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Updated: 18.12.2012 15:51
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Eisenbahngewerkschafter für "Nein" bei EU-Referendum

Im Gegensatz zu Staaten wie der BRD ist auch Luxemburg wenigstens demokratisch genug, die EU-Verfassung der Bevölkerung zur Abstimmung vorzulegen. Eine Stellungnahme einer Gruppe von Eisenbahngewerkschaftern mit dem Aufruf, "Nein" zu dieser Verfassung zu sagen.

Graad elo : NEE !

Ein neues Lied, ein besseres Lied, oh Freunde will ich Euch singen

Wir wollen hier auf Erden schon ein Himmelreich errichten

(Heinrich Heine)

Aus der Unfähigkeit heraus, diese unerträgliche, allgegenwärtige Gehirnwäsche zu ertragen, die jetzt, kurz vor dem Referendum, von der heiligen Allianz der Ja-Sager und Verteidiger des Verfassungsentwurfes inszeniert wird, betrachten wir es als Notwendigkeit, unsere Beweggründe, weshalb wir am 10 Juli Nein sagen werden, hier an dieser Stelle zu erörtern. Als langjährige Gewerkschaftsmilitanten sehen wir uns verpflichtet, gerade jetzt gegen diesen grauen Strom aus neoliberalem Einheitsbrei anzuschwimmen und ein, wenn auch vielleicht bescheidenes, Gegengewicht zur Omnipräsenz der Ja-Sager Argumentation in allen luxemburgischen Medien zu schaffen.

Um den Befürworter des Verfassungsentwurfes die Mühe zu ersparen, in ihren mittlerweile abgedroschenen, verunglimpfenden Argumenten zu kramen, mit denen sämtliche kritischen Verfassungsgegner kübelweise überschüttet wurden, erlauben wir uns, im Vorfeld folgendes zu bemerken :

- Wir sind weder rechtsextreme Populisten, noch nationalistische Souveränisten

- Wir werden am 10 Juli den Verfassungsentwurf nicht etwa ablehnen, weil wir aus innenpolitischen Gründen dem Herrn Juncker eins auswischen wollen (zugegeben : die Demission des Premiers würde uns nicht unbedingt in eine Depression stürzen.)

- Wir sind sind weder übermässig begriffsstutzig noch ausgeprägt blöde. Unsere Gewerkschaftsarbeit hat uns befähigt, auch etwas komplexere ökonomische, soziologische oder gar politische Sachverhalte und Zusammenhänge zu verstehen.

Genau wie Millionen Franzosen und Niederländer vor uns, haben wir uns erlaubt, laut zu denken und diesen Verfassungsentwurf kritisch zu hinterfragen aber auch die aktuelle Entwicklung der Situation zu kommentieren.

Selbst in Luxemburg (was Herr Juncker nie für möglich halten wollte) zeichnet sich inzwischen eine ähnliche Polarisierung und das gleiche Kräfteverhältnis ab, wie in Frankreich, den Niederlanden und den meisten anderen Ländern Europas : einerseits eine losgelöste technokratische Elite und ihre Mitläufer, die den Neoliberalismus auf allen sozialen, politischen und ökonomischen Ebenen immer weiter und schneller treiben wollen ; andererseits die Masse der europäischen Bürger/innen, ihrer Komitees und Gewerkschaften, die zweifeln, hinterfragen und nicht akzeptieren wollen, dass der europäische Integrationsprozess auf alle Ewigkeit in einen neoliberalen Panzer eingeschlossen werden soll.

Mit scheinbar letzter Kraft appelierte Herr Juncker nach seiner Rückkehr aus den USA an die Luxemburger (ausländische EU- Einwohner werden bekanntlich nicht um ihre Meinung gefragt) doch unbedingt am 10 Juli dem Verfassungsentwurf zuzustimmen. Und wieder setzte der Premier die Bevölkerung unter Druck, diesmal mit dem Hinweis auf die historische Verantwortung, die nun auf den Schultern der Luxemburger lastet. Ganz Europa, ja die ganze Welt wartet auf ein positives Zeichen der braven Luxemburger. Bleibt dieser Impuls aus, stimmt Luxemburg gegen den Verfassungsentwurf, so stürzt, laut Herr Juncker, Europa endgültig in die Krise.

Aber die Krise kommt nicht, sie ist längst da ! Junckers EU Präsidentschaft mündet in einem Misserfolg : sind natürlich die Resultate der Referenden in Frankreich und den Niederlanden sind, ganz gleich was die Ja -Sager behaupten mögen, um die Situation zu relativieren, der Anfang vom Ende für den europäischen Integrationsprozess auf neoliberaler Basis .

Dieser Verfassungsentwurf wurde bislang massiv abgelehnt, eben weil nicht nur eine Mehrheit der Bevölkerung in Frankreich und den Niederlanden die Nase voll hat von Deregulierung und Privatisierungen, genug von Sozialabbau, Ausgrenzung und Massenarbeitslosigkeit. Immer mehr EU Bürger/innen wollen die Globalisierung nicht mehr als wertfrei und zwangsläufigen Prozess zunehmender internationaler Verflechtung verstehen. Ein kollektives Bewusstsein setzt sich durch das erkennt, dass es tatsächlich um die gezielte politische Umsetzung einer Strategie geht, die auf eine maximale Durchsetzung der Marktkräfte setzt und damit nur als neoliberale Globalisierung zu beschreiben ist.

Wie sehr der luxemburgische Premier sich nun auch bemühen mag, nach dem Scheitern der Verhandlungen über den EU Haushalt seinen Freund Blair und die Briten als « ultraliberale « Egoisten anzuschwärzen, vermag dieses neue Feindbild das man versucht uns da zu verkaufen, nicht darüber hinweg zu täuschen, dass Herr Junker (und die anderen Regierungschefs) ganz und gar nicht jener Gutmensch ist, der alle Hebel in Bewegung setzt, um die soziale Dimension zu retten. Herr Juncker, der stets das Gute will, doch stets das Böse schafft, gab seinem damaligen Emissär Nicolas Schmit den Auftrag, die Bolkestein Direktive gutzuheissen, auch wenn Juncker danach behauptete, die Direktive gehöre in den Papierkorb. Eine Aussage, von der er sich dann wieder distanzierte. .Juncker, der eifrige Verfechter des Verfassungsentwurfes, bezeichnete noch vor kurzem das Konvent, in dem der Verfassungstext ausgeheckt wurde, als die dunkelste aller Dunkelkammern……Das machtvolle Nein in Frankreich und den Niederlanden räumt nun endlich auf mit der Mär, der europäische Integrationsprozess wäre, seit seinem Beginn, eine gradlinige Entwicklung gewesen, ohne Krisen und Rückschritte. Es handelt sich hier nicht um eine endlose Baustelle, die immer offen für Verbesserungen und Veränderungen wäre. Wird dieser Verfassungstext ratifiziert, werden neoliberale Wirtschaftspolitik und Profitgier zur supranationalen Staatsdoktrin erhoben ; dann ist dieser Prozess endgültig beendet. Es wird dann keine Verbesserungen mehr geben, sondern nur noch Rückschritte auf allen sozialen Ebenen.

Dieser Verfassungsvertrag ist zutiefst undemokratisch

Abgesehen davon, dass dieser Text insgesamt 448 Artikel umfasst und somit auf keinen Fall den gängigen Kriterien einer Verfassung entspricht, wurde er von einem Gremium verfasst (dem Konvent) das keine Form vom demokratischer Legitimation besitzt. Es wurde nie gewählt. So ist es auch kaum verwunderlich, dass der Vertrag die Maxime, die bislang noch in vielen nationalen Verfassungen verankert war, « alle Macht geht vom Volke aus », negiert. Der Verfassungsentwurf vertieft den Graben zwischen machtlosem Europaparlament und der allmächtigen, nicht vom EU Bürger gewählten Kommission, die die legislative Macht quasi monopolisiert. Beeinflusst werden die Kommissare in ihren Initiativen nicht etwa von dem mehr oder weniger demokratisch gewählten Parlament, sondern in erster Instanz von einer Myriade offiziell anerkannter Lobbyisten (siehe unten), die keine Mühe scheuen, um die Interessen der multinationalen Konzerne, Finanzgruppen und anderen Spekulanten zu verteidigen.

Die Exekutive, also der Ministerrat, braucht auch in Zukunft niemandem Rechenschaft abzugeben !

Die Verfassung versteht sich nicht als laizistisch: christliche Kirchen werden zum wichtigen Bestandteil der abendländlichen Kultur erhoben.

Und mag der Verfassungstext sich noch so oft auf die Menschenrechte berufen, so sieht er dennoch die Todesstrafe als drastisches Repressionsmittel vor.

Dieser Verfassungsvertrag antisozial

Die Prinzipien des Neoliberalismus erhalten Verfassungsrang. In den allgemeinen "Zielen der Union" ist zwar beschönigend die Rede von einer "in hohem Maße wettbewerbsfähigen sozialen Marktwirtschaft, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt, sowie ein hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität." (I-3) Im konkreten Politikteil wird dann aber Klartext geredet von der Verpflichtung auf den "Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb." (III-177) Beschäftigungspolitik wird den "Grundzügen der Wirtschaftspolitik" untergeordnet (III-206, 179) , die geprägt sind durch die einseitige Orientierung auf das "vorrangige" Ziel der "Preisstabilität" (I-30, III-177, 185) und durch den in Verfassungsrang erhobenen "Stabilitätspakt" (III-184), In der Steuerpolitik sollen nur die indirekten Steuern harmonisiert werden (III-171) . Nicht vorgesehen ist die längst überfällige Angleichung direkter Steuern, besonders der Unternehmenssteuern, womit der ruinöse "Abwärtswettbewerb" bei den staatlichen Einnahmen zu Lasten der Finanzierung öffentlicher Aufgaben aufzuhalten wäre.

Die einzelstaatlich gewährten Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge, auch die beschworene Sicherung der "kulturellen Vielfalt", einschließlich der künstlerischen (I-3), werden ganz im Sinne der WTO relativiert (III-166) und bleiben der Beihilfekontrolle unterworfen.

Anstelle eines "Rechts auf Arbeit" wird nur das "Recht zu arbeiten" gewährt (II-75) , auch andere soziale Grundrechte fanden keine Aufnahme oder nur eine Aufnahme in stark beschnittener Form. Der eifrigste Befürworter des Verfassungsvertrages wird kläglich bei dem Versuch scheitern, einen Paragraphen zu finden, der das Recht auf eine Wohnung, auf ein Existenzminimum oder einen gesetzlichen Mindestlohn garantiert.

Durch die Herabstufung von Grundrechten zu "Grundsätzen" in den sogenannten Schlussbestimmungen jedoch (II-112 Abs. 5) und die nachträgliche Aufnahme eines Verweises auf aktualisierte Erläuterungen der Präsidien des Grundrechtekonvents und des Verfassungskonvents (II-112 Abs. 7) sind die sozialen und gewerkschaftlichen Grundrechte auf EU-Ebene noch weiter ausgehöhlt und de facto ihrer Wirksamkeit beraubt worden. Ein EU-Streikrecht ist inexistent, während nationalstaatliche Regelungen zur Aussperrung Verfassungsrang erhalten (II-88).

Der Staat darf, im Namen der unantastbaren Konkurrenzfähigkeit, nicht länger als Schutzschild für die Lohnabhängigen fungieren und wird zum Nachtwächter degradiert und der sich in dieser neoliberalen Ordnung auf die Ausübung seiner primären Funktionen zu beschränken hat : Justiz, Repression, Repräsentation. Soziale Absicherung Bildung, Pensionskassen oder der Zugang zu einem funktionierendem Gesundheitswesen sind in einer neoliberalen Wirtschaftsordnung nur noch Relikte, Ausdruck von Solidargemeinschaften, die den Prinzipien der freien Marktwirtschaft und dem unverfälschten Wettbewerb wiechen musste. Öffentliche Dienste werden zu Dienstleistungen öffentlichen Interessens degradiert.

Die « verfasste » Militarisierung Europas

Die Befürworter des Verfassungsentwurfes pochen immer wieder auf den angeblich Friedensstiftenden Charakter der EU. Auch diese Behauptung ist ein Märchen. Ist während den letzten 60 Jahren kein Weltkrieg mehr von europäischem Boden aus angezettelt worden, so waren die meisten der ehemaligen europäischen Kolonialmächten alles andere als Friedenstauben. Was uns medienwirksam von Politikern jeder Couleur als humanitäre Interventionen verkauft wurde, war meistens immer die Neuauflage neokolonialen Machtgebarens , die gewaltsame Durchsetzung von handfesten europäischer Wirtschaftsinteressen und geopolitisches Kalkül. Es wurde nicht davor zurückgeschreckt, die serbische Zivilbevölkerung zu bombardieren, Massaker wurden in Srebrenica nicht verhindert und der Genozid an hunderttausenden von Tutsis in Ruanda wurde bewusst geschürt und für eine weitere Destabilisierung der rohstoffreichen afrikanischen Region instrumentalisiert.

Mit dem EU-Verfassungsvertrag wird die Militarisierung der Europäischen Union bis hin zur globalen Kriegsführungsfähigkeit vorangetrieben. Der Verfassungsvertrag soll der EU die "auf militärische Mittel gestützte Fähigkeit zu Operationen" (Art I-41 Abs. 1) sichern. Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern" (Art. I-41 Abs. 3) .

In Luxemburg heißt dies: Erhöhung der Verteidigungshaushaltes auf 1,2 % des BSP. In anderen Worten: eine 300 % Steigerung! Zwischen 2000 und 2005 wurden bei uns die Militärausgaben von 44 auf 83 Millionen Euro hochgeschraubt !

Wir lehnen diesen Vertrag aber auch ab, weil eine Zustimmung nicht nur ein Bekenntnis zum weiteren sozialen Raubbau wäre, sondern zugleich eine Legitimierung von jahrzehntelangem Sozialabbau, von Massenarbeitslosigkeit, Verelendung und Verarmung.

Die Krise ist, wie oben angedeutet, schon ausgebrochen. Das angedrohte Chaos wird nicht kommen. Im Gegenteil : die massive Ablehnung des Verfassungsvertrages ist eine einzigartige Chance für den Aufbau eines neuen vereinten Europas. Eine Gelegenheit, all das wieder umzudrehen, was die neoliberale Wirtschaftspolitik in 5 Jahrzehnten in Europa zerstört hat.

Die eigentliche Debatte fängt jetzt erst an: Wie ist die Bündelung der Kräfte zwischen Nicht-Staatliche Organisationen, Gewerkschaften zu erreichen, damit wir gemeinsam ein anderes Europa schaffen?

- Ein Europa, in dem die Solidarität sich in aller Freiheit entfalten kann

- Ein Europa, in dem die Gleichheit aus der Vielfalt wächst

- Ein friedliches, pazifistisches Europa, das endgültig mit Neokolonialismus und Ausbeutung gebrochen hat

Die Autoren dieses Beitrages stimmen am 10. Juli mit NEIN

Guy Schneider

Claude Thümme

lBeide Autoren sind Eisenbahner und Gewerkschaftsmilitanten bei der FNCTTFEL/Landesverband


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