Home > Internationales > Frankreich > Arbeitsbedingungen > sorbonne06
Updated: 18.12.2012 15:51
Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

Jetzt auch Widerstand an den Universitäten

Am Tage der Verabschiedung des "Gesetzes zur Chancengleichheit" (in dem unter anderem das CPE-Projekt enthalten ist) kam es an zahlreichen französischen universitäten zu Widerstands- und Protestaktionen, am heftigsten in Paris. Der aktuelle Bericht "Universitäten im Widerstand" von Bernhard Schmid vom 10. März 2006

Universitäten im Widerstand

Es war schon ein bedeutendes Symbol – auch wenn es nur ein Symbol blieb. Vorige Nacht in Paris kam es zum Einsatz von Knüppeln und Tränengas durch die Bereitschaftspolizei CRS in der Nähe der Sorbonne. Im Inneren der historisch ältesten Universität im Stadtkern von Paris waren mehrere hundert protestierende Studierende als Besetzer/innen versammelt. Daraufhin versuchten gegen 23 Uhr DemonstrantInnen, eine Barrikade an der Strabenkreuzung zwischen dem Boulevard Saint-Michel und der rue des Ecoles (wo einige Elitehochschulen liegen, darunter die Ecole Normale Supérieure) zu errichten. Im Laufe der Nacht zerstreuten sich die Protestierenden.

Tränengasgeruch und der (wie amateurhaft auch immer in Angriff genommene, aber das war ja «damals» auch nicht anders!) Versuch des Baus von Barrikaden mitten im Quartier Latin: Symbolhaft wurden damit Szenen aus «besten Zeiten» an den Originalschauplätzen des Pariser Mai 1968 wiederholt. Das Symbol endet hier, und man darf nicht an eine Wiederholung der Geschichte an denselben Schauplätzen in denselben Formen glauben. Im Frühjahr 1968 wehrten sich nicht nur die Studierenden gegen die Knüppelgarden der CRS im Quartier Latin, sondern es kam zu einer Verbindung zwischen dem revolutionär gestimmten Teil der Studierendenschaft und einer ganzen Bevölkerung aus «kleinen Leuten» im Quartier Latin. Nacht für nacht drängten Schaulustige aus halb Paris und dem Umland in den Stadtteil und blieben Stunden und Tage über dort. Wie vieles hat sich doch da heute geändert, zum Negativen: «Kleine Leute», die es sich heutzutage leisten können, im Quartier Latin (also einem derart zentralen Stadtviertel) zu wohnen, dürfte man nur schwer ausfindig machen können. Das beinahe mystisch gewordene Quartier «gehört», auberhalb der Vorlesungszeiten, gewöhnlich längst den sich schick und vielleicht auch noch subjektiv irrsinnig progressiv vorkommenden Bourgeois mit dem dicken Geldbeutel in der Tasche. Oder man kann sich als Tourist dorthin verirren und in völlig überteuerten Restaurants mit oft unfreundlichem Service (typischen «Touristenfallen» halt) sich das Geld aus der Tasche ziehen lassen, dabei glaubend, Paris gesehen zu haben.

Doch bleiben wir bei der realen Bewegung von heute, und nicht beim Verharren in Symbolen einer vermeintlichen Wiederkehr der Geschichte, die sich so (in identischen Formen und an identischen Schauplätzen) nicht wiederholen wird. Denn Bewegung, wirkliche soziale Bewegung gibt es in diesen Tagen genug.

Aktionen der Studierenden und Ausweitung des Ausstands an Hochschulen

Im Laufe des Mittwoch, an dem in der französischen Nationalversammlung das so genannte «Gesetz zur Chancengleichheit» mitsamt dem umstrittenen CPE-Projekt (Labournet berichtete) in definitiver Form verabschiedet wurde, blockierten zunächst protestierende Studierende und Oberschüler/innen über eine Stunde lang den Verkehr direkt vor der Nationalversammlung. Das hatte es in dieser Form auch ewig nicht gegeben : Mitten im Zentrum, vor dem Palais Bourbon (Sitz der Nationalversammlung), entlang des Seineufers und auf der Place de la Concorde, lag der Autoverkehr lahm. Daraufhin blieben den ganzen Tag über riesige Polizeikräfte in unmittelbarer Nähe stationiert.

Am Donnerstag nachmittag schafften es rund 1.000 Studierende, sich unangemeldet und ohne Genehmigung auf der so genannten Prachtmeile des bourgeoisen Paris, auf den Champs Elysées, zu einer Demonstration zu sammeln. Sie zogen die «schönste Avenue der Welt», und wohl vor allem die teuerste, ein Stück hinauf und sorgten kurzfristig für ein schönes Chaos auf dr Place de l’Etoile. (Das ist dort, wo der Arc de Triomphe steht.) Damit schaffte es die protestierende Jugend, ihr Aufbegehren tatsächlich räumlich äuberst dicht an die Zentren der Macht – der Elyséepalast und die Schlüsselministerien sind nicht weit entfernt – und des Geldes heranzutragen.

40 bis (laut Radio France Info in der Nacht:) 45 Universitäten sind mittlerweile vom Ausstand betroffen, unter ihnen werden 20 durch Streikende blockiert, die den Zugang zu Hörsälen und Hochschulgebäuden verhindern. Insgesamt gibt es rund 90 Universitäten in ganz Frankreich. Das Bildungsministerium räumte am Donnerstag abend ein, nach seiner Zählung seien derzeit 31 Hochschulen von der Streikbewegung betroffen.

Die Sorbonne entwickelte sich vorübergehend tatsächlich zu einer Zentrum des Protests. Schon in den Vortagen hatte es dort Ausstände gegeben, und an einer Aubenstelle der Sorbonne in der rue de Tolbiac im 13. Arrondissement (dort sitzen die Geisteswissenschaftler, und es herrscht ein sehr viel progressiveres Klima als am zentralen Sitz der Sorbonne, wo u.a. die Juristen studierne) wurden Räumlichkeiten besetzt. Zu Wochenanfang häuften sich die Anzeichen des Protests, und den gesamten Dienstlag über lieb das Rektorat die Sorbonne vorübergehend schlieben. Doch am Mittwoch morgen öffnete sie ihre Türen wieder.

Am Donnerstag abend dann stömten mehrere tausend Studierende auch von anderen Universitäten (Paris-1/Sorbonne, Paris-3/Censier, Paris-6 und Paris-7 = Jussieu, Paris-10 = Nanterre...) vor den Hörsaalgebäuden der Sorbonne zusammen. Schon am Mittag hatte dort eine Vollversammlung von immerhin 400 streikenden Studierenden der Sorbonne selbst an ihrem Hauptsitz stattgefunden. Das ist nicht ohne, wenn man die äuberst bourgeoise Atmosphäre an dieser und rund um diese «altehrwürdige» Universität berücksichtigt. Als sich gegen 21 Uhr die Menge rund um die Sorbonne zu verdichten begann, fing die Bereitschaftspolizei CRS ihrerseits an, Kräfte zusammenzuziehen und einige Tränengasgranaten zu werfen. Gegen 23 Uhr begann sie mit der gewaltsamen Räumung des Vorplatzes der Sorbonne. Die Besetzer/innen im Inneren schafften es nicht, die Türen nach drauben zu öffnen und die dort Versammelten so nach innen strömen zu lassen.

Am Freitag früh nun herrschten strenge Identitätskontrollen an den Einlässen zum Hauptgebäude zur Sorbonne, und ohne über einen gültigen Studentenausweis dieser Hochschule zu verfügen, kam dort niemand herein.

U.a. auf Indymedia zirkuliert nun ein Aufruf, der 5.000 Protestierende zu einer symbolischen Vollversammlung mitten in der Sorbonne mobilisieren will.

Die Gewerkschaftsverbände : Oh je! Oh je! Oh je!

Am Donnerstag abend hatten sich auch die Spitzenvertreter der groben Gewerkschaftsverbände am Sitz der rechtssozialdemokratischen CFDT (des zweitgröbten Gewerkschaftsbunds im Lande getroffen). Der Ort war nicht unbedingt das allerbeste Anzeichen. Denn im Gegensatz zum Mai 1968, während dessen die damals links-undomgatisch geprägte CFDT mit Abstand die der Bewegung gegenüber solidarischste Gewerkschaft war, ist heute ziemlich genau das Gegenteil der Fall.

Und was wurde nun dort beschlossen? In fast allen Köpfen war die Vorstellung eines Aktionstags mit Streiks, Arbeitsniederlegungen und Demonstrationen. Nach längerem Hin und Her setzte sich die CFDT mit ihrer Konzeption durch, die vorsieht, die abhängig Beschäftigten am Samstag, den 18. März zu mobilisieren. Dies bedeutet also: Nicht an einem Werktag, und damit ohne Streikaufruf. Vor allem bedeutet dies, dass die Gewerkschaften nicht für denselben Tag mobilisieren werden wie die Studierenden und Oberschüler/innen, die ihrerseits am 16. März zum nächsten landesweiten Aktionstag aufrufen. Der Generalsekretär der populistischen Gewerkschaftsorganisation Force Ouvrière (FO), Jean-Claude Mailly, etwa hatte während der Diskussion ein Mobilisierungsdatum unter der Woche gefordert, was eine Einigung mit den jungen Protestierern hätte ermöglichen können. Dass die CFDT sich letztlich durchsetzen konnte, ist da kein gutes Omen.

Die Regierungsposition

Premierminister Dominique de Villepin hält eisern an dem Vorhaben fest, das CPE-Projekt in Bälde in Kraft treten zu lassen. «Vor Ostern», also ab Mitte April, sollen die ersten «Contrats première embauche» unterzeichnet werden können.

Von einem Abrücken gegenüber dem Projekt möchte er nichts wissen, dagegen stellt er anderweitige Zugeständnisse in Aussicht, die die Situation nachträglich beruhigen sollen. Am Mittwoch sprach der Premierminister von der Einführung eines «Rechtsstatus der Studenten» in nächster Zukunft, der etwa Berufspraktika besser regulieren und die Vergabe von Stipendien übersichtlicher und einfacher gestalten soll. Sozialminister Jean-Louis Borloo deutete an, beim CPE selbst könne es am Rande «Überarbeitungen» gegeben. Diese würden aber demnach nicht die zentrale Bestimmung berühren, also die rechtliche Möglichkeit, einen (jungen) abhängig Beschäftigten während der ersten beiden Jahre des Arbeitsverhältnisses ohne Begründung zu entlassen. Borloo denkt hingegen laut über Qualifizierungsmabnahmen mit finanzieller Hilfe vom Staat nach – für die Rausgeflogenen.

Der ihm untergebene Staatssekretär für Arbeit und Soziales, Gérard Larcher, denkt daran, die rechtliche Möglichkeit zu schaffen, dass die Vertragsparteien (also dem Arbeitgeber und dem unter 26jährigen Beschäftigten) sich auf dem Wege individueller Absprache über eine Verkürzung der zweijährigen «Superprobezeit» einigen. Dass aber widerspiegelt nichts anders als eine extreme Individualisierung der Kündigungsschutzbestimmungen, auf dem Wege individueller Vertragsgestaltung. Von dem Gedanken an ein einheitliches, universelles Arbeitsrecht wäre dies weit entfernt.

B.Schmid, 10. März 2006


Home | Impressum | Über uns | Kontakt | Fördermitgliedschaft | Newsletter | Volltextsuche
Branchennachrichten | Diskussion | Internationales | Solidarität gefragt!
Termine und Veranstaltungen | Kriege | Galerie | Kooperationspartner
AK Internationalismus IG Metall Berlin | express | Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken
zum Seitenanfang