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Updated: 18.12.2012 15:51
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Einführung des "Aktiven Solidaritätseinkommens" (RSA) in erster Lesung beschlossen

HARTZ IV-GESETZ A LA FRANCAISE " steht kurz vor definitiver Verabschiedung

Einen hochtrabenden Titel trägt Martin Hirsch, früherer Vorsitzender der christlichen Wohltätigkeitsorganisation ,Emmaüs', seit anderthalb Jahren. Denn seitdem er damals in das Regierungskabinett von François Fillon (unter den Fittichen des "OmniPräsidenten" oder allgegenwärtigen Präsidenten Nicolas Sarkozy) aufgenommen worden ist, lautet sein offizieller Titel, wörtlich übersetzt: "Hoher Kommissar für die aktiven Solidaritäten gegen Armut". Kurz, mit anderen Worten ausgedrückt: Martin Hirsch fungiert als soziales Gewissen der französischen Bourgeoisie, nachdem er erfolgreich in die Rechtsregierung integriert worden ist.

Seit seiner Aufnahme ins Kabinett verfolgte Hirsch vor allem ein Projekt, das nun kurz vor seiner Realisierung steht, und das er all eine Art von Patentrezept (oder Allzweckwaffe) im "Kampf gegen die Armut" betrachtet. In der Nacht zum vorigen Donnerstag verabschiedete die Nationalversammlung - das Unterhaus des französischen Parlaments - den Gesetzentwurf zur Einführung des RSA oder ,Revenu de solidarité active' . Ende Oktober wird die Gesetzesvorlage nun in den Senat oder in das französische "Oberhaus" zur Beratung kommen. Danach kann es dann voraussichtlich zügig definitiv verabschiedet werden.

Qu'est-ce que c'est, le RSA? Übersetzt bedeutet dessen Titel so viel wie "Aktives Solidaritätseinkommen". Aktiv soll dabei aber, wohlgemerkt, nicht das Einkommen ausfallen, sondern der oder die Bezieher/in von Sozialleistungen soll (im Reich der abhängigen Arbeit) "aktiv" bleiben, damit sie oder er auch ja nicht einrostet.

In Wirklichkeit handelt es sich um eine Art Zwischenstufe zwischen den deutschsprachigen Institutionen der "Ein-Euro-Jobs" einerseits, der "Kombilöhne" für die niedrigsten Lohngruppen - zur Aufstockung von Armutslöhnen - andererseits. Der RSA soll insbesondere als komplementär (also als Ergänzung) zum französischen Äquivalent der früheren deutschen "Sozialhilfe", also dem 1988 geschaffenen RMI oder ,Revenu minimum d'insertion' (ungefÄhr: Mindest-Eingliederungs-Einkommen), dienen. Konkret bedeutet dies, dass, wer als Empfängerin oder Empfänger durch lohnabhängige Arbeit 100 Euro zusätzlich zum RMI - der rund 400 Euro beträgt - hinzu verdient, davon zukünftig "nur" 38 Euro von dieser Sozialhilfe abgezogen bekommt. Großzügig wird ihm oder ihr also "ermöglicht" respektive erlaubt, 62 Euro von den einhundert zusätzlich zu beziehen. Bislang galt nämlich die vorherige Regelung, wonach sämtliche Arbeitseinkünfte vom RMI oder anderen Sozialleistungen abzuziehen waren, als "abschreckendes Hindernis zur Annahme einer (schlecht bezahlten) Arbeit".

Die neue Regelung wird aber nicht nur für RMI-Bezieher/innen gelten. Generell sollen die Empfängerinnen und Empfänger von Armutslöhnen ihre Einkünfte aus Sozialleistungen, bis zu einer Obergrenze von (kombiniert) 1.200 Euro, behalten dürfen. Dadurch erweist sich das neue Instrument als eine Art "Kombilohn". Das Wesen des Kombilohns besteht darin, dass das zum Leben bitter Notwendige nicht mehr vom Arbeitgeber zu zahlen ist, sondern auf den von ihm ausbezahlten Hungerlohn zusätzlich eine vom Steuerzahler finanzierte Zulage oben draufgelegt wird.

Eine der wichtigsten Fragen wird darin bestehen, ob aufgrund der Einführung des RSA zukünftig die Empfänger/innen von "sozialen Minima" (so heißen im Französischen der RMI sowie die ,Spezifische Arbeitslosen-Leistung' ASS, die von früher einmal lohnabhängig beschâftigten Langzeitarbeitslosen nach Ausschöpfung ihrer Ansprüche gegenüber der Erwerbslosenversicherung - d.i. in der Regel nach spätestens zwei Jahren - bezogen wird und nur rund 20 Euro über dem RMI liegt) einfacher zur Annahme einer geringfügig bezahlten Tätigkeit gezwungen werden können. Denn auch eine buchstäblich zu einem Hungertarif entlohnte Tätigkeit kann ja künftig schwerer mit dem Argument abgelehnt werden, dass sie nicht das zum Überleben notwendige Einkommen sichert, weil sie durch das Kombinationsprinzip aufgestockt wird werden können. Schwarz auf weiß wird zwar bislang in der Gesetzesvorlage nicht affirmiert, dass es einen solchen expliziten Zwang geben könnte. Ausdrücklich wird allerdings gleichzeitig einer schärferen "Bekämpfung von Sozialbetrug", also der so genannten Erschleichung von Sozialleistungen, das Wort gesprochen. Wer aber künftig Sozialleistungen beantragt, aber auf ein Aufstocken seiner Bezüge durch Niedrigstlöhne "verzichtet", wird zweifelsohne leichte ins Visier der "Sozialbetrugsfahnder" geraten.

Eine heftige Diskussion innerhalb der regierenden Rechten, die das Gesetz mit den Stimmen ihres Lagers annahm, löste der Finanzierungsmodus aus. Denn zusätzlich zu den bisher rund 6,5 Milliarden Euro jährlicher Ausgaben für "soziale Minimalleistungen" (RMI und ASS) müssen nun weitere 1,5 Milliarden Euro für die Kombinations-Draufgabe finanziert werden. Dazu möchte der konservativ-liberale Bürgerblock nun eine neue Steuer auf Kapitaleinkünfte in Höhe von 1,1 % einführen. Was aber wiederum zu einer heftigen Polemik innerhalb des Bürgerblocks führte, denn einige von dessen Politikern sind gegen jegliche zusätzliche Besteuerung - konsequentes Steuersenkerpack eben.

Bei den parlamentarischen Beratungen setzte sich die Kontroverse nun fort. Dies hatte zum Ergebnis, dass letztlich ein inner-rechter "Kompromiss" angenommen wurde: Zwar wird die neue Steuer auf Kapitaleinkünfte in Höhe von 1,1 % beibehalten. Aber sie entfällt faktisch bei vielen Steuerpflichtigen dadurch, dass sie unter den so genannten ,Bouclier fiscal' ("steuerliches Schutzschild") fallen. Dieser stellt eine Obergrenze für solche Steuerzahler dar, die gleichzeitig unter den Spitzensteuersatz und unter die spezielle Großvermögens-Abgabe ISF ( Impôt de solidarité sur la fortune ) fallen. Ihnen wird garantiert, dass sie auch bei Fälligwerden dieser beiden nur für Höchstverdiener oder Kapitaleigentümer geltenden Spitzensätze INSGESAMT - alle Steuern und staatlichen Abgaben zusammengezählt - grundsätzlich nicht mehr als 50 % ihrer Einkommen aus der obersten Kategorie zu versteuern haben.

Dadurch, dass auch die künftige Sondersteuer zur Finanzierung des RSA unter diese Regelung fällt, wird sie jedoch für eine Reihe von Größtverdienern faktisch unwirksam. Dies führte kurzzeitig zu einer Polemik anlässlich der Parlamentsdebatte. Nun beschloss die regierende Rechte "im Gegenzug" eine Absenkung der besonderen Steuer-Nachlässe, auch als "Steuernischen" bezeichnet, die für bestimmte Berufsgruppen mit starker Lobby gewährt worden waren. Schon seit einem Jahr, also seitdem die Steuer-Oberbegrenzung für Höchstverdiener beschlossen worden ist, hat sich ein Teil des Bürgerblocks auf die Jagd nach solchen "Sonderrechten" begeben.

Der Streit um die Finanzierung führte dazu, dass die französische Sozialdemokratie sich in der Parlamentsdebatte letztendlich ihres Votums bei der Abstimmung über das RSA-Gesetz enthielt: Grundsätzlich begrüßte sie zwar die Einführung des "Aktiven Solidaritätseinkommens", doch kritisierte sie die Verschonung von Höchstverdienern bei seiner Finanzierung. Die KP hingegen stimmte gegen die Gesetzesvorlage. Die Abgeordneten des Bürgerblocks stimmten ihm überwiegend zu, bis auf circa zehn Parlamentarier, die vor allem aufgrund des Disputs um Finanzierungsfragen verärgert blieben.

Die richtige Position lautet hingegen, wie die anarchosyndikalistische CNT-AIT es ausdrückt: "Selbst/Sogar wenn er durch das Kapital finanziert wird, bleibt ein sozialer Rückschritt ein Rückschritt!" (Vgl. den Artikel externer Link)

Bernard Schmid, Paris, 14.10.2008

UPDATE vom 17. Oktober 2008

INHALTLICHER NACHTRAG ZU "Hartz IV-Gesetzgebung à la française" VOM DIENSTAG:

Steuerfinanzierung von Hungerlöhnen plus Ausländerdiskriminierung

Am Dienstag dieser Woche berichteten wir ausführlich über die, derzeit im parlamentarischen Verabschiedungsprozess befindliche, Vorlage für ein "Hartz IV-Gesetz à la française". Es ging, und geht noch immer, konkret um die Einführung des so genannten "Aktiven Solidaritätseinkommens" RSA (Revenu de solidarité active). Dieses soll ab 2009 in Frankreich flächendeckend eingeführt werden, nachdem bislang in 33 von insgesamt 100 französischen Départements damit "experimentiert" worden ist. Es soll auf die Dauer die bisherige Sozialhilfe, den RMI (Revenu minimum d'insertion), und anderen staatlich gesetzte "Minimalia" oder Mindest-Überlebenshilfen (minima sociaux) ablösen und ersetzen.

Dazu nun noch zwei wichtige inhaltliche Nachträge.

1./ Zur Finanzierung:

Wir berichteten am Dienstag ausführlich darüber, dass es diesbezüglich auch zu Konflikten innerhalb des regierenden Bürgerblocks und mit Teilen der französischen Regierung ka. Und zwar weil Präsident Sarkozy die Idee hatte, zur Finanzierung des RMI (der anderthalb Milliarden zusätzlich zu den bisherigen Ausgaben für die staatliche "Sozialhilfe" kostet) eine 1,1prozentige Zusatzsteuer auf Kapitaleinkünfte einzuführen. Konkret bedeutet Letzteres übrigens, dass der Besteuerungssatz auf Kapital- und Mieteinkünfte von bislang 11 % auf nunmehr 12,1 % steigen wird.

Doch dies ist nicht Alles, was die geplante Finanzierung der flächendeckenden Einführung des RSA betrifft. Denn nur ein Teil des Letztgenannten wird durch die neue "Sondersteuer" auf Kapitaleinkünfte finanziert werden. Ein weiterer bedeutender Teil der (Zusatz)finanzierung für den RSA wird nämlich durch die französischen Départements aufzubringen sein. Diese Verwaltungsbezirke sind bislang schon für die Finanzierung der staatlichen Sozialhilfe, des RMI, zuständig gewesen. Nun werden sie mit Mehrausgaben aufgrund der Aufstockung des RMI zum RSA, also aufgrund der aus öffentlichen Mitteln finanzierten Subventionierung von Tiefst- und Hungerlöhnen, konfrontiert werden.

In diesem Falle werden es eben nicht die Eigentümer von Kapitalien und Mietwohnungen, sondern sämtliche Steuerzahler/innen (inklusive der "sozial schwächeren") sein, die auf diesem Wege die Lohnsubventionierung mit finanzieren. Zudem wird durch die Einführung des RSA eine neue Konkurrenz unter Lohnabhängigen, bzw. zwischen den unteren Rängen der Lohnarbeiterschaft (oder Working Poors) einerseits und anderen Armen - in Gestalt der bislang vom Arbeitsmarkt "Exkludierten" oder "Ausgeschlossenen" - andererseits, eröffnet. Denn dank des früheren sozialliberalen Wirtschaftsministers Laurent Fabius (er amtierte in den Jahren 2000 bis 02) gab und gibt es seit Anfang dieses Jahrzehnts einen Steuerkredit, eine Art "negativer Steuer" für Geringverdiener: Wer in einem Lohnarbeitsverhältnis steht, aber nicht über eine bestimmte Schwelle bei den Einkünften hinauskommt, kann dafür eine bestimmte Summe vom Finanzamt erstattet bekommen. Es handelt sich um die so genannte ,Prime pour l'emploi' oder (ungefähr) "beschäftigungsfördernde Prämie".

Die Idee zu einem solchen Steuerkredit respektive einer "Negativsteuer" hatte ursprünglich der wirtschaftsliberale Ökonom Milton Friedman ausgeheckt. Diese ,Prime pour l'emploi' wird nun ebenfalls im neuen RSA aufgehen. Damit wird a ber der Kuchen, der bislang den unteren Lohngruppen der (hauptsächlich) von Erwerbsarbeit in abhängiger Beschäftigung - und nicht (überwiegend) von Sozialleistungen lebenden "Arbeitnehmer"schaft vorbehalten blieb, unter einem grö?eren Personenkreis aufgeteilt. Denn hinzu kommen nun auch die bisherigen (hauptsächlichen) Bezieher/innen so genannter Sozialleistungen in Gestalt der ,minima sociaux'. Dadurch werden, einmal mehr, Lohnabhängige und vom Arbeitsmarkt "Ausgeschlossene" in ein potenzielles Konkurrenz- und Rivalitätsverhältnis zueinander gesetzt: Beide müssen sich nun denselben Kuchen teilen.

Die wichtige Frage bleibt, ob die Einführung des RSA nicht die Ausbreitung von prekären, Teilzeit- und Niedrigstlohn-Arbeitsverhältnissen fördert. Dazu heißt es bspw. seitens des Wirtschaftsministeriums, aber auch in einer ausführlichen Darstellung des neuen RSA-Mechanismus in der Pariser Abendzeitung ,Le Monde' lapidar: "Um dies festzustellen, ist es noch zu früh, da die Ergebnisse der Untersuchungen zu den ,Experimenten' mit dem RSA in bisher 33 Départements dazu noch nicht vorliegen." Ohne Kommentar..

2./ Ausländerdiskriminierung

Einen weiteren, höchst problematischen Aspekt des neuen Gesetzes zum RSA bilden die diskriminierenden Bestimmungen für Ausländer/innen, bezüglich derer Vereinigungen und Solidaritätsinitiativen wie der GISTI (eine Rechtsberatungsgruppe für Immigrant/inn/en) im September schon die Alarmglocke läuteten. Denn für Einwander/innen - "legal" in Frankreich lebende Zuwanderer - wird es künftig schwerer ausfallen, den RSA zu beziehen, als bislang schon den RMI oder die staatliche "Sozialhilfe". So bleiben, mit Ausnahme bestimmter Kategorien (anerkannte politische Flüchtlinge, Staatenlose), alle Ausländer/innen vom Anspruch ausgeschlossen, die nicht mindestens schon eine abgelaufene legale (!) Aufenthaltsdauer von fünf Jahren aufweisen.

Bislang konnte man in der Regel nach drei Jahren "gesetzeskonformen" Aufenthalts den RMI beantragen. Zusätzlich werden aber künftig auch alle Ausländer/innen, die mit Aufenthaltstiteln ohne Berechtigung zur Arbeitsaufnahme ausgestattet sind (etwa in Gestalt einer Art Entsprechung zum deutschen "Duldungs"status, in Form von drei- oder sechsmonatigen befristeten Aufenthaltspapieren), vom Bezug des neu geschaffenen RSA ausgeschlossen.

Dies schafft, im Zuge der Abschaffung des bisherigen RMI (Sozialhilfe) zugunsten des neuen "Aktiv-Mindesteinkommens" RSA, zusätzliche Kategorien von vollständig "Anspruchslosen". Im Sinne des Gesetzes, nicht in dem Sinne, dass sie zum Leben nichts bräuchten... 


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