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Updated: 18.12.2012 15:51
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Boykott endet mit einem Sieg

Neue Landarbeitergewerkschaft in Nord-Carolina

Von Teófilo Reyes

Das Organisierungs-Komitee der Landarbeiter (Farm Labor Organizing Committee, FLOC) und der Verband der Agrarunternehmer von Nord Carolina (North Carolina Growers Association, NCGA) unterzeichneten Mitte September einen historischen Tarifvertrag für rund 8000 Saisonarbeiter, die jedes Jahr aus Mexiko anreisen, um auf den Feldern Nord Carolinas zu arbeiten. »H2A«-Arbeiter (so bezeichnet aufgrund ihres saisonal begrenzten Visums) haben lediglich eine Arbeitserlaubnis für einen bestimmten Auftraggeber und müssen das Land verlassen, sobald diese Beschäftigung endet.

»Der Vertrag ist überwältigend,« meinte Leticia Zavala, Geschäftsführerin des FLOC und zuständig für die Organisierungskampagne. »Es ist überhaupt der erste Tarifvertrag, der für H2A-Arbeiter in den Vereinigten Staaten abgeschlossen wurde, und es ist der weitestreichende Vertrag in der Geschichte Nord Carolinas. Er wurde von Landarbeitern erkämpft, den ärmsten Leuten, die nicht durch Arbeitsgesetze geschützt sind.«

Die Vereinbarung ist das Ergebnis eines fünfjährigen Boykotts der Mt. Olive Pickle Company [1] durch das FLOC. Agrar-Betriebe, die für Mt. Olive Gemüse produzieren, repräsentieren eine Mehrheit in der NCGA, und der Präsident von Mt. Olive, Bill Bryan, war eine treibende Kraft für die Umsetzung des H2A-Programms.

Ein Ergebnis des unerbittlichen gewerkschaftlichen Drucks bestand in der Unterzeichnung einer Übereinkunft, in der sich der Verband der Agrarunternehmer verpflichtete, sich in Bezug auf die H2A-Organisierungskampagne der FLOC neutral zu verhalten (d.h. diese nicht zu behindern, Anm. d. Red.). Nach Abschluss dieser Vereinbarung unterstützten Studenten, religiöse Freiwillige und von anderen Gewerkschaften ausgeliehene Organizer FLOC in einer sechswöchigen Blitzaktion, um die für die Anerkennung benötigten Unterschriften von mehr als 4000 Arbeitern zu gewinnen.
Parallel dazu handelte FLOC eine eigenständige Vereinbarung mit Mt. Olive aus, um zum einen die Neutralität aller Agrar-Betriebe sicherzustellen, die für Mt. Olive produzieren, aber nicht Mitglied der NCGA sind, und zum anderen Agrarunternehmern, die das H2A-Programm bislang nicht nutzen, den Tarifvertrag aber künftig anwenden wollen, eine spezielle Mitgliedschaft in dem Verband der Agrarunternehmer zu ermöglichen.

»Es gibt etwa 20 Agrarunternehmer, die nicht Mitglied der Vereinigung sind und ihr beitreten wollen, gegenwärtig aber keine H2A-Arbeiter beschäftigen. Es ist eine sehr kreative und weitreichende Vereinbarung«, betonte FLOC-Präsident Baldemar Velasquez.

Laut Velasquez machte die Unterstützung durch Bryan das H2A-Programm zu einer natürlichen Zielscheibe. Die Gewerkschaft konzentrierte sich zunächst auf Farmen innerhalb eines 40-Meilen-Radius um Mt. Olive und unterrichtete die Medien über die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Saisonarbeiter.

Leticia Zavala schreibt den Erfolg in dieser Auseinandersetzung der »öffentlichen Thematisierung dieser Bedingungen zu sowie der Aufklärungskampagne für die Konsumenten, in der wir über die Verhältnisse bei den Gemüse-Produzenten und in der gesamten damit verbundenen Industrie informiert haben, statt einzelne Landwirte ins Zentrum zu stellen. Die gesamte Industrie hat die Verantwortung; das ist es, was zuvor in Ohio und nun für uns hier in Nord Carolina funktioniert hat.«

Die in der NCGA organisierten Agrar-Unternehmen beschäftigen über 8500 Arbeiter auf mehr als 1000 Farmen, doch das FLOC erwartet, dass sich diese Zahlen leicht verringern, da einige Landwirte Abfindungszahlungen der Regierung für die Aufgabe des Tabakanbaus in Anspruch nehmen werden. Velasquez weist auch darauf hin, dass »einige Landwirte (ihre Mitgliedschaft in der Vereinigung, Anm. d. Red.) kündigen werden, weil sie sich nicht mit einer mexikanischen Gewerkschaft abgeben wollen.«

Die schwarzen Listen abschaffen

Das Verhandlungsteam der Gewerkschaft bestand aus zehn Landarbeitern, die von einem Beratungskomitee, dem 80 Landarbeiter angehörten, gewählt wurden. »Eine Woche zuvor«, berichtet Velasquez, »haben wir alle zusammen für mehr als vier Stunden im Hauptquartier der Vereinigung zusammengesessen; wir sind den Entwurf der Vereinbarung durchgegangen, haben über eine Menge von Punkten gestritten und uns letztlich dann doch auf ein paar Punkte verständigt. Die Leute (vom Verhandlungsteam) waren wirklich sehr aufgedreht.«
Der Hauptpunkt des Vertrages ist die Abschaffung der schwarzen Listen. Jahrelang wurden Arbeiter gefeuert und auf schwarze Listen gesetzt, manchmal nur, weil sie fragten, ob sie auf die Toilette gehen können oder wegen einer Trinkpause. Einmal entlassen, mussten sie – ohne Aussicht auf eine legale Rückkehr – nach Mexiko zurück.

Der neue Vertrag beinhaltet außerdem die Einführung eines Senioritätsprinzips, das Gewerkschaftsmitglieder bevorzugt, ein auf maximal 21 Tage beschränktes, klar geregeltes dreistufiges Klageverfahren, so dass sich Arbeiter über medizinische oder andere Belange beschweren können, ohne Angst vor Sanktionen haben zu müssen. Die Gewerkschaft wird auch darauf achten, dass das Beschwerdeverfahren rechtmäßig verläuft, wenn die Arbeiter nächstes Jahr wiederkommen.

»Sie gaben uns praktisch alles, was nicht mit Geld zu tun hatte«, stellte Velasquez fest. »Der Knackpunkt ist das Geld. Wir forderten 14 US-Dollar pro Tag, um die Verpflegungskosten der Arbeiter während der Reise zu decken, da die Hin- und Rückreise elf Tage dauert. Gemäß den H2A-Bestimmungen sind acht US-Dollar pro Tag erforderlich, sie bezahlten bis dahin neun und stimmten dann 10,50 US-Dollar pro Tag zu, die aber der Verband der Agrarunternehmer selbst zahlt – nicht die Unternehmer.«

Die separate Mt. Olive-Vereinbarung erhöht die Arbeiterlöhne – verteilt auf drei Jahre – um zehn Prozent. FLOC hofft, dass diese Lohn-Vereinbarung zum Schrittmacher für künftige Tarifverträge bei Gemüse-Pro-duzenten wie Vlasic, Mr. Pickle, Paradise, Van Holten und Peter Piper wird.

Eine internationale Perspektive

FLOC hat nun vor, neue Mitglieder in Mexiko zu gewinnen. Da die »Right to work«-Gesetzgebung von Nord Carolina (die, wie in den meisten Südstaaten, gewerkschaftliche Organisierung extrem erschwert, Anm. d. Red.) in Mexiko nicht greift, will FLOC darauf hinwirken, dass Informationen über einen Gewerkschaftsbeitritt bei den Unterlagen zum Ausfüllen der H2A-Papiere für die mexikanischen Arbeiter zu finden sind.

Anti-Gewerkschaftskräfte planen schon einen Gegenschlag, und das »Farm-Bureau« (eine Konkurrenz-Organisation zur NCGA, der vor allem Landwirte angehören, die bislang keine »Gast-Arbeiter« beschäftigen; Anm. d. Red.) hofft, eine Alternative zum NCGA organisieren zu können, um auch gewerkschaftlich nicht organisierte H2A-Arbeiter anheuern zu können. »Die negative Seite ist, dass uns diese Vereinbarung zum Ziel aller anti-gewerkschaftlichen Angriffe der gesamten Region macht«, sagte Velasquez.

FLOC wird einige Mühe haben, die im Vertrag fixierte Anzahl von über 1000 Farmen zu betreuen. FLOC will erreichen, dass sich auf jeder Farm, die mehr als 20 Arbeiter beschäftigt, ein Vertreter der gewerkschaftlichen Mitgliederbasis findet. Derzeit gibt es 100 Farmen, auf denen jeweils mehr als 20 Arbeiter beschäftigt sind. Gewerkschaftsfunktionäre, die jeweils einer von acht Regionen zugeteilt werden, betreuen die verbleibenden 900 Farmen. Die Basisvertreter erhalten jeweils zwei Halbtages-Trainings, eines vom Verband, das andere von FLOC finanziert, und sie werden mit zehn US-Dollar pro Stunde für laufende Beschwerdeverfahren bezahlt.

FLOC hat im Nordwesten Ohios bereits 60 Anbaubetriebe mit rund 4000 Arbeitern organisiert, teilte Velasquez mit, und »sie haben im Jahr 2004 rund 600 Beschwerden bearbeitet. Fast 200 davon kamen allein aus dem Umfeld der Mt. Olive-Produktion in Ft. Grove (Ohio) – einem großen Standort mit 200 Arbeitern.« Mt. Olive kauft bereits Gemüse von gewerkschaftlich organisierten Betrieben in Ohio.

»Wir werden einen Organizer anstellen müssen, der sich speziell um die Migranten-Communities kümmert, und einen Organizer, um das nächste Ziel anzugehen«, fügte Zavala hinzu. »Wir wollen einen Standard für alle Landarbeiter in Nord-Carolina schaffen. H2A-Arbeiter haben mehr Rechte, und wir wollen, dass die »Papierlosen« die gleichen Rechte erhalten. Das wird die große nächste Aufgabe sein, zu der wir übergehen müssen.«

Den Süden organisieren

»Nord Carolina war der am wenigsten gewerkschaftlich organisierte US-Bundesstaat; mit der jetzt unterzeichneten Vereinbarung ist er es nicht mehr«, verkündet Velasquez. »Das ist ein Signal an die übrigen organisierten Arbeiter.« Velasquez beobachtet, dass Gewerkschaften, die sich mit der Organisierung des Südens befassen, sich auf einzelne Betriebe in Gegenden mit hoher Gewerkschaftsdichte konzentrieren. »Das macht keinen Sinn. Wenn Du den Süden organisieren willst, musst Du gerade dahin gehen, wo es diese Dichte nicht gibt und sie erst erzeugen.«
Die Vereinbarung könnte auch Auswirkungen auf die Debatte um Immigration haben, in der Gastarbeiter-Programme zum Teil als ernste Bedrohung von Arbeitsrechten angesehen wurden. »Das Gastarbeiter-Programm wurde von seinen Gegnern als ein beleidigendes Sklavenarbeitsprogramm charakterisiert,« so Velasquez, »aber wenn Gewerkschaften einbezogen sind, wenn es eine unabhängige dritte Kraft gibt, die sich um die Beschwerden kümmert und die Durchführung des Programms überwacht, würde eine Menge Kritik obsolet werden. Warum sollte es nicht ausgeweitet werden, wenn man Gewerkschaften hat, die sich verantwortlich darum kümmern?«

(Quelle: labor notes, 10/2004)
Übersetzung: Jörg Waschatz, Nadja Rakowitz, Kirsten Huckenbeck

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 10-11/04

Anmerkung

1) Die Mt. Olive Pickle Company ist der größte private Hersteller von eingelegten Gurken, Mixed Pickles u.ä. in den USA. Der Firmensitz befindet sich in Mount Olive, North Carolina.


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