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Updated: 18.12.2012 15:51
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"Es ändert gar nichts, ob alle Schulen Internet-Anschluss haben oder nicht"

Die Regierung hat zwei aktuelle Projekte: Privatisierung der Universitäten und die Ausstattung der Schulen mit Computer und Netzzugang. Studiengebühren als Einstiegsform werden eher leise realisiert, das Computerprogramm für die öffentlichen Schulen mit großem Pomp verkündet. Warum es nicht ausreicht nur gegen die Privatisierung Front zu machen und wie die Werte traditioneller Erziehung und private Profite zusammenhängen, diskutierten wir am Telefon mit Jaime Arias, Basisaktivist der Lehrergewerkschaft ACT in Metromanila: "Werte und Wert" heisst das Gespräch vom 26. Februar 2008.

"Werte und Wert"

Wenn man per Suchanfrage über das Bildungswesen auf den Philippinen Informationen bekommen möchte, geben einem nahezu alle Suchmaschinen erst mal Aussagen bzw Werbung zum Generalanschluss philippinischer öffentlicher Schulen ans Internet massenhaft Links. Was haltet Ihr davon?

Aber auch schon rein gar nichts. Dieses CEP, das mag vielleicht in europäischen Ländern ganz anders sein, aber hier ist es ein echter weisser Elefant, in Kooperation mit der VR China sollen Fernlehrgänge installiert werden - das kostet rund 500 Millionen Dollar. Dafür könnte man anderes machen, das viel dringender ist - es fehlen nicht nur beinahe 50.000 Lehrer im ganzen Land, es fehlen eigene Klassenräume, es fehlen sogar Tische und Stühle, von Büchern ganz zu schweigen. Nachdem jahrelang die Ausgaben für das Schulsystem gekürzt wurden, jetzt so ein Renommierprojekt, das ist geradezu pervers, dafür gibt es keinerlei Bedingungen. hinzu kommt natürlich - siehst Du, ich sage auch schon natürlich, obwohl es das keineswegs ist - die Verarmung breiterer Teile der Bevölkerung. Damit meine ich nicht die vielen, die schon immer arm waren, sondern beispielsweise Arbeiter, die entlassen wurden - und wiedereingestellt oder ersetzt durch Zeitbeschäftigte, weniger Lohn - die Anmelderaten für Schulen aller Art gehen zurück. Wie man es auch dreht und wendet: Wer auch nur einigermaßen ernsthaft über Bildung reden will, Bildung für alle zumal, der muss über die ganze Gesellschaft reden, sonst ist es Heuchelei.

Und geschieht das in den Debatten?

Ich will Dir mit einem Beispiel antworten: Ende Januar gab es einen Erziehungskongress hier in Manila, für den Frau Arroyo groß die Werbetrommel rühren liess. Fakt ist dass auf diesem Kongress weder Lehrer noch Schüler irgendwie repräsentiert waren - und als dies mit einer Demonstration öffentlich gemacht wurde und damit der schöne Kongress kritisiert wurde auch gleich Antwort gegeben: die Polizei attackierte ohne Vorwarnung. Es ist klar - "radikale Lehrer" sind hierzulande ein Dauerthema, also war eine Demonstration eine Gefahr.

Und gibt es diese radikalen Lehrer?

Na ja, das hat verschiedene Gesichtspunkte. Dazu muß man wissen, dass, sagen wir mal eine Generation zurück Lehrer ein echter Hungerberuf war - und erst, als im Laufe der 80er Jahre, beginnend mit den Zeiten der Diktatur, die Lehrer begannen, sich gewerkschaftlich und militant zu organisieren, wurde diese Situation besser. Dabei wurden in einer zunehmend größeren Bewegung durchaus Verbesserungen erzielt, und das ist eine Quelle der Vorstellung von den Radikalen. Eine andere Quelle - es gibt noch mehrere - ist beispielsweise, regional verschieden, die Sprachfrage. Wie das bei Inselstaaten so ist, hat unsere gemeinsame Geschichte eine ganze Reihe Sprachen hervorgebracht - der offizielle Slogan aber ist "Englisch und Tagalog". Englisch, ganz klar, fürs Geschäft - ein Punkt, wo viele schon anderer Meinung sind - und Tagalog sozusagen als philippinisch, was aber nur eine von über 150 Sprachen ist, die es hier gibt. Wenn Du jetzt Lehrer bist irgendwo, wo es eigentlich eine andere Sprache gibt und Du praktizierts etwas anderes als die offiziellen Werte umzusetzen, dann kann es Dir ganz schnell passieren, als radikal eingestuft zu werden, was oft genug auch gefährlich ist, weil mit Marcos, der Teufel habe ihn selig, leider nicht die ganze reaktionäre Camarilla ausgestorben ist.

Interessant ist, was Du über Werte sagst - hiezulande gibt es immer wieder die Debatte um Wertevermittlung - gibt es sowas bei euch auch?

Nun ja, das ist ja eine der Grundfragen und jener gesellschaftlichen Fragen, die ich oben schon erwähnt habe. Denn: Wenn man heute mit gutem Grund die öffentlichen Erziehungssysteme gegen Privatisierung verteidigt - was bei uns gerade vor allem im Universitätsbereich stattfindet - kann man nicht so tun, als hätten diese öffentlichen Systeme keine Geschichte und keine Entwicklung - und keine Funktion. Die Werte, die zur Marcoszeit verbreitet wurden in den öffentlichen Schulen waren die einer Diktatur und jeder Lehrer, der sich nicht aktiv bemüht hat, die entsprechenden Richtlinien zu unterlaufen oder wie auch immer die konkrete Vorgehensweise gewesen sein mag, hat sich mit schuldig gemacht - etwa an der Herausbildung von Todesschwadronen, die unter vielem anderen auch ein Ergebnis dieser Werte sind. Heute ist es ja eher weltweit so, dass an solcherart Werte immer dann appelliert wird, wenn Gewalt oder Kriminalität explodieren. Aber ein Wert, nehmen wir mal einen an dem mir liegt, ein Wert wie solidarisches Zusammenleben - der paßt nicht in eine Gesellschaft wo alles vermarktet wird, auch der Mensch, wo die totale Konkurrenz herrscht. Und solche Widersprüche spüren die Menschen - und eben auch die Schülerinnen und Schüler. Und dann gibt es die Fragen der Unterrichtsmedthoden und viele andere mehr, die allesamt dazu gehören, wenn man ernsthaft über Bildung für alle reden will - wie gesagt, von den ökonomischen Voraussetzungen einmal ganz abgesehen.

Und was gibt es konkret an Alternativen und Gegenwehr?

Oh je - hast Du mal ein paar Tage Zeit, dann zähle ich alles auf, was ich kenne. Natürlich - und dieses Mal zu recht gesagt - gibt es an den Universitäten Widerstand gegen die Einführung von Gebühren und so weiter, was alle als Eintritt ins private Zeitalter verstehen. Unsere eigene Gewerkschaft ist da im Bündnis mit vielen Gruppierungen beteiligt. Aber es gibt quer durch das Land so viele Initiativen, von sogenannten freien Schulen - irgendwie auch privat, aber ohne Geld, freiwillige Aktivitäten - bis hin zu Koranschulen, die ja auch nicht alle daselbe sind, es ist eine ganze Landschaft, wo sich Lehrer, Eltern und Organisationen bemühen, Alternativen zu gehen, es nicht, zumindest nicht allein der Staatsbürokratie zu überlassen, was gerade hier besonders übel wäre, denn die meisten Topfunktionäre unseres Staates sind noch nicht einmal Karrierebeamte oder so was - was schon schlecht genug wäre - sondern persönlich von der Präsidentin auf den Posten gehoben. Da werden auch andere Werte gelehrt und diskutiert, solche die nicht mit der allgemeinen Verwertung zusammenpassen, aber das eben ganz ausdrücklich. Wobei immer klar ist, dass alle solchen Initiativen, wie auch die in anderen Bereichen, immer unter der Drohung massiver Repression stehen, sei es von seiten des Staates oder unserer, ich nenne sie mal Paras, damit einige wissen, was damit gemeint ist.

Und gibt es da Versuche, solcherart Projekte sozusagen zu etablieren, legalisieren, was auch immer?

Es gibt eine ganze Reihe von Netzwerken, ganz unterschiedlicher Art und Ausrichtung, sowie bestimmte Versuche sie zu koordinieren. Und natürlich, wenn es um Ausbildung geht, muss es immer auch um die Anerkennung gehen, darum wird an verschiedenen Orten gekämpft, aber zumeist ist es erst noch in einem Stadium des Heranreifens.

(Das Gespräch führte Helmut Weiss)


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