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Updated: 18.12.2012 15:51
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Auseinandersetzungen im Vorfeld des UNT Kongresses 2005

Ein Telefon-Interview mit Simon Valdez am 23.Februar 2005

Simon, welche spezielle Bedeutung hat der kommende UNT-Kongress?

Das leitet sich ja davon ab, dass es faktisch der erste echte Kongress ist. Die Gründung, das war der Zusammenschluss aller, die aus unterschiedlichsten Gründen die CTV nicht mehr wollten: Sei es, weil sie sich als Revolutionäre sahen und die CTV reaktionär ist, bis hin zu so selbstverständlichen Positionen, dass es viele gab, die einfach eine funktionierende Gewerkschaft wollten und keinen Parteihilfsverein, und eben auch viele, denen einfach die Korruption innerhalb der CTV zu heftig war. Alles völlig legitime Gründe, eine neue Gewerkschaft aufzubauen, aber natürlich auch eine Situation, die naturnotwendig weitere Auseiandersetzungen und Debatten erfordert - über den Weg, den diese Föderation denn nun künftig konkret gehen soll. Was ich aber besonders als das neue an der gesamten UNT hervorheben möchte ist dass, sei es wegen der vielleicht grössten Korruption eines Gewerkschaftsverbandes die hier bei uns erlebt wurde, sei es wegen der allgemeinen Aufbruchstimmung der "niederen Klassen" ein ganz ganz starkes Motiv ist und war und hoffentlich bleiben wird: viele - sehr viele - wollen nicht mehr eine "neue Führung", die bessere Verträge aushandelt - selber machen, selber aktiv sein, das ist die vielleicht wertvollste Motivation, zur UNT zu kommen.

Nun wissen ja viele von der extrem "traurigen" Rolle, die der traditionelle Gewerkschaftsverband CTV beim Putschversuch im April 2002 gespielt hat: Ohne auch nur vorzugeben, er habe Arbeiterforderungen machte sich der Verband zum Gehilfen der Fedecamaras Putschisten und ihrer amerikanischen Freunde - inklusive der US-Gewerkschaften. Dazu muss es doch aber eine Vorgeschichte geben, dafür müssen soziale Bedingungen, politische Entwicklungen da sein - kannst Du davon eine kurze Skizze machen - sofern ich richtig liege?

Ja klar liegst Du richtig - und übrigens auch damit, dass es eine wirklich traurige Entwicklung ist. Denn die CTV hatte durchaus grosse demokratische Traditionen - etwa beim Sturz der Diktatur 1958. Aber 40 Jahre als Gewerkschaft der Sozialdemokratischen Partei haben sie nicht nur korrumpiert, sondern auch mit dem Wunsch nach Selbstmord ausgestattet. Seitdem etwa 1989 die ausgeprägt neoliberale Politik massiv durchgesetzt wurde, hat die CTV niemals dem etwas entgegengesetzt, sondern bestenfalls gemacht, was alle sozialdemokratischen Gewerkschaften machen: sozial abfedern nennt ihr das in Deutschland, hast Du mir gesagt, das ist es, nur ist das in einem Land wie Venezuela noch viel krasser und schneller als nachteilig zu erleben und so hat der CTV nach und nach immer mehr Anhang, Mitgliedschaft und Autorität verloren. Der CTV wurde zunehmend als "zu denen gehörig" gesehen - das tradierte politiische Establishment aus Sozialdemokraten und Christsozialen, die im Zuge der Entfaltung des aktuellen neoliberalen kapitalistischen Stadiums zu Erfüllungsgehilfen der Unternehmerwünsche und -notwendigkeiten wurden, weshalb diese Art Gewerkschaftspolitik denselben Weg gehen musste und spätestens ab 2001 auch offiziell Alliierter des Kapitals wurde. Und die Gewerkschaftswahlen im CTV im Jahre 2001 - bei rund einem Drittel Wahlbeteiligung wurden auch noch Ergebnisse gefälscht - haben auch den letzten den Glauben an irgendeine Reformierbarkeit dieser Art Gewerkschaft genommen.

Diese Wahlen aber wurden von den US-Gewerkschaften etwa und auch vom IBFG als Begründung dafür genommen, dass der CTV eben doch eine demokratische Organisation sei, weswegen er unterstützt werden müsse - was sagst Du dazu?

Was soll ich dazu wohl sagen...Folgendes vielleicht: Es gab im CTV hunderte von Betriebsgewerkschaften, die seit 1958 keine einzige Wahl gehabt haben. Es gab noch viel mehr, die immer und ewig dieselben Gesichter in der Führung hatten. Und dann kommt diese Camarilla in einer heftigen gesellschaftlichen Auseinandersetzung daher, und organisiert vier Generalstreiks - immer zusammen mit dem Unternehmerverband, ohne eine einzige gewerkschaftliche Forderung, nur gegen die Regierung. Das hat nicht dazu beigetragen diese Ortegianer (Anm.: CTV Vorsitzender Ortega) beliebter zu machen.

Es gab doch aber sicher Schichten der Industriearbeiterschaft etwa, die besser gestellt waren, die von der CTV-Politik profitierten, weil ohne solche Menschen zu haben, funktioniert die Sache ja nie und nirgends - oder?

Natürlich. Aber schau: etwa 4 von 5 VenezuelanerInnen leben unterhalb der offiziellen Armutsgrenze und ich sage Dir in allem Ernst: Die ist brutaler gezogen, als in Europa. Und jeder hat in seiner Familie Mehrere, die in Armut leben. Schliesslich sind gerade einmal rund 50 Prozent der VenezuelanerInnen im "formalen Sektor" beschäftigt, die anderen arbeiten informell, prekär, oder wie Du es gerade nennen magst, jedenfalls: beschissen. Deswegen beispielsweise haben 1999 solche sozialen Schichten wie die StrassenhändlerInnen (im Gegensatz zum sonstigen informellen Sektor meist Männer) eine grosse Rolle gespielt - die haben sich dagegen gewehrt, ständig als potentielle Kriminelle behandelt zu werden, verjagt zu werden zugunsten des Handels, der Stadtplanung, der Generation Shopping. Ja es gab Schichten, die besser da standen und wie in allen südamerikanischen - und ich glaube heute fast in allen kapitalistischen - Ländern, waren die Industriearbeiter keineswegs bei den ärmeren Schichten. Aber auch sie haben durch die neoloberale PÜolitik und die gewerkschaftliche Unterordnung verloren, weswegen diese Unterstützung bröckelte.

Wie sieht es heute aus? Es gab ja seit 2003, seit UNT Gründung eine heftige Auseinandersetzung, wer die "richtige Gewerkschaft" sei - wie ist der Stand der Dinge?

Nun, über Mitgliedszahlen wird gestritten, ich muss dir gestehen, ich weiss es nicht genau. Was ich sagen kann ist folgenden: Es gab, soweit ich es überblicke, im Jahr 2004 etwa 20 betriebliche Gewerkschaftswahlen: also um die Frage, von welcher Gewerkschaft will ich organisiert werden, vertreten werden, was auch immer. Und alle diese Wahlen, alle, restlos alle, hat die UNT gegen die CTV gewonnen. Weiter weiss ich: Die UNT schliesst etwa drei Viertel aller Tarifverträge im Lande ab, die CTV gerade noch ein Viertel. Und wenn jetzt jemand kommt und sagt, ja aber da ist viel öffentlicher Dienst dabei, und klar bevorzugen die Chavez-Leute die UNT, so sage ich wiederum dazu zweierlei: Erstens, guckt euch solche Verträge an, ich schicke sie euch gerne und urteilt, ob sie nicht besser sind, als die alten. Und zweitens, für jene, die Zahlen lieben: Auch in der Privatwirtschaft, die Chavez nicht sehr und die UNT noch weniger mögen, wird 2004 die Mehrheit der Tarifverträge von der jeweiligen UNT Gewerkschaft abgeschlossen. Das müsste doch reichen, oder? Nein, ich will noch sagen: nicht nur kein Tarifvertrag ohne Urabstimmung, das ist selbstverständlich das Konzept, aber auch nicht ohne laufende Diskussion mit möglichst grosser Beteiligung, damit es keine "Taktik der Einbindung" wird, wie manches, was als Demokratie gehandelt wird.

Nun lass und nochmal ganz kurz zum Ausgangspunkt zurückkommen: Der Kongress. Wie zeigen sich die von Dir erwähnten Debatten konkret, woran, worüber?

Nun, allgemein und nichtssagend kann ich es so formulieren: Es geht um das Verhältnis Gewerkschaft - Regierung - Gesellschaft. Konkreter gesprochen, gab es 2004 mehrere Auseiandersetzungen, vor allem im sehr traditionellen Stahlbereich usw, wo Gewerkschaftsvorsitzenden - wie ich finde : zu Recht, obwohl es Menschen sind, die mir politisch nahe stehen - vorgewrofebn wurde, sie würden sich zu sehr um die allgemeine Politik kümmern, zu wenig um die Belange der Beschäftigten. Nun finde ich ersteres völlig nötig, aber wenn es auf kosten von zweiterem geht, wird es eben problematisch. Insgesamt denke ich, dass natürlich eine Gewerkschaft, die so zustande gekommen ist, wie die UNT - ich habe es am Anfang versucht zu skizzieren, sehr knapp, muss ich zugeben - dass so eine Gewerkschhaft alle "Muttermale" der bisherigen Bewegung trägt, inklusive Eitelkeiten, Karrierismus etc pp. Was Du daran sehen kannst, dass eine der Auseinandersetzungen ist, wie der interne Wahlprozess sein soll, wo es schon welche gibt, die sagen, alle sozialversicherten - und nicht nur die mitglieder - sollen wählen. Sie sagen auch nicht: Alle Arbeitenden - weil die vielen eben nicht sozialversicherten nicht "ihre Klientel" sind, aber sie erhoffen sich Stimmen aus solchen Schichten, um sich nach vorne zu schieben. Auf dem linken Strömungskongress zur Vorbereitung des UNT Kongresses haben wir eine massive Aufnahmekampagne als Alternative beschlossen und das Wahlrecht für alle, die mindestens einen Monat dabei sind. Aber es wird sicher noch viel mehr Auseinandersetzungen geben - wie es sie auch bisher schon in der absolut "unheiligen" UNT gegeben hat - hoffentlich zunehmend mehr politischer Art.

(Das Interview führte Helmut Weiss)


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