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Updated: 18.12.2012 15:51
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Urteil im Berufungsprozess gegen militanten Continental-Beschäftigte fiel am Freitag Vormittag: Keine Haftstrafen mehr. Geldbußen verhängt

Am Freitag früh kurz vor zehn Uhr wurde es bekannt: das mit hoher Spannung erwartete Urteil in zweiter Instanz gegen sechs Lohnabhängige des Reifenherstellers Continental, die in Clairoix bei Paris arbeit(et)en. Aus Protest gegen die Schließung "ihres" Werks, rund 50 Kilometer nordöstlich von Paris - das zuvor noch als "Modellfabrik" eingerichtet worden war, um neue Produktionstechnologien zu testen, die anschließend ins Ausland verlagert wurden (obwohl die Arbeiter/innen in Clairoix zuvor einer Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich zugestimmt hatten) - hatte eine größere Gruppe von Continental-Beschäftigten im April 2009 die Einrichtung einer staatlichen Behörde zu Kleinholz verarbeitet. Die Unterpräfektur von Compiègne, örtliche Vertretung des französischen Zentralstaats, wurde aufgesucht, nachdem ein Gericht im ostfranzösischen Sarreguemines (Saargmünd) die rechtliche Zulässigkeit der Werksschließung beschlossen hatte. (Vgl. im LabourNet)

Erstinstanzlich waren die Beschäftigten, darunter der CGT-Vertrauensmann im Werk Xavier Mathieu, am 01. September 2009 zu Haftstrafen auf Bewährung zwischen zwei und fünf Monaten verurteilt worden. (Vgl. im LabourNet) Nur Tage zuvor war Ende August 2009 desselben Jahres geworden, dass Xavier Mathieu von seiner Teilnahme als Debattenredner bei der ,Fête de l'Humanité' - dem alljährlich Mitte September stattfindenden Pressefest der französischen KP - für September 2009 ausgeschlossen worden war. Der Grund dafür war, dass Xavier Mathieu zuvor die Spitze der CGT und insbesondere ihren Generalsekretär Bernard Thibault heftig angegriffen hatte: Die CGT ("Allgemeiner Arbeiterverband", stärkster von fünf anerkannten Gewerkschafts-Dachverbänden in Frankreich) lasse, laut Xavier Mathieu, "ihre eigenen Vertrauensleute in der Scheiße" stecken. (Vgl. Artikel externer Link) Auch später hat Xavier Mathieu solcherlei Kritik an der Dachverbandsführung der CGT ausgesprochen und bekräftigt. Beispielsweise am 13. Januar 2010 anlässlich der Solidaritätsdemonstration für die Angeklagten, am ersten Prozesstag der Berufungsverhandlung in der nordfranzösischen Regionalhauptstadt Amiens (Hauptstadt der Picardie). Laut beklagte er dort eine mangelhafte Solidarität der Gewerkschaftsführungen "und besonders der eigenen", und die Abwesenheit von CGT-Generalsekretär Bernard Thibault. (Vgl. Artikel externer Link) Zugegebenermaßen hatte Xavier Mathieu ihn, erzürnt über die (in seinen Augen) zu starke Passivität der CGT-Spitze, im August 2009 mit dem Ausdruck ,Racaille' (Gesindel, Pack) belegt.

Aus Anlass des Berufungsprozesses traten eine Reihe von gesellschaftlichen Prominenten, vor allem von politischen Persönlichkeiten aus der französischen Linken, als "Leumundszeugen" für die sechs Angeklagten auf. Zu ihnen zählten Marie-George Buffet für die französische KP, Benoît Hamot als Repräsentant eines Flügels der (heillos zerstrittenen) französischen Sozialdemokratie, Jean-Luc Mélenchon für die französische Linkspartei (Parti de Gauche), Cécile Duflot für die französischen Grünen, Olivier Bensancenot für die radikal linke ,Neue Antikapitalistische Partei' (NPA), Nathalie Arthaud als neue Sprecherin der trotzkistischen Formation Lutte Ouvrière (,Arbeiterkampf') nach der Ablösung ihrer langjährigen Galionsfigur Arlette Laguiller. Aber auch hochrangige Vertreter der Branchengewerkschaft Chemie des Dachverbands CGT, des linksalternativen Gewerkschaftszusammenschlusses Solidaires sowie der eher progressiven Bildungsgewerkschaft FSU erschienen zur Solidaritätsdemo und traten als Leumundszeugen auf. An der Demonstration zum Auftakt des Prozesses in der höchst verschlafenen Provinzstadt Amiens nahmen 1.500 Menschen laut Veranstalter/inne/n, 750 laut Angaben der Polizei teil. (Vgl. Artikel externer Link)

Schon zu Prozessbeginn sprach der amtierende Staatsanwalt, Pierre Avignon, dafür aus, den Angeklagten "Verständnis" zu bekunden. Er unterstrich den Kontext, einen Arbeitskampf und die begründete Furcht vor dem Totalverlust von 1.700 Arbeitsplätzen. Zwar unterstrich er auch, "dieser politische und soziale Rahmen" könne die Angeklagten "nicht von (der Verantwortung für) ihr individuelles Verhalten entbinden". Jedoch unterstrich er zugleich: "Ich forderte Sie (den vorsitzenden Richter) auf, nicht durch sie/über sie" - die Beschuldigten - "eine soziale Bewegung zu bestrafen, die eine starke Solidarität nach sich gezogen hat."

Staatsanwalt Pierre Avignon wies aus diesem Anlass die Vermutung, er könnte Weisungen von oben erhalten haben, explizit von sich. In Frankreich sind die Staatsanwältinnen und Staatsanwalten an Dienstanweisungen - die über eine hierarchische Kette bis ins Justizministerium, theoretisch bis an die Staatsspitze reicht - gebunden. Nicht, respektive seit einer Justizreform im Jahr 2000 nicht mehr, die Richter/innen. (Eine aktuelle Anmerkung dazy: Aus eben diesem Grunde sieht eine aktuell durch Nicolas Sarkozy geplante, heftig umstrittene "Justizreform" auch vor, die - in heiklen, komplexen oder langwierigen Verfahren ermittelnden -, im Prinzip und oft auch faktisch unabhängigen Untersuchungsrichter/innen abzuschaffen. Ihre Aufgaben sollen vollständig an die Staatsanwaltschaften übertragen werden. Dies bedeutet laut Auffassung zahlloser Kritiker/innen "eine Beerdigung erster Klasse für Ermittlungsverfahren in politischen Angelegenheiten", etwa bei Korruptionsverfahren oder aufgrund von Waffengeschäften.)

Unklar ist bis zur Stunde also, ob die Staatsanwaltschaft in diesem Falle auf politische Anweisung hin handelte, etwa um den Konflikt um das Dichtmachen des Werks in Clairoix zu beruhigen (und den in den letzten Monaten im Zusammenhang mit dem Prozess oft erhobenen Vorwurf der "Kriminalisierung sozialer Bewegungen" abzuwehren); eventuell auch vor dem Hintergrund eines Deals mit der CGT. Oder aber ob, in diesem Falle, die Justiz im Gegenteil politischen Druck auf eine möglichst harte Bestrafung der militanten Lohnabhängigen abgewehrt oder "von sich hat abperlen" lassen. Näheres dazu wird man vielleicht so schnell nicht erfahren.

Hingegen steht jedenfalls fest, dass das Urteil (im Vergleich zu dem, was vielfach erwartet worden war) vergleichsweise milde ausfällt.

Alle Haftstrafen (auf Bewährung) aus erster Instanz verschwinden im Berufungsurteil. Verhängt werden Geldbußen, die für die einzelnen Angeklagten zwischen 2.000 und 4.000 Euro betragen. (Vgl. Artikel externer Link)

In einer ersten Reaktion bezeichnete der radikal linke Jungpolitiker Olivier Besancenot das Urteil als "Rückschlag für die Regierung".

Artikel von Bernard Schmid vom 06.02.2010 - die Redaktion entschuldigt sich für die verspätete Veröffentlichung!


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