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Updated: 18.12.2012 16:07
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Frankreich: Erste Schwierigkeiten in Sicht? Sarkozy steckt erstmals zurück

Zum ersten Mal, seitdem die Dampfwalze der "Reformen" der Sarkozy-Ära im Juni dieses Jahres ins Rollen gekommen ist, scheint der neue französische Präsident zurückzustecken. Die in Orwellschem Neusprech als "soziale Mehrwertsteuer" (TVA sociale) bezeichneten Pläne, die Mehrwertsteuer in Frankreich von zur Zeit 19,6 % um bis zu 5 Prozentpunkte weiter zu erhöhen, scheinen vorläufig doch auf Eis gelegt zu werden. Zumindest für 2008 und eventuell auch 2009. Noch vergangene Woche waren in dieser Hinsicht gegenteilige Signale ausgesandt worden (vgl. http://www.labournet.de/internationales/fr/wahl07j.html). Am Montag verlautbarte, die Erhöhung der Konsumsteuern - und damit der sozial ungerechtesten Besteuerungsart von allen denkbaren - sei nur "eine Hypothese unter anderen".

Stabile soziale Basis - noch?

Bislang schwebt Nicolas Sarkozy auch knapp vier Monate nach seiner Wahl noch immer nahezu auf einer Wolke. Die innenpolitische bzw. "soziale Front" bleibt weitgehend ruhig, und die Zustimmungswerte bleiben erkennbar im positiven Bereich. Laut einer Umfrage, die am 27. August in diversen Medien publiziert wurde, liegt die globale Zustimmung zu Sarkozy derzeit bei 71 Prozent (positiver und eher positiver Meinungen). Sie erstreckt sich auch auf die meisten Themenfelder, so erntet seine Außenpolitik - die vor allem durch den Libyendeal (vgl. http://www.trend.infopartisan.net/trd7807/t417807.html externer Link; http://www.trend.infopartisan.net/trd7807/t577807.html externer Link) als Form skrupelloser Durchsetzung "nationaler" Interessen, und die Annäherung an die USA geprägt ist - demnach bisher ebenfalls 71 Prozent positive Zustimmungswerte. Nur bei einem Thema ist die Tendenz jedoch gegenläufig: Beim Stichwort "Kaufkraft" überwiegen plötzlich die negativen Meinungen (68 %) deutlich über die positiven (28 %).

Dies gemahnt den hyperaktiven Präsidenten denn doch zur Vorsicht, denn für den (potenziellen) Verfall seiner Popularitätswerte ist er höchst sensibel. Darüber hinaus ist aber auch der konservativ-liberale Regierungsblock nunmehr in der Frage der Erhöhung der Mehrwertsteuer sehr gespalten. Vergangene Woche hatte sich zunächst der aus einer christdemokratischen Tradition kommende UMP-Politiker Pierre Méhaignerie, früher Chef des finanzpolitischen Ausschusses der Nationalversammlung (und noch früher auch mal französischer Justizminister), als mahnende Stimme hervorgetan. In einem Gastbeitrag für die liberale Pariser Abendzeitung ,Le Monde' bezeichnete er die Erhöhung der Konsumbesteuerung als "schlechte Lösung". Auch der Berichterstatter der Nationalversammlung zu Haushaltsfragen, Gilles Carrez (UMP), distanzierte sich von den Plänen zur baldigen Einführung der so genannten "sozialen Mehrwertsteuer" von bis zu 25 Prozent: Die Idee sei zwar interessant, aber der Moment nicht geeignet.

Angst vor Abwürgen des Wachstums durch Drosseln des Binnenkonsums

An diesem Montag zitiert die linksliberale Tageszeitung ,Libération' nun auch Stimmen aus dem Wirtschafts- und Finanzministerium (kurz "Bercy" genannt), die den Augenblick für ungeeignet halten. Aufgrund der erwarteten Verlangsamung- beim Wirtschaftswachstum -- infolge der Bankenkrise vom August und der angekündigten Zinserhöhung in den Euroländern infolge der Zinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) -- könne eine Erhöhung der Konsumsteuern zum jetzigen Zeitpunkt fatale Folgen haben: "Sie (die erhöhte) Mehrwertsteuer scho ab 2008 einzuführen, wäre ziemlich ungünstig. Man sollte eine neue Besteuerung auf den Konsum nicht im Moment erheben, wo das Wachstum ins Stocken gerät."

Am Wochenende wurden daher erstmals die Stoppsignale aktiviert. Der Sekretär des Gewerkschaftsbunds der höheren und leitenden Angestellten (CFE-CGC), Bernard Craeynest, kam am Freitag Abend aus einer Unterredung mit Präsident Nicolas Sarkozy und konnte hinterher verkünden, der Präsident wolle dieses Dossiers "komplett überarbeiten". Er wolle auch "die Präsentation und die Wortwahl" ändern - dies betrifft zwar nur die Kommunikation und noch nicht den Inhalt, deutet aber darauf hin, dass Sarkozy die Kartoffel zu heiß werden beginnt.

Am Sonntag Abend wurde dann der Generalsekretär des Elysée-Palasts -- Claude Gueant -- vorgeschickt, um die Mine zu entschärfen. Er sprach nunmehr davon, es handele sich bei der Mehrwertsteuererhöhung nur "um eine Arbeitshypothese unter anderen". Guéant, der normalerweise eher im Hintergrund wirkt und Nicolas Sarkozy schon seit langen Jahren begleitet, ist in den letzten paar Wochen erstmals auch in der Öffentlichkeit zur Schlüsselfigur geworden. Als Generalsekretär des Präsidialamts war er im Juli zusmmen mit der Präsidentengattin Cécilia Sarkozy nach Libyen geschickt worden, um den Atom- und Rüstungsdeal mit Kaddafi einzufädeln - dem in der Öffentlichkeit die spektakulär inszenierte Freilassung der bulgarischen Krankenschwestern aus libyscher Haft erfolgte. Guéant war der richtige Mann dafür, denn e unterhielt (laut ,Libération' vom 24. August) schon seit dem Jahr 2005 enge persönliche Beziehungen zum libyschen Geheimstdienstschef Moussa Koussa. Als Ende Juli dann der Nuklerdeal mit Kaddafi kurzzeitig eine öffentliche Polemik aufflammen ließ, wurde der (frisch von den Verhandlungen in Tripolis zurückgekehrte) Guéant in den Abendnachrichten ausgequetscht. Dadurch geriet der Mann erstmals ins Rampenlicht der Öffentlichkeit.

Neues Thema für einen Pseudo-Streit

Unterdessen wird an anderer Stelle derzeit ein Konflikt an der Staatsspitze inszeniert, um eventuelle soziale Spannungen abzumildern. Wirtschaftsministerin Christine Lagarde (ehemalige Chefin einer riesigen Kanzlei für Wirtschaftsanwältin in Chicago, die seit 20 Jahren in Nordamerika lebte, eine perfekte Repräsentantin der globalisierten Elite) hatte am Sonntag von einem "Austeritätsplan" gesproche - der aber "im Wesentlichen für den öffentlichen Dienst" gedacht sei, wie sie vermeintlich beruhigend hinzufügte.

Im laufenden Jahr fallen 23.000 Stellen von Staatsbediensteten ersatzlos weg, darunter 11.200 im Schuldienst (sowie 6.000 Stellen im aufgeblähten Verwaltungsapparat des Verteidigungsministeriums). Dies sind jedoch weniger abgebaute Stellen, als es dem Wahlkampfversprechen von Nicolas Sarkozy entsprechen würde, der im Frühjahr "die Nichtersetzung jedes zweiten (altersbedingten) Abgangs im Staatsdient" angekündigt hatte. Im laufenden Jahr werden rund 70.000 Stellen von Staatsbediensteten durch Abgänge in die Rente frei. "Für 2008 halten wir uns nicht an die Vorgabe, aber im Jahr 2009 wird die Regel der Nichtersetzung jedes zweiten öffentlich Bediensteten gelten. Diesen Austeritätsplan werden wir auf uns selbst anwenden, also auf den Staat." So lauteten die Worte von Christine Lagarde am Sonntag auf dem Sender Europe 1.

Am Montag beeilte sich dann Elysée-Generalsekretär Daniel Guéant, aber auch Premierminister François Fillon, in der Öffentlichkeit nichts anbrenne zu lassen. "Austerität" ist ein böses Wort, das sie lieber nicht so laut widerhallen lassen möchten. Guéant, der einmal mehr in die Bresche sprang, erklärte auf RTL: "Es gibt noch andere Dinge zu tun. Man muss die Staatsbediensteten auf sozialer Ebene belohnen, auf der Ebene der Löhne und Gehälter. Ich würde eher von einem Plan der Aufwertung (ihres Berufs) sprechen", tönte er. In Wirklichkeit sprach er damit aber nur die andere Seite derselben Medaille an. Denn Nicolas Sarkozy hatte seine Ankündigung, jeden zweiten altersbedingten Abgang aus den öffentlichen Diensten nicht zu ersetzen, damit verbunden, dass er im Gegenzug eine Erhöhung der Gehälter der verbleibenden Staatsbediensteten in Aussicht stellte. Arbeitspsychologen hatten dies freilich als perverse Tour interpretiert, um durch die öffentlich Bediensteten - denen das Zuckerbrot vor die Nase gehalten werde - die Logik verinnerlichen zu lassen: "Jeder Zweite von uns war bisher für nichts angestellt und taugte nichts." Ob es sich nun um Lehrer/innen, Krankenschwestern oder Postbedienstete handele. (Bei den Polizisten geht die Tendenz ja eher in Richtung Ausbau des Apparats...)

Artikel von Bernard Schmid, Paris, vom 4.9.07


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