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Updated: 18.12.2012 15:51
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Millionen Briten vor dem Ausstand

Harte Geschütze wurden im Vorfeld des Streiks im Öffentlichen Dienst Englands aufgefahren: »unverantwortlich, links und schwach« sei Oppositions-Chef Ed Miliband, so der englische Premierminister David Cameron. Und das nur, weil dieser den Streik am 30. November nicht verurteilt hatte und Cameron selbst offenbar befürchtete, sein Projekt einer Anpassung der Pensionen der Staatsbediensteten an das Armutsniveau der Renten in der Privatwirtschaft nicht durchsetzen zu können. Nun versucht er, den nach Gewerkschaftsangaben mit ca. zwei Millionen TeilnehmerInnen »größten Arbeitskampf seit dem Streik 1979« (Tagespiegel, 30.11.2011) kleinzureden. In der Tat war die Beteiligung im Vorfeld höher eingeschätzt worden, doch die Regierung sah sich immerhin genötigt, Soldaten als Streikbrecher einzusetzen, z.B. an Schulen. Der Beitrag von Kim Moody* erläutert, um was es geht:

Eine Masse von 2,5 Millionen Beschäftigten des öffentlichen Sektors werden am 30. November in ganz Großbritannien streiken. Über zwanzig Gewerkschaften haben sich dafür entschieden, sich dem massiven Streik anzuschließen – von landesweiten Giganten wie Unison und UNITE bis hin zu winzigen regionalen Gewerkschaften in Nordirland, Wales und Schottland.
Selbst die Schulleiter haben mit überwältigender Mehrheit beschlossen, zum ersten Mal in ihrer Geschichte zu streiken. Die eintägige Aktion schließt an einen Streik von 600 000 Mitgliedern vierer Gewerkschaften des öffentlichen Sektors am 30. Juni an.

Es geht um den Plan der Regierung, die Pensionskosten für Beschäftigte des öffentlichen Sektors um 1,8 Milliarden Pfund (2,2 Mrd. Euro) im Jahr zu reduzieren, obwohl die Gewerkschaften bereits 2007 »Reformen« akzeptiert hatten, die der Regierung jedes Jahr Einsparungen von 14 Prozent ermöglichten. Der Plan wird dazu führen, dass Beschäftigte des öffentlichen Sektors länger arbeiten und höhere Beiträge leisten müssen, aber weniger herausbekommen.
Die Regierung behauptet, sie sei bereit, über Details weiter zu verhandeln, bevor der endgültige Gesetzesentwurf dem Parlament vorgelegt wird. Der Streik wird sich auf Dienste der Landesregierung und der Kommunen, aller Bildungsebenen einschließlich Universitäten sowie des staatlichen Gesundheitssystems (National Health Service) auswirken.

Mehr zahlen, weniger bekommen

Wenn der Entwurf durchgeht, erhöhen sich die Pensionsbeiträge der aktiven Beschäftigten im Schnitt um 77 Euro im Monat – zusätzlich zum Einfrieren der Löhne des öffentlichen Sektors seit 2009, was inzwischen zu einer Kaufkrafteinbuße von 11,6 Prozent geführt hat.
Leistungen sollen gekürzt werden, indem sie nicht mehr auf der Basis der Einkünfte des letzten Berufsjahres, sondern auf der Basis eines Mittelwerts des gesamten Berufslebens errechnet werden. Darüber hinaus soll die Inflation anders veranschlagt werden als bislang – eine Maßnahme, die auch für die Sozialversicherungen in den USA diskutiert wird. Eine der betroffenen Gewerkschaften schätzt, letzteres könne ihre Mitglieder im Laufe von zwanzig Jahren durchschnittlich 20 000 Euro kosten. Für die Financial Times entspricht dies »einer 3-prozentigen Anhebung der Einkommenssteuer«.

Aber selbst um diese niedrigere Pension zu bekommen, wird man länger arbeiten müssen. Beschäftigte der Kommunalverwaltungen, die jetzt über 45 Jahre alt sind, werden ihr Pensionsalter von 65 auf 66 Jahre steigen sehen. Wer unter 35 ist, bekommt seine Pension erst mit 68. Von Griechenland über Großbritannien bis zu den USA: Der Spar-Konsens ist derselbe.
Anfang November machte die Regierung einige kleine Zugeständnisse, um den Streik abzuwenden. So sollen Beschäftigte, die in den nächsten zehn Jahren aus dem Berufsleben ausscheiden, immer noch mit 65 in Pension gehen können. An den Grundlagen des Plans änderte sie jedoch nichts, und die Gewerkschaftsführungen kündigten an, an ihren Streikplänen festhalten zu wollen, so lange nicht viel größere Konzessionen folgten.

Nun stehen die Pensionen zwar im Zentrum dieses Streiks, aber die Ursachen für die Unzufriedenheit liegen tiefer. Neben fallenden Reallöhnen hat die Streichung von einer halben Million Arbeitsplätzen im öffentlichen Sektor, die bereits in vollem Gange ist, dazu geführt, dass sich Arbeitsbedingungen verschlechtert und die Arbeitslosigkeit verschärft haben. Letztere liegt aktuell bei acht Prozent. Öffentliche Dienste sind betroffen, vor allem in Form der Schließung von Not- und Krankenhausdiensten –, und ein Ende ist noch nicht abzusehen.
Eine kürzlich veröffentlichte Studie ergab, dass 64 Prozent der Beschäftigten im zentralen Staatsdienst und 54 Prozent der Beschäftigten in kommunalen Verwaltungen die Arbeit im Öffentlichen Dienst nicht empfehlen würden.

Den Plan ruinieren

1973 sangen The Strawbs in ihrem Hit »I’m Part of the Union« (Ich bin in der Gewerkschaft): »Ich kann den Plan der Regierung ruinieren«. Tatsächlich: 1973 und 1974 brachten massive Streiks die konservative Regierung ins Wanken, und mit der Regierung den verhassten Industrial Relations Act, der die traditionelle Immunität der Gewerkschaften und ihrer Streikaktivitäten gegen Schadenersatzklagen aufhob.

Zweifellos hoffen heute viele Beschäftigte und Gewerkschaften, dass ihnen dasselbe in Hinsicht auf den Pensionsplan gelingen wird. Es ist zwar unwahrscheinlich, dass ein eintägiger Streik diesen Wunsch bereits erfüllt. Dennoch könnte er vielleicht helfen, Widerstand in der gesamten Arbeiterbewegung auszulösen.

Zur Zeit gibt es neben einer anhängigen Klage der Civil Service Union keine offiziellen Pläne, wie es danach weitergehen soll. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass der Druck von unten weitere Aktionen durch einige Gewerkschaften nach sich ziehen wird.

Um die Unterstützung der Öffentlichkeit zu untergraben, hat die Regierung die Beschäftigten des Öffentlichen Sektors als gierig dargestellt. Aber selbst der Bericht der Hutton Commission, auf den sich der Plan der Regierung gründet, verneint die Ansicht, die Pensionen im öffentlichen Sektor seien »vergoldet«. Bei einem Mittelwert von 6 800 Euro pro Jahr liegt der Rentendurchschnitt für eine städtische Angestellte bei 3 150 Euro jährlich und damit deutlich unter der Armutsgrenze.
Die Prognosen des Hutton-Berichts zeigten auch, dass die Pensionszahlungen selbst bei gleichbleibenden Bedingungen im Laufe der nächsten fünf Jahrzehnte fallen würden.
Die Denunziation der »gierigen Beschäftigten« könnte nach hinten losgehen. Während die meisten Beschäftigten in den letzten Jahren mit ansehen mussten, wie ihre Einkommen mit Inflationsraten von vier bis fünf Prozent nicht mithalten konnten, freuten sich die Großverdiener in den Führungsetagen in diesem Jahr über einen Einkommenszuwachs von 43 Prozent auf 4,7 Mio. Euro.
Gewerkschaftsführer haben die Pensionspläne der Regierung »eine Steuer« genannt, »mit der die Beschäftigten des öffentlichen Sektors zur Kasse gebeten werden für das Schlamassel, das die Banken angerichtet haben«. Angesichts eines Kabinetts, in dem 18 Millionäre sitzen, könnte es sein, dass das Gerede von den gierigen Beschäftigten den Tag nicht überlebt, an dem 2,5 Mio. von ihnen auf die Straße gehen.

* Kim Moody, ehemaliger Mitarbeiter der Labor Notes, lehrt Industrielle Beziehungen an der Universität von Hertfordshire und war am 30. November am Ausstand beteiligt.

Übersetzung: Anne Scheidhauer

erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 12/11
express im Netz unter: www.express-afp.info externer Link, www.labournet.de/express


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