht richtig für die Belange und Interessen der Mitarbeiter einsetzt. Außerdem gab es da noch Anfragen wegen des Problems mit den sanitären Anlagen für die Leute, die im Außenbereich arbeiteten. Die hatten keine Möglichkeiten, sich die Hände zu waschen oder auf Toilette zu gehen. Die Mitarbeiter dort hatten mich schon ein paar Mal darauf angesprochen, doch vom Geschäftsleiter kam immer nur die Antwort, es ginge aus Kostengründen nicht und außerdem bestehe ja die Möglichkeit, im Markt auf Toilette zu gehen. Auf der Veranstaltung wurde dann geklärt, dass es wohl in den meisten anwesenden Betrieben schon sanitäre Anlagen im Außenbereich gäbe und wo dies noch nicht der Fall sei, müsse jeweils der regionale Betriebsrat dafür Sorge tragen. Und so gingen wir dann auseinander. Es gab mir schon schwer zu denken, dass ich auch hier wieder feststellen musste, dass wohl in den meisten Betrieben dieses Unternehmens die "Tribunalbetriebsräte" führend waren. Wir Arbeiter im Betriebsrat waren auch hier eine Minderheit, die meisten waren Substituten oder Abteilungsleiter und überall, wo die in der Mehrheit sind, kannst du eigentlich die Betriebsverfassung und den Manteltarifvertrag vergessen. Da zählt nur das Recht des Arbeitgebers und das heißt nun mal, die Mitarbeiter auszupressen wie Zitronen. Auf der nächsten Betriebsratssitzung kam auch bei uns das Problem mit den sanitären Anlagen zur Sprache. Die fanden es nicht gut, dass das Thema überhaupt diskutiert wurde. Und in Bezug auf die geplanten verlängerten Öffnungszeiten vertraten fast alle die Auffassung, die geplanten Öffnungszeiten könnten eh nicht verhindert werden. Ja, mit den sanitären Anlagen tat sich bis heute nichts mehr. Ich habe noch Mal zwei Anfragen gestartet. Einmal hieß es, der Geschäftsleiter hätte keine Zeit gehabt, und beim zweiten Mal, dass es hier nicht machbar sei, im Außenbereich für die dort tätigen Mitarbeiter sanitäre Anlagen bereit zu stellen, die Mitarbeiter könnten ja dann auf die Behindertentoilette gehen, die sei näher als die Toiletten im Hauptbetrieb. Außerdem hatten DIE mittlerweile mit ihrer Mehrheit einen Beschluss durchgebracht, der besagte, dass nur noch bei Nennung des Namens der Leute, die sich beschweren, deren Probleme angegangen werden. Was das hier für diejenigen hieß und heißt, nämlich Schikanen und Repressalien durch die Kettenhunde des Geschäftsleiters, war uns klar. Deshalb gingen wir hier nicht weiter vor, was ich jetzt und heute als Fehler ansehe. Wir hätten zumindest die Gewerbeaufsicht anrufen können, aber auch die anderen BetriebsratskollegInnen wollten, dass wir in dieser Angelegenheit nichts mehr unternehmen, und so ließ auch ich die Finger davon. So gehen die meisten, die im Außenbereich arbeiten, immer noch in die Büsche und ihre staubigen Hände können sie auch heute nirgends waschen. Dann wurde ich vom "Tribunal" zu einer anderen Veranstaltung geschickt, in der es auch um die Öffnungszeiten ging. Also, DIE meinten es richtig gut mit mir. Und dafür, dass ich zu dieser Veranstaltung konnte, bin ich dem "Tribunal" wirklich dankbar. Da traf ich nämlich eine Person, die mich begeisterte mit ihrer kämpferischen Art, und wie sie sich gegen die Verlängerung der Öffnungszeiten einsetzte, obwohl das im Hintergrund schon entschieden war. Sie sprach mir aus dem Herzen, als sie sagte, dass hier nur wieder die Mitarbeiter die Leidtragenden und die Verlierer sind. Sie wurde ganz schön hängen gelassen von Leuten, auf die sie eigentlich gebaut hatte, und trotzdem, auch wenn sie ziemlich alleine gelassen wurde, war ich begeistert von ihr. Ich sprach dann noch kurz mit ihr und merkte: "Die denkt genauso wie ich". Ich sah auch, das ver.di nicht gleich ver.di ist. Dass es auch da in führenden Positionen Leute gab und gibt, die das Selbe wollen wie ich. Durch diesen Lernprozess, den ich da durchlebte, kam auch wieder Vertrauen zu ver.di zurück, wenn auch nicht zur zuständigen ver.di bei uns, mit denen wollte ich eigentlich nichts mehr zu tun haben. Das waren so die positiven Erfahrungen in diesen Jahr. Und natürlich kamen die vom "Tribunal" dann auch in Einzelgesprächen auf mich zu. Die Vorsitzende lud mich zu Gesprächen ins Betriebsratsbüro ein und bot mir sogar an, mir Funktionen im Betriebsrat zu überlassen. Und dann brachte sie auf den Punkt, was sie vom "Tribunal" von mir wollten: "Die Leute hier, denen kann man eh nicht groß helfen", sagte sie mir. "Die sind feige, hab es schon oft erlebt: Wenn die der Betriebsleitung oder dem Geschäftsleiter gegenübertreten sollen, dann knicken die eh ein. Es bringt doch nichts, sich für die einzusetzen. Also müssen wir schauen, dass die Interessen des Geschäftsleiters hier umgesetzt werden, und das kann nur heißen, dass wir hier in erster Linie seine Interessen zu berücksichtigen haben. Wenn Sie das beherzigen, werden Sie hier keine Probleme mehr bekommen." Das war natürlich ein Angebot, ich solle es mir überlegen. Ich sagte, für mich gebe es da nichts zu überlegen. "Als Arbeitnehmervertreter habe ich zuerst die Interessen der Mitarbeiter zu vertreten", entgegnete ich ihr. "Sie wollen einfach nicht einsehen, dass Sie sich mit ihrer Einstellung nur Probleme machen. Wollen Sie denn noch mehr Ärger haben als Sie bisher schon hatten?" Auch ein weiteres, einflussreiches Betriebsratsmitglied schmeichelte an mir herum. Sie lud mich sogar zu einem Bier ein, was ich zum ersten und auch zum letzten Mal annahm, um zu horchen, was DIE denn wollte. Und auch hier ging es um meine Betriebsratsarbeit; mitgebracht hatte sie gleich noch einen Typen vom "Tribunal" und wieder ging es um meine Einstellung im Betriebsrat. Ich solle doch meine Positionen überdenken und mich doch der Mehrheit im Betriebsrat anpassen. Sie stellten mich hin, als wäre ich kein Subjekt mehr, sondern ein Objekt einer BR-Kollegin. Das war eigentlich der erste Versuch, uns gegeneinander auszuspielen, denn sie war ja unsere Kandidatin als Vorsitzende gewesen. "Die können Sie doch vergessen, die schickt Sie ja nur vor", hörte ich sie rumhetzen. Ich war an diesen Tag gut gelaunt deshalb verabschiedete ich mich auch nach den Bier brav und sagte auch denen, dass ich weiter meine Meinung im Betriebsrat vertreten würde, und wenn sie für einige unangenehm sei, dann könne ich das auch nicht ändern. So gingen wir dann auseinander. Ich wusste genau, was hier abging. Das Betriebsratsmitglied, das bei uns auch den Namen "Verräterin" hatte, wollte versuchen, durch Intrigen einen Keil zwischen uns zu treiben. Die ist eh hochgradig gefährlich, wenn du sie nicht längere Zeit kennst, meinst du, die ist total in Ordnung. Sie ist ein professioneller Spitzel, du öffnest dein Herz, weil du ein Problem mit einem Vorgesetzten hast, sie sagt, sie sei auf deiner Seite und horcht dich aus, um dann zum Betriebsleiter zu rennen und dich in die Pfanne zu hauen, du würdest dich über den Betrieb negativ äußern bzw. du taugtest nichts. So ist das nachweislich passiert bei der Abteilungsleiterin, die degradiert wurde und bei einer Azubine. 2. Eine tapfere Auszubildende Ja, die Azubine, die hatten DIE von Anfang an im Visier, weil sie ihre Meinung vertrat und auch dafür einstand. "Das hier ist schlimmer als Sklaverei, was die hier mit den Leuten machen", hatte sie wohl zu einer Kollegin gesagt, und die "Verräterin" hatte es gehört. Die Azubine durfte dann gleich beim zuständigen Betriebsleiter antanzen. Dann war sie Thema im "Tribunal": sie würde die anderen Azubis aufhetzen und am besten wäre es, sie würde entlassen. Sie sei auch nicht gut für den Betrieb, denn sie bringe Unruhe hinein. Da fragte ich natürlich, warum sie denn Unruhe hineinbringe? Ja, sie äußere sich immer negativ über den Betrieb und würde andere Azubis, aber auch Mitarbeiter dadurch negativ beeinflussen. Sie hätte das durch mehrere Gespräche im Betrieb festgestellt, sagte die "Verräterin". Wir entgegneten, dass wohl jede/r seine Meinung frei sagen dürfe. "Aber nur in einen gewissen Rahmen", entgegnete das "Tribunal". Aber so einfach konnten Die natürlich die Azubine nicht rausdrücken und so wurde ein Grund erfunden. Sie hätte zu viele Fehlzeiten und andere Dinge, wurde gesagt, und ohne sie großartig anzuhören, wurde sie entlassen. Natürlich stimmte auch die "Tribunalmehrheit" der Kündigung zu. Wir warteten alle gespannt auf den Arbeitsgerichtsprozess. Das dauerte dann einige Zeit und wir waren uns ziemlich sicher, dass sie gewinnen würde. Sie hatte nämlich von einer mit ihr befreundeten Azubine erfahren, dass diese Behauptungen nicht stimmten und es Beweise dafür gebe. So kam es dann auch. Zu unserer aller Freude musste sie bis zur Beendigung ihrer Lehrzeit wieder übernommen werden. Auch das Geld aus der Zeit, die sie draußen war, musste nachgezahlt werden. Da war richtig Stimmung hier bei uns, und auch bei den meisten Azubis. Das "Tribunal" tobte: "Unglaublich, dieses Urteil", sagten sie auf der Betriebsratssitzung, und: "Die wird jetzt schon sehen, was sie davon hat," war die Meinung. Es begannen dann regelrechte Verfolgungsjagden. Einer Azubine, die ihr nahe stand und die wir immer neckten (wegen ihrer guten Auffassungsgabe sagten wir immer: "Du wirst mal Geschäftsleiterin hier"), wurde durch die Betriebsleitung klar gemacht, dass sie, wenn sie weiter mit der Azubine, die den Prozess gewonnen hatte, verkehren würde, keine Chance hätte, hier übernommen zu werden. Sie blieb standhaft und wurde dadurch nicht übernommen, trotz des besten Notendurchschnitts aller Azubis. Ebenso wurden andere Auszubildende nicht übernommen, natürlich auch diese, die den Prozess gewonnen hatte. Da sage noch einer, in den Betrieben gebe es Meinungsfreiheit bzw. würde die Betriebsverfassung angewendet. Also, hier mit absoluter Sicherheit nicht! Als diese Azubis gingen, standen einigen, die mit ihnen zu tun gehabt hatten, Tränen in den Augen. Sogar mein Vorgesetzter sagte, dass er nicht nachvollziehen könne was, hier mit der Azubine, die doch sehr gute Leistungen erbracht hätte, gemacht worden sei. Aber das gab er alles natürlich hinter vorgehaltener Hand und in einer Ecke von sich, wo es keiner hört, denn man/frau darf ja nicht auffallen. 3. Markt der Überwachung Außerdem hatte ich in diesem Jahr schon ein paar Mal von der Kollegin aus dem Betriebsrat gezeigt bekommen, dass hier ohne eine Betriebsvereinbarung Multimomentkameras im Einsatz waren. Diese Kameras sind kaum zu erkennen. Sie sind als Bewegungsmelder getarnt und sind mit Chips versehen, die dann über ein spezielles Gerät am Computer ausgewertet werden, ohne dass du etwas davon weißt. Für deren Einsatz bedarf es einer Betriebsvereinbarung. Ich wurde dieses Jahr das erste Mal direkt mit diesen Dingen konfrontiert, als eines morgens eine Kollegin zu mir kam und erzählte, in ihrem Bereich im Lager sei bei ihr im der Nähe ein Bewegungsmelder installiert worden. Das Ding sei aber kein Bewegungsmelder, sondern sehe eher aus wie eine Mini-Kamera. [Belege liegen der Redaktion des LabourNet Germany vor, siehe auch die Bilder] Da ich mich damit auch kaum auskannte, holte ich die Kollegin aus dem Betriebsrat und die erzählte mir dann, dass es sich hierbei um eine Multimomentkamera handele. Ich holte mir dann auch die stellvertretende Vorsitzende herbei und verlangte eine außerordentliche Sitzung wegen der Multimomentkamera. Sie druckste zuerst herum, weil die Vorsitzende nicht da war, berief aber die Sitzung dann doch ein. Was da abging, war wieder mal typisch dafür, wie Dinge hier vertuscht werden und wie versucht wird, obwohl SIE ertappt worden sind, die Tatsachen anders zu konstruieren. Zunächst einmal hatte natürlich keiner was gewusst, dann hieß es, die Vorsitzende sei über das Anbringen einer Kamera informiert worden, und dann wieder, das sei nur ein Dummy. Es kam Story auf Story in dieser Sitzung. Ich verlangte uneingeschränkte Aufklärung, da das Anbringen von Kameras zumindest mitbestimmungspflichtig sei, und bisher sei kein entsprechender Antrag hier eingegangen. Die stellvertretende Vorsitzende schäumte vor Wut: "Sie können ja bald die Stellvertretung hier machen, wenn Sie alles hier bei uns in Frage stellen wollen." Es wurde dann vereinbart, dass die Kollegin, die sich mit den Dingern auskannte, und die stellvertretende Vorsitzende noch mal bei der Betriebsleitung vorsprechen sollten. Auch interessierte es mich, wer denn die Multimomentkamera installiert hatte. Und das erfuhr ich gleich am selben Tag hinter vorgehaltener Hand, nämlich, dass ein Haushandwerker vom Betriebsleiter den Auftrag erhalten hatte, die Multimomentkamera zu installieren. Es wäre zuviel geklaut worden in letzter Zeit, deshalb müsse man sehen, was in diesem Bereich hier passiere. Aber natürlich und wie üblich hörte ich: "Sag bitte nicht, dass du von mir was erfahren hast". Worte, die ich hier schon zur Genüge gehört habe. Also war ich am nächsten Tag gespannt, was auf der Betriebsratssitzung an Neuigkeiten in dieser Angelegenheit vermittelt würde. Dass sich bei den Lügen, die dann kamen, die Balken nicht gebogen haben, war ein Wunder. "Das ist ein Dummy, Herr XY" bekam ich zu hören, und: "Sie machen hier so einen Wind wegen Nichts. Das nächste Mal schauen Sie erst einmal genau hin, bevor Sie den Betriebsrat zusammenrufen lassen." Da stand ich erst mal da und war perplex über diese Lügerei. Der Kollege brachte den Einwand, das doch ein Chip in der Kamera gewesen sei, und dass es sich demnach um eine funktionstüchtige Multimomentkamera gehandelt haben muss. Aber auch er wurde heruntergeputzt. Ihm wurde von der stellvertretenden Vorsitzenden dargelegt, er solle doch bitte an das Gespräch vom Vortag denken und was der Betriebsleiter gesagt hätte, nämlich, dass es sich bei dem Anbringen der Kamera um ein Betriebsgeheimnis handeln würde und dass dieser und auch der Geschäftsleiter nicht wollten, dass hierüber viel diskutiert würde. Außerdem sei die Vorsitzende ja stets informiert über Überwachungsmaßnahmen im Betrieb. Das gehörte auch mit zu den Privilegien hier: Die Vorsitzende konnte frei schalten und walten, wie sie wollte, ohne dass sich jemand darum kümmerte, und wenn WIR uns darum kümmerten, dann wurden wir von ihrer Mehrheit überstimmt. Also auch hier hatte sie wieder eigenständig entschieden und wurde auch hier wieder im Nachhinein für ihr Tun von der Mehrheit legitimiert. Denn die Abstimmung, dass hier illegal eine Kamera installiert wurde, verloren wir natürlich und da es keine Betriebsvereinbarung zu dem Einsatz gab, war es eine "Dummykamera". Auch meine Kollegin im Betriebsrat hatte einen Tag zuvor einen Rüffel erhalten, sie solle sich in dieser Angelegenheit zurückhalten. Sie erzählte mir, dass es eine Multimomentkamera sei, die im Einsatz wäre, aber um ein "Spießrutenlaufen" zu vermeiden, sei sie bei dem gestrigen Gespräch übereingekommen, nichts verlauten zu lassen. Seit diesen Tag weiß ich, dass Orwell's "1984 - BIG BROTHER IS WATCHING YOU" hier Wirklichkeit ist. Denen reicht der Spitzelapparat, den sie im Betrieb aufgebaut haben, nicht aus, sie brauchen auch noch die illegale Überwachung mit Kameras und vielleicht auch noch mit Ton, um genau zu hören, was jeder sagt. Natürlich ist das "Tribunal" noch fleißig mit dabei, wenn es um Überwachung von Menschen geht: "Also, ich bin für Kameraüberwachung in jeder Form", sagte die Vorsitzende immer, wenn irgend was war wegen Überwachungsmaßnahmen, "und wer dagegen ist, der ist ein potentieller Dieb, weil er verhindern will, dass Diebstähle aufgeklärt werden." Außerdem könne eine Überwachung auch dafür sorgen, dass evtl. Verdächtige entlastet werden. "Ich an Ihrer Stelle würde mich bei den hier stattfindenden Überwachungsmaßnahmen raushalten, wenn Sie keinen Ärger wollen." Aber den hatte ich ja sowieso schon zu Genüge, seitdem ich hier Betriebsratsarbeit machte, wie sie die Betriebsverfassung vorsieht. Ich kam immer mehr zu der Einschätzung, dass das, was hier abgeht, das Reaktionärste ist, was ich je erlebt habe, und dass, wenn es fast überall in den Betrieben so sein sollte wie hier, wir eigentlich gar keinen Betriebsrat mehr brauchen. 4. Markt der Sparmaßnahmen Auch in diesem Jahr hatte der Geschäftsleiter so gut wie keine Ausgaben für Überstunden - dank der Rahmenarbeitszeit. Der Zeitraum von einem Jahr, also von November bis November, in dem du die Zeitguthaben nach einem Jahr verrechnet bekommst, hatte nämlich die Klausel, dass du die 25 Prozent Überstundenzuschlag erst ab der 21. Stunde bekommst, und wer über 20 Stunden lag, der wurde, wie jedes Jahr vor November, nach Hause geschickt. Da hier die allgemeine Meinung herrscht: "Nur nicht auffallen und nur keinen Ärger mit den Vorgesetzten", gehen die meisten dann auch nach Hause. Ende des Jahres zeigte mir ein Kollege seine Weihnachtsgeldkürzung. Er war schon Jahrzehnte hier und bekam 500 Euro Kürzung, weil er einen Freizeiturlaub hatte. Er war schon ein bisschen sauer, denn in dem Schreiben stand auch noch drin, dass DIE noch mehr hätten kürzen können, ungefähr nach dem Motto, er solle sich noch bedanken für die Kürzung, was er natürlich nicht tat. [Belege liegen der Redaktion des LabourNet Germany vor] Und wenn ich dann sah, wie der Typ vom "Tribunal", der auch schon über einen längeren Zeitraum krank war, das volle Weihnachtsgeld zugebilligt bekam, und dass auch eine andere Dame vom "Tribunal", die über dem 20-Tage-Zeitraum [20 Tage Fehlzeiten im Jahr sind die Grenze, ab der eine Weihnachtsgeldkürzung möglich ist, LNG] lag, ihr volles Weihnachtsgeld bekam, also das war schon nicht mehr lustig. Ich hatte mich jedenfalls seit dem Vorfall mit der Multimomentkamera wieder total unbeliebt gemacht und so durfte ich von meiner bisherigen Stammabteilung Warenannahme wieder mal wechseln, diesmal in die Konservenabteilung. Dort stand mir dann laufend der Betriebsleiter auf den Füßen; mal fand er ein Stück Papier, das ich aufheben sollte, mal lagen irgendwelche Dosen auf dem Boden oder er meinte, ich hätte vergessen, den Staub im Regal wegzuwischen. Dieser Betriebsleiter ist eines der willfährigsten Werkzeuge des Geschäftsleiters. Genauso wie der Geschäftsleiter wird er eigentlich von den meisten Mitarbeitern verachtet. Seine Methodik sieht folgendermaßen aus: Er versteckt sich irgendwo und auf einmal steht er plötzlich hinter dir und versucht dich wegen irgendwelchen Dingen klein zu machen. Natürlich hat auch er volle Rückendeckung vom "Tribunal". Also wurden dann, als er kam, auch wieder Wechsel vorgenommen. Es wurden auch dieses Mal wieder Mitarbeiter hin und her geschoben und ich war halt wieder mit dabei. Auch ging wieder die alte Leier los: Abmelden, wenn du auf Toilette musst, abmelden, wenn du den Müll wegfährst; der wollte immer wissen, wo du warst und was du gemacht hast. So einen brauchte der Geschäftsleiter auch bei seinen massiven Arbeitsplatzabbau. Manche Abteilungen kommen gar nicht mehr über die Runden, wenn nicht vier Samstage hintereinander die gleichen Mitarbeiter arbeiten. Die Betriebsvereinbarung, die besagt, dass mindestens zwei Samstage frei bleiben sollen, ist für Einige ein Stück Papier, das nichts wert ist. Hauptsache, unser Markt ist im Gesamtunternehmen mit vorne dabei in der Arbeitsplatzvernichtung und auch im Überstundenabbau und bei der verminderten Auszahlung der Löhne und Überstundenzuschläge mit an vorderster Stelle. Wenn irgendwelche Bosse kommen, dann wird natürlich rumgewerkelt, als wäre irgendein hoher Staatsgast zu Besuch. Da haben schon alle Vorgesetzten Angst, dass sie Ärger bekommen könnten und dementsprechend wird dann den Mitarbeitern Druck gemacht. Das ging soweit, dass manche schon morgens um 4 Uhr kommen mussten, um alles künstlich aufzubauen, so dass es aussah, als sei hier eine Neueröffnung. Und wehe es wurde etwas moniert, wie bei einer Vorgesetzten aus einer anderen Abteilung: "Da ist nicht richtig aufgeräumt", sagte einer der Bosse. Die dortige Verantwortliche wurde dann zum Thema auf einer unserer nächsten Sitzungen. Zuerst einmal durfte sie beim Betriebsleiter antreten, was denn los sei, ob sie ihren Laden nicht unter Kontrolle halten könne und so ginge das nicht weiter mit ihm. Dann durfte sie beim Geschäftsleiter antanzen. Der machte sie wohl ganz klein mit Sprüchen wie, sie würde den Markt und damit ihn als Geschäftsleiter in Verruf bringen und so etwas könne er hier nicht bringen. Die Vorgesetzte war dann so fertig, dass sie heulend das Geschäftsleiterbüro verließ. Um sie rauszukriegen aus der Abteilung, ließ sie der Betriebsleiter etwa zwei Mal die Woche antanzen, um ihr klar zu machen, dass es das beste für sie wäre, die Abteilung zu wechseln. Und so lag dann sein Versetzungsantrag auf den Tisch, mit der Bemerkung der "Tribunalvorsitzenden", sie hätte die Vorgesetzte ins Betriebsratsbüro geholt und sie gefragt, was denn mit ihr los sei. Sie hätte daraufhin ihr Problem dargelegt und bekam die Empfehlung, einer Versetzung doch zuzustimmen. Daraufhin sei die "Tribunalvorsitzende" mit ihr zum Betriebsleiter gegangen und so sei die Angelegenheit innerhalb von ein paar Minuten gelöst worden. Die Vorgesetzte sei mit der Versetzung und Zurückstufung zur Mitarbeiterin einverstanden. Und so war sie dann von Vorgesetzten wieder zum Mitarbeiter geworden. Als ich sie fragte, warum sie dem zugestimmt hätte, sagte sie mir, dass sie nervlich am Ende war und nur noch ihre Ruhe haben wollte, "und bei dem, was hier abgeht, möchte ich auch keine Verantwortung mehr haben", meinte sie. Die Öffnungszeiten waren auch wieder Thema. Ein anderes Unternehmen habe wohl Samstags schon länger geöffnet und es sei jetzt wohl unumgänglich, dies auch hier zu tun. "Und wieder auf unsere Knochen", sagte ich, "denn neue Leute bekommen wir ja eh nicht. Und bei den Rechnereien, die hier angestellt werden, sind wir ja jetzt, obwohl wir auf dem Zahnfleisch kriechen, immer noch zu viele Mitarbeiter". Ich zählte dann auf, wo dieses Jahr überall Personalkürzungen stattgefunden hatten, und bemerkte, dass dann natürlich, wenn immer weniger Leute immer mehr Arbeit machen müssen, der Krankenstand in die Höhe geht. "Bleibt doch nicht aus", sagte ich. Das "Tribunal" interessierte aber meine Meinung nicht, die kamen mit Argumenten, dass der Umsatz ja nachgelassen habe und dass es dann ganz logisch sei, dass dann die Personalkosten gesenkt werden müssten. "Sie denken nur an die Mitarbeiter, Sie müssen auch an den Markt denken", sagte die Vorsitzende zu mir. Ein anderer Typ vom "Tribunal" war gar der Meinung, dass man hier noch genug Kapazitäten offen hätte und die Mitarbeiter teilweise doch gar nicht richtig ausgelastet seien. Der Typ saß in der Verwaltung und hatte jeden Samstag frei, den interessierte gar nicht, was im Markt geschah. Nach dem Motto: "Teile und herrsche" interessierten den die Probleme, mit denen wir zu kämpfen hatten, eigentlich gar nicht. Eben ein typischer Egoist und Spießer! zurück zu Vorwort und Gliederung Weiter zu Kap. 5: Das "Tribunal" und die "Unternehmenskultur" |