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Updated: 18.12.2012 15:51
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Vom Mirakel zum Debakel

Sorocaba, 12.April 2005

Lieber Helmut,

wie in Porto Alegre abgemacht, versuche ich mich mal daran, eueren Lesern einen kleinen Einblick in "Japan 2005" zu geben - und wenn ich schon über Brasilien nicht wagen würde, zu behaupten, meine Meinungen und Wissensbestände seien irgendwie repräsentativ oder vollständig, so gilt das erst recht für Japan, das ich vor meinem Aufenthalt dort nur als Kind und den - glorifizierenden - Erzählungen meiner Eltern und Großeltern kannte. Dafür habe ich ein bisschen im Internet gesucht und auch noch mit 2 Gewerkschaftern telefoniert, die ich in den 2 Jahren gut kennen gelernt habe.

Vom Mirakel zum Debakel - leider habe ich diese Überschrift geklaut, aber stimmen tut sie trotzdem. Ich habe auch keine deutschen Texte gefunden, die meiner Meinung nach eine Aufnahme in eine erste Liste gerechtfertigt hätten, deswegen sind fast alle Texte in englischer Sprache und so gut ist mein Deutsch nun auch nicht, dass ich sie übersetzen könnte. Alias 1-2 davon werde ich ins Portugiesische übersetzen, womit Ihr zwar nichts anfangt, aber unseren Gewerkschaftern hier schadet es auch nicht, etwas über das ferne - und oft bestaunte - Japan zu erfahren. Am meisten habe ich natürlich japanische Texte gefunden - und hatte auch schon viele - aber da gehe ich von Sprachunkentniss aus...

Die Krise des japanischen Kapitalismus - das Leben der Arbeiter

Lange vorbei die Zeiten, in denen japanische "Führungsmethoden" weltweit nachgeahmt wurden - heute sind andere Moden in und die Lenker und Denker des Kapitalismus plappern anderes nach. Seit 1999 gab es eine Art Dauerkrise - damals erstmals mehr als 3 Millionen registrierte Arbeitslose. Ab letztem Jahr - 2004 also - spricht die Medienwelt von "Erholung" (trotz 3,5 Millionen Arbeitslosen) denn vor allem die sogenannte IT-Krise war in Japan keineswegs eine, die vor allem Netzgestalter oder so betroffen hätte, sondern eben die Industrie.

Wie die Arbeiter in Japan leben und arbeiten kann (auf englisch) in der Studie "The Labor Situation in Japan and Analysis 2004/2005" externer Link (auf dieser Seite folgen 9 Kapital als pdf-Dateien) des "Japan Institute for Labor Policy and Training" soweit nachvollzogen werden, wie es über den Weg einer akademischen studie überhaupt geht.

Neben der Erwerbslosigkeit hat sich vor allem die Art der Beschäftigung in einer für Japan ungewohnten Weise verändert: jetzt haben auch Grossunternehmen Beschäftigte, die nicht lebenslang da arbeiten, sondern mit Zeitverträgen oder auch Teilzeit zum Beispiel. Noch eine Studie des genannten Instituts dazu : "Japanese Labor-management Relations in an Era of Diversification of Employment Types: Diversifying Workers and the Role of Labor Unions" externer Link pdf-datei .

Die Gewerkschaften sind zur Jahrtausendwende auf einen Organisationsgrad unter 20 Prozent gefallen, nachdem sie lange etwa 30 Prozent hatten und nach dem zweiten Weltkrieg ihren Höhepunkt mit über 50 Prozent der Arbeitenden organisiert. Die Mehrzahl der japanischen (Betriebs-)Gewerkschaften weigert sich bis heute Migranten zu organisieren - wovon es auch rund 2 Millionen gibt, davon 1,4 Millionen Asiaten und 0,3 Millionen Südamerikaner. Die einzige Gewerkschaft, die sich um Zeitarbeiter usw kümmert ist die UI Zen (eine Fusion, unter anderem für den Handel zuständig, die ca 20 Prozent Zeitarbeiterinnen als Mitglieder hat).

Dass prekäre Arbeitsverhältnisse eben auch in den zentralen Branchen der japanischen Wirtschaft, die so etwas nie kannten, ausbreiten zeigt ein Zeitungsartikel am Beispiel Sony. "Japanese see contract workers on rise, regular employees decreasing" externer Link heisst der Artikel von Y. Konno in der (englischen) "Japan Times" vom 2.August 2004. Darin wird berichtet, dass Sonywerke bis zu 70 Prozent nichtständige Beschäftigte haben. Voraussetzung dafür waren beständige - meist wohl ohne grössere politische Auseinandersetzungen "durchgezogene" Änderungen eines Gesetzes, das die Leiharbeit regelt. Noch vor 20 Jahren durfte es Leiharbeit nur in 13 Berufen geben - hochqualifizierte meist, vor allem damals Programmierer - dann wurde dies in den 90ern auf 26 ausgedehnt und dann vor einigen Jahren völlig umgewandelt - jetzt gibt es nur noch eine "Negativliste".

Da die drei grossen Gewerkschaftsföderationen sich als entweder unfähig oder gar politisch unwillig gezeigt haben, prekär Beschäftigte und Migranten zu organisieren, sind in den letzten Jahren verschiedene, zunächst kleinere, inzwischen aber als einzige anwachsende Gewerkschaften oder gewerkschaftsähnliche Organisationen entstanden. Einen Hinweis darauf gibt der redaktionelle Artikel "Temp union fights illegal interviews" externer Link in der "Asahi Shimbun" vom 16.März 2005.

Schliesslich: Ebenfalls ein Indiz für die Veränderungen der japanischen Arbeitswelt ist die Meldung "The last coal miners union disbands" externer Link in "Asahi Shimbun" vom 12.April 2005 (also heute) über die Auflösung der letzten Kohlezechen-Bergarbeitergewerkschaft Japans Miike Labor Union - die zu Beginn der 60er Jahre einen historischen Kampf mit allen ihren damals rund 25.000 Mitgliedern führte - die Zeche wurde 1997 geschlossen.

So, ich hoffe, das gibt eine Art Einstieg und versichere gerne, dass ich noch weiter dies oder das über Japan "anliefern" werde, glätte mein Deutsch ein bisschen und bis bald,

Paulinho


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