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Updated: 18.12.2012 16:07
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Zasterkrieg.

«Der Krieg der Bosse», Teil II

In Frankreich bekriegen sich der Metall-Arbeitgeberverband und das übrige Arbeitgeberlager in aller Öffentlichkeit. Dabei kommen einige pikante Enthüllungen ans Tageslicht: "Schwarze Kassen", Finanzierung rechtsradikaler Gruppierungen in den siebziger Jahren oder überhöhte Abfindungszahlungen an straffällig gewordene Arbeitgeber.

Jüngst berichteten wir in diesen Spalten bereits über den ,Krieg der Bosse', der seit einigen Wochen in Frankreich tobt und die Kapitalistenverbände spaltet, berichtet (vgl. http://www.labournet.de/nternationales/fr/schmidbosse.html).

Erst in der vergangenen Woche beruhigte sich der Konflikt allmählich, jedenfalls vorläufig, nachdem die UIMM sich bei einem Kongress (den "Etats généraux de la métallurgie") in Paris am vorigen Mittwoch zu "Reformen" an ihren Führungsstrukturen bereit erklärte und sich von schwer belastetem Personal trennte. Nun tut sich aber ein neues Konfliktfeld auf: Wohin mit dem Geld aus den mittlerweile berüchtigten "Schwarzen Kassen" der UIMM - die Rede ist von 600 Millionen Euro -, nachdem deren Existenz nun öffentlich ruchbar geworden ist? Die Präsidentin des zentralen Arbeitgeberverbands Medef ( Mouvement des entreprises de France ), Laurence Parisot, drängt ihre Kollegen vom Verband der Metallindustrie, diese Summen aus der Hand zu geben. Einen Vorschlag des Staatssekretärs für Armutsbekämpfung Martin Hirsch aufgreifend, schlug Madame Parisot vor, die Gelder aus den "Schwarzen Kassen" des Metall-Arbeitgeberverbands könnten für mildtätige, karitative Zwecke sinnvoll aufgewendet werden. Eine Provokation an die Adresse ihrer Arbeitgeberkollegen. Die UIMM war absolut nicht begeistert, machte aber gute Miene zum bösen Spiel und erklärte, man werde prüfen, "einen Teil dieser Mittel" im vorgeschlagenen Sinne auszugeben. Hinter den Kulissen dürften die Herren wohl eher schäumen.

Gelder für Rechtsradikale

Auf einem Nebenkriegsschauplatz, der sich gleichzeitig zu der aktuellen Auseinandersetzung im Arbeitgeberlager eröffnete, wurde in den letzten Wochen eine Reihe von Enthüllungen zum Finanzgebaren der UIMM getätigt. Wieder war es die konservative Tageszeitung ,Le Figaro', die am 4. März zuerst mit der Information herausrückte: In den siebziger Jahren habe der Metall-Arbeitgeberverband diverse, auch anrüchige Gruppierungen finanziell unterstützt - darunter auch offen rechtsradikale. Die rechtsextremen Schlägergruppen GUD (Groupe Union - Défense), Occident und Ordre Nouveau hätten im Jahr 1974 über den Metall-Arbeitgeberverband Gelder zugesteckt bekommen, um ihre Aktivisten dazu zu animieren, Wahlplakate für den damaligen konservativ-liberalen Präsidentschaftskandidaten Valéry Giscard d'Estaing zu kleben. Im Hintergrund steht die damalige Spaltung der bürgerlichen Rechten: Die Gaullisten oder Spätgaullisten unter Jacques Chaban-Delmas, die über eine starke und durchstrukturierte Partei verfügten, standen den Rechtsliberalen unter Giscard d'Estaing als Konkurrenten gegenüber. Giscard d'Estaing verfügte nur über mitgliederschwache Honoratiorenparteien, die ohne oder gar gegen die Gaullisten kaum zu einer breiteren Mobilisierung in der Lage waren. Also griff Giscard d'Estaing auf rechtsradikale Aktivisten als Ersatztruppen zurück.

Diese Information (die inzwischen von niemandem mehr ernsthaft dementiert wird) bestätigt zwar nur, was in groben Zügen spätestens seit dem Buch von Frédéric Charpier aus dem Jahr 2005 - "Génération Occident", das rechtsradikale Studentengruppen der sechziger und siebziger Jahre behandelt (vgl. www.alapage.com/-/Fiche/Livres/2020614138/generation-occident-frederic-charpier.htm externer Link) - öffentlich bekannt war. Aber noch nie waren die Vermutungen bezüglich einer möglichen Arbeitgeberfinanzierung solcher Gruppierungen gar so offen bestätigt worden. Und bisher hatte man auch keine direkte Verbindungslinie zum mächtigen Metall-Arbeitgeberverband UIMM gezogen, sondern eher kleinere Strukturen wie etwa die damalige arbeitgeberfinanzierte, antikommunistische Propagandazelle "Est-Ouest" am Werk gesehen.

Nur an einem Punkt dürften die veröffentlichten Informationen fehl gehen: Die rechtsradikale Prügeltruppe Occident kann die UIMM kaum im Jahre 1974 finanziell gefördert haben, denn diese Vereinigung wurde im Juni 1968 gesetzlich verboten. Ihre Nachfolgegruppe wurde Ordre Nouveau (Neue Ordnung), die laut Autor Frédéric Charpin vor allem in den frühen siebziger Jahren durch hochrangige Polizeifunktionäre und Geheimdienstler im Rahmen einer "Strategie der Spannung" indirekt unterstützt wurde. Im Unterschied zum späteren parteipolitisch strukturierten Rechtsradikalismus - besonders in Gestalt des Front National (FN) unter Jean-Marie Le Pen - verfügten diese vor allem von Jungmännern gebildeten Gruppierungen aber über keine festgefügte rassistische Ideologie, die etwa Anknüpfungspunkte zur Blut und Boden-Mythologie der Nazis besessen hätte. Vielmehr zeichneten diese, im Kontext der französischen Kolonialkriege entstandenen, Gruppen sich vor allem durch Gewalt und durch ein rudimentäres Denken - die Gegnerschaft zum "weltweiten Kommunismus" und zur Entkolonialisierung, und die Unterstützung pro-westlicher Militärregime - aus. Deshalb konnten einige ihrer führenden Mitglieder später auch zu Konservativen oder Liberalen werden, da keine strukturierte eigene Ideologie sie daran hinderte, in deren Lager "überzulaufen". Aus den Reihen von Occident und ihrer Nachfolgegruppen kommen etwa Alain Madelin, der in den achtziger und neunziger Jahren zeitweise als Wirtschaftsminister amtierte, oder der frühere Regionalpräsident von Lothringen, Gérard Longuet. Auch der Generalsekretär von Nicolas Sarkozys Regierungspartei UMP, Patrick Devedijan, kommt aus dieser Ecke. Dass diese Köpfe just 1974 - im Jahr des Präsidentschaftswahlkampfs Giscard d'Estaings - zur bürgerlichen Rechten stießen, war bislang schon bekannt. Dass ihr neue Aktivität als Parteimitglieder und Plakatekleber im Wahlkampf ihnen damals durch dicke Zahlungen aus Arbeitgeberkassen versüßt worden ist, galt schon seit langem als wahrscheinlich. Nun ist es aber sozusagen amtlich.

Hintergründe eines Finanzskandals

Durch die ganze Aufregung im Arbeitgeberlager ist für das Amüsement des Publikums gesorgt. Aber was steckt dahinter?

In Wirklichkeit widerspiegelt der scharf ausgetragene Konflikt auch einen ernsthaften Linienstreit innerhalb des Arbeitgeberlagers, der hinter den Kulissen ausgetragen wird. Dabei gibt es mehrere Bruchlinien, die unter dem stark vereinfachenden Widerspruch "Traditionalisten versus Modernisierer des französischen Patronats" zusammengefasst werden. Tatsächlich gibt es dabei in Teilen der UIMM einen Aspekt der "Traditionsverhaftetheit" - im Sinne des Verharrens in einer (Vorstellungs-)Welt des patriarchalisch, vom Boss persönlich oder seiner Familie, geleiteten Industriebetriebs, dort, wo die Wirtschaft mehrheitlich längst durch weitaus anonymere Kapitalstrukturen dominiert wird. Darüber hinaus treffen wir auf eine weitere Bruchlinie, die (grobschlächtig dargestellt) zwischen dem Industriekapital einerseits und dem Dienstleistungs-, Banken- und Versicherungskapital andererseits verläuft. Die seit Juli 2005 amtierende, neue Chefin des Arbeitgeberverbands MEDEF - Laurence Parisot - personifiziert in hohem Maße die letztgenannten Kapitalfraktionen: Sie leitet in eigener Person seit 1990 das Meinungsforschungsinstitut IFOP, an dem sie selbst 75 Prozent der Kapitalanteile hält (und damit einen wichtigen Dienstleistungsbetrieb, der darüber hinaus eine bedeutende Rolle als ideologischer Machtapparat spielt), und ist ferner seit 2006 Vorstandsmitglied der führenden französischen Geschäftsbank BNP-Paribas. Ihr Vorgänger hingegen, Ernest-Antoine Seillière, der im Juli 2005 auf den Chefsessel beim europäischen Arbeitgeberverband UNICE - inzwischen umbenannt in "BusinessEurope" - in Brüssel - wechselte, verkörperte noch überwiegend das Industriekapital: Er war der Haupterbe der französischen Stahlfabrikantenfamilie der Barone de Wendel (die in Wirklichkeit keine "echten" Barone sind, sondern dem "falschen" Adel angehören). Drittens aber dreht sich der Konflikt auch um eine Auseinandersetzung um den Stellenwert, den die Kapitalverbände den unterschiedlichen Gewerkschaften einräumen möchten.

All diese realen, strategischen oder historisch bedingten, Konflikte aber werden derzeit zusätzlich noch von einem offenen Machtkampf im Arbeitgeberblock überlagert. Die UIMM, mächtigster Einzelverband innerhalb der organisierten Arbeitgeberschaft - mit 45.000 Mitgliedsunternehmen, die insgesamt rund 1,8 Millionen abhängig Beschäftigte zählen - ist dennoch in jüngerer Zeit geschwächt worden. Etwa durch die Produktionsverlagerungen in "ihren" Industrien (etwa im Stahlsektor) ins Ausland, und insbesondere nach China. Bislang konzentrierte der Metall-Arbeitgeberverband eine innerhebliche Macht innerhalb der organisierten Kapitalstrukturen, und wies mit 200 hauptamtlichen Mitarbeitern eine höhere Zahl von eigenen Festangestellten auf als der branchenübergreifende Arbeitgeberverband Medef (mit 180 Hauptamtlichen). Zudem weist die UIMM, in deren Einflussbereich schon seit längerem nicht n u r - obwohl bisweilen "auch" - mit der Eisenstange "sozialer Dialog" betrieben wird, eine langjährige anerkannte Expertise im Bereich des Arbeitsrechts auf. Die renommierten "UIMM-Hefte zur Rechtsprechung" sind eine wichtige Quelle, um die Aktivität der Gerichte im Bereich des Arbeits- und Sozialrechts und die Ausarbeitung von Strategien der Arbeitgeberseite auf diesem Gebiet zu verfolgen.

Andere Fraktionen innerhalb des zentralen Arbeitgeberverbands Medef versuchen nun, diese langjährige Dominanz der Metallindustriellen in ihren Strukturen "endlich" abzuschütteln. Der aktuelle Finanzskandal rund um die UIMM kommt da just wie gerufen. Dabei schart Laurence Parisot all jene Unzufriedenen um sich, die gar zu gerne die Vorherrschaftsstukturen innerhalb des Arbeitgeberverbands ändern oder "umwälzen" möchten. Die Frontlinien verlaufen dabei teilweise quer zu den Branchenzugehörigkeiten und Wirtschaftssektoren: Eine der wichtigsten Unterstützerinnen Parisots ist aktuell Anne Lauvargeon, eine der führenden Unternehmerinnen im Lande und "Boss" des französischen Nuklearkonzerns AREVA, Kernstück der bislang noch mehrheitlich vom Staat geleiteten Atomindustrie - dessen Privatisierung in den kommenden Monaten eingeleitet werden könnte. Die Feminisierung der Direktionsposten dient den "Modernisierern" als Ausweis ihrer Strategie, auch gegenüber den "alten Männern" in der (alten) UIMM-Führung. "Sanfter" gehen diesen mächtigen Frauen freilich keineswegs an ihre Gegner und Konkurrenten heran.

Artikel von Bernard Schmid vom 27. März 2008


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