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Updated: 18.12.2012 15:51
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Schlappe Gewerkschaften

Die französischen Gewerkschaften wüssten, wie es auch anders ginge - wenn sie denn wollten. Vor nunmehr 15 Jahren beispielsweise verhinderten die Gewerkschaften im öffentlichen Dienst einen Angriff auf die Rentenregelungen der Eisenbahner, indem sie vier Wochen lang keinen einzigen Zug verkehren, keinen Bus fahren und keinen Brief austragen ließen. Der Streik im November und Dezember 1995 war ausgesprochen populär und wurde bis zum Schluss durch über 60 Prozent der Bevölkerung unterstützt. Denn viele wussten, dass es auch ihren "sozialen Errungenschaften", einer nach der anderen, an den Kragen gehen sollte.

Nichts dergleichen ist im Augenblick zu beobachten. Die zentrale Auseinandersetzung, die sich derzeit abzeichnet, ist jene um die drohende "Rentenreform", deren genauer Inhalt im Juni bekannt gegeben wird. Voraussichtlich wird die Zahl der obligatorischen Beitragsjahre zur Rentenkasse auf mindestens 42,5 angehoben. Sie lag vor einem guten Jahrzehnt noch bei 37,5, inzwischen ist sie - seit den letzten "Reformen" - bei 40 angekommen.

Aber die Gewerkschaften erweisen sich ausgesprochen zögerlich. Zunächst gingen sie am 23. März erstmals gegen die drohende neuerliche "Reform" auf die Straße, rund 600.000 Personen kamen. Das ist für französische Verhältnisse kein Bombenerfolg, aber ein beachtliches erstes Kräftemessen. Doch eine Woche später beschlossen die versammelten Gewerkschaftsführungen - nach einer ätzenden Polemik zwischen der rechtssozialdemokratisch geführten CFDT und den linken Basisgewerkschaften SUD-Solidaires -, erst am 1. Mai und im Rahmen der an dem Tag ohnehin üblichen Aufmärsche wieder zu protestieren.

Dies dürfte Präsident Nicolas Sarkozy kaum beeindruckt haben. Zumal der Mobilisierungserfolg kein bedeutender war. Je nach Angaben, jenen des Innenministeriums oder der Gewerkschaftsführungen, kamen zwischen knapp 200.000 und 350.000 Menschen zu den Maidemonstrationen - weniger, als gleichzeitig laut DGB-Angaben in Deutschland demonstrierten, wo es dem Gewerkschaftsbund zufolge 484.000 waren.

In Paris waren es rund 30.000. Das sind zwar doppelt so viele, wie üblicherweise in der französischen Hauptstadt zu einer Demonstration am 1. Mai kommen, wenn gerade nichts auf dem Spiel steht. Aber die Mobilisierung wurde an jener vom Vorjahr gemessen: Damals hatten die Gewerkschaftsverbände ihre Mobilisierung - gegen die Krisenpolitik Nicolas Sarkozys - ebenfalls mit den Maidemonstrationen zusammengelegt. Dazu kamen im vergangenen Jahr knapp eine Million Menschen, was schon einen Rückgang darstellte, denn im Januar und März 2009 waren es auch schon mal zwei Millionen gewesen.

Am Donnerstag dieser Woche nun wollen die Gewerkschaftsverbände über ihre nächsten Schritte beraten. Verbal läuft sich die CGT, der mitgliederstärkste Gewerkschaftsband in Frankreich - der früher parteikommunistisch beeinflusst war, und heute eher sozialdemokratisiert ist - zwar warm. Er warnte die Regierung am Sonntag, sie solle sie eher mäßige Mobilisierung am 1. Mai keinesfalls als "Entwarnung" werten - sie werde dafür sorgen, dass die Lohnabhängigen wachsam blieben und keine gravierenden Einschnitte hinnehmen müssten. Aber de facto lassen alle größeren Gewerkschaftsapparate die Mobilisierung derzeit ins Leere laufen.

Dies widerspiegelt auch die Tatsache, dass die regierende Rechte in den letzten Jahren intelligent genug war, die CGT - früher ein "rotes Tuch" in den Augen der französischen Konservativen - einzubinden. Die seit 2008 laufende Reform der "Tariffähigkeit" begünstigt die größten Dachverbände, also die CGT und die CFDT. Und sie wird dafür sorgen, dass kleinere, rechtere Verbände, "gelbe" und christliche Gewerkschaften in absehbarer Zeit verschwinden oder aber fusionieren müssen. Da möchte man lieber nicht in die Suppe spucken, meinen die zentralen Apparate der beiden Dachverbände. Im Gegenzug dazu geht aber auch die CGT überwiegend zu einer Gewerkschaftspolitik über, die sich vorrangig am Verhandlungstisch abspielt und nicht - wie früher - zuallererst ihre soziale "Gegenmacht" auf der Straße zeigen möchte, bevor sie sich eventuell auf Verhandlungen einlässt. Die deutschen Gewerkschaften, die früher nur für die deutlich rechts von ihr stehende CFDT-Spitze das "Modell" bildeten, erscheinen inzwischen auch der früher "roten" Konkurrenz zunehmend als Vorbild.

Doch an der Basis radikalisieren sich, auf örtlicher Ebene, die Proteste zunehmend - mit der Gefahr eines Auseinanderdriftens zwischen beiden Ebenen, die sich immer weiter auseinander entwickeln könnten.

Es brodelt in vielen französischen Betrieben. Die liberale Pariser Abendzeitung Le Monde stellte am 16. April anhand eines längeren Berichts fest; "Der soziale Unmut in Frankreich wächst unmerklich, aber sicher an". Und listete, um dies zu untermauern, nicht nur aktuelle Abwehrkämpfe gegen drohende Massenentlassungen auf, sondern auch eine Reihe sich zuspitzender betrieblicher Lohnkämpfe: Angesichts der Krise seien im zurückliegenden Jahr kaum oder keine Lohnerhöhungen "gewährt" worden. Aber, so zitiert das Blatt, einen örtlichen CFDT-Gewerkschafter, "die Lohnabhängigen radikalisieren sich schneller als früher (...). Sie können schreiende Ungerechtigkeiten nicht länger akzeptieren, wie eine Streichung der Prämien für Produktionsarbeiter, während die Dividenden der Aktionäre dennoch erhöht werden." Neu sei unterdessen, so die Zeitung, dass neben Großunternehmen - die Möbelkette IKEA etwa war im Winter dieses Jahres wochenlang bestreikt - auch kleinere Betriebe von solchen Arbeitskonflikten erfasst würden.

Bei den Pariser Sparkassen wurden vor 14 Tagen zwei Direktionsmitglieder durch 300 bis 400 Beschäftigte, die fünf Prozent Lohnerhöhungen forderten und sich gegen einen für übernächstes Jahr drohenden Stellenabbau wehren, eine Nacht lang festgesetzt.

Aber insbesondere dort, wo massive Entlassungen unter dem Vorwand "der Krise" - auch wenn die Umstruktrurierungsmaßnahmen meist seit Jahren geplant sind, wie bei den Zulieferern im Automobilsektor - drohen, finden örtlich mitunter zugespitzte Konflikte statt. So drohten in der ersten Aprilhälfte in zwei Unternehmen, die vor dem Dichtmachen ihrer Produktionsstätten stehen, die Lohabhängigen mit explosiven Konsequenzen. Der Automobilzulieferer Sodimatex in Crépy - etwa 50 Kilometer nördlich von Paris - hatte zuvor 55 Millionen Euro Subventionen im Namen der Arbeitsplätze eingestrichen. Nun will er jedoch seine Produktion, er stellt Autoteppiche her, ins billigere Spanien und Portugal verlagern. Die gut 90 Lohnabhängigen installierten die auf dem Betriebsgelände befindlichen 5.000 Liter Flüssiggas auf dem Dach und drohten damit, das Werk in die Luft zu jagen. Sie erhielten nach zweiwöchigen zähen Verhandlungen, was sie forderten: Sie wollten 21.000 Euro Abfindungszahlungen pro Kopf, 22.000 wurden es am Ende. Umstritten ist jedoch derzeit noch, welche zuvor durch die Firma ausgezahlten Summen darauf angerechnet werden sollen, und welche nicht.

Bei einem Hersteller von Brustimplantaten aus Silikon im südostfranzösischen La-Seyne-Sur-Mer, dessen Leitung zuvor aufgrund betrügerischer Praktiken und gesundheitsschädlicher Produkte Bankrott anmelden musste, konnten die Beschäftigten ebenfalls Abfindungszahlungen herausholen. In diesem Falle muss allerdings die Staatsmacht zur Kasse greifen, da das Unternehmen vom Handelsgericht aufgelöst wurde.

Freilich radikalisieren auch viele französische Unternehmen ihre eigene Politik. "Wir wussten, was sie dachten - jetzt schreiben sie es (auf)": So kommentierte vor wenigen Tagen eine Diskussions-Webseite von Beschäftigten der französischen Post den jüngsten Skandal bei dem Unternehmen.

Am 5. März hatte Rémi Karcher eine e-Mail verfasst, die Anfang April bekannt wurde, nachdem die französische Nachrichtenagentur AFP eine Kopie davon erhielt hatte. Karcher ist Direktor aller Postbüros im Pariser Süden. In seinem elektronischen Schreiben erklärte der Direktor wörtlich, "die Jagd" auf so genannte "schlechte Verkäufer" sei nun "eröffnet" - und er rief dazu auf, selbige zu "vernichten" ( exterminer ). Gemeint war damit: Jene Postbediensteten, die nicht mindestens eines der neuen "Produkte" - meist neue Angebote für Finanzdienstleistungen - im Monat absetzen und mit der Note "Null" sanktioniert werden, sollen verschwinden.

Die französische Post ist seit dem 1. März zum ersten Mal eine Aktiengesellschaft mit privatrechtlichem Status; auch wenn die öffentliche Hand bislang noch - noch - hundert Prozent der Anteile daran hält. Doch sie wird seit Jahren schrittweise wie ein Privatunternehmen, also nach Rentabilitätskriterien, geführt. In den letzten Jahren werden die abhängig Beschäftigten zunehmend mit für Postbedienstete neuen Aktivitäten - dem Verkaufen von "neuen Finanzprodukten" - belästigt.

Am 12. April begann die linke Basisgewerkschaft SUD - zweitstärkste Gewerkschaft bei der Post- , energisch zu protestieren. Die zentrale zentralen Postdirektion reagierte: Sie stufte "die Wortwahl" des Direktors von Paris-Süd als "total ungeschickt" ein, zog aber zunächst jenseits dieser verbalen Distanzierung "keine Disziplinarmaßnahmen" in Betracht. Kurz darauf wurde der Direktor dann doch noch strafversetzt.

Bernard Schmid, Paris, 03.05.2010


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