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Updated: 18.12.2012 15:51
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Parlamentswahl: Konservative und Faschisten...

"Noch nie wurde den französischen Rechtsextremen so stark und so eindeutig von anderer – insbesondere konservativer – Seite signalisiert, dass ihre politische Existenz legitim und ein Bestandteil der Normalität sei. Dies hängt nicht nur mit ihren hohen Wahlergebnissen zusammen, ihre Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen erhielt Ende April 18 Prozent der Stimmen, sondern auch mit der Strategie von Teilen des konservativ-wirtschaftsliberalen Blocks. Zum ersten Mal, jedenfalls in dieser Deutlichkeit, bezeichnet die bis vor kurzem regierende UMP den rechtsextremen Front National als im selben politischen Lager verankert" - so beginnt der Beitrag "Frankreich: Buhlen um die Stimmen der Neofaschisten" von Bernard Schmid vom 24. Mai 2012.

Frankreich: Buhlen um die Stimmen der Neofaschisten

Noch nie wurde den französischen Rechtsextremen so stark und so eindeutig von anderer - insbesondere konservativer - Seite signalisiert, dass ihre politische Existenz legitim und ein Bestandteil der Normalität sei. Dies hängt nicht nur mit ihren hohen Wahlergebnissen zusammen, ihre Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen erhielt Ende April 18 Prozent der Stimmen, sondern auch mit der Strategie von Teilen des konservativ-wirtschaftsliberalen Blocks. Zum ersten Mal, jedenfalls in dieser Deutlichkeit, bezeichnet die bis vor kurzem regierende UMP den rechtsextremen Front National als im selben politischen Lager verankert.

Unter Altpräsident Jacques Chirac hatte die bürgerliche Rechte überwiegend eine klare Linie der Abgrenzung zur extremen Rechten gezogen. Chiracs damaliger Premierminister Alain Juppé bezeichnete den FN 1996 als "rassistische, antisemitische und fremdenfeindliche Partei", die sich außerhalb der Demokratie stelle.

Einen ganz anderen Tonfall schlug Nicolas Sarkozy in den letzten Wochen an. Er erklärte ausdrücklich, sich an die Wählerinnen und Wähler des FN zu wenden. Im selben Zeitraum erklärte Sarkozy etwa auch: "Wenn die Demokratie Marine Le Pen das Recht gibt, zur Wahl anzutreten, dann ist Marine Le Pen mit der Demokratie vereinbar." Nur zur Erinnerung: Der Front National benutzt als Parteisymbol zur Selbstdarstellung nach wie vor die Flamme in den drei Nationalfarben blau, weiß und rot. Die rechtsextreme Partei hatte dieses Abzeichen bei ihrer Gründung im Oktober 1972 von den italienischen Neofaschisten des MSI übernommen. Bei ihnen symbolisierte die Flamme in der Nachkriegszeit die Seele Benito Mussolinis, die aus dem Sarg empor in den Himmel fährt. Italiens ex-faschistische Rechte, die in ihrer Mehrheit vom Neo- zum "Postfaschismus" übergewechselt ist - und bei den jüngsten Präsidentschaftswahlen eher Nicolas Sarkozy als Marine Le Pen unterstützte -, benutzt dieses Zeichen heute nicht mehr. Abgesehen von kleineren Splittergruppen, die sich vom Mainstream unter Gianfranco Fini abgespalten haben. Der FN hingegen blieb seinem Zeichen treu. Auch wenn die französische Partei zu den Parlamentswahlen vom 10. und 17. Juni nicht unter ihrem eigenen Namen antritt, sondern als Rassemblement bleu marine (Marineblaue Sammlung), um ihren Willen zur politischen "Öffnung" und Erneuerung zu unterstreichen.

Einige frühere Tabus auf der konservativen Rechten sind inzwischen gefallen. Dennoch möchten weder die UMP noch der FN sich heute mehrheitlich miteinander zu einer Regierungskoalition verbünden. Dies wäre aus Sicht der Konservativen ein zu hohes politisches Risiko, während umgekehrt die extreme Rechte eine Strategie verfolgt, die darauf hinausläuft, die eigene Partei zur stärksten Kraft auf der politischen Rechten aufzubauen. Dazu fehlt es noch an einigem. Nimmt man die Ergebnisse des ersten Wahlgangs der jüngsten Präsidentschaftswahl als Maßstab, dann setzte sich die Wählerschaft deutlich rechts von der Mitte zu zwei Fünfteln aus den Anhängern Marine Le Pens (18 Prozent) zusammen und zu drei Dritteln aus denen Nicolas Sarkozys (27 Prozent).

Aus der Sicht des FN entstehen Bündnisperspektiven dann, wenn sich das Verhältnis umgekehrt oder zumindest ausgeglichen haben wird - worauf er jedenfalls inständig hofft. Deswegen strebte der harte Kern der Partei bei den letzten Präsidentschaftswahlen auch nach einer Niederlage Sarkozys, um auf eine Implosion der bisherigen Präsidentenpartei UMP zu hoffen. Nicht alle in der Partei, und noch weniger in ihrer Wählerschaft, teilten allerdings diese taktisch motivierte Ausrichtung. 51 Prozent der FN-Wähler votierten in der Stichwahl für Sarkozy, 15 Prozent für den Sozialdemokraten François Hollande. Der Rest stimmte ungültig wie Marine Le Pen selbst oder ging nicht zur Wahl.

Faschisten diskutieren über Stichwahl

Innerparteilich plädierten vor allem die Anhänger des katholisch-fundamentalistischen und nationalchristlichen Flügels für eine Wahl Sarkozys. Denn vom Sozialdemokraten Hollande befürchteten sie einen beschleunigten "Sittenverfall" durch Einführung der Homosexuellenehe. Der frühere FN-Vizepräsident und innerparteiliche Gegner Marine Le Pens, Bruno Gollnisch, teilte diese Position.

Auch die mehr oder minder parteinahe rechtsextreme Presse war gespalten. Die älteste, 1961 im Algerienkrieg gegründete, rechtsextreme Wochenzeitung Minute trat für einen Sieg Sarkozys ein. Vier Tage vor der Stichwahl publizierte sie ein Interview mit dessen Verteidigungsminister Gérard Longuet, der offen für ein Bündnis aus Konservativen und Rechtsextremen warb. Longuet hatte 1973 selbst das erste Wirtschaftsprogramm des damals noch jungen FN verfasst, bevor er ins bürgerliche Lager wechselte. Dagegen trat die altfaschistische und antisemitische Wochenzeitung Rivarol eher für eine Wahlenthaltung oder Ungültigstimmen ein, wie etwa ihr Autor Alain Renault: Sarkozy sei "ein Jude, der notfalls auch einen Tag lang das Braunhemd überstreift, wenn es ihm im Wahlkampf nutzt". Davon dürfe man sich nicht täuschen lassen. Einzelne Stimmen tendierten eher zu einer Wahl Sarkozys. Dagegen trat Philippe Ploncard d'Assac für eine taktisch motivierte Wahl François Hollandes ein, weil eine klare innenpolitische Feinderklärung besser sei als "falsche Freunde an der Macht, die einen einschläfern".

Augenblicklich wirbt der FN beim Publikum auch stark mit Parolen für sich, die einige Auswirkungen wirtschaftsliberaler Politik und vor allem der Globalisierung anprangern und insbesondere protektionistische Maßnahmen einfordern. Dies kann die UMP unmöglich mittragen, die stark für wirtschaftsliberale Reformen und Marktöffnung eintritt, auch wenn seit März zusätzlich einige moderat protektionistische Töne in ihren Wahlkampf eingestreut wurden. Auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet klafft der Diskurs beider Parteien also stark auseinander. Während die UMP sich auf dem Feld der Einwanderungspolitik in den letzten Wochen stärker an den FN annäherte - und einen Großteil ihres Wahlkampfs in der Schlussphase darauf verwandte, François Hollande Absicht zur Einführung des Ausländerwahlrechts auf kommunaler Ebene anzuprangern. Dieses wurde von Politikern der damaligen Regierung in apokalyptischen Darstellungen als Mittel zur Erpressung Frankreichs durch einen aggressiven Islam dargestellt.

Vor diesem Hintergrund proben beide Parteien derzeit die "Einheit an der Basis" statt "die Einheit an der Spitze", wie man in früheren Jahreszehnten zwischen Sozialistischer und Kommunistischer Partei zu sagen pflegte. Das bedeutet: UMP respektive FN erkennen an, dass sie im selben gesellschaftlichen Lager stehen - aber versuchen beide, die Anhänger der je anderen Partei zu sich herüberzuziehen. Dazu benötigen sie aber eindeutige Botschaften zumindest in einigen Politikbereichen. Auch wird seitens des FN versucht, Mandatsträger, Parlamentskandidaten und Abgeordnete - zumindest unter den Hinterbänklern - abzuwerben. Bei den kommenden Parlamentswahlen Mitte Juni wird sich die entscheidende Frage stellen, ob und wie viele konservative Kandidaten dazu bereit sein werden, erklärte oder auch unerklärte Bündnisse einzugehen, um ihren "bedrohten" Sitz zu retten.

Der Front National kann nach geltendem Recht zwischen dem ersten Durchgang und den Stichwahlen seine Kandidaten überall dort aufrecht erhalten, wo diese in der ersten Runde durch mindestens 12,5 Prozent der Wahlberechtigten gewählt wurden. Dies könnte die Konservativen in den Stichwahlen mehrere Dutzend Mandate kosten. Seitens des FN erklärte die Parteiführung bereits, im Prinzip überall seine Kandidaten im Rennen beibehalten zu wollen - es sei denn, dass interessante Kandidaten oder substanzielle Zugeständnisse dafür sorgen, dass sie es sich anders überlegt.

Annäherung zwischen UMP und FN

Vor allem im Raum Marseille und in Südostfrankreich deutet es sich an, dass das konservative Lager sehr massiv zu, offenen oder inoffiziellen, Absprachen neigen wird. "Die Werte, die Marine Le Pen hat - ich habe sie schon immer vertreten": Dies erklärte soeben die Bürgermeisterin von Aix-en-Provence, Maryse Joissains-Masini. Darauf antwortete Marine Le Pen prompt: "Ich glaube, dass Madame Joissains es ehrlich meint." Manche Beobachter äußern zwar in jüngster Zeit ernsthafte Zweifel am Geisteszustand der UMP-Politikerin, die letzte Woche vor das französische Verfassungsgericht zog um die Wahl von Präsident Hollande für "ungültig" erklären zu lassen: François Hollande sei "eine Gefahr für Frankreich", zudem körperlich unansehnlich, und außerdem habe Nicolas Sarkozy nur aufgrund "illegaler Propaganda" verloren, weil nämlich die Zeitungen immer so negativ über ihn berichtet hätten. Aber diese französische Ausgabe einer Tea Party-Fanatikerin steht nicht allein bei der UMP in Südostfrankreich. So erklärte die Marseiller Parlamentsabgeordnete Valérie Boyer, es gebe "keinerlei Grund, sich die Nase zuzuhalten", man müsse vielmehr mit allen reden. Und eben, vor allem, auch rechts. Im fernen Paris verkündet dagegen Parteichef Jean-François Copé bislang, Absprachen mit dem FN seien ein klarer "Verstoß gegen die Parteilinie".

Ein koalitionsähnliches Bündnis beider Parteien dagegen würde derzeit nicht auf die Zustimmung einer Mehrheit in der Wählerschaft der UMP - eher schon in jener des FN - stoßen. Auch wenn die Umfrageergebnisse in dieser Frage widersprüchlich sind: Unmittelbar nach dem ersten Durchgang der Präsidentschaftswahl erschien das Ergebnis einer Befragung, welcher zufolge 64 Prozent der UMP-Wähler eine Koalition mit dem Front National wünschten. Inzwischen erschien allerdings eine andere Umfrage, bei der heraus kam, dass 51 Prozent der UMP-Anhänger gegen eine solche Koalition seien, und 46 Prozent dafür. Es hängt vielleicht auch stark davon ab, wie man die Frage genau formuliert.

Sympathie für Siedlerpack

Auch beim FN gibt es Konflikte. So wurde soeben der Parlamentskandidat Michel Thooris quasi strafversetzt. Der frühere hohe Polizeifunktionär und ehemalige Chef einer ultrarechten Polizeigewerkschaft war bislang Kandidat für die Auslandsfranzosen in dem Wahlkreis, der Israel, die Türkei und Italien umfasst. Dort hängte er sich jedoch gar zu weit aus dem Fenster. So hatte er nicht nur unumwunden erklärt, dass Marine Le Pen eine gute Kandidatin sei, weil sie gegen "Moslems und Kriminelle" kämpfe, sondern auch ohne Abstriche seine Unterstützung für die Siedlerbewegung im besetzten Westjordanland geäußert. Beim Front National, wo nach wie vor Freunde der militante israelischen Rechten mit Bewahren der antisemitischen Ideologietradition koexistieren, brachte dies ein unausgesprochenes Gleichgewicht ins Schwanken. Thooris soll nunmehr in Sarcelles in der Nähe von Paris für das französische Parlament kandidieren.

Spannungen traten auch zwischen früheren Parteigängern Bruno Mégrets, der sich Ende 1998 mit einer eigenen - auf Dauer erfolglosen - Partei vom FN abgespalten hatte, und langjährigen Getreuen Jean-Marie und Marine Le Pens auf. Nicolas Bay, der von 1998 bis 2009 Spitzenfunktionär der Mégret-Partei gewesen und erst dann zum FN zurückgekehrt war, wurde jüngst im Parteivorstand angegiftet: Das "schreiende" Fehlen von qualifizierten Kadern, das er kritisiert hatte, sei nur auf den Verrat der Mégret-Anhänger zurückzuführen. Er konterte: "Seit 14 Jahren haben die FN-Leute also nichts auf die Reihe bekommen!" Diese Szene verspricht weitere anregende Streitgespräche. .

Bernard Schmid, 24. Mai 2012


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