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Updated: 18.12.2012 15:51
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Wer nicht existiert, streikt trotzdem

"Über 4.000 lohnabhängige Sans papiers (d.h. "illegalisierte" Einwanderer) waren am gestrigen Donnerstag im Raum Paris im Streik und besetzten rund 50 verschiedene Arbeitsstätten" - so beginnt der aktuelle Bericht von Bernard Schmid "Streik der Sans papiers weitet sich aus" vom 30. Oktober 2009.

Streik der Sans papiers weitet sich aus

Über 4.000 lohnabhängige Sans papiers (d.h. "illegalisierte" Einwanderer) waren am gestrigen Donnerstag im Raum Paris im Streik und besetzten rund 50 verschiedene Arbeitsstätten.

Zusätzlich wurden einige öffentliche Örtlichkeiten besetzt, wie etwa die Caféteria des Centre Georges Pompidou (alias Centre Beaubourg) in der französischen Hauptstadt. Dort halten sich seit einer Woche circa 40 Besetzer/innen auf; vier von ihnen arbeiten, als Sans papiers, ansonsten in dieser Caféteria. (Vgl. http://www.liberation.fr/societe/0101599950-le-georges-occupe-par-des-sans-papiers )

Andere öffentlich zugängliche Örtlichkeiten, die in diesem Zusammenhang besetzt worden waren, wurden unterdessen polizeilich geräumt. So beispielsweise das Finanzamt in Vitry-sur-Seine südlich von Paris, das in der zweiten Oktoberwoche zusammen mit Gewerkschafter/inne/n besetzt worden war.

Am Boulevard Magenta im nördlichen Pariser Zentrum sind eine Reihe von Agenturen großer Zeitarbeitsfirmen im Ausstand, da deren "travailleurs sans papiers" sich nun ebenfalls rühren und eine "Legalisierung" ihres Aufenthaltsstatus fordern. Die Zeitarbeiter/innen zählten bisher zu den Ausgeschlossenen von den "Legalisierungs"maßnahmen. In mehreren Fällen reagierten die Büros der Zeitarbeitsfirmen am Boulevard Magenta nun erstmals mit Aussperrung, und machten gleich (vorübergehend) gänzlich dicht. Die Ausgesperrten stehen - oder liegen, zum Teil schlafen - nun auf dem Trottoir, halten Flugblätter oder Unterschriftenlisten bereit, sammeln Geld und Unterstützungsunterschriften.

Zugleich hat der Ausstand der lohnabhängigen "Illegalen", die in aller Regel sozialversicherungspflichtig in Frankreich arbeiten sowie (Gipfel der staatlichen Heuchelei!) Steuern abführen und gleichzeitig offiziell nicht existieren, einen neuen Höhepunkt erreicht. Der neue, dritte Streik der "travailleurs sans papiers" in den letzten anderthalb Jahren hatte am 12. Oktober dieses Jahres mit rund 2.000 Teilnehmer/inne/n begonngen (vgl. http://www.labournet.de/internationales/fr/spstreik7.html )

Zum Vergleich: Der erste Streik der "travailleurs Sans papiers", der am 15. April 2008 begonnen hatte und damals etwa den Gaststättensektor in ziemlich helle Aufruhr versetzte, hatte anfänglich circa 600 Streikende mobilisiert. Die CGT kanalisierte damals in starkem Ausma den Streik. Neu ist, dass sie bei diesem Male sehr viel weniger sektiererisch vorging und andere Organisationen & Verbände, gewerkschaftlicher Natur (Solidaires, FSU) wie auch Menschenrechtsvereinigungen und NGOs, von vornherein in die Streikvorbereitung eingebunden hat.

Gleichzeitig herrscht in den Medien dieses Mal ein weitgehender "Black-out". Der damalige Streik im April/Mai 2008 hatte sehr breite Publizität in der Presse (insbesondere in Sarkozy-kritischen Zeitungen wie ,Libération' und ,Le Monde') erfahren. Heute hingegen spielt sich der Streik - vielleicht deswegen, weil das Thema nicht mehr so "neu" und dadurch prickelnd erscheint - weitgehend im Schatten der Medienberichterstattung ab. Im Unterschied zum Sans papiers-Streik von 2008 findet nun bei diesem Mal gleichzeitig eine wesentlich stärkere Repression (polizeiliche Räumungen, Aussperrung) statt.

Auf der Baustelle der künftigen Pariser Straßenbahn an der Porte des Lilas - am östlichen Ausgang der Hauptstadt - dauert unterdessen der Streik mit Besetzung der Örtlichkeiten (unterstützt durch CGT und Solidaires) ebenfalls fort. Das "sozialistisch" geführte Rathaus des 20. Pariser Bezirks und die dortigen Kommunalparlamentarier waren ebenfalls um Unterstützung gebeten worden. Sie reagierten jedoch, indem sie erklärten, "die Lohnabhängigen (hätten) das Streikrecht und die Sans Papiers das Recht, auf ihre Lage aufmerksam zu machen und eine Legalisierung ihres Status zu fordern - aber "als Gewählte des Bezirks haben wir gleichzeitig die Verantwortung, dass der Straßenbahnbau zügig vorankommt". Und mit dieser Begründung verweigerten die Damen und Herren den Streikenden die Zur-Verfügung-Stellung von Toiletten(wagen)... Am kommenden Dienstag (o3. November) soll nun eine Delegation der Streikenden und ihrer Unterstützer/innen beim Pariser Rathaus (als Bauherr des Vorhabens) vorsprechen.

Neuen Schwung in die Diskussion brachte unterdessen der Conseil d'Etat, also das oberste Verwaltungsgericht. Er annullierte zu Anfang dieser Woche das Ausführungsdekret vom Ministerium "für Einwanderung, Integration und nationale Identität" zum bislang letzten Einwanderungsgesetz vom 20. November 2007. Dessen Artikel 40 sieht die Möglichkeit vor, lohnabhängige "illegale Einwanderer" zu "legalisieren", wenn dies dem wirtschaftlichen Interesse des Unternehmens und Frankreichs schlechthin entspricht. Begleitet war dieses Ausführungsdekret von einer Liste von 30 "Mangelberufen", in denen in der Regel dem Gesuch auf "Legalisierung" von migrantischen Arbeitskräften stattzugeben sei. Diese 30 "Mangelberufe" sind in der Regel eher hoch qualifizierte Tätigkeiten (Informatiker/innen, Landvermesser, ...), da die Regierungspolitik in dieser Frage der Logik folgte, dass für "gering qualifizierte" Berufe eher ein "weißes Proletariat" aus osteuropäischen Ländern heranzuziehen sei. Außerhalb dieser 30 Berufsgruppen soll eine "Legalisierung" von Immigranten außereuropäischer Herkunft nur "ausnahmsweise" möglich sein; faktisch ist jedoch der größte Teil der "travailleurs sans papiers" in anderen als den 30 fraglichen Berufen beschäftigt.

Der Conseil d'Etat (das oberste französische Verwaltungsgericht) befand nun jedoch am Dienstag, die Bedingungen des Ausführungsdekrets seien zu eng gefasst. Und dieses könne die Legalisierungsmöglichkeit nicht von vornherein (in der Regel) auf 30 Berufsgruppen beschränken.

Ein neues Dekret befindet sich dem Vernehmen nach in Vorbereitung, und Verhandlungen mit der CGT darüber laufen (laut "gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen"). Dies könnte mit dafür sorgen, dass sich die Tür zu einer "Legalisierungs"möglichkeit für die Lohnabhängigen "ohne Papiere" noch mal einen Spaltbreit weit öffnet.

Artikel von Bernard Schmid, 30.10.2009


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