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Updated: 18.12.2012 16:07
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Stinkgas gegen Obdachlose zurückgezogen. Das Problem des Umgangs mit den Ausgegrenzten bleibt bestehen

Der Einsatz von Stinkgas gegen Obdachlose in der Pariser Vorstadt Argenteuil (nordwestlich der Hauptstadt) wird eingestellt. Die Maßnahme hatte zu Anfang dieser Woche eine heftige Polemik ausgelöst. (Vgl. den taz-Artikel im Labournet vom Montag externer Link) Am vergangenen Freitag hatte der Bürgermeister von Argenteuil, der UMP-Politiker und Abgeordnete der Nationalversammlung Georges Monthron, den Erwerb und Einsatz des übelriechenden Produkts "Malodor" in diesem Zusammenhang eingestanden. Der Name setzt sich aus ,mal', "schlecht" und ,odor' für odeur (Geruch) oder odorat (Geruchssinn) zusammen.

Am Montag wurde nun bekannt, dass das Rathaus auf den Einsatz der übelriechenden Substanz verzichte. Bürgermeister Mothron bestritt dabei aber, dass die Kommune "Hetzjagd auf Arme" betrieben hatte, und sah stattdessen eine "Bürgermeister-Hetzjagd" (gegen sich selbst) am Werk. (Laut Kurzmeldung in ,Libération' vom Dienstag.) Parallel dazu erfuhr man, dass die Firma Firchim, die das Produkt verkaufte, auf dessen Vertrieb bis auf Weiteres vorläufig verzichtet (so die Boulevardzeitung ,Le Parisien' am Dienstag auf S. 2). ,Le Parisien' zitiert den Direktor der Herstellerfirma, Pierre Pasturel, mit den Worten: "So lange wir noch nicht wissen, was in Argenteuil vorgefallen ist, werden wir aufhören, es (das Produkt) zu vertreiben." Er habe aber nicht die Absicht, es aus seinem Katalog heraus zu nehmen. Auch wolle er keine näheren Einzelheiten zu seiner chemischen Zusammensetzung und zu seinem Preis äußern, um den gespitzten Ohren der Konkurrenz keine Ideen einzuflüstern.

Mothron, der 2002 in die Nationalversammlung - das Unterhaus des französischen Parlaments - gewählt und im Juni 2007 wiedergewählt worden ist (vgl. hier sein Konterfei: http://www.assemblee-nationale.fr/13/tribun/fiches_id/2242.asp externer Link), zählt zu den Vorreitern bei städtischen Erlassen gegen "Bettelei" und im Stadtbild "störende Personen". Im Jahr 2002 hatte das von ihm geführte Rathaus einen kommunalen Erlass zum Bettelverbot herausgegeben, als eine der ersten Kommunen der Hauptstadtregion Ile-de-France. Vor zwei Jahren hatte es diese Anordnung erneuert, um "der Ausbreitung einer ansteckenden Hautkrankheit" (la gale, eine Art Krätze) sowie "die Geruchsbelästigung" durch die Anwesenheit von Obsachlosen einzudämmen. In diesem Jahr war das umstrittene Stinkprodukt in einem Einkaufszentrum in Argenteuil, ,Côté Seine', mindestens einmal "testweise" eingesetzt worden. Die städtischen Behörden berufen sich daraus, die Obdachlosen hätten durch ihre "ständige Anwesenheit" einen der Notausgänge des Einkaufszentrums versperrt (laut ,Le Monde' vom Montag Abend).

Die für Wohnungsbau und Trabantenstädte zuständige Ministerin der Pariser Regierung, die Rechtskatholikin Christine Boutin, hatte am Samstag erklärt, "solche Praktiken" stellten "eine absolut inakzeptable Verletzung der Würde der menschlichen Person" dar. Die frühere glücklose Präsidentschaftskandidatin (2 Prozent bei der Wahl im April 2002) Boutin ist in solchen Fragen sogar vergleichsweise sensibel, da ihr rechtskatholisches Profil eine knallharte Position in Fragen wie Abtreibung und Homosexualität mit einem strikten Beharren auf "Menschenwürde" auch etwa von Gefängnisinsassen oder Ausgegrenzten verbindet. Auch der Sprecher der "Sozialistischen" Partei für Gleichstellungsfragen, Faouzi Lamdaoui, hatte am Sonntag gegen den Erlass von Argenteuil Position bezogen und Präsident Sarkozy sowie Premierminister Françis Fillon aufgefordert, dieser "Hetzjagd auf Arme" ein Ende zu setzen. Hingegen verteidigte die rechtsextreme Wochenzeitung ,Minute', die zwischen dem konservativen Block und Jean-Marie Le Pen steht, die Praktiken von Argenteuil. Sie machte sich über die Einwände der Sozialdemokraten lustig: In einer Kariktatur zeichnet sie (vor dem Hintergrund des anhaltenden selbstzerfleischenden Streits unter den profilierungswütigen "sozialistischen" Parteigrößen) einige Spitzenpolitiker der Partei, die sich gegenseitig mit Hämmern unangespitzt in den Boden rammen. Dabei wiederholen die Beteiligten an der grotesken Szene in rythmischem Tonfall, der Erlass von Argenteuil sei "ein nicht hin-nehm-barer An-griff auf die Men-schen-würde". Die Szene ist jedoch so konstruiert, dass der Vorwurf aufgrund ihres eigenen Handels nur grotesk wirkt.

Das Problem des Umgangs mit den Ausgegrenzten ist dadurch, dass der Erlass von Argenteuil nunmehr vom Tisch ist, nicht vom Tisch. Sowohl die liberale Pariser Abendzeitung ,Le Monde' (in ihrer Ausgabe vom Montag Abend) als auch die Boulevardzeitung ,Le Parisien' (im Tagesthema ihrer Dienstagsausgabe) widmen sich dem Phänomen der zunehmenden Ausgrenzungstendenzen gegenüber "störenden Elementen im Stadtbild". ,Le Parisien' berichtet darüber unter der Titelschlagzeile auf der Seite 1: "Verbannt!", und stellt einen Zusammenhang zu den frankreichweit anstehenden Kommunalwahlen im März 2008 her: "Sechs Monate vor den Rathauswahlen wetteifern die kommunalen Mandatsträger darin, ,Ideen' zu finden, um die ,Ungestörtheit' der Anwohner zu sichern".

Sowohl ,Le Monde' als auch ,Le Parisien' erinnern dabei an Maßnahmen wie den Austausch der Sitzbänke in der Pariser Métro durch Einzelsitze in Form von Plastikschalen, in denen man nur sitzen, aber nicht liegen kann. (Die Obdachlosen rollen sich allerdings in ihnen zum Schlafen zusammen.) Beide Zeitungen erinnern an die kommunalen Erlasse zum Bettelverbot, die es in den letzten Jahren sowohl von konervativ als auch sozialdemokratisch geführten Rathäusern gibt: Beauvaus, Creil (nördlich von Paris) Epinay-sur-Seine (bei Paris), Lyon, Montpellier, Boulougne-sur-Mer (am Ärmelkanal), Bordeaux, Angoulême, Agen (Südwestfrankreich) oder eben Argenteuil. In Paris, so erfährt man weiter, kämen immer wieder auch die Zelte abhanden, die von der Organisation ,Ärzte der Welt' (Médecins du Monde) an Obdachlose ausgeteilt worden sind: Sie werden von Polizisten abgebaut, und die Obdachlosen an den geographischen Rand des Stadtgebiets abgedrängt. Beide Blätter erinnern daran, dass im Juli am innerstädtischen Kanal (Canal Saint-Martin) in Paris zwei Dutzend zeltende Obdachlose durch die Polizei "eingesammelt" und verhaftet bzw. vertrieben worden sin. Die Zeitungen schreiben aber nicht dazu, dass es sich in diesem Falle um afghanische (Bürger-)Kriegsflüchtlinge handelt, die an diesem Ort im Pariser 10. Bezirk ihren Sammelpunkt hatten.

Bis zur totalen Neufassung des französischen Strafgesetzbuchs (Code Pénal), die am 1. Januar 1994 in Kraft traten, bildeten "Vagabundentum" (vagabondage) sowie Bettelei zumindest theoretisch als Straftatbestände. Das durch die Politik forcierte Vorgehen gegen diese Phänomen hat allerdings erst nach diesem Zeitpunkt an Schwung zugenommen. Im Jahr 1996 vervielfachten sich erstmals die kommunalen Erlasse zum Bettel- und Aufenthaltsverbot, vorangetrieben vor allem von einigen südfranzösischen Städten während der Touristensaison. Nizza, das von einem rechten bis rechtsradikalen Bürgermeister (Jacques Peyrat, bis 1994 beim Front National, seit 1996 bei den Neogaullisten und jetzt bei der konservativen Sammlungspartei UMP) regiert wird, tat sich dabei besonders hervor : Dort wurden die Obdachlosen im Stadtgebiet durch Kommunalpolizisten aufgesammelt und zu einem "Unterbringungszentrum" 15 Kilomter außerhalb der Stadt, in den Meeralpen, verfrachtet. - Seit dem Inkrafttreten des neuen "Gesetzes zur Inneren Sicherheit" (LSI, welches das "Gesetz zur Sicherheit im Alltag" LSQ der sozialdemokratischen Vorgängerregierung vom Herbst 2001 fortschreibt und radikalisiert) unter dem damaligen Innenminister Nicolas Sarkozy 2003 bilden bestimmte Formen von Bettelei jedoch inzwischen wieder einen Straftatbestand. "Aggressives Betteln", in Gruppen oder begleitet von Hunden bzw. unter Einsatz von Kindern, können demnach strafrechtlich verfolgt werden. Dabei können bis zu 6 Monate Haft (bisher nur in der Theorie) drohen.

Bernard Schmid, Paris, 30.08.2007


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