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Updated: 18.12.2012 15:51
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Im Namen der "Schlacht um Beschäftigung": Neue Prekarisierungs-Maßnahmen beschlossen bzw. auf dem Weg

"Chirac und Villepin erklären die Schlacht um die Beschäftigung für eröffnet" titelt die konservative Tageszeitung Le Figaro an diesem Donnerstag martialisch. Jedenfalls in ihrer Internet-Ausgabe, die Kioskausgabe macht mit der abgeschwächten Schlagzeile "Chirac engagiert sich mit Villepin für Beschäftigung" auf. Ein Foto zeigt den Präsidenten und seinen Premierminister mit dem Untertitel, ihre Politik wolle "Beschäftigungsblockaden beseitigen".

Anlass ist die Verabschiedung eines Gesetzentwurfs im Kabinett, der es der Villepin-Regierung erlaubt, eine Reihe von wirtschafts- und sozialpolitischen Bestimmungen per "ordonnances" zu verabschieden. "Ordonnances" sind eine Art Notverordnungen, mit deren Hilfe die Regierung am Parlament vorbei Bestimmungen in Kraft setzen kann, denen Gesetzeskraft zukommt. Zuletzt hatte die Regierung von Alain Juppé (1995 ­ 97), die sich mit massiver sozialer Gegenwehr konfrontiert sah und nach kurzer Zeit in der Defensive steckte, mit solchen Quasi-Notverordnungen regiert.

Rückgriff auf Notverordnungen

Gerechtfertigt wird der jetzige Rückgriff auf dieses Instrument mit der Dringlichkeit des Themas "Beschäftigungspolitik". Dominique de Villepin trat Anfang Juni als neuer Premierminister (nachdem sein Amtsvorgänger Jean-Pierre Raffarin das Bauernopfer infolge des Referendumsergebnissens abgab) an, mit dem Versprechen, "in 100 Tagen" die Franzosen zu überzeugen. Und zwar vor allem dadurch, dass er das drängende Problem der Arbeitslosigkeit anpacke ­ auf diesem Feld wolle er seine politische Verantwortung messen lassen. Der Pressekarikaturist Plantu, der u.a. auf den Titelseiten von "Le Monde" zeichnet, stellt Dominique de Villepin seitdem gern als Napoléon dar: Der selbsternannte "Kaiser der Franzosen" regierte seit seiner Rückkehr von der Insel Elba nochmals für die sprichwörtlichen "100 Tage². An deren Ende stand allerdings die Niederlage von Waterloo.

Nachdem der Ministerrat am Mittwoch das Notverordnungs-Paket angenommen hat, soll es jetzt bis zum 28. Juni dem Parlament vorgelegt werden. Dieses kann dann nicht den Inhalt der zur Verabschiedung anstehenden Bestimmungen abändern, sondern nur generell sein grünes oder rotes Licht zur Annahme des Pakets erteilen. Noch vor dem Nationalfeiertag am 14. Juli sollen die Abgeordneten dann das Spezialgesetz, das der Regierung als Ermächtigungsgrundlage dienen wird, durchwinken.

Der Inhalt des Maßnahmenbündels

Nun zum Inhalt des Pakets. Die spektakulärste der in ihm enthaltenen Maßnahmen betrifft die Einführung eines neuen Typus von Arbeitsvertrag. Er soll auf den Namen "Neueinstellungs-Vertrag" (contrat de nouvelle embauche) hören und in den kleinen und mittelständischen Betrieben anwendbar sein.

Zunächst war in diesem Zusammenhang die Rede von einer "Probezeit von zwei Jahren", die diesen neuen Vertragstypus auszeichnen soll. Die Haupteigenschaft einer Probezeit besteht darin, dass der Arbeitgeber während dieser Periode das Arbeitsverhältnis ohne nähere Angaben von Gründen aufkündigen kann. Doch von dem ursprünglichen Vorhaben, den "Neueinstellungs-Vertrag" als unbefristeten Vertrag unter Einfügung einer solchen zweijährigen "Probefrist" zu definieren, rückte die Regierung zwischenzeitlich ab. Es zeichnete sich nämlich ab, dass die juristischen Probleme damit zu groß würden: Das Verfassungsgericht (das in Frankreich nur von Abgeordneten, nicht aber von BürgerInnen, und nur vor der Verabschiedung eines Gesetzestextes angerufen werden kann, um dessen Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen) hätte möglicherweise eine so lange "Probezeit" nicht als verfassungskonform betrachtet. Denn der Sinn einer Probezeit muss ja eigentlich darin bestehen, dem Arbeitgeber eine Abschätzung der Fähigkeiten des Lohnabhängigen zu erlauben; dafür ist aber eine so lange Periode kaum als erforderlich zu betrachten. Und, vor allem, besteht in Frankreich beim Thema "Probezeit" ein Vorrang für den Kollektivvertrag (ungefähr identisch mit dem deutschen Begriff Tarifvertrag) vor dem Gesetz. In jenen Branchen und für jene Beschäftigten, deren Kollektivverträge Bestimmungen zur Probezeit vorsehen, wäre eine solche gesetzliche Regelung der Probefrist also gar nicht anwendbar gewesen.

Nunmehr hat die Regierung deswegen eine neue juristische Begründung bzw. Bezeichnung ersonnen, dabei hält sie aber an ihrem ursprünglichen Vorhaben fest. Nunmehr soll die neue Bestimmung jedoch nicht mehr "Probezeit" heißen, sondern "erleichtertes Kündigungsverfahren". Ohne besondere Angabe von Gründen soll also der Arbeitgeber in den ersten zwei Jahren das (ansonsten unbefristete) Arbeitsverhältnis aufkündigen können. Dennoch sollen, anders als bei einem Abbruch des Arbeitsverhältnisses während der Probezeit (der sofort wirksam wird), dabei eine minimale Kündigungsfrist eingehalten werden und eine Abfindungszahlung erfolgen. Als "Zugeständnis" für die abhängig Beschäftigten wird nunmehr vorgesehen, dass die solcherart aus ihrem Arbeitsverhältnis geflogenen Lohnanbhängigen sich auch schon nach dem zweiten oder dritten Arbeitsmonat erwerbslos melden können. Normalerweise können erst nach sechs Monaten Beschäftigung (während der letzten 22 Monate) Bezüge aus der Arbeitslosenkasse kassiert werden, aber diese Schwelle soll für den neuen Arbeitsvertrag abgesenkt werden. Dieses "Zuckerl" soll allerdings nur die Tatsache versüßen, dass die Schwelle, unterhalb derer der neue Vertragstyp Anwendung finden soll, bei einer Beschäftigtenzahl des Betriebs von 20 Lohnabhängigen angesiedelt werden soll. Ursprünglich hieß es noch, dass der "Neueinstellungsvertrag" nur für Mikrobetriebe (also etwa solche mit einem einzigen Beschäftigten, oder mit maximal 5 Mitarbeitern) gelten solle. Damit werden nunmehr zahlreiche mittelständische Unternehmen unter die neue Obergrenze fallen.

Der "Neueinstellungs-Vertrag" soll damit manche Züge der bisherigen Vertragstypen CDI (unbefristeter Vertrag) und CDD (befristeter Vertrag) miteinander kombinieren: Er soll für Unternehmen, die nur auf kürzere Frist hin ihren Bedarf an Mitarbeitern abschätzen können, zur Verfügung stehen. Allerdings unterscheidet er sich vom klassischen CDD dadurch, dass beim bisherigen befristeten Vertrag während der vereinbarten Frist (zum Beispiel: 6 Monate, 12 Monate...) das Arbeitsverhältnis nur bei Vorliegen ganz besonderer Gründe aufgelöst werden kann. Ferner entfällt durch den neuen Vertragstypus die "Prekaritätsprämie" in Höhe von 10 Prozent des Gesamtverdiensts, der bislang befristet eingestellten Lohnabhängigen am Ende ihres Arbeitsverhältnisses zustand. Gegenüber dem klassischen CDI (unbefristeter Vertrag) wird die Notwendigkeit, konkrete Gründe für die Aufkündigung des Beschäfitgungsverhältnisses zu benennen, während der ersten beiden Jahre abgeschafft.

Eine weitere Maßnahme, die es in sich hat, bildet das Vorhaben, jüngere Beschäftigte (bis 25 Jahre) bei Neueinstellungen zukünftig nicht bei der Berechnung des Personalstands zu berücksichtigen. Demnach wird ein Betrieb oder Unternehmen, das bisher 40 Beschäftigte hat und ein Dutzend jüngerer Mitarbeiter einstellt, rechnerisch bzw. juristisch auch weiterhin unterhalb der "Schwelle" von 50 Mitarbeitern liegen: Ab deren Überschreiten wäre der Betrieb verpflichtet, die Wahl eines Comité d`entreprise (ungefähre Entsprechung zum deutschen Betriebsrat) und die Bezeichnung von teilweise freigestellten gewerkschaftlichen Vertrauensleuten zuzulassen. Die Gewerkschaften haben in ihrer Kritik bereits festgestellt, dass in bestimmten Unternehmen wie beispielsweise McDonalds oder Virgin`s (Musikkaufhaus) damit künftig fast gar nirgendwo mehr gewerkschaftliche Vertrauensleute oder Betriebsräte existieren könnten. Denn vor allem im Fastfood-Sektor ist der Anteil der unter 25- oder 30-jährigen Beschäftigten (jobbende Studierende, Jugendliche aus Migrantenfamilien...) absolut dominierend.

Weitere Vorhaben

Anregungen für weitere "beschäftigungspolitische Wohltaten" (jedenfalls wenn man der Regeriung Glauben schenkt) machte Wirtschaftsminister Thierry Breton auf einer Pressekonferenz vom Dienstag dieser Woche.

So soll etwa Erwerbslosen, die ein Arbeitsverhältnis in über 200 Kilometern Entfernung von ihrem Wohnort antreten, für ein Jahr das Zahlen von Einkommenssteuern erlassen werden. Ob diese Maßnahme in irgendeiner Weise fruchten wird, muss dahin gestellt bleiben, da man die zu erwartenden Transportkosten mit einkalkulieren und in Relation zu dem Steuernachlass (der zudem nur für ein Jahr gelten würde) setzen muss. Aber solche Vorschläge tragen nur dazu bei, die Idee zu verankern, dass die Leute deswegen keine Beschäftigung finden würden, weil sie "zu wenig flexibel und anpassungsbereit" seien und also selbst an ihrer Erwerbslosigkeit Schuld trügen.

Den älteren Franzosen "wünscht", so sein Ausdruck, der amtierende Wirtschaftsminister, "auch jenseits von 65 Jahren arbeiten zu können". Wem also seine Armutsrente nicht ausreicht (u.a. dank der 2003 verabschiedeten "Rentenreform"), der soll zukünftig auch in höherem Alter als 65 weiter arbeiten dürfen. Bisher war es zwischen 60 (dem theoretischen gesetzlichen Rentenalter der Periode von 1983 bis 2003) und 65 Jahren möglich, gleichzeitig eine Pension und Arbeitseinkommen zu beziehen; dabei durfte aber die Summe aus beiden nicht das bisherige Einkommen aus der Zeit vor der Verrentung nicht überschreiten. Und jenseits der Altersgrenze von 65 (die das neue gesetzliche Rentenalter seit 2003 bildet) war es rechtlich kaum möglich bzw. sehr erschwert, gleichzeitig Renter/in zu sein und ein Erwerbseinkommen zu beziehen. Bei Erreichen dieser Altersgrenze musste der oder die Betroffene bislang mindestens 6 Monate (´Karenzfrist´) abwarten, bevor er oder sie wieder in seinem/ihrem bisherigen Unternehmen "für einzelne Aufträge" tätig werden konnte. Diese bisherigen Hemmnisse sollen fallen, so dass der oder die Beschäftigte auch nach Erreichen aller denkbaren Altersgrenzen einfach am bisherigen Arbeitsplatz weiter arbeiten kann, um am Monatsende über die Runden kommen zu können.

Ein weiterer Vorschlag von Thierry Breton (Ex-Chef von France Télécom und Wirtschaftsminister seit Ende Februar 20005, nach dem Rücktritt seines korrupten Vorgängers Hervé Gaymard) lautet, den in französischen Exportunternehmen tätigen Beschäftigten vermehrt Steuernachlässe zu gewähren, wenn sie für ihre Unternehmen im Ausland arbeiten. So soll die bisherige Richtlinie, wonach solche Mitarbeiter bei Auslandseinsätzen von der Einkommenssteuer befreit werden, beibehalten und ausgedehnt werden. Statt der Untergrenze von 180 Tagen Auslandseinsätzen im Jahr soll eine neue Untergrenze von 120 Tagen pro Jahr, ab deren Überschreiten die Steuerbefreiung eintritt, angesetzt werden.

Ferner spricht sich Thierry Breton, ganz im Sinne des um seine Attraktivität buhlenden "nationalen Wettbewerbsstaats", für eine ausgesprochen "selektive Immigration" aus. Die höchstqualifizierten potenziellen Anwärter auf Einwanderung nach Frankreich sollen durch die 2.000 Außendienstbeamten des französischen Arbeitsministeriums ausfindig gemacht und angezogen werden. Die nicht so hoch qualifizierten Arbeitskräfte, und erst recht die Überflüssigen und Hungerleider..., soll hingegen das Ausland behalten. Daneben forderte Thierry Breton am Dienstag, dass künftig Stipendien an französischen Hochschulen "auf die ausländischen Studenten mit hohem Niveau in den strategischen Fachbereichen konzentriert werden" sollen. Auch hier soll der Rest dann in den Mond gucken dürfen.

Gewerkschaftliche Reaktionen

Wie reagieren die Gewerkschaften auf all diese Pläne? Bisher überwiegend kritisch, aber ohne deswegen allzu sehr aus ihrer Deckung hervor zu kommen und aktiv zu werden. Als einzige Gewerkschaftsorganisation hat bisher die CGT eine erste (Probe-)Mobilisierung unternommen, indem sie am 21. Juni zu Arbeitsniederlegungen und Demonstrationen aufrief. So demonstrierten am Dienstag dieser Woche zwischen 3.000 (laut Medien) und 10.000 (so die CGT) abhängig Beschäftigte in Paris, auf Aufruf der CGT. Auch in weiteren französischen Städten kam es zu kleineren bis mittelgroßen Protestzügen. Vor allem bei der Pariser Post waren am Dienstag in der Hauptstadt die Auswirkungen von Arbeitsniederlegungen spürbar.

Dagegen haben die anderen Gewerkschaften sich dieser Initiative nicht angeschlossen, und sprechen überwiegend von der Perspektive einer Mobilisierung im September (dann werden die 100 Tage, die Villepin seiner Regierung gegeben hat, vorüber sein und eine erste Bilanz anstehen). So die rechtssozialdemokratische CFDT und die christliche CFTC.

Auf verbaler Ebene verurteilt bisher, unter den größeren Dachorganisationen, die ("postkommunistische") CGT die Regierungspläne am vehementesten. Vor allem die neue zweijährige Ex-Probezeit bzw. "erleichterte Kündigungsprozedur" stößt bei der CGT auf härtere Widerstände. Am Dienstag drohte Bernard Thibault der Regierung von Dominique de Villepin damit, dass sie (wenn sie darauf anlege) "erneut die schmerzhafte Erfahrung, die sie mit dem Rentenkonflikt von 2003 machen musste", erleben könne. Dabei muss freilich gesagt werden, dass es im Mai/Juni 2003 u.a. dank der Manöver des CGT-Apparats (der insbesondere den Transportstreik nach dem 13. Mai 2003 abwürgte) für die damalige Raffarin-Regeriung im Endeffekt gar nicht so schmerzhaft geworden ist.

Die rechtssozialdemokratische CFDT in Gestalt ihres Chefs François Chérèque erklärte am Dienstag abend, als er aus den Beratungen im Kabinett (zu der alle "Sozialpartner" eingeladen waren) heraus kam, dass "die Minister anscheinend bereit sind, neue Sicherheitsmechanismen" in den so genannten Neueinstellungs-Vertrag "einzubauen". Damit meinte er wohl v.a. das Recht für den Beschäftigten, dessen Arbeitsverhältnis innerhalb der ersten zwei Jahre aufgelöst worden ist, Arbeitslosengeld zu beziehen. Kritisch äußerste sich CFDT-Generalsekretär François Chérèque allerdings zu dem Punkt, wonach der Arbeitgeber künftig (im Rahmen des "Neueinstellungs-Vertrags") keinerlei Gründe mehr für die Aufkündigung des Arbeitsverhältnisses angeben muss: Damit bleibe "ein bedeutender Streitpunkt" mit den Regierungsvorhaben bestehen. Solchart abwägende Äußerungen bereiten freilich bestimmt keine soziale Massenmobilisierung gegen die Regierungspläne vor.

Bernhard Schmid (Paris) am 23.6.05


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