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Updated: 18.12.2012 15:51
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"Reformen" und Privatisierung auch im Vorwahlkampf

"Ein wichtiges Hindernis für die konservativ-liberale Regierung in Paris dürfte beseitigt sein: Die parlamentarische Opposition hat am Dienstag dieser Woche ihre « Blockadehaltung » aufgegeben. Damit ist der Weg dafür frei, die Debatte über die Privatisierung des französischen Energieversorgungsunternehmens GDF (Gaz de France) wahrscheinlich bis zum Donnerstag nächster Woche abzuschlieben. Am 3. Oktober soll ein « feierliches Votum » der französischen Nationalversammlung (des « Unterhauses » des Parlaments) über die GDF-Privatisierung folgen" - so beginnt der aktuelle Beitrag "‘Reformen’ über ‘Reformen’, auch in der Vorwahlperiode" vom 22. September 2006 von B. Schmid.

‘Reformen’ über ‘Reformen’, auch in der Vorwahlperiode

Die Regierung dürfte die GDF-Privatisierung bald hinter sich bringen. Die nächste « Rentenreform » dagegen steht noch bevor Ein wichtiges Hindernis für die konservativ-liberale Regierung in Paris dürfte beseitigt sein: Die parlamentarische Opposition hat am Dienstag dieser Woche ihre « Blockadehaltung » aufgegeben. Damit ist der Weg dafür frei, die Debatte über die Privatisierung des französischen Energieversorgungsunternehmens GDF (Gaz de France) wahrscheinlich bis zum Donnerstag nächster Woche abzuschlieben. Am 3. Oktober soll ein « feierliches Votum » der französischen Nationalversammlung (des « Unterhauses » des Parlaments) über die GDF-Privatisierung folgen.

Dies ergibt sich aus einem Abkommen, das Parlamentspräsident Jean-Louis Debré (Mitglied der 2002 von Chirac als bürgerliche Einheitspartei gegründeten UMP) mit den Fraktionsvorsitzenden der Sozialdemokratie und der KP, Jean-Marc Ayrault und Alain Bocquet, abschloss. Eine Minderheit innerhalb der sozialdemokratischen Parlamentsfraktion widersprach dem allerdings noch, insbesondere agierte der ehemalige Premier- und frühere Wirtschaftsminister Laurent Fabius dagegen, « bei einem so wichtigen Gesetz » einen Kompromiss mit der Regierung über Verfahrensfragen zu schlieben. Dieser Widerspruch ist allerdings auch rein taktisch motiviert: Am 16. November dieses Jahres bestimmt die französische Sozialdemokratie ihre(n) Präsidentschaftskandidaten/-kandidatin für die Wahl im kommenden April, und der genuine Wirtschaftsliberale Fabius versucht sich gegen die aussichtsreichste Bewerberin Ségolène Royal als Alternativkandidat « von links » zu profilieren. Das ist zwar angesichts von Fabius’ politischer Vergangenheit einigermaben lächerlich, aber so sieht seine Strategie aus, in Nachahmung jener seines groben historischen Vorbilds François Mitterrand (« Vor der Wahl muss man die Partei von links her erobern », und dann nach der Wahl, na ja..., das Resultat ist ja bekannt). «

Parlamentarische Guerilla » (doch doch, so was gibt’s)

Bis dahin hatten die sozialdemokratischen und parteikommunistischen Abgeordneten eine « Guerillataktik » verfolgt, die darin bestand, systematisch Tausende von Gegenanträgen zu jedem Punkt des Gesetzentwurfs über GDF einzubringen. Insgesamt waren rund 137.500 Gegenanträge präsentiert worden. Die KP-Fraktion hatte beispielsweise allein anderthalbtausend Gegenanträge zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzentwurfs gestellt: Im ersten stand, dass das Gesetz einen Monat später in Kraft treten solle, dem zweiten zufolge sollte es zwei Monate später in Kraft treten, dem dritten zufolge... usw. Als die Parlamentsdebatte vor 14 Tagen anfing, ergab sich somit für die Medien und die Beobachter das beindruckende Bild, dass eine Wand von weißen Zettel auf dem Tisch des Parlamentspräsidenten Jean-Louis Debré aufgebaut worden war: Es handelte sich um den Berg von Anträgen der Opposition, auf zwanzig Stapel verteilt. Debré hatte den Fotographen freilich absichtlich diese Vision präsentiert, um nämlich (so seine Absicht) der Öffentlichkeit vorzuführen, wie « verantwortunglos » die Parlamentsopposition sei.

Nachdem beide Seiten ihre Spezialeffekte eingestrichen haben (die Einen haben ihre « strikte Oppositionshaltung » unter Beweis gestellt, die Anderen die « Verantwortungslosigkeit » ihrer Opponenten demonstriert), hat sich die parlamentarische Taktik dann allerdings rasch erschöpft. Zum Einen mussten die Oppositionsabgeordneten ihre Anträge oftmals vor leeren Rängen vortragen und (mit sich selbst) « diskutieren », was auf die Dauer auch langweilig wird. Zum Anderen aber, und hier liegt die Crux der ganzen Sache, blieb die Mobilisierung auf der Straße gegen die Privatisierung von Gaz de France einfach stark hinter den Möglichkeiten und hinter manchen Erwartungen zurück.

Mobilisierung: zu gering, zu schwach

An der Pariser Demonstration der GDF-Beschäftigten vom Dienstag, 12. September beispielsweise nahmen laut Angaben der Polizei 2.300 Personen, laut den Veranstaltern 7.000 Personen teil (die Wirklichkeit liegt oftmals ungefähr in der Mitte zwischen den jeweiligen Zahlenangaben). In 13 Städten der französischen « Provinz » wie Bordeaux, Toulouse oder Lyon fanden Demonstrationen mit jeweils mehrere Hundert TeilnehmerInnen statt. Dies ist nicht unbedingt ein durchschlagender Stärkebeweis der Protestbewegung, obwohl eine Mehrheit der insgesamt circa 53.000 GDF-Beschäftigten (neben 116.500 beim gröberen Energieversorger Electricité de France, EDF) gegen die Privatisierung eintritt. Bei einem Referendum über die geplante Privatisierung unter den abhängig Beschäftigten, die durch die beiden Gewerkschaften CGT und FO kurz vor Eröffnung der Parlamentsdebatte durchgeführt worden war, hatten 60 % teilgenommen und 94 % der Abstimmenden mit NEIN votiert. Allerdings lag die Anzahl der an den Protesten Beteiligten doch höher als noch im Juni dieses Jahres, als die drohende Privatisierung manifest zu werden begann. Am Aktionstag vom 12. September nahmen laut Angaben der GDF-Direktion (abweichende Zahlen sind z. Zt. nicht bekannt) 24 % des Personals teil, gegenüber 19 % beim vorigen Aktionstag im Juni. Um die geplante Privatisierung zu verhindern, dürfte dies aber allemal nicht genügen.

Damit aber hing eine parlamentarische Opposition, mal unabhängig von der Frage ihrer Ernsthaftigkeit (d.h. der Frage danach, ob für die Sozialdemokraten nach einem eventuellen Wahlerfolg im Frühjahr 2007 noch gelten würde, was sie in der Opposition verfochten haben), von vornherein in der Luft: Sofern « drauben » nicht viel passiert, können die Parlamentarier mit ihren 137.500 Gegenanträgen lange herumhampeln, aber es wird eben auf die Dauer auch langweilig. « Der Rhythmus der Debatten hängt von dem ab, was im Lande passiert », so drückte der (orthodox-parteitreue) Vorsitzende der KP-Parlamentsfraktion Alain Bocquet die Gründe für das Nachlassen der « Abgeordnetenguerilla » aus (laut ‘Le Figaro’ vom Mittwoch).

Spaltungslinien innerhalb des Regierungsblocks

Als dritter Faktor dürfte auch eine Rolle spielen, dass die Parlamentsopposition es schlussendlich aus taktischen Gründen vorzog, die Spaltungslinien innerhalb der konservativ-liberalen Regierungspartei UMP hervortreten zu lassen. Hätte sie ihre Verzögerungstaktik weiterhin durchgezogen und die Abstimmung über die Privatisierung dadurch « verschleppt », dann hätte die Regierung unter Dominique de Villepin noch die Möglichkeit besessen, ihre stärkste Waffe zu ziehen: die Abstimmung gemäb Verfassungsartikel 49-3, kurz auch als «Le 49-3» bekannt. Diese Bestimmung der französischen Verfassung erlaubt es einer amtierenden Regierung, die Abstimmung über eine Sachfrage mit der Vertrauensfrage zu verknüpfen. In diesem Falle wird dann n u r über das Vertrauen oder Misstrauen zur Regierung abgestimmt, und die Sachdebatte wird abgewürgt, ohne dass ein Votum über ihren Anlass oder Inhalt stattfände. Erhält die Regierung das « Vertrauen » ihrer Parlamentsmehrheit ausgesprochen, dann gilt der vorgelegte Gesetzentwurf automatisch als angenommen. Dieses Verfahren erleichtert es einer autoritär veranlagten Regierung, ihre Anliegen durchzupeitschen, aber es ist oft mit hohen politischen Kosten verbunden. Denn auch in bürgerlichen Kreisen ist eine solche « Missachtung des Parlaments und demokratischer Mindeststandards an Auseinandersetzung » nicht sonderlich beliebt. Eine Regierung kann dadurch leicht in Verruf kommen, und genau dies ist der Regierung de Villepins im März/April dieses Jahres passiert, nachdem sie die Lockerung des Kündigungsschutzes (man erinnert sich: den « Contrat première embauche », CPE) genau auf diesem Wege durchzudrücken versuchte.

Dennoch hätte die Regierung, vor dem Hintergrund der berühmten 137.500 Gegenanträge, in diesem Falle möglicherweise ein wirksames Legitimationsinstrument gegenüber der bürgerlichen Öffentlichkeit besessen. Bislang hatte sie aber versprochen, diese stärkste « Waffe » aus dem Arsenal der Verfahrenstricks in der Debatte über die GDF-Privatisierung nicht zur Anwendung zu bringen. Wohl aus den Notwendigkeiten der Legitimation heraus. Es wäre allerdings auch unpopulär gewesen, laut einer Umfrage (in « Les Echos » vom 12. September) fänden nur 25 Prozent der Befragten einen solchen Rückgriff auf die Vertrauensfrage im Prinzip « gerechtfertigt » und 60 % « ungerechtfertigt ». Auch bei den Anhängern der bürgerlichen Rechten überwiegen die Gegner eines solchen Rückgriffs auf ein im Kern autoritäres Instrument (46 % unter ihnen fänden das Abwürgen der Sachdebatte durch die Anwendung des Verfassungsartikels « ungerechtfertigt », 42 % der befragten konservativen Wähler fänden es dagegen richtig).

Befürchtend, dass die Regierung es dennoch tun könne, hatten die Parlamentsfraktionen von Sozialdemokratie und KP jedoch kalkuliert, es sei besser, die inneren Bruchlinien des konservativen Regierungsblocks zum Schwingen zu bringen. Die Anhänger des Innenministers und angekündigten konservativen Präsidentschaftskandidaten Nicolas Sarkozy hatten sich im Frühsommer 2006 nicht so sehr begeistert von den Aussichten der GDF-Privatisierung gezeigt. Sie hatten sogar öffentlich Alternativoptionen ins Spiel gebracht, die (ähnlich wie die GDF-Privatisierung, die eine Fusion des Energieversorgers Gaz de France mit dem französisch-belgischen Mischkonzern Suez erlauben, und dadurch wiederum einen Einkauf des italienischen Unternehmens ENEL bei Suez verhindern soll) die Italiener aus dem Kapitel von Suez drauben halten würden, ohne den Mehrheitsanteil der öffentlichen Hand bei GDF aus der Hand zu geben. Im Hintergrund steht auch die Tatsache, dass der jetzige Innenminister Nicolas Sarkozy im Jahr 2004 (ungefähr 8 Monate lang) als Wirtschaftsminister amtierte – und damals das explizite Versprechen abgegeben hatte, den Staatsanteil bei GDF nicht unterhalb der 70 % zu drücken. Damals wurde gerade der Anteil der öffentlichen Hand von zuvor 100 % auf nunmehr 70 % gedrückt, und Sarkozy gab das feierliche Versprechen ab, nicht weiter hinunter zu gehen. Der jetzt diskutierte Gesetzentwurf aber senkt die Anteile der öffentlichen Hand an Gaz de France auf nur noch ein Drittel. Um nun nicht im kommenden Wahlkampf direkt an seinem gebrochenen Versprechen gepackt werden zu können, musste Sarkozy einige öffentliche Verrenkungen vorführen, um sein (sei es wirkliches oder auch geheucheltes) Nichteinverständnis demonstrativ vorzuführen.

Nunmehr wird der Block der Sarkozy-Anhänger aber dem Gesetzentwurf zustimmen, auf ausdrückliche Aufforderung von Nicolas Sarkozy hin.

Die nächste « Rentenreform » kommt bestimmt

Unterdessen hat das Sarkozy-Lager innerhalb des regierenden bürgerlich-konservativen schon das nächste Fass aufgemacht, im Sinne einer zu ergreifenden wirtschaftsliberalen Reform.

Manche Beobachter munkelten ja zunächst, die Sarkozy-Anhänger hätten es just zu diesem Zeitpunkt geöffnet, um den amtierenden Regierungschef de Villepin (der immer noch sein Rivale im Hinblick auf eine mögliche zweite Präsidentschaftskandidatur auf der bürgerlichen Rechten ist, zumal die Umfragewerte de Villepins sich seit dem Spätsommer um rund 10 Prozentpunkte verbessert haben) bei der GDF-Privatisierung in Schwierigkeiten zu bringen. Denn das angeschnittene Thema, eine zu vollziehende « Reform » der Sonder-Rentenkassen in den öffentlichen Diensten bzw. öffentlichen Versorgungsunternehmen, könnte sich mit dem Thema der Privatisierung von Gaz de France zu einer « explosiven Mischung » verbinden. Diese Befürchtung in solchen und ähnlichen Worten, mnache UMP-Abgeordnete wie der Vize-Parlamentspräsident Yves Bur anlässlich einer Sitzung des Fraktionsvorstands am 12. September. (Vgl. ‘Les Echos’ vom 13. September) Vor allem Villepin-Anhänger trugen es als kaum verhüllten Vorwurf vor. Die von ihnen zunächst befürchtete (soziale) « Explosion » ist nun aber bisher nicht eingetreten.

Der ehemalige Arbeits- und Sozialminister (2002 bis 04) François Fillon, der jetzt als Berater des Kandidaten Nicolas Sarkozy fungiert, hatte in einem Interview mit der besseren Boulevardzeitung ‘Le Parisien’ vom 12. September geäubert, die so genannten Sonderkassen bei den Renten müssten « bald nach Anfang der kommenden Legislaturperiode (die im Juni 2007 anfängt, Am. B.S.) reformiert » werden. Dieses Vorhaben werde auch im UMP-Programm für die (Präsidentschafts- und Parlaments-)Wahlen im kommenden Frühjahr drin stehen.

Im Hintergrund steht die Tatsache, dass bisher alle Regierungen in den letzten 15 Jahren daran gescheitert sind, diese « Sonderkassen » anzutasten. Der damalige konservative Premierminister Alain Juppé musste ein solches Vorhaben im Dezember 1995, nach einem vierwöchigen Streik in allen öffentlichen Diensten, zurückziehen. Anlässlich der allgemeinen « Rentenreform » vom Juli 2003 musste diese Frage, unter dem Druck der erheblichen sozialen Proteste (April bis Juni 2003), erneut ausgeklammert werden. Die « Sonderkassen », das sind die Rentenkassen der Beschäftigten in groben öffentlichen (Versorgungs-)Unternehmen wie La Poste, der Eisenbahngesellschaft SNCF, der Verkehrsbetriebe im Grobraum Paris (RATP), der Energieversorgungsunternehmen EDF und GDF. Deren Beschäftigte genieben einige besondere Rechtspositionen o. Vergünstigungen, die historisch erkämpft worden sind. In der Regel sind die Berechnungsmodalitäten (im Hinblick auf den letzten Lohn vor der Pensionierung usw.) günstiger als im allgemeinen System. In manchen Fällen sind zudem besondere Bestimmungen im Hinblick auf das Rentenalter vorgesehen. Dies gilt insbesondere für die Eisenbahner/innen, die mit 55 Jahren (das Zugführerpersonal mit 50) in Rente gehen dürfen. Das war historisch einmal dadurch begründet, dass die Arbeit auf den Dampflokomotiven körperliche Schwerstarbeit war. Es lässt sich allerdings im Prinzip nach wie vor damit rechtfertigen, dass die Arbeit des fahrenden Personals bei der Eisenbahn regelmäbigste Samstags-, Sonntags- und in den Urlaubsperioden (aufgrund der in Frankreich dann eingesetzten Sonderzüge) oft besonders intensive Arbeit beinhaltet. Zudem sind die Löhne in den öffentlichen Diensten in der Regel deutlich niedriger als die für Angestellte bezahlten Gehälter im Privatsektor.

Fast alle diese Sonderkassen sind inzwischen, als eigene Kassen, aufgelöst und in das allgemeine Rentenkassensystem integriert worden. Der Grund dafür ist, dass viele gröbere öffentliche Versorgungsunternehmen (wie EDF und GDF) inzwischen für Privatkapital als Teilhaber am Gesellschaftskapital « geöffnet » worden sind. In anderen Fällen konnte sich das Privatkapital nicht direkt in die Anteile einkaufen, aber die Unternehmen sind zunehmend in einem Umfeld privatwirtschaftlicher Konkurrenz aktiv wie die Bahn (bisher nur im Bereich des Gütertransports). Deshalb wurden die bisherigen eigenen Rentenkassen für die jeweiligen Beschäftigten zum « wirtschaftlichen Klotz am Bein » für diese Unternehmen erklärt. Darum wurden, bzw. werden sie zur Zeit noch im Falle der Post) in das allgemeine Rentensystem überführt.

Im allgemeinen Sektor gilt allerdings derzeit die Regel, die durch die Balladur-Reform von 1993 (damals nur für die Privatbeschäftigten, aufgrund der leichteren politischen Durchsetzbarkeit und auch mit der Absicht, einen Keil zwischen öffentlich Bedienstete und Privatbeschäftigte zu treiben) durchgesetzt worden ist, dass 40 Beitragsjahre einbezahlt haben muss, wer einen vollen Rentensatz beziehen möchte. Infolge der « Fillon-Reform » von 2003 wird diese Zahl der erforderlichen Beitragsjahr nunmehr im Laufe des kommenden Jahrzehnts schrittweise auf 42 Jahre angehoben werden.

Vor diesem Hintergrund entfaltet die bürgerliche Rechte einen immer stärkeren « Neiddiskurs », der mit dem Finger darauf hinweist, dass es da doch « ungerecht » sei, wenn die Angehörigen der bisherigen « Sonderkassen » nach wie vor n u r 37,5 volle Beitragsjahre einbezahlt haben müssen. (Diese 37,5 Beitragsjahre waren vor der konservativen « Reform » von 1993 die Regel für a l l e Beschäftigten im Lande. Historisch hatten die arbeits- und sozialrechtlichen Normen in den öffentlichen Diensten und Unternehmen einmal dazu gedient, schrittweise auch die Bedingungen für die Privatbeschäftigten « nach oben zu ziehen ». Jetzt wird genau die gegenteilige Bewegung unternommen: Der Hinweis darauf, dass man die Bedingungen für die Privatbeschäftigten bereits erfolgreich nach unten drücken konnte, wird dazu benutzt, um mit Fingern auf die « Privilegierten » und Faulen in den öffentlichen Diensten zu zeigen.) ‘Le Parisien’ hat, auf die Seite neben dem Interview mit François Fillon ihrer Ausgabe vom 12. September 06 gestellt, gleich passend dazu auch eine Leserumfrage parat. Die Mehrheit der Befragten – muss man dies noch extra betonen ? - äubert dabei, es sei unnormal und ungerecht, wenn die von den « Sonderkassen » Betroffenen früher in Rente gehen dürften... Die Zeitbombe, die durch die « Reform » von 1993 gelegt worden ist, beginnt also offenbar zu ticken.

Trotz allem finden viele Protagonisten der konservativ-liberalen Politik (oder demonstrieren es zumindest nach auben hin), es sei gewagt und riskant, dass François Fillon nunmehr eine solche Debatte in Vorwahlzeiten eröffne. Die Parteisprecherin der UMP, Valérie Pécresse, etwa erklärte (laut ‘La Tribune’ vom 13. September) die Äuberungen ihres Parteikollegen erst einmal zur « Privatmeinung ».

Allerdings hat Nicolas Sarkozy inzwischen persönlich nachgelegt, und öffentlich erklärt, es sei nicht « normal, dass die Einen 40 Beitragsjahre einzahlen und die anderen nur 37,5 Jahre bezahlen » (laut ‘Le Monde’ vom 16. September). Offenkundig hat man also nunmehr damit begonnen, zwei oder drei Testballons steigen zu lassen, um noch vor Beginn der « heiben Phase » des Wahlkampfs -– wo das Hereinplatzen einer Polemik schädlich sein könnte -- die Reaktionen auszutesten.

Die Gewerkschaften sind derzeit eher vorsichtig, da sie befürchten, aufgrund ihrer Präsentation als Verteidigten von « überkommenen Privilegien » in der öffentlichen Meinung potenziell einen schweren Stand zu haben. Der Chef der CGT-Eisenbahner, Didier Le Reste, erklärte zwar, es sei nicht einzusehen, warum man « 2006 hinnehmen solle, was man 2003 mit der Fillon-Reform oder 1995 mit der Juppé-Reform » (erfolgreich) bekämpft habe. Aber die Gewerkschaften in den öffentlichen Diensten planen bisher keine spezifische Protestbewegung zu dieser Frage, um nicht anhand der Ungleichheits-Debatte in die Defensive gedrängt werden zu können. Im Oktober war ohnehin ein Aktionstag (und wohl 24stündiger Streik) zu einem Bündel von Themen geplant, das u.a. die Liberalisierung des Gütertransports und den Erhalt von Arbeitsplätzen beinhaltet. Ein Treffen zwischen Gewerkschaften bei der SNCF hat dazu am 6. September stattgefunden. Nun könnte die Frage der Verteidigung der Rentensysteme auch darin aufgenommen werden.

Und die öffentliche Meinung ?

Laut einer ersten Umfrage, die in ‘Le Parisien’ (vom 15. September) publiziert wurde, stünden 59 % der Befragten einer « Reformierung » der Rentensysteme nach den bisherigen Sonderkassen positiv gegenüber. Das riecht nach einem eher ungünstigen Stand.

Hingegen ist die Privatisierung von GDF durchaus unpopulär. Laut einer Umfrage, die in der Wirtschaftszeitung ‘Les Echos’ vom 12. September erschien, sind nur 12 % der Befragten ohne weitere Zusätze « für eine Privatisierung ». Dagegen befürworten 43 % eine Teilprivatisierung dann, « wenn die öffentliche Hand die Mehrheitsanteile behält » (das entspricht dem derzeitigen Stand, wie er seit 2004 eingetreten ist -- während der öffentliche Anteil nunmehr aber auf ein Drittel gesenkt werden soll, nach dieser Variante war aber nicht spezifisch gefragt worden). 38 Prozent erklären sich demnach « gegen jede Privatisierung ».


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