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Updated: 18.12.2012 15:51
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4 Jahre Betriebsrat im Markt der Einschüchterung - 4 Jahre Horrortrip

Erlebnisbericht eines Metro-Mitarbeiters (Name der Redaktion des LabourNet Germany bekannt)

Betriebsräte machen sich sehr schnell abhängig. Fangen Sie damit erst garnicht an!Beginnen möchte ich Anfang 2002, als - wie alle vier Jahre - wieder eine neue Betriebsratswahl anstand. Da die meisten von unserer Gruppe, die zu dieser Zeit aus sieben Leuten bestand, die Arbeit des bisherigen Betriebsrats in seiner Mehrheit als arbeitnehmerfeindlich ansahen, wir nannten es das "Tribunal", kam uns die Idee, zu den Wahlen anzutreten.

Zu uns sieben gehörten drei weibliche Kolleginnen. Unser Ziel war es, die Mehrheit im Betriebsrat zu bekommen, um den Arbeitnehmerrechten Geltung verschaffen zu können. Das Prinzip "zum Betriebsrat brauchst du eh nicht zu gehen, die tun eh nichts für dich" sollte abgelöst werden durch das Prinzip "der Betriebsrat vertritt deine Rechte gegenüber dem Arbeitgeber mit allen gesetzlichen Mitteln". Ein weiteres Ziel war die Abwahl der bisherigen, freigestellten Betriebsratsvorsitzenden durch eine Kollegin aus der Multimediaabteilung. Auch ging es uns darum, dafür zu kämpfen, dass die im Manteltarifvertrag festgelegten Zulagen auch hier ausgezahlt werden.

So gingen wir in den Wahlkampf, sprachen mit vielen Kolleginnen und Kollegen im Markt darüber und waren uns - der Stimmung nach zu urteilen - sicher, dass wir bei der Wahl auch alle sieben in den Betriebsrat gewählt werden.

I. 2002: Erste Erfahrungen im Betriebsrat

Es kam jedoch anders, als wir dachten: Vier von uns schafften es und die anderen drei wurden Ersatzmitglieder. Und ein Kollege von den Ersatzmitgliedern sprang gleich nach der Wahl auch noch ab, in dieser Konstellation hätten wir keine Chance gegen das "Tribunal", sagte er, wobei er Recht behalten sollte. Allerdings rückte unser erstes Ersatzmitglied aufgrund des Ausscheidens eines anderen Betriebsratsmitglieds nach.

Die Betriebsratsvorsitzende wurde natürlich mit ihrer klaren Mehrheit wiedergewählt und konnte sich somit weitere vier Jahre als "Tribunalvorsitzende" etablieren. [Die Geschäftsordnung des Betriebsrats liegt der Redaktion des LabourNet Germany vor]

Die Auseinandersetzungen begannen eigentlich am ersten Tag, wobei ich und die Kollegin aus der Multimediaabteilung meistens im Mittelpunkt standen.

1. Nachtschichtzulagen

Es ging los wegen der nicht gezahlten und im Manteltarifvertrag festgelegten Zulagen für die Nachtschicht. Ich hatte mir dazu ein Gerichtsurteil besorgt, wonach Arbeitnehmer, die nicht dauerhaft Nachtschicht machen, 55% Zulage bekommen. "Das geht nicht", hieß es sofort, und "sollen wir denn dann eine Leiharbeitsfirma holen?" Das wäre die einzige Alternative und die Betroffenen müssten dann entlassen werden. Zudem warf das "Tribunal" meiner Kollegin aus der Multimediaabteilung vor, mir das Urteil, als sie noch allein im Betriebsrat war, zugespielt zu haben und das seien ja Betriebsratsgeheimnisse, die sie an mich weiter gegeben hätte und das ginge ja nicht. In der Tat hatte die Kollegin in den vergangenen vier Jahren dem "Tribunal" allein gegenüber gesessen und uns einige Informationen gegeben über all die Schweinereien, die in dieser Zeit im Betriebsrat abgegangen sind.

Aufgrund der Verweigerung der Zulagen und der Vorwürfe gegen uns bat ich die Kollegin von ver.di W., die doch immer so freundlich und nett zu mir war, doch mal zu einer Betriebsratssitzung zu kommen. Dem stimmten auch alle zu. Und so kam sie an einem Dienstag und es ging nochmals um die Nachtschichtzulage. Und was da passierte, das hat mein Vertrauen in ver.di zum ersten Mal erschüttert.

Ich verwies bei dieser Sitzung auf den Manteltarifvertrag mit der 55%igen Zulage und dann kam die Gewerkschaftssekretärin auf einmal tatsächlich mit den gleichen Argumenten wie die "Tribunalvorsitzende" und ihr Anhang! Also erstens, es gebe nur eine 20%ige Zulage, das sei halt so und wenn dabei noch der Arbeitsplatz gefährdet wird, dann sei es erst recht richtig, die niedrigere Zulage zu zahlen. Und zweitens seien auch die Eingruppierungen bei der Metro korrekt. Kein Wort davon, was im Manteltarifvertrag steht. Im Prinzip ließ sie mich in dieser Sitzung voll auflaufen durch ihre Aussage, ich solle mir doch den Manteltarifvertrag genau durchlesen. Das hatte ich ja schon vorher getan, nach der ersten Ablehnung der Betriebsratsmehrheit, und deshalb bei der Landes-ver.di angerufen, und mir bestätigen lassen, dass diese 55% sogar auch in der regelmäßigen Nachtschicht fällig sind.

Nun bat ich sie, dies auch der "Tribunalvorsitzenden" und der Dame von ver.di mitzuteilen. Und als die "Tribunalvorsitzende" ein paar Wochen später von einer ihrer Tarifkommissionssitzungen bei der Landes-ver.di zurückkam, sagte sie kleinlaut, dass ab sofort 55%-Zulage zumindest an diejenigen bezahlt werden soll, die normalerweise in der Wechselschicht arbeiten. Allerdings bekäme die Dauernachtschicht weiterhin 20%, weil es sonst eine Leiharbeitsfirma machen würde. Das war zumindest ein Teilerfolg für uns, einer der wenigen in den letzten vier Jahren.

2. Eingruppierung

Da war aber auch unser ständiger Kampf um die Eingruppierungen [Unterlagen liegen der Redaktion des LabourNet Germany vor]. Die meisten der bei uns ausgebeuteten KollegInnen sind in der niedrigsten Lohngruppe L1 - ohne Aussicht je in eine höhere Lohngruppe zu kommen und auf Gedeih und Verderb dem Arbeitgeber ausgeliefert. Wenn er mal gute Laune hat, zahlt er ein paar Scheine übertariflich, die er aber gleich wieder einfrieren kann, wenn du nicht so machst, wie er will.

Diese Angelegenheit brachte es bis zum Gesamtbetriebsrat (GBR) und wurde dort im Mai 2002 dahingehend beschlossen, dass die am schlimmsten Ausgebeuteten nach vier Jahren Tätigkeit in die L2, also eine Lohngruppe höher aufsteigen. Allerdings war dies mit einer Klausel versehen, dass dieser Höhergruppierung vom Abteilungsleiter und Betriebsleiter zugestimmt werden muss! Meine drei Kollegen und ich wollten diese Klausel natürlich gleich allen Kolleginnen und Kollegen im Markt mitteilen und bekamen deshalb jede Menge Ärger mit dem "Tribunal". Der Geschäftsleiter wolle nicht, dass die Belegschaft dies erfährt und das Papier sei ein Betriebsratsgeheimnis! Diese bedeutete, dass wenn einer von uns dieses Papier weitergibt oder den KollegInnen im Markt zeigt, dies einen Verstoß gegen die Geheimnispflicht des Betriebsrats verstoßen würde. Wir haben dennoch das Papier an vertrauenswürdige Leute aus unserer Gruppe weitergegeben und es gemeinsam diskutiert. Ich habe zudem mit Betriebsräten aus zwei anderen Märkten telefoniert und nur Kopfschütteln über die Vorgänge bei uns geerntet.

Und es kamen dann auch Leute zu mir, die vier Jahre und länger im Markt waren, also von dieser Regelung betroffen waren, und ihren Anspruch geltend machen wollten. Ich sprach dies im Betriebsrat an und wurde daraufhin vom "Tribunal" und vor allem der Vorsitzenden angeschrieen, was mir einfallen würde, mit Belegschaftsmitgliedern über irgendwelche Ansprüche zu reden, das sei Sache des Abteilungsleiters und des Betriebsleiters und auch ihre Entscheidung, wer in L2 höher gruppiert wird und wer nicht. Wenn ich weiter mit Belegschaftsmitgliedern über Höhergruppierung reden würde, so sei das eine Störung des Betriebsfriedens. Zudem sollten die Belegschaftsmitglieder, die mich angesprochen hatten, erst mal ihre Arbeit richtig machen, bevor sie für eine Höhergruppierung zur Debatte stünden.

Während also in den anderen Märkten die Belegschaftsmitglieder nach der GBR-Vereinbarung höher eingruppiert wurden, mussten hier bei uns die meisten weiterhin für L1 arbeiten. Auch Anrufe beim GBR brachten hier nichts: "Jeder Markt entscheidet selbst, wie mit den Eingruppierungen verfahren wird".

Es folgten daraufhin zwei Jahre Auseinandersetzungen im Betriebsrat zu diesem Thema sowie einige Eingaben bei ver.di. Ich dachte schon, dass wie diese Sache niemals durchbekommen werden, da kam uns eine tapfere Kollegin aus Bremen zu Hilfe. Sie Klagte gegen diese Ausbeutermentalität nach Gutsherrenart und gewann! Zu unserer Freude musste nun auch das "Tribunal" hier die Leute von L1 nach L2 umgruppieren. Es waren fast 100 KollegInnen, die dadurch mehr Geld bekamen. So war es zumindest ein Teilerfolg, auch wenn ich immer noch Wut im Bauch habe, dass diese KollegInnen zwei Jahre lang betrogen worden sind. Wut auch darüber, wie ich während dieser Auseinandersetzung angegangen worden bin mit massiven Drohungen wegen der angeblichen Geheimnispflicht bzw. der Störung des Betriebsfriedens. Es war trotzdem für mich ein positives Erlebnis zu sehen, wie z.B. die Kollegin, die schon 15 Jahre am Regal ihre Knochen für den Markt hinhält, nun ein paar Euro mehr bekam. Als wir ein Bier zusammen tranken, bedankte sie sich tausend Mal, dass wir uns immer wieder für die Höhergruppierung eingesetzt hatten.

3. Mobbing-Vorwürfe als Kampfmittel

Ansonsten bestand mein erstes Jahr im Betriebsrat aus immer wieder gegen mich gestarteten Attacken. Ich würde den Betriebsfrieden stören und meine Kollegin und ich hätten ein Komplott gegen das "Tribunal" geschmiedet. Es soll darin bestanden haben, dass wir einen Plan hätten, das "Tribunal" zu stürzen und dass wir die KollegInnen im Markt über die Betriebsratssitzungen und ihre Inhalte informieren. Dies hätte eine ehemalige Kollegin aus unserer Gruppe im Markt gehört und dem "Tribunal" erzählt. Dies löste beim "Tribunal" natürlich große Panik aus, denn das schlimmste, was ihnen passieren konnte war, dass ihre "Tribunalmachenschaften" öffentlich werden. Dagegen wurde ich unter massiven Druck gesetzt mit Anklagedrohungen wegen Verletzung der Geheimhaltungspflicht. So soll ich zu einem Kollegen gesagt haben, "das hier im Betriebsrat, das ist noch schlimmer, als ich gedacht habe".

Es ging aber auch gegen einen Kollegen aus unserer Gruppe, denjenigen, der auf sein Mandat verzichtet hatte, weil er meinte, dass wir ohne die Mehrheit nichts gegen das "Tribunal" ausrichten könnten. Gegen Mitte des Jahres war er Thema einer Betriebsratssitzung, weil ihm Mobbing vorgeworfen wurde. Er würde eine Kollegin drangsalieren, die darauf hin nicht mehr schlafen könne etc. Federführend waren dabei ein "Tribunalmitglied" und die Vorsitzende selbst. Mein Kollege wurde dabei gar nicht angehört, "das bringt doch nichts" und er sei ja bekannt dafür, dass er streitsüchtig sei. Mein Kollege bekam jede Menge Ärger und wollte beim Markt aufhören. Nur durch intensive Gespräche mit ihm konnten wir zumindest die Kündigung abwenden, aber er hat sich seit dem zurückgezogen und hält sich aus allen Auseinandersetzungen mit dem "Tribunal" raus. Er ist also mundtot gemacht wurden und aus einem kritischen und engagierten Kollegen wurde einer, der wie die meisten hier, nur kommt, weil er das Geld braucht. Zum Glück herrscht in seiner Abteilung gute Kollegialität, so dass es dem "Tribunal" nicht gelungen ist, ihn mit den Mobbing-Vorwürfen zu isolieren.

Und natürlich war auch wieder mittendrin in dieser Auseinandersetzung. Ich sagte ganz klar, dass ich es als Mobbing durch den Betriebsrat ansehe, wie hier versucht wird, einen Kollegen durch irgendwelche Behauptungen fertig zu machen. Da hatte ich natürlich in ein Wespennest gestochen und es kam zu fast handgreiflichen Auseinandersetzungen.

Der Abteilungsleiter, der ihn von früher her kannte, behauptete, er sei eine Person, die immer nur kritisieren würde und deshalb ungeeignet sei für die Haushaltswarenabteilung. Als ich entgegnete, dass bis zu den Betriebsratswahlen niemand was gegen diesen Kollegen einzuwenden hatte und er daher nur wegen seiner Gesinnung und Einstellung auf der Anklagebank säße, wurde ich von allen Seiten angeschrieen. Ich machte zusammen mit ihm Stimmung gegen das "Tribunal" und am besten sollte auch ich mein Mandat niederlegen. Diesen Gefallen habe ich ihnen natürlich nicht getan.

4. Aufsichtsratswahlen

Dann, im Juni 2002, standen Aufsichtsratswahlen 2003 an. Für unseren Markt sollten fünf Delegierte entsandt werden und es gab Diskussionen, wer fahren sollte. Die Mehrheit entschied sich für die "Tribunalvorsitzende", ihre Stellvertreterin und drei andere aus dem "Tribunal". Unser Vorschlag, zwei KollegInnen aus dem Betrieb zu entsenden, wurde natürlich von der Mehrheit abgelehnt. Auch wollten sie wohl die "Tribunalvorsitzende" als Kandidatin aufstellen, allerdings wurde diese Idee wieder fallengelassen. Der Wahlvorstand wurde ausdrücklich nur "pro forma" aufgestellt, weil der Betriebsrat hätte als gewählte Vertreter der Belegschaft ohnehin die Legitimation dorthin zu fahren.

Ich konnte das nicht ganz nachvollziehen und erkundigte mich daher bei GBR, ob ich mit einfachen Kolleginnen und Kollegen aus dem Betrieb hinfahren könnte. Mir wurde gesagt, dass dies möglich sei, wenn wir eine Liste für die Wahl aufstellen würden. Also fragten wir im Betrieb herum, wer Interesse hätte, zur Aufsichtsratswahl zu fahren und hatten bald eine Liste mit neun KandidatInnen sowie den dazu benötigten Stützunterschriften zusammen. Als unser Listenführer die Liste beim Wahlvorstand abgab, wurde ihm mitgeteilt, dass es im Dezember zu einer Wahl zwischen unserer Liste und der Betriebsratsliste käme.

Wie waren wir dann überrascht, als der Wahlvorstand zu dem Listenführer kam, um uns mitzuteilen, dass unsere Liste fahren würde, weil der Betriebsrat seine Kandidatur zurückgezogen hätte. Welch ein Erfolg! Wir waren großartiger Stimmung - aber was dann passierte, das war nicht mehr lustig.

Eine Kollegin aus der Schmuckabteilung, die mit auf unserer Liste stand, wurde im Januar gekündigt. Ohne Angabe von Gründen, weil sie noch in der "Halbjahresfrist" war, was wir leider nicht bedacht hatten. Hier im Markt gibt es nämlich so "Blenderverträge": Du fängst an und im Vertrag steht eine Probezeit von drei Monaten, wer sich dann in Sicherheit wiegt und seine Meinung frei äußert oder gewerkschaftlich engagiert, wird dann doch entlassen, aufgrund einer Regelung, dass dich der Betrieb bis nach einem halben Jahr noch entlassen kann. Ein Abteilungsleiter antwortete mir als Begründung auf diese Regelung, dass die betroffenen Kollegen nicht mehr richtig arbeiten würden, wenn sie wüssten, dass sie auch nach sechs Monaten wieder entlassen werden können - daher "Blenderverträge".

Diese Kollegin war schon über drei Monate dabei und auch ihr Abteilungsleiter hat zugesichert, dass sie 100%ig dabei sei und er mit ihr hoch zufrieden - deshalb waren wir uns sicher. Ich war Anfang Januar noch im Urlaub, als sie anrief, sie sei nicht übernommen worden, woraufhin ich meine zwei Kollegen im Betriebsrat anrief. Ich fiel aus allen Wolken als ich hörte, ihre Leistungen wären schlecht gewesen und außerdem hätte sie psychische Probleme gehabt. Deshalb hätte das "Tribunal" dem Ansinnen der Geschäftsleitung entsprochen. Ihre Kandidatur auf unsere Liste gab hier mit Sicherheit den Ausschlag, denn sie vertrat auch unsere Idee einer starken Gewerkschaftsvertretung im Betrieb offensiv mit und war mit uns auf einer Wellenlänge. Ein weiterer Beleg für diese wahren Kündigungsgründe war die Antwort ihres Abteilungsleiters, warum er trotz seiner Zufriedenheit mit ihr der Vertragsauflösung zugestimmt hatte: "Ober schlägt Unter". Die Anweisung kam eindeutig von der Geschäftsleitung und Gründe finden sich ja immer.

Die Kollegin arbeitet jetzt in einem Lager und möchte mit diesem "frühkapitalistischen Betrieb" nichts mehr zu tun haben, wie sie mir sagte.

Nach diesem Schock rückte der Termin für die Aufsichtsratswahl immer näher. Unser Listenführer ging nochmals zu den anderen drei Kollegen und fragte nach, ob alles klar sei mit der Fahrt nach Düsseldorf. "Alles klar", lautete die Antwort, doch nur bis zu vier Tagen vor der Fahrt. Dann kam nämlich ein Anruf von Nr. X auf unserer Liste, er könne nicht mit, sein Abteilungsleiter mache Ärger. Ich rief den Abteilungsleiter an und erfuhr als Grund, dass zu viel Arbeit anstünde in dieser Woche. Als ich ihn darauf hinwies, dass er den Kollegen freizustellen habe, drohte er mir, er ginge zum Geschäftsleiter und dann würde ich schon sehen, was ich davon hätte. Auch dem betroffenen Kollegen wurde Druck gemacht: "Denk daran, wer dir Arbeit gibt und denk daran, dass du hier länger bleiben willst". Und er sprang ab, ebenso wie Listennummer Y, auch ihm wurde Druck gemacht. Listennummer Z ließ sich nicht einschüchtern und fuhr mit.

Doch zuvor durfte ich bei der "Tribunalvorsitzenden" und ihrer Stellvertreterin antanzen und wurde im Beisein des oben erwähnten Abteilungsleiters für mein Verhalten ihm gegenüber getadelt. Als Betriebsratsmitglied hätte ich eine Vorbildfunktion im Betrieb, die ich nicht erfüllen würde. Ich hätte mich dem Abteilungsleiter gegenüber nicht korrekt benommen und ihn wegen des Kollegen angeschrieen. Und es könne nicht Sinn und Zweck von Betriebsratsarbeit sein, sich gegenüber Vorgesetzten so zu verhalten. Durch mein Verhalten sei der Betriebsfrieden (mal wieder) gestört und außerdem sei es nicht in Ordnung, ständig auf angebliche Missstände im Betrieb aufmerksam zu machen.

Dann gab es natürlich auch noch Druck von den "Tribunalleuten", wen wir in Düsseldorf wählen sollten. In den Häusern einer anderen Großstadt unseren Landes hatte sich eine reaktionäre Gruppe gegründet, die zum Aufsichtsrat kandidieren wollte. Die stellvertretende Vorsitzende, die sehr guten Draht zu ihnen hatte, versuchte uns klar zu machen, dass wir sie unbedingt zu wählen hätten. Ihre Gründe: Der eine wäre wie sie auch noch ehrenamtlich tätig und der andere sei die vertikale Vertretung des Betriebsleiters in seinem Haus. Als ich klarstellte, sie keinesfalls zu wählen, bekamen sie die gleiche Antwort vom Rest unserer Liste.

Darauf folgte die Warnung, dass wir nicht fahren könnten, wenn wir keine fünf Personen zusammenbekommen und natürlich Druck auf die anderen. Durch Entlassungen und Druck waren wir froh, als schlussendlich fünf von ursprünglich neun Listenangehörigen losfahren konnten. Damit konnten wir uns - allen Repressalien zum Trotz - durchsetzen, dass Arbeiter aus unteren Lohngruppen, die tagtäglich ihre Knochen hinhalten, an der Aufsichtsratswahl teilnahmen. Besonders stolz war ich, dass auch ein arabischer Kollege dabei war.

In Düsseldorf erwartete uns eine völlig fremde Welt: Die meisten in Zwirn und wir in Jeans mit Turnschuhen. Die meisten waren Betriebsräte und wir daher eine Ausnahme.

Ich habe einige KollegInnen aus anderen Städten kennen gelernt und bei den Gesprächen erfahren, dass es wohl auch in anderen Betrieben des Konzerns "Tribunalbetriebsräte" gab, und auch dort "Teile und Herrsche" mit der Geschäftsleitung angesagt war. Es ist so in diesem Unternehmen, daß überall, wo sich Abteilungsleiter und Substitute in der Mehrheit im Betriebsrat tummeln, die Interessen der Belegschaft mit Füßen getreten werden und die Interessen des Arbeitgebers obenan stehen. Ich habe ja mitgekriegt auf dieser Veranstaltung, wie abfällig sich der Delegierte aus unserem Land, der die Vertretung des Betriebsleiters macht, über uns äußerte, solche Leute wie wir hätten auf solchen Veranstaltungen nichts verloren. Und so denken die meisten über uns, was mich aber immer noch mehr anspornt, gegen solche Tribunale anzugehen. Ich sagte ihm, dass jemand, der am Regal einräumen muss, tausend Mal mehr leistet als jemand, der nur herumgeht, um Leute zu schikanieren. Er ist dann beleidigt abgezogen und ich habe auch nie wieder was von ihm gehört.

Allerdings lernte ich auch ein paar Betriebsräte kennen, bei denen sich die ArbeiterInnen mehrheitlich durchgesetzt haben und die "Tribunalleute" nicht das Sagen haben.

Gewählt habe ich dann die ver.di-Liste, auf der auch Leute vom GBR mit drauf waren, die ich kannte. Das war zwar auch nicht das Optimale, aber immer noch besser als die "Tribunalliste". Die ver.di-Liste wurde dann auch von der Mehrheit gewählt. Und abends auf der Veranstaltung bekamen wir sogar ein Lob von ein paar GBR-Leuten, die uns sagten, dass sie stolz auf unsere Delegiertenliste seien und dass wir so weitermachen sollten. Das habe ich auch als positive Erinnerung mitgenommen und zu ein paar von den Kollegen habe ich auch heute noch Kontakt. Ich habe die zwei freien Tage auch richtig genossen.

Als Eindruck habe ich mitgenommen, dass unsere Idee, den Arbeitnehmerrechten im Betrieb Geltung zu verschaffen, in einigen Betrieben durch eine Mehrheit von Arbeitern im Betriebsrat schon umgesetzt wird, wenn auch noch in den wohl meisten die "Tribunale" von Geschäftsleitung und Betriebsrat regieren und dadurch Arbeitnehmerrechte mit Füßen getreten werden!

5. "Tribunal"-Alltag

Hier im Markt ging es dann 2002 noch richtig hoch her. Ein Kollege stand zur Entlassung, weil er wohl einen Diebstahl begangen haben soll. Der Kollege war nicht sonderlich beliebt bei den "Tribunalleuten" und so wurde eine mit dem "Tribunal" befreundete Dame, die auch noch Kassenaufsicht war, vorgeladen. Ja, sie hätte gesehen, dass er mit einer Flasche durchgelaufen wäre und nicht bezahlt hätte. Daraufhin stimmte das "Tribunal" mit seiner Mehrheit der Kündigung des Kollegen zu, ohne auf seine Aussage Rücksicht zu nehmen, er hätte keinen Diebstahl begangen. Im Einvernehmen mit dem Geschäftsleiter wurde ihm dann gekündigt.

Als ich dann sagte, dass ich es eine Sauerei finde, dass ein Betriebsrat einer Kündigung zustimmt, wurde mir von der Vorsitzenden und den anderen erklärt, solche Leute wie der Kollege hätten hier nichts verloren und für sie sei durch die Aussage der Kassenaufsicht ganz klar, dass der Kollege geklaut hätte. Es müsse schnellstmöglich wieder jemand eingestellt werden für den Kollegen und durch das "Ja!" könne die Geschäftsleitung gleich wieder jemand einstellen. Außerdem solle ich nicht immer so moralisch denken, sondern professionelle Betriebsratsarbeit machen.

Der Kollege ging vor das Arbeitsgericht, wurde aber nicht mehr übernommen. Begründung: "Das Vertrauensverhältnis" sei gestört worden. Auf diese Tour werden dann unangenehme Arbeitnehmer rausgedrückt.

Ein weiteres Beispiel für unseren Betriebsratsalltag: Im August 2002 war Betriebsfest angesagt. Ich hatte an den Vorbesprechungen nicht teilgenommen. Es kamen morgens auf der Arbeit Kollegen zu mir und fragten mich, wo und um welche Uhrzeit das Betriebsfest stattfinden solle, da auf dem angebrachten Schild keine Info dazu stände. Als ich dann die stellvertretende Vorsitzende sah und sie fragte, wer diese Schilder gemacht hätte und warum dort keine Info darüber zu finden sei, wann und wo das Betriebsfest stattfindet, bekam ich zur Antwort, das solle eine Überraschung sein. Darauf erwiderte ich, dass dies doch Schwachsinn sei, offen zu lassen, wo das Fest stattfindet.

Am nächsten Tag musste ich beim "Tribunal" antanzen: Was mir einfallen würde, so mit der Die Realisierung dieses Projektes erfolgte mit freundlicher Unterstützung der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin. Wir danken!stellvertretenden Vorsitzenden zu reden und außerdem die Leute im Betrieb aufzuhetzen; das sei (mal wieder!) Störung des Betriebsfriedens. Sollte ich noch einmal so mit der stellvertretenden Vorsitzenden reden, erwäge diese eine Anzeige gegen mich wegen Verleumdung.

Ich kam gar nicht zu Wort und als mein Kollege im Betriebsrat verlangte, das solle protokolliert werden, was hier wieder abginge, wurde zuerst abgelehnt und erst durch die Drohung, einen Rechtsvertreter hinzuziehen, zugestimmt.

Ich hatte dann eigentlich auf fast jeder Sitzung Ärger. Mal wurde mir vorgeworfen, ich würde Betriebsratsgeheimnisse an Kollegen im Betrieb weitergeben, mal soll ich den Betriebsfrieden gestört haben, indem ich mich abfällig über Vorgesetzte und "Tribunalgrößen" im Betrieb geäußert hätte, mal soll ich Kollegen aufgefordert haben, bei Problemen die zuständige ver.di-Geschäftsstelle anzurufen. Der ganz normale "Tribunal"-Alltag eben.

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Weiter zu Kap. 2: 2002/2003: Das "Tribunal" und die Gewerkschaft


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