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Updated: 18.12.2012 15:51
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Spar, Nachbar, Spar !

Die Debatte um "Sparpolitik" tobt auch in Frankreich. Vordergründig unter etwas anderen Vorzeichen. Der Regierung wird, u.a. von Wirtschaftsliberalen, zu laxe Ausgabenpolitik vorgeworfen - zu Unrecht freilich.

Aus Sicht des Karikaturisten der liberalen Pariser Abendzeitung Le Monde , "Plantu", stellt sich die Situation wie folgt dar: "Auf Deutsch sagt man < Sparpaket >. Auf Englisch, < Austerity >. Auf Französisch heißt es ,Rigueur' , aber das sagt man nicht." Die Karikatur, in der Ausgabe vom 09. Juni, zeigt nacheinander: einen Deutschen mit Tirolerhut und Lederhose, der die leeren Taschen selbiger Hose nach außen stülpt; einen Briten mit Regenschirm, Melone und ebenso leeren Taschen; und schließlich einen Franzosen in Arbeiterkluft, der einen Einkaufswagen vor sich her schiebt. Der Wagen ist zwar leer von Waren, aber darin sitzen Präsident Nicolas Sarkozy und Premierminister François Fillon, mit Weingläsern in der Hand und Musiknoten um sich herum.

Die Karikatur ist Teil einer Kampagne, die der französischen Regierung ironisch vorwirft, die bösen Unwörter Austérité oder Rigueur nicht in den Mund zu nehmen. Am 08. Juni publizierte Le Monde dazu auf ihrer Webpage ein Schaubild, das Sparpläne in verschiedenen EU-Ländern (von Griechenland bis Großbritannien) auflistete - Frankreich erschien dabei als weißer Fleck auf der Landkarte. Doch in Wirklichkeit hat die konservativ-wirtschaftsliberale Regierung, der in anderthalb Jahren Neuwahlen sowohl zur Präsidentschaft als auch zum Parlament bevor stehen, sich lediglich darauf geeinigt, nicht explizit von Austeritätspolitik zu sprechen. Es wäre auch schwer, den Tonfall noch zu steigern, der bereits zwischendurch erreicht worden war, nachdem Premierminister Fillon schon 2007 - kurz nach seinem Amtsantritt, und noch deutlich bevor die Wirtschaftskrise Frankreich erreich hatte - in dramatischem Tonfall beschworen, der französische Staat stehe "vor dem Bankrott".

Anfang Mai kündigte die Regierung Fillons eine Ausgabensperre an, die ab 2011 parallel zur deutschen "Schuldenbremse" greifen soll. Demnächst soll ein dreijähriges Haushaltsgesetz verabschiedet werden, das für die Jahre 2011 bis 2013 ein Einfrieren der Staatsausgaben auf ihrem absoluten Niveau im Haushaltsjahr 2010 vorsieht. Ausgenommen bleiben sollen lediglich Rentenzahlungen (die im Prinzip beitragsfinanziert werden, aber der Staat füllt am Jahresende das Defizit der Rentenkasse auf und zahlt zudem für die pensionierten Staatsbediensteten als Ex-Arbeitgeber ein) - aufgrund einer starken Wählerbasis der Regierungspartei UMP bei den Rentnern - und der Schuldendienst für die Staatskredite. Alle anderen Ausgaben dürfen, trotz Inflation und sich ankündigender Mehrausgaben durch das "Ankommen" mehrerer Hunderttausender seit 2008/09 erwerbslos Gewordener in der Sozialhilfe, nicht wachsen. Dies bedeutet einen enormen Druck auf die Sozialhaushalte. Zwar könnte es 2012 zu einem Regierungswechsel kommen, aber die Sozialdemokraten müssten dann die politische Verantwortung dafür übernehmen, sollten sie zu dem Zeitpunkt eine explizite Abänderung des dreijährigen Haushaltsgesetzes für Rest-2012 und 2013 beabsichtigen. Ferner regte Präsident Sarkozy an, die französische Verfassung zu ändern, um - nach deutschem Vorbild - das Vorlegen defizitärer Haushaltsgesetze zu verbieten. Dieser Vorstoß rief jedoch heftige Kritik hervor.

Zur Einsparpolitik beitragen wird auch die Renten"reform", deren genauer Inhalt um den 15. Juni herum bekannt gegeben wird. Sie wird voraussichtlich die Anhebung der obligatorischen Beitragsjahre zur Rentenkasse von derzeit 40 (vor den Reformen von 1993 und 2003 waren es für alle Beschäftigten noch 37,5) und jene des Mindest-Eintrittsalters in die Rente von 60 auf wohl 63 beinhalten.

Auch ist die Nicht-Ersetzung jedes zweiten Staatsbediensteten, der o. die in Rente geht, und der daraus resultierende Stellen-Abbau beispielsweise im öffentlichen Bildungswesen - wo er an staatlichen Schulen besonders fatale Konsequenzen hat - ebenfalls fester Bestandteil staatlicher "Einspar"politik. Nur läuft auch diese Politik schon länger, und unabhängig vom derzeitigen "Krisen"diskurs, nämlich seit Präsident Sarkozys Amtsantritt im Jahr 2010. Sie widerspiegelt sich derzeit jährlich in 34.000 Stellenstreichungen in öffentlichen Diensten, plus 3.000 in Unternehmen mit Staatsaufträgen.

Dem früheren Berater des "sozialistischen" Präsidenten François Mitterrand, und jetzigen wirtschaftsliberalen Ideologen, Jacques Attali genügt dies alles noch nicht. Jacques Attali hatte vor nunmehr gut zwei Jahren Furore gemacht, als er - nach einigen Monaten Arbeit der nach ihm benannten Attila-, pardon, Attali-Kommision - zu Anfang 2008 einen Katalog von 316 Vorschlägen zum brachialen "Durchreformieren" Frankreichs vorlegte. (Vgl. dazu ausführlich Artikel 1 und Artikel 2, beide im LabourNet)

Am Dienstag dieser Woche (o8.o6.10) meldete Jacques Attali sich mit apokalyptischen Äu b erungen auf der politischen Bühne zurück und erregte sich künstlich darüber, dass die aktuelle Regierungspolitik nicht hinreichend auf eisernes Sparen setze. "Nicht ein Spar-, sondern ein Katastrophenplan" sei nunmehr erforderlich, ereiferte sich der gute Mann in einem Video-Interview auf der Webseite der konservativen Tageszeitung ,Le Figaro'. Frankreich müsse innerhalb von drei Jahren "100 Milliarden Euro finden", die "nicht vom Wirtschaftswachstum kommen" könnte, da selbiges zu langsam verlaufe. Und das Kapital für seine Krise zahlen zu lassen, kommt einem wie Attali natürlich ebenfalls nicht in den Sinn.

Aus demselben Anlass wurde bekannt, dass die "Attali-Kommission" Präsident Sarkozy einen "Vorab-Untersuchungsbericht" zu ihren Arbeitsthemen (Beschleunigung des Wirtschaftswachstums, Aufhebung von "Wachstumshemmnissen") überreicht habe. Im Juli dieses Jahres werden sie die definitive Fassung ihres Abschlussberichts vorlegen. Wie die Agentur Reuters zusammenfasst, wolle die Kommission demnach eine "Transformationsstrategie" predigen, die Frankreich rund um das Jahr 2020 jährliche Wachstumsraten in Höhe von 2,5 bis 3% (zurück) bescheren soll.

Bernard Schmid, 10.06.2010


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