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Updated: 18.12.2012 15:51
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Zehn Fragen und Antworten, mit Dahr Jamail

Dahr Jamail ist ursprünglich aus Anchorage, Alaska. Er war unzufrieden mit dem allgemeinen Versagen der US-Medien, wahrheitsgetreu über die Realitäten des Kriegs im Irak für das irakische Volk und die US-Soldaten zu berichten, also ist er in den Irak gefahren, um selbst über den Krieg zu berichten.

Jamails Berichte wurden schnell als eine wichtige Medienressource erkannt, und er schreibt nun für den Inter Press Service, die Asia Times und viele andere Herausgeber. Seine Reportagen sind in The Nation , The Sunday Herald , Islam Online und dem Guardian veröffentlicht worden, um nur einige zu nennen. Seine Reportagen und faktharten Nachrichtenartikel sind ins Französische, Polnische, Deutsche, Niederländische, Spanische, Japanische, Portugiesische, Chinesische, Arabische und Türkische übersetzt worden. Im Radio ist er ein Spezialkorrespondent für Flashpoints und berichtet für den BBC, Democracy Now! und viele andere Stationen auf der ganzen Welt.

Jamail hat insgesamt acht Monate als einer von nur wenigen unabhängigen US- Journalisten im besetzten Irak verbracht. Dahr nutzt die Website www.DahrJamailIraq.com externer Link und seine bekannte E-Mail Liste www.dahrjamailiraq.com/email_list/index.php externer Link, um seine Berichte zu verbreiten.

Dieses Interview wurde am 4. November mit Don Nash geführt.

F.: Wie sieht der Irak nun tatsächlich zweieinhalb Jahre nach der US- Invasion aus?

Der größte Teil des Iraks ist ein Desaster und befindet sich in einem Stadium kompletten Chaos. Die Sicherheitssituation könnte akkurat als brutal beschrieben werden. Es ist ein Guerrillakrieg, der schon vor über einem Jahr außer Kontrolle geraten ist. Angriffe auf US- Kräfte belaufen sich selbst jetzt noch auf über 70 pro Tag, und es wird erwartet, daß es in den kommenden Monaten noch mehr werden.

Der Mythos, daß das US- Militär die volle Kontrolle über auch nur einen Teil des Iraks hat, ist eben nur ein Mythos. Sogar die stark befestigte "Grüne Zone" wird regelmäßig beschossen. Wenn man den Bagdader Internationalen Flughafen an- oder von ihm abfliegen will, sollte man sich auf eine Spirallandung bzw. Aufstieg gefasst machen, und auch diese Situation hat jetzt schon über ein Jahr lang angedauert, weil das Militär unfähig ist, die Region um den Flughafen herum zu beschützen. Wie in Vietnam werden die Flugzeuge abgeschossen, wenn sie nicht diese Spiralmethode des Aufstiegs oder der Landung nützen.

Die Infrastruktur ist in Schutt und Asche. Für die meisten der westlichen Firmen, die Verträge mit Zusatzfinanzierung und ohne Ausschreibung zugeteilt bekamen, ist der Irak ein Märchenland - garantierte Gewinne ohne Überwachung. Firmen wie Bechtel sind für ihre ursprünglichen Verträge im Wert von $ 680 Millionen ausgezahlt worden und haben neue Verträge im Wert von über $ 3,8 Milliarden erhalten, trotz der Tatsache, daß sie viele ihrer Projekte im ursprünglichen Vertrag noch nicht einmal begonnen haben.

Währenddessen leiden die Iraker und sterben an Wasserparasiten; die Kinderfehlernährung ist schlimmer als zur Zeit der Sanktionen, und die Arbeitslosigkeit steht bei über 70%.

F.: Was denken die Iraker im Ganzen über die US-Besatzung?

Einer der jüngsten Meinungsumfragen zufolge, die von der britischen Armee in Auftrag gegeben wurde, wollen 82% der Iraker alle Besatzungstruppen aus ihrem Land weghaben; weniger als 1% denken, daß die Besatzungstruppen die Sicherheit erhöht haben, und 45% gaben offen zu, daß die Angriffe gegen die US- Kräfte gerechtfertigt sind. Dieses Bild ähnelt ganz dem, was ich während meiner 8 Monate im Irak auch gesehen habe, einmal abgesehen davon, daß ich einen noch größeren Prozentsatz (höher als 45%) angetroffen habe, der sich für den irakischen Widerstand aussprach.

F.: Kann man irgendwie herausbekommen, wie viele Iraker von den Vereinigten Staaten gefangengehalten werden?

Nein. Aber es gibt eine große Zahl von Verschwundenen im Irak (mehr als 100.000 zwei Irakis NGOs (Nicht-Regierungs-Organisationen) zufolge, und es wird gefürchtet, daß viele von diesen von den US gefangengehalten werden. Eine NGO, Ärzte für die Irakische Gesellschaft , schätzt, daß 60.000 Irakis in US Militärgefängnissen im Irak einsitzen.

F.: Was hat sich in Falludschah und Ramadi wirklich zugetragen?

Während der Besatzung Falludschahs im November 2004 wurden 60% der Stadt völlig zerstört. Dem Rest wurden mäßige bis schlimme Zerstörungen zugefügt. Iraki NGOs und Gesundheitspersonal in und um Falludschah schätzt, daß 4.000 Menschen getötet wurden, hauptsächlich Zivilisten. Bis zum heutigen Tage sind 50.000 Bewohner von Falludschah obdachlos geblieben.

Die US- Armee hat während der Besatzung so genannte Cluster (Streu-) Bomben benutzt, abgebaute Uranmunition und weißen Phosphor (eine neue Form von Napalm) und haben anscheinend auch Formen von chemischen Waffen verwendet.

Ich habe Falludschah als modernes Guernica beschrieben und ziehe vor, es ein Massaker statt eine Besetzung zu nennen. Falludschah ist das Modell der Außenpolitik der Bushadministration. Es hat so gut wie kein Wiederaufbau innerhalb der Stadt stattgefunden, wie von den Besatzungsbehörden versprochen worden war.

F.: Gibt es andere von den US-Truppen zerstörte Städte im Irak, von denen wir nichts gehört haben?

Viele in den Vereinigten Staaten haben vielleicht noch nicht gehört, daß Al-Qa'im, Kerabla, Najaf (und zwar seit der Muqtada al-Sadr- Intifadas), Haditha, Hit und Teile von Baquba, Bagdad, Ramadi und Samarra umfassende Zerstörungen durch US- Militäroperationen erlebt haben.

F.: Befindet sich der Irak schon im Bürgerkrieg?

Ja, staatlich gesponsertem Bürgerkrieg. Die US- gestützte irakische Marionettenregierung nutzt die Badr- Armee (Schia) und die kurdischen Peschmergamilizen, um gegen einen hauptsächlich sunnitischen Widerstand vorzugehen. Die meisten einfachen Irakis hassen die Idee des Bürgerkrieges, aber haben Angst, daß es wirklich so weit kommt, da die US- Besatzer die von ihnen unterstützte Taktik des "Teile und Herrsche" im besetzten Irak immer weiter vorantreiben.

F.: Was denkt das irakische Volk über das amerikanische Volk?

Glücklicherweise sind alle schnell in der Lage, zwischen der US-Regierung und dem amerikanischen Volk zu differenzieren. Aber leider wird dieser Unterschied in Orten wie Falludschah, Haditha und Al-Qa'im, wo die US- Operationen so viel Tod und Zerstörungen verursacht haben, immer verschwommener und geht verloren?

F.: Ist Abu Musab al-Zarqawi noch am Leben?

Ich persönlich glaube nicht, daß er noch am Leben ist. Ich habe das gründlich recherchiert als ich zuletzt in Jordanien war, indem ich u.a. die Stadt besucht habe, aus der er stammt (al-Zarqa), und nachdem ich viele seiner Nachbarn und alten Freunde interviewt habe, scheint der Konsensus sich herauszustellen, daß er wahrscheinlich in Tora Bora (Afghanistan) getötet wurde - während der US- Bombenflüge, die den Ereignissen des 11.9. folgten.

Jede Behauptung, er sei der Anführer des irakischen Widerstands oder führte eine Terrorgruppe im Irak an ist, glaube ich, Propaganda der US-Regierung.

F.: Hat das irakische Volk irgendeine Hoffnung für die Zukunft?

Nicht viel, dieser Tage. Die meisten, die es sich leisten können, verlassen den Irak. Die, die wenig andere Wahl haben, als im Irak zu bleiben, müssen sich auf andauernde und sich steigernde Gewalt gefasst machen, keine Rede von Wiederaufbau, einen fundamentalistischen Staat und eine unendlich andauernde US- Besatzung, die schon gescheitert war, bevor sie erst begonnen hatte.

F.: Könnten die Amerikaner dem irakischen Volk verpflichtet sein? Und was könnten sie tun?

Die Amerikaner sind dem irakischen Volk absolut zur Hilfe verpflichtet, da es schließlich die Schuld des amerikanischen Volkes war, dass die Bush-Kabale die Möglichkeit hat, in den Irak einzufallen. Jeder US- Bürger/jede US-Bürgerin, die nicht das Menschenmögliche, deren er/sie fähig ist tut, um diese illegale und unmoralische Besatzung so schnell wie möglich zu enden, macht sich zum Komplizen der Kriegsverbrechen, die täglich im Irak begangen werden.

Danke, Dahr Jamail

Übersezt von Carla Krüger, 7. November 2005


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