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Updated: 18.12.2012 15:51
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Frankreich: Streikwoche bei Bahn, Post und anderswo

Aktualisierte Kurzfassung mit ersten Streikergebnissen

Getrennt marschieren, vereint schlagen? Alle wichtigen öffentlichen Dienste in Frankreich legen im Laufe dieser Woche die Arbeit nieder ­ freilich in getrennten Streikbewegungen: Der Dienstag ist dem Ausstand der Postbeschäftigten reserviert. Am Mittwoch legen die meisten Bahnbediensteten und, parallel zu ihnen, ein Teil der Mitarbeiter in den Energieversorgungsunternehmen EDF und GDF die Arbeit nieder. Und am Donnerstag sind die Lehrer, die Staatsdiener in Kommunalverwaltungen oder Ministerien sowie bestimmte Kategorien des Krankenhauspersonals mit dem Streiken an der Reihe.

Dass die Arbeitsniederlegungen nicht gleichzeitig, sondern über mehrere "Aktionstage" verteilt stattfinden ­ das war der Wille der Gewerkschaftsapparate. Dort will man erst die Stimmung und Mobilisierungsfähigkeit austesten, bevor man eventuell an größere Mobilisierungen denkt. Denn bis kurzem befanden Frankreichs soziale Bewegungen sich in einer Talsohle, die auf die schwere Niederlage der Streikenden gegen die "Reform" der Renten im Frühsommer 2003 ­ die Regierung hatte das Herannahen der Sommerferienzeit ausgenutzt, um ohne Zugeständnisse zu "reformieren" - folgte. Gleichzeitig aber will man in den Apparaten der Großorganisationen, etwa beim postkommunistischen Gewerkschaftsbund CGT oder der rechtssozialdemokratischen CFDT, auch keine Dynamik zustande kommen sehen, die den Gewerkschaften schnell aus dem Ruder laufen könnte. Das war im Mai und Juni 2003 vorübergehend der Fall gewesen, als die Gewerkschaftsführungen zeitweise die Kontrolle über eine radikalisierte Basis zu verliehen drohten.

   Sozialer Unmut und Konfliktpotenzial hat sich in den letzten Monaten wieder genug angestaut, dass sie sich in ­ teilweise gut befolgten ­ Streikbewegungen niederschlagen können. So geht es in den öffentlichen Diensten um die Entwicklung der Löhne: In den Jahren seit 1999 haben die Beschäftigten - nach übereinstimmenden Angaben aller größeren Gewerkschaften, die derzeit einen Ausgleich in entsprechender Höhe fordern - 5 Prozent an Kaufkraft verloren, unter anderem mit der Teuerung im Zuge der Euro-Einführung. Der konservative Minister für den öffentlichen Dienst, Renaud Dutreil, hat für das laufende Jahr eine Anhebung der Löhne und Gehälter um ein Prozent beschlossen, "eine Provokation für die Gewerkschaften", wie die Wirtschaftszeitung ’La Tribune´ urteilt.

Damoklesschwert über der Post

   Aber es geht daneben auch um die Verteidigung der öffentlichen Dienste und ihrer bisher noch geltenden Basisprinzipien, etwa der Sozialbindung und des gleichen Zugangs aller BürgerInnen, gegen die drohende Unterwerfung unter Marktkriterien und wirtschaftliche Rentabilitätsansprüche. Für die französische Post etwa sieht der "Gesetzentwurf zur Regulierung der Postdienste", der seit Dienstag dieser Woche in der Pariser Nationalversammlung beraten wird und am Donnerstag in erster Lesung angenommen werden soll, die teilweise Umwandlung in ein rentables Unternehmen vor. Die Postbank, die bisher allgemein als "Bank der Armen" gilt -da der öffentliche Dienstleister La Poste bisher keine "unrentablen" Kunden wie beispielsweise Sozialhilfeempfänger oder überschuldete Haushalte abweisen darf - soll dem Text zufolge zu einem autonomen Kreditinstitut werden, das nach eigenen Kriterien wirtschaften wird. Bis zu 50 Prozent der Anteile sollen an private Banken, im Gespräch ist derzeit konkret die Société Générale, veräußert werden können. Die bisherige Postbank würde demnach künftig ähnlich wie eine Privatbank funktionieren.

Der alte Traum der französischen Bürgerlichen, die bereits 1974 die Post privatisieren wollten, aber sich stets an massiven Widerständen die Zähne ausbissen, könnte also seiner teilweisen Verwirklichung näherrücken. Ferner soll voraussichtlich gut die Hälfte der derzeit 12.000 französischen Postbüros dichtmachen, was vor allem ländliche Zonen hart treffen könnte. Lediglich "Postkontakte" sollen dort obligatorisch aufrecht werden halten, aber das kann auch ein Briefmarkenverkauf beim Bäcker sein; wo aber soll man Pakete aufgeben oder Einschreiben abholen?

   Darüber hinaus richten die Proteste sich gegen drohende massive Arbeitsplatzverluste in den öffentlichen Dienste. Im laufenden Jahr sollen fast 7.200 Stellen abgebaut werden, davon die Hälfte bei der Bahngesellschaft SNCF ­ vor allem im defizitären Gütertransportsektor, obwohl dessen Entwicklung ökologisch dringend geboten schiene. Im Jahr 2003 waren es "erst" 1.000 abgebaute Stellen, im Vorjahr bereits um die 4.500. Die Streikenden verteidigen also auch den Zugang der NutzerInnen zu den öffentlichen Diensten.

Eine vorläufige, erste Ergebnisbilanz

Der Ausstand bei der Post war bestenfalls ein durchwachsener Erfolg. Die Direktion sprach von einem Misserfolg bei nur 13 Prozent Beteiligung, doch berücksichtigen ihre Zahlen nicht, dass der Streikaufruf sich ohnehin nur an die zwei Drittel der Postbeschäftigten richtete, die derzeit noch verbeamtet sind. Bereits ein Drittel ist nach privatrechtlichen Verträgen beschäftigt; für sie ist Streiken riskanter, und ihre Löhne werden ohnehin auf anderem Wege festgelegt.

Die aufrufenden (vier) Gewerkschaften dagegen sprachen von einer Streikbeteiligung zwischen 20 und 30 Prozent. Auch das ist kein durchschlagender, donnernder Erfolg. Wahrscheinlich glauben viele Postbeschäftigte derzeit kaum an die Erfolgsaussichten, nachdem sie im Frühsommer 2003 (während des Streiks gegen die Renten"reform") wochenlang v.a. durch den CGT-Apparat in Form auseinander gerissener, isoliert bleibender 24stündiger Streiks "unterhalten" wurden. Diese Form einzelner "Aktionstage", jedenfalls im damaligen Kontext (als vieles zum Generalstreik hin drängte) nur dazu, möglichst viele Energien zu "verheizen", ohne Wirkung zu entfalten, da sie die Drohung einer für die Regierung unkontrollierbaren Ausweitung ja gerade zurücknahm und in harmlose Bahnen kanalisierte. Zwar lägen die Dinge heute etwas anderes, da ein 24 stündiger Warnstreik im jetzigen Kontext eher ein Warnsignal mit Aussicht auf "mehr" darstellen würde. Doch müssen die Postmitarbeiter offenkundig erst davon überzeugt werden, dass das etwas bewegen könnte.

Bei der Eisenbahn dagegen entfaltete der Ausstand seit Dienstag abend 20 Uhr recht erhebliche Wirkung. Nur jeder vierte Fernzug und jeder dritte TGV-Hochgeschwindigkeitszug verkehrte am Mittwoch.

Reaktionen der öffentlichen Meinung

Die öffentliche Meinung folgte den Arbeitsausfällen in den öffentlichen Diensten überwiegend mit Sympathie. Laut einer Umfrage, die am Montag durch die Boulevardzeitung ’Le Parisien´ veröffentlicht wurde, stehen 65 Prozent den Streikenden mit "Unterstützung" oder "Sympathie"  gegenüber. Dagegen zeigen sich 19 % "indifferent" und lediglich 15 Prozent "ablehnend" oder "feindlich".

In den Prioritäten des allgemeinen Publikums scheint die Verteidigung der Löhne und der Kaufkraft Vorrang zu genießen, denn 75 % während laut derselben Umfrage bereit, selbst für dieses Anliegen zu demonstrieren. Die Verteidigung der öffentlichen Dienste würde dagegen "nur" 59 % auf die Straße bringen und jene der 35-Stunden-Woche lediglich 47 Prozent.

Das hängt sicherlich eng damit zusammen, dass letztere (die in den Jahren 1998/2000 durch die Jospin-Regierung auf halb gesetzlichem und halb "sozialpartnerschaftlichem" Wege eingeführt worden ist) nicht allgemein und nicht unbedingt mit einem verteidigungswerten sozialen Fortschritt identifiziert war. Tatsächlich bildete die Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit auf durchschnittlich 35 Stunden (im Jahresmaßstab) faktisch vor allem das "Zuckerl", um gleichzeitig die bittere Pille der deutlichen Ausweitung flexibler und variabler Arbeitszeiten (nach den Bedürfnissen der Produktion bzw. Dienstleistung) besser verabreichen zu können. Was allerdings die derzeitige Regierung plant, und ihr Gesetzentwurf dazu ist seit vorigem Mittwoch (12. Januar) bereits im Parlament, ist die Rücknahme des Zuckerls bei gleichzeitiger weiterer Verabreichung der bitteren Pille... Hinzu kommt, dass aufgrund der starken Zersplitterung der arbeitszeitpolitischen Situation (die 35-Stunden-Reform der Regierung Jospin benötigte zu ihrer Umsetzung einzelbetriebliche Abkommen) die Lage je nach Branche und Betrieb sehr unterschiedlich ausfallen kann. Was hier als objektiver Fortschritt erlebt wurde, wegen der Verkürzung der Arbeitszeiten, bleibt dort eher als notdürftiges Mäntelchen für verschärfte Arbeitshetze und Ausdehnung des Zeitdiktats der Betriebe in Erinnerung.

Eine einheitliche Mobilisierung gegen diesen nächsten Angriff der Raffarin-Regierung, dessen Gesetzentwurf zum Thema im Februar in die Nationalversammlung kommt, wird deswegen möglicherweise schwierig und mühsam ausfallen. Dennoch ist am Samstag, 5. Februar (die Wahl des Wochentags soll die Teilnahme der Beschäftigten im Privatsektor erleichtern) ein gemeinsamer Demonstrationstag mehrerer Gewerkschaften zum Thema "Verteidigung der 35-Stunden-Woche" angesagt. Dazu rufen die CGT, die CFDT, FO und die christliche CFTC gemeinsam auf. Ihrer Demo werden sich voraussichtlich die linken SUD-Gewerkschaften und die UNSA, ein Zusammenschluss "unpolitisch"-reformistischer Gewerkschaften, anschließen. Die beiden Organisationen waren nicht zum gemeinsamen Treffen der "großen" Gewerkschaftsbünde am 10. Januar eingeladen worden, das den Demotermin Anfang Februar beschloss. Die, voraussichtlich mühselige, Verteidigung der (real existierenden) 35-Stunden-Woche schien den vier ursprünglichen AufruferInnen aber wohl nicht zugkräftig genug. Ihr Aufruftext umfasst nunmehr die Verteidigung der Löhne und Kaufkraft, neben der Kritik am Angriff auf die Arbeitszeitverkürzung.

Bernhard Schmid (Paris)


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