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Updated: 18.12.2012 15:51
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Interview mit den türkischen Tekel-Arbeitern, die sich in Mailand mit INNSE-Arbeitern getroffen haben    

Rb: Hallo und willkommen in Mailand. Wir haben im Internet von eurem grossartigen Kampf gelesen. Wir möchten jedoch, um besser zu verstehen, wie ihr euch organisiert und den Kampf geführt habt, dir ein paar Fragen stellen. Du bist Arbeiter, bist du auch Gewerkschaftsdelegierter?

Tekel-Arbeiter: Alle Gewerkschaftsdelegierten werden von der Gewerkschaft ausgewählt und verhalten sich so, wie die Gewerkschaften wollen.

Rb: In Italien ist es anders, weil es Wahlen für die RSU (Rappresentanza Sindacale Unitaria) gibt und die Arbeiter formell die Möglichkeit haben, ihre eigenen gewerkschaftlichen Vertreter auszuwählen Rs: In Italien haben wir die Gewerkschaftsfunktionäre, die nicht im Betrieb arbeiten, während die Gewerkschaftsdelegierten Arbeitnehmende sind..

Tekel-Arbeiter: In der Türkei benehmen sich die Gewerkschaften auf eine bestimmte Art. Aber während der Reise, die ich gemacht habe, wurde mir erzählt, dass in Europa die Gewerkschaften sich genau gleich benehmen.

Rb: Auch in Italien haben die ArbeiterInnen grosse Probleme, die eigenen Interessen mit den heutigen Gewerkschaften zu verteidigen. Dennoch ist es in Italien etwas anders, weil es die Möglichkeit gibt, die eigenen Delegierten zu wählen. Und darum sagen wir, dass die ArbeiterInnen die eigenen, kämpferischsten KollegInnen in die RSU wählen sollen, jene, die vielleicht durch ihre Entschlossenheit und Fähigkeit in den Kämpfen herausragten. Wir sagen, ein Arbeitersyndikalismus („sindacalismo operaio“) kann es und muss es geben. Ich möchte wissen, ob er eines der Mitglieder des Kampfkomitees ist, von dem wir gelesen haben.

Tekel-Arbeiter: Dieses Komitee umfasst ArbeiterInnen aus jeder Stadt, und ich habe ihm seit Beginn angehört. Dieses Komitee hat viele Aktivitäten entfaltet gegen die Gewerkschaft, die versucht hat, sich ihm zu widersetzen. Es hat Besetzungen organisiert, wie beispielsweise von Fährschiffen, mit Arbeitern, die sich auf einem Deck angekettet haben, Besetzung einer Parteizentrale.

Rb: Habt ihr auch den Sitz der Gewerkschaftszentrale besetzt? Tekel-Arbeiter: Mehrmals. L: Gehören dem Komitee auch Angestellte an?

Tekel-Arbeiter: Dieses Komitee ist vom TEKEL-Komitee ausgegangen, später hat es auch die Beschäftigten der Feuerwehr, die Bauarbeiter, die Beschäftigten der Wasserversorgung und ein Forschungsinstitut integriert. Jedenfalls verstehe ich die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten nicht, es sind doch alle Arbeitnehmende. Zur Frage der Besetzung von Gewerkschaftsgebäuden: Jenes der wichtigsten Gewerkschaft wurde zweimal besetzt, ausserdem wurden Gebäude in verschiedenen Teilen der Türkei besetzt, wo es regionale Gewerkschaftszentralen gibt. Ich habe eine Einführung zu machen, wenn ihr wollt, kann ich sie vortragen.

M: Zwischen Arbeitern und Angestellten gab es immer einen Unterschied: Die Angestellten waren immer auf der Seite des Unternehmers. Jetzt in der Krise, wenn es eine starke Gruppe von entschlossenen Arbeitern gibt, lassen sie sich mitziehen. Ist die Krise vorüber, werden sie wieder dem Unternehmer zu Diensten stehen zur Ausbeutung der Lohnsklaven, d.h. der Arbeiter. Rb: Beim Kampf der INNSE hat sich gezeigt, wie die Führung des Kampfes durch die Arbeiter selbst es möglich gemacht hat, dass auch die Angestellten und Ingenieure die gute Kampfführung anerkennen mussten und sich auf die Seite der Arbeiter gestellt haben. Umgekehrt, wenn die Gewerkschaft den Kampf führt, geschieht dies nicht, und es kommt dazu, dass die Fabriken geschlossen werden und damit die dort tätige Arbeitergruppe auseinanderfällt, kurzum, dass mehr die Interessen des Unternehmers als jene der Arbeiter verteidigt werden.

Tekel-Arbeiter: Dasselbe ist auch bei Tekel passiert, wo die Angestellten zuerst den Kampf unterstützten und sich dann zurückzogen, als sie auf die Chefs hörten.

M: Die Führung des Kampfes muss immer in den Händen der Arbeiter liegen. Seid stets auf der Hut vor den Angestellten und den Chefs!

Tekel-Arbeiter: Der Kampf bei Tekel hat im Jahr 2000 angefangen, 2009 ist er bekannt geworden, weil er sich ausgeweitet hat. Wir haben dieses Ausmass erreicht, weil wir 10 Jahre lang gekämpft haben.

C: Jetzt, nach dieser Erfahrung, was habt ihr daraus gelernt und was für Pläne habt ihr? Was für Lehren zieht ihr politisch daraus?

Tekel-Arbeiter: Viele ArbeiterInnen haben ihr Bewusstsein erweitert. Ein Schlüsselmerkmal ist, dass es viele religiöse ArbeiterInnen gibt. Als die Schwulen, Lesben usw. ihre Solidarität gezeigt haben, sagten auch die religiösen ArbeiterInnen, dass sie ebenfalls mit diesen Leuten solidarisch sein werden. Die Lehre besteht in der Notwendigkeit, die Kämpfe in der Türkei zu vereinheitlichen. Aber wir haben auch begriffen, dass es nicht nur ein türkischer, als vielmehr ein internationaler Kampf ist, und darum arbeiten wir in dieser Richtung. Wir haben begriffen, dass es keinen Unterschied zwischen Rassen und Ethnien gibt, dass wir als Arbeiter kämpfen müssen. Ein Beispiel: Die Leute, die vorher angesichts der Entlassungen nichts gesagt hatten, haben begonnen zu reagiren.

Rb: Was ist nicht verstehe, dass du (Tekel Arbeiter)..., du arbeitetest doch in einer Fabrik in Kurdistan. Wieviele ArbeiteInnen hatte die Fabrik?

Tekel-Arbeiter: 1400, aber 2009 waren es nur noch 600..

Rb: Und 2009 wurde die Fabrik geschlossen?

Tekel-Arbeiter: Am 1. Januar 2009.

Rb: Die 600 ArbeiterInnen sind also nach Hause gegangen? Warum haben die ArbeiterInnen nicht daran gedacht sich aufzulehnen, die Fabrik zu verteidigen, sie zu besetzen, die Arbeitergruppe zu festigen und so mit der Fabrik, mit dem Arbeitsplatz verbunden zu bleiben? Bei INNSE ist das so geschehen: Als der Besitzer sagte, dass er schliessen werde, haben die ArbeiterInnen den Betrieb besetzt, die Sperren der Polizei in Kampfausrüstung durchbrochen und anfänglich die Produktion alleine weitergeführt.

Tekel-Arbeiter: Wir haben auch daran gedacht, aber es waren ein Dutzend Fabriken in der gleichen Lage, und wir dachten, dass wir uns mit der Besetzung der Fabriken in eine Position der Schwäche begeben würden.

Rb: Ok, aber habt ihr nicht daran gedacht, die verschiedenen Betriebe zu besetzen und eine Koordination zwischen den einzelnen besetzten Fabriken zu schaffen?

Tekel-Arbeiter: Auch wenn wir die Kontrolle über dieses Dutzend Fabriken bekommen hätten, der Staat hatte die Produktion geschlossen, darum war es nicht möglich, den Kampf auf diese Art voranzutreiben.

Rb: Was habt ihr am Schluss mit diesem Kampf erreicht?

Tekel-Arbeiter: Der wichtigste Sieg besteht darin, dass die andern ArbeiterInnen zu kämpfen begonnen haben.

A: Aber wenn eure Gewerkschaft nicht gut war, was habt ihr gedacht zu tun? Eine neue Gewerkschaft zu organisieren, eine Partei??

Tekel-Arbeiter: Was wir angetroffen haben, das ist eine Gewerkschaft, die gut ist für die Unternehmer. In der Türkei erlaubt das Gesetz den Arbeitnehmenden nur dann, die Gewerkschaft auszuwählen, wenn sie im öffentlichen Sektor arbeiten, während die Arbeitenden im Privatsektor sich mit der bestehenden Gewerkschaft abfinden müssen.

A: Habt ihr nicht daran gedacht, etwas zu organisieren um den Kampf anzuführen?

Tekel-Arbeiter: Die Organisation ist wichtig, aber es sollte keine Gewerkschaft sein, sondern ein Komitee, in dem alle ArbeiterInnen das Wort ergreifen können. Es gibt kein offizielles Komitee. Es gibt ein inoffizielles Komite, das allen ArbeiterInnen offensteht, die kämpfen wollen.

S: Inoffiziell, weil ihr Angst vor der Repression habt oder inoffiziell wie die “informelle Arbeiterpartei”, die tatsächlich bei INNSE politisch tätig war?

Tekel-Arbeiter: Das Komitee ist nicht offiziell, weil es keine Massenversammlung gegeben hat, von der ausgehend es sich gebildet hat. Der Prozess ist lange…

M: Seid ihr euch bewusst, Teil einer Klasse zu sein, der Arbeiterklasse, die eine internationale Klasse ist? Es braucht Arbeitergruppen in jeder Fabrik von jeder Nation.

Tekel-Arbeiter: Das Ziel besteht darin, den Kampf in jede Stadt auszuweiten.

M: An diesem Punkt ist es wichtig, E-Mail Kontakte zu haben, Internetseiten, um Informationen auszutauschen.

Tekel-Arbeiter: Die Kommunikation ist wichtig, darum sind wir hier. Wir haben 9 Versammlungen in Deutschland gemacht, eine in Zürich, eine in Mailand und eine weitere wird in Griechenland stattfinden. Auf der praktischen Ebene haben wir eine Plattform mit einer Internetadresse veröffentlicht. Ich möchte nur noch anfügen, dass wir jetzt nach Griechenland gehen.

Rb: Habt ihr ein Dokument hervorgebracht, das nicht nur über die Kämpfe berichtet, sondern auch die politischen Positionen zum Ausdruck bringt?

Tekel-Arbeiter: Die Plattform, die wir hergestellt haben, ist ein türkischer Text, kein europäischer. Es gibt GenossInnen in Europa, die uns helfen auf der Ebene der wirtschaftlichen Unterstützung und auf der Ebene der Verwaltung der Internetseite. Wir haben viele Dokumente veröffentlicht, insbesondere eine Rede, die am 1. Mai gehalten wurde.

(Übersetzung eines Berichts auf: www.operaicontro.it/index.php?cat=101801 externer Link)


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