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Updated: 18.12.2012 15:51
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Strasbourg: Knaststrafen, Klage gegen die "Sicherheits"kräfte und Polemik um die Polizeistrategie

Drei junge Deutsche im Alter von 23 bis 26 Jahren sind am Montag in Strasbourg zu drei- bzw. sechsmonatigen Haftstrafen ohne Bewährung verurteilt worden. Die Urteile haben nichts mit den - tatsächlich kriminellen - Brandstiftungen vom Samstag zur Mittagszeit zu tun. Sie betreffen vielmehr ausschließlich Vorwürfe, die mit (behauptetem oder stattgefundenem) militantem Vorgehen bei Auseinandersetzungen mit den Polizeikräften, die in Strasbourg anlässlich des NATO-Gipfels zusammengezogen worden waren, zusammenhängen.

Einem 25jährigen, der zu sechs Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt wurde, wird etwa zur Last gelegt, er sei am Samstag "dabei gesehen worden", wie er Steine auf die Polizei geworfen habe. Dem 23jährigen (er erhielt drei Monate Haft ohne Bewährung) wird vorgeworfen, er sei am Freitag im Besitz einer Eisenstange festgenommen worden. Ein dritter Verurteilter (sechs Monate ohne Bewährung), im Alter von 25 Jahren, soll ebenfalls am Freitag im Besitz einer Axt gewesen sein. Solche Werkzeuge können aber ebenso gut, wenn nicht wahrscheinlicher, etwa zum Errichten von Barrikaden oder für andere Arbeiter eher denn zum Zuschlagen benutzt worden sein. Die Vorwürfe betreffen also nicht die wirklich kriminellen Handlungen in Gestalt von Brandstiftungen, sondern lediglich reale oder behauptete Zusammenstöße mit den uniformierten Ordnungshütern. Zwei der o.g. Verurteilten haben angekündigt, unmittelbar in den Hungerstreik zu treten. (Vgl. Artikel externer Link (fr.))

Unterdessen tobt die Polemik um den Polizeieinsatz vom Samstag. Der 'Mouvement de la Paix' (traditionelle Friedensorganisation aus KP-nahen Leuten und Christen, deckt in etwa das deutsche Ostermarschspektrum ab, ausgesprochen gewaltlos) hat am Montag angekündigt, aufgrund der Tränengasangriffe auf seinen Lautsprecherwagen Anzeige gegen die Sicherheitskräfte zu erstatten. Zudem stellt der ,Mouvement de la Paix' die Auswahl der Angriffsziele der Polizei in Frage: Während man die Brandstifter am Samstag im Rheinhafen - einem der mit Abstand ärmsten Viertel von Strasbourg - habe anderthalb Stunden lang gewähren lassen, seien friedliche Teile der Großdemonstration massiv attackiert worden.

Präsidentenberater Claude Guéant hat unterdessen schon am Sonntag die Einsatzstrategie klar gerechtfertigt, auch die Tatsache, dass man die Brandstifter 60 bis 90 Minuten lang ungestört am Werk ließ. ,Le Parisien' vom Montag präzisiert übrigens auch, dass die Feuerwehr ihrerseits 90 Minuten zum Anrücken benötigte - was im letzteren Fall vielleicht mit Schwierigkeiten beim Durchkommen durch die Demo zu tun hatte, wie 'Le Parisien' hinzufügt, aber dennoch irgendwo merkwürdig vorkommt. Guéant sagte dazu nur: "Die Polizei konnte eben nicht überall sein, Punktaus." Das klingt schon seltsam, denn würde es sich wirklich um eine "Panne" handeln, würde die Staatsmacht mutmaßlich eher anders damit umgehen, nämlich Panik schüren und "Selbstkritik" üben nach dem Motto: "Der Polizeieinsatz war nicht genug, nächstes Mal benötigen wir noch mehr, noch ausgedehntere und noch härtere Repression(s-Vollmachten)."

Stattdessen signalisiert Claude Guéant, als Chefberater Sarkozys, eher Selbstzufriedenheit "der Einsatz war in Ordnung und die Polizei konnte eben nicht mehr tun"). Das sieht doch sehr danach aus, als habe es ZUMINDEST die klare politische Strategie gegeben, die Zone "Hafenviertel" (also das ärmste Viertel von Strasbourg) aufzugeben, so nach dem Motto: "Sollen die Krawallheinis und die Banlieusards sich doch untereinander amüsieren, und wir zählen die Punkte."

Mehr lässt sich im Augenblick nicht ausdrücklich affirmieren, etwa dass es wirklich 'Agents provocateurs' gegeben hätte. Das scheint durchaus möglich (Bullen, Nazis, ...), aber es ist auch nicht auszuschließen, dass es tatsächlich Idioten Deppen gegeben hat, die sich für wahnsinnige Revolutionären halten, wenn sie Hotels & Apotheken anzünden. (Zu dem Hotel gibt es ansonsten widersprüchliche Aussagen: 'Le Figaro' meint, es sei angezündet worden, damit der Rauch die Hubschrauber stört - was ein bisschen an den Haaren herbeigezogen vorkommt, zumal die Rauchentwicklung kaum vorherzusagen war -, und manche Presseorgane behaupten abwechselnd, es seien entweder Polizisten oder Journalisten zum Gipfel dort untergebracht gewesen, was aber objektiv nicht stimmt, denn das Hotel war leer.)

Was man aber affirmieren kann, ist, dass die Staatsmacht das Treiben in dem Hafenviertel circa anderthalb Stunden lang in Kauf genommen hat, ungefähr nach dem Motto: "Das betrifft uns nicht, die Banlieusards sollen sich mit den Randalierern amüsieren, Hauptsache Sarkozy & Obama geht's gut und es kracht weit weg von den Staatschefs" - bevor dann sozusagen die Falle zuschnappte. Nicht über den Brandstiftern, sondern über der gesamten Demonstration.

Artikel von Bernard Schmid vom 7.4.09


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