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Updated: 04.04.2008 12:43

Zustände wie in Europa: Für Proteste gibt es Polizei

"Die Bilder ähneln sich, denn sie kehren seit mehreren Wochen und Monaten in verschiedenen Ländern des afrikanischen Kontinents zurück. Zuerst kommt es zu, mehr oder minder spontanen, „Aufläufen“ von protestierenden Menschen auf der Straße, die sich darüber beschweren, dass sie ihre Grundnahrungsmittel immer weniger bezahlen können. Die Ordnungskräfte schreiten daraufhin ein, um den „nicht angemeldeten Charakter“ der Versammlung geltend zu machen oder die „verbotene Demonstration“ aufzulösen" - so beginnt der aktuelle Artikel "Es rappelt in der Küste" von Bernard Schmid vom 4. April 2008 über die fortgesetzten Massenproteste gegen die Teuerung, aktuell im Senegal aber auch in ganz in Westafrika.

Es rappelt in der Küste

Senegal und Elfenbeinküste (Côte d’Ivoire): Riots und Brotrevolten gegen „das teure Leben“

Die Bilder ähneln sich, denn sie kehren seit mehreren Wochen und Monaten in verschiedenen Ländern des afrikanischen Kontinents zurück. Zuerst kommt es zu, mehr oder minder spontanen, „Aufläufen“ von protestierenden Menschen auf der Straße, die sich darüber beschweren, dass sie ihre Grundnahrungsmittel immer weniger bezahlen können. Die Ordnungskräfte schreiten daraufhin ein, um den „nicht angemeldeten Charakter“ der Versammlung geltend zu machen oder die „verbotene Demonstration“ aufzulösen. Dies wirkt wie ein zündender Funke, der zur Entladung der aufgestauten Wut führt. Junge Menschen strömen zusammen, zünden Autoreifen an oder werfen Steine oder schmeißen Schaufensterscheiben von Banken/Geschäfte ein oderoder... Daraufhin gehen die uniformierten Sicherheitskräfte mit massiver Gewalt gegen die „Aufrührer“ vor, schießen Tränengasgranaten ab oder auch mit scharfer Munition, wobei es zu Toten kommt. In den folgenden Wochen kommt es zu einer Serie von Prozessen gegen Teilnehmer an den Ereignissen. Unterdessen verkündet die Regierung ihre – sonstigen – Reaktionen auf die Ereignisse: Senkung oder Aussetzung der Importsteuern auf bestimmte Grundnahrungsmittel oder Güter des täglichen Bedarfs, respektive Subventionierung der wichtigsten Nahrungsmittel.

Fraglich bleibt unterdessen, ob die dadurch intendierten Preissenkungen letztendlich auch bei den KonsumentInnen ankommen. Unterschiede zwischen den einzelnen betroffenen Ländern bestehen insbesondere (einerseits) hinsichtlich des Mix’ aus Repression und Zugeständnissen, mit denen die jeweilige Regierung betrifft, also bei der Dosierung des Mischverhältnisses, und (zweitens) betreffend das Ausmaß der Beteiligung von Gewerkschaften und Arbeiterorganisationen an den Protesten. Denn diese sind nicht immer gleichermaßen oder in gleicher Form organisiert.

In den letzten fünf Tagen waren die beiden wichtigsten Metropolen des französischsprachigen Westafrika an der Reihe: Dakar, die Hauptstadt der Republik Senegal, und Abidjan (die Wirtschaftsmetropole und mit Abstand größte Stadt der Côte d’Ivoire/Elfenbeinküste, jedoch nicht ihre Administrativ-Hauptstadt, d.i. Yamoussoukro).

In Dakar fing alles am vorigen Sonntag, den 30. März an. Dort waren es zwei Verbraucher/innen/organisationen, unter ihnen die einflussreiche „Vereinigung der senegalesischen Konsumenten“ (www.ascosen.sn), welche die Proteste strukturiert hatten. Die beiden Vereinigungen hatten eine Demonstration für Sonntag angemeldet, aber diese war durch die Behörden aufgrund von „Gefährdung für die öffentliche Sicherheit“ verboten worden. Sie fand dennoch statt. Aber es kam zu Zusammenstößen mit den staatlichen Ordnungskräften, die Schlagstöcke und Tränengas einsetzten. Mitte der Woche befanden sich noch 24 Personen aufgrund ihrer Festnahme bei den Protesten in Haft bzw. polizeilichem Gewahrsam, unter ihnen auch die beiden Chefs bzw. Sprecher der zum Protesten aufgrufenden Verbraucherverbände. Die Polizei griff auch in den Räumen eines privaten Fernsehsenders – Walf Fadjiri – ein bzw. zu, wo sie Videokassetten mit Aufnahmen von der Auflösung der Menschenansammlung beschlagnahmten.

Präsident Abdoulaye Wade - der im Mârz 2000 als Oppositionskandidat mit einer wirtschaftsliberalen Orientierung (und mit Unterstützung durch die französische Rechte, die in Gestalt von Alain Madelin vor Ort reiste) zur Wahl antrat und den „sozialistischen“ Autokraten Diouf ablöste - sah sich jedoch gezwungen, auf die öffentliche Meinung Rücksicht zu nehmen. Innerhalb von acht Jahren hat sich sein Regime bereits mächtig abgenützt, die Kommunalwahlen im vorigen Jahr wurden zum Fiasko, geprägt von Boykottaufrufen der Opposition und Vorwürfen der Wahlmanipulation. Anfang der Woche entließ er seinen bisherigen Innenminister Ousmane Ngom.

In Sachen Preispolitik hat er bislang jedoch noch keine Zugeständnisse in Aussicht gestellt. Ein Kabinettsmitglied, Farba Senghor, erklärte öffentlich, dies sei „kein für Senegal spezifisches Problem“, da solche Preiserhöhungen ja überall in Afrika aufträten. Und das wäre es vorläufig auch gewesen. Das Regierungslager klagte ferner öffentlich die politische Opposition an, „die Senegalesen zu täuschen“ und „Kinder als Kanonenfutter zu benutzen“ (sic).

In der Côte d’Ivoire hingegen scheinen die Proteste am Montag dieser Woche viel eher spontan ausgebrochen zu sein. Sie nahmen ihren Ausgang vom Kleine-Leute-Viertel Yopougon (sehr bekannt geworden durch einen gleichnamigen französischen Comic), wo sich zunächst zahlreiche Frauen mit leeren Kochtöpfen oder Essschüsseln versammelten. Mehrere hundert Menschen lieferten sich Straßenkämpfe mit den zur Verstärkung herbeigerufenen Anti-Aufruhr -Einheiten der ivoirischen Polizei. Auf der Stadtautobahn, die Yopougon durchquert, wurden Barrikaden errichtet und Autoreifen angezündet. In diesem Falle hinterließen die Proteste und ihre gewaltsame Auflösung zehn schwerverletzte Demonstranten und einen Toten. Auch hier wurden Videokassetten mit Aufnahmen von den jüngsten Geschehnissen bei einem lokalen Fernsehsender beschlagnahmt.

Doch Präsident Laurent Gbagbo – dessen Parteigänger bisher in Yopougon eine Hochburg hatten, auch vor dem Hintergrund der populistisch-chauvinistischen Mobilisierung, die das Präsidentenlager seit Anfang des Jahrzehnts gegen die moslemische Nordhälfte des Landes leitete, bis der Bürgerkrieg vor einem halben Jahr zu Ende ging – gab zugleich ein wichtiges Zugeständnis bekannt. Durch staatliche Anordnung sinkt der Preis für einen Sack Reis ab sofort um 50 Prozent.

Voraus gingen im Monat Februar bereits heftige Proteste in den französischsprachigen afrikanischen Ländern Burkina-Faso und Kamerun. In Burkina schepperte es in der vorletzten Februarwoche bei Spontandemonstrationen gegen „das teure Leben“ (contre la vie chère), die u.a. in der Provinzhauptstadt und zweitgrößten Stadt Bobo-Dioulasso stattfanden. Inzwischen haben dort die Gewerkschaften die Spitze der Proteste übernommen. Sie führten am 15. März erneute, massive – und friedlich bleibende – Demonstrationen ‚contre la vie chère’ durch. Und nunmehr rufen sie für den 8. und 9. April dieses Jahres zu einem Generalstreik der Lohnabhängigen auf, falls sich der Preisdruck bei den Gütern des Grundbedarfs bis dahin nicht gebessert hat.

Infolge der Proteste hatte die Regierung unter Präsident Blais Comparoré (der am 15. Oktober 1987 durch einen Rechtsputsch, mit Rückendeckung Frankreichs, gegen den revolutionären Präsidenten Thomas Sankara –seinen ehemaligen Militärkollegen - an die Macht kam) Ende Februar zunächst angeordnet, die Preise auf die wichtigsten Nahrungsmittel um 5 bis 15 % zu senken. Artikel auf faso-net sprechen jedoch davon, dass die Händler dies nicht umsetzten, um selbst keine Verluste einzufahren.

In Kamerun rappelte es ab dem 25. Februar, nachdem zunächst Taxifahrer gegen die stark angestiegenen Treibstoffpreise – die ruinös für sie wirken, da sie ihre eigenen Tarife nicht ins Unermessliche steigern können – protestiert hatten. Es kam zu einem heftigen Riot frustrierter junger Leute im Geschäftsviertel der Wirtschaftsmetropole Douala. Die Revolte weitete sich daraufhin auf zehn größerre Städte, unter ihnen die Hauptstadt Yaoundé, aus. Dabei mischten sich soziale Motive mit der Abneigung gegen die Pläne von Präsident Paul Biya (1982 mit Unterstützung durch Frankreich und den in Kamerun mächtig präsenten Ölkonzern Elf, inzwischen Total), im kommenden Jahr 2009 die Verfassung ändern zu lassen, damit er sich 2011 noch einmal um ein Mandat bewerben und erneut zu einer mutmaßlich manipulierten „Wahl“ antreten kann. Bei der Niederschlagung der Proteste starben laut offiziellen Angaben 17 Menschen, die Opposition spricht von 180. Nach der Peitsche verteilte der Präsident jedoch auch ein wenig Zuckerbrot und versuchte, den „sozialen Frieden“ zurück zu kaufen. Insbesondere hob er die Gehälter der Staatsbediensteten an.

Ruhig blieb es zunächst in Togo. Dort konnten die Behörden jedoch einen Generalstreik, zu dem der „gewerkschaftsübergreifende Zusammenschluss der Werktätigen Togos“ (ITT) aufrufen wollte, für den 29. Februar knapp davor abgewendet werden. Stattdessen zogen es Regierungs- und Gewerkschaftsvertreter vor, über Methoden zum Auffangen der Teuerung zu verhandeln.

Hintergrund

Im Hintergrund des Aufflammens der Proteste, die inzwischen den halben afrikanischen Kontinent erfasst haben, steht das gewaltige Ausmaß der Teuerung in den betroffenen Ländern. Dieses wiederum ist eine direkte Konsequenz aus den aktuellen Verwerfungen in der Weltwirtschaft.

Einerseits hat der industrielle Boom in asiatischen Ländern wie China (und Indien) dazu geführt, dass deren Bedarf an – teilweise im Ausland eingekaufen – Nahrungsmitteln gestiegen ist. Denn ein wachsender Teil der Bevölkerung ist nicht mehr in der Landwirtschaft tätig, so dass zunehmend mehr nicht im Agrarsektor arbeitende Beschäftigter durch die in- und ausländische Agrarproduktion ernährt werden müssen. Daher rührt ein wachsender Einkauf von Nahrungsmitteln, zudem bestimmte Produkte, die bislang in China kaum konsumiert worden waren (wie etwa Kuhmilch und Milchprodukte: Yoghurt, Käse..), bei den dortigen Mittelklassen nunmehr in Mode und total angesagt sind. Zweitens kommt der hoch stehende Rohölpreis hinzu, der zum Teil durch die kriegerischen Ereignissen im Mittleren Osten und das Chaos im Iraq, zum weitaus größeren Teil aber aus Kapitalspekulation zu erklären ist. Er führt zu einer Verteuerung der Transportkosten bei allem, was etwa auf den Weltmeeren hin- und hergeschippert wird. Zum Dritten hat ein Zufluss von spekulativ angelegtem (und nach rascher, spürbarer Erhöhung der Gewinne strebendem) Kapital auf die Weltmärkte für bestimmte Güter stattgefunden – nachdem es vom niedergehenden Immobilienmarkt in den USA und anderen Ländern abgezogen worden ist. Das gilt für Erdöl und für Gold, aber eben auch für den internationalen Weizenmarkt. Die durch Spekulation angeheizte Nachfrage drückt die Preise nach oben. Bei Gold ist dies den Armen und Ärmsten auf dieser Erde relativ egal, nicht aber beim Weizen.

Länder wie die Mehrzahl derer des afrikanischen Kontinents, die aufgrund ihres absolut ungünstigen Standorts in der internationalen Arbeitsteilung (als reine, durch die frühere kolonial Wirtschaftsordnung zudem auf wenige Stoffe festgelegte, Rohstofflieferanten im Bergbau- oder auch, wie im Falle der Côte d’Ivoire, Agrarbereich) in hohem Maße von Importen abhängig sind, gehören dabei klar zu den Verlierern. Denn sie müssen einen hohen Anteil an ihrem Nahrungsmittelbedarf importieren – obwohl diese Länder sich in der Regel selbst ausreichend ernähren könnten, wenn sie es sich denn erlauben könnten, die Exportproduktion (etwa auf Monokulturen für Kaffee oder Kakao wie in der Côte d’Ivoire) zurückzukurbeln und binnen kurzer Zeiträume auf anderen Bedarfsgüter umzustellen.

Zudem finanziert der Staat in solchen Ländern, in denen nur wenig produziert und viel ex- sowie importiert wird (Stichwort „Bazarökonomie“), sich nicht über die Besteuerung von Industrieproduktion oder produziertem Mehrwert, sondern eben vorwiegend über die Besteuerung von Ein- oder Ausfuhr. In der Regel macht die Importsteuer auf eingeführte Grundbedarfsgüter in den afrikanischen Kernländern mindestens 25 % der Staatseinnahmen aus. Den informellen Sektor, der einen Gutteil der Aktivitäten im Lande ausmacht, kann der Staatsapparat schließlich qua Definition nicht oder kaum besteuern.

Deshalb haben die Regierungen und Regimes oft selbst nur die Auswahl zwischen zwei schlechten Alternativmöglichkeiten: Entweder zu versuchen, von den hohen Preisen (und damit, sofern es prozentual erhoben wird, steigenden Steuervolumen bei den Importsteuern) zu profitieren, um ihren Staatsapparat finanziell zu sanieren, dabei aber erhebliche soziale Spannungen zu riskieren – oder aber vorrangig den sozialen Grundbedarf abzudecken, dies jedoch oft auf Kosten der Möglichkeiten zum Abbau der hohen Auslandsverschuldung.

Bleibt zu hoffen, dass die Riots, Brotrevolten und erst recht die gewerkschaftlich organisierten Proteste zumindest dazu führen, dass die Bevölkerungen (und insbesondere ihre Unterklassen) sich gegenüber den Eigeninteressen der Regimes Geltung verschaffen können.


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