Home > Internationales > Frankreich > neueseu
Updated: 18.12.2012 15:51
Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

Neues von der sozialen Front - aber nichts Neues von Regierung und Arbeitgebern

Wie Labournet berichtete (siehe: Nein zum Entwurf der europäischen Verfassung!) setzt die französische Regierung unter Jean-Pierre Raffarin im Moment auf eine doppelte Taktik im Umgang mit der sozialen Unzufriedenheit, die am 10. März immerhin 800.000 Menschen in ganz Frankreich auf die Straße gehen ließ. So soll die derzeitige "Front der Unzufriedenen" aufgebrochen werden, indem den öffentlich Bediensteten einige Zugeständnisse gemacht werden; am Dienstag (22. März) beginnen entsprechende Lohnverhandlungen mit den Gewerkschaften im öffentlichen Sektor. Die Beschäftigten in der Privatwirtschaft, die über einen weit schlechteren gewerkschaftlichen Organisationsgrad verfügen, werden dabei aber auf der anderen Seite wesentlich schlechter ausgehen. Aber dabei ist auch in den öffentlichen Diensten durchaus nicht an soziale Wohltaten gedacht. Vielmehr läuft die Taktik der Regierung darauf hinaus, die absehbaren geringfügigen Gehaltserhöhungen mit einer Akzeptanz der so genannten "Modernisierung der Staatsfunktionen" durch die Gewerkschaften zu verknüpfen. Dabei geht es vor allem um eine erhöhte Flexibilität der Beschäftigten, die zukünftig zu Personaleinsparungen beitragen kann.

Operation: "Rettet die bedrohte EU-Verfassung"...

Vor allem aber soll das Referendum über die neoliberale und militaristische EU-Verfassung, über die das französische Wahlvolk am 29. 05. abstimmt, "gerettet" werden. Übrigens zeichnet sich seit Ende voriger Woche in den Umfragen erstmals eine mögliche Mehrheit für das "Nein" ab: In einer am Freitag, 18. März veröffentlichten Umfrage für die Boulevardzeitung "Le Parisien" hatten die ablehnenden Stimmen erstmals (mit 51 zu 49 Prozent) einen Vorsprung gegenüber den Zustimmungs-Voten, bei über 40 Prozent Enthaltung. Am Sonntag in Radiosendern erwähnte neuerliche Meinungsbefragungen im Auftrag der konservativen Tageszeitung "Le Figaro"
bestätigen den Trend (mit 52 Prozent für das "Nein"), auch wenn die staatstragenden Parteien jetzt leichte Panik schieben oder es zumindest vorgeben.

Die konservative Regierung versucht im Übrigen, die Debatte vor der Abstimmung zu kanalisieren, und in gewisser Weise die nationalistisch motivierte Ablehnung von rechts zur einzigen Opposition aufzubauen: In der 14-tägigen offiziellen Referendumskampagne (sozusagen dem "Wahlkampf") vor dem entscheidenden Sonntag im Mai sollen im Fernsehen jeweils vier Parteien für das "Ja" und vier Parteien für das "Nein" zu Wort kommen. Dieselben acht politischen Parteien werden dafür auch eine öffentliche Subvention (circa 800.000 Euro) erhalten, um ihr Werbematerial für die Abstimmung zu drucken. Dabei ist aber interessant, wie die Regierung sich "ihre" Gegner der EU-Verfassung ausgewählt hat. Denn von vier Parteien, die auf diesem Wege offiziell das "Nein" vertreten, sind drei rechts bis rechtsextrem: Der RPF ("Sammlung für Frankreich") des ehemaligen Innenministers Charles Pasqua, der MPF ("Bewegung für Frankreich") des rechtskatholischen Grafen und Nationalliberalen Philippe de Villiers und der rassistische Front National (FN) von Jean-Marie Le Pen. Nur die vierte Partei kann man als fortschrittlich bezeichnen, die französische KP. Auf der anderen Seite wird die "Ja"-Kampagne auf alle wichtigen staatstragenden Parteien des Establishments verteilt: die konservative Regierungspartei UMP, die christdemokratische (und mit einem Bein dem Regierungslager angehörende) UDF, die französische Sozialdemokratie und die Grünen. Dabei hatten in den beiden letztgenannten Parteien bei den innerparteilichen Mitglieder-Abstimmungen jeweils bedeutende Minderheiten (42 Prozent bei den "Sozialisten", 41 Prozent bei den Grünen) für das "Nein" zum EU-Verfassungsvertrag votiert. Diese Minderheitsblöcke werden jedoch in der offiziellen Abstimmungskampagne unter den Tisch fallen.

Dabei zwang nichts und niemand die Regierung zu einer solchen Aufteilung. Jedenfalls sprechen keinerlei logische Gründe dafür. Man hätte im Prinzip zwei unterschiedliche Kriterien festhalten können: Entweder die Frage, ob eine Partei im nationalen Parlament (das nach dem Mehrheitswahlrecht bestimmt wird) vertreten ist oder nicht; oder aber die Wahlergebnissen beim
letzten Urnengang, das wären die Europaparlamentswahlen, die noch dazu auch ein "europäisches" Thema betrafen. Nach dem ersten Kriterium wäre jedenfalls der Front National nicht dabei gewesen, denn er ist aufgrund des Mehrheitswahlrechts seit 1993 nicht mehr in der französischen Nationalversammlung vertreten. Im zweiteren Falle wäre zumindest der RPF
unter dem national-autoritären ehemaligen Innenminister Charles Pasqua herausgefallen: Er erhielt bei den EP-Wahlen am 13. Juni 2004 nur 1,6 Prozent.

In Wirklichkeit hat die Raffarin-Regierung jedoch einen höchst willkürlich erscheinenden Mix beider Kriterien angewendet, so dass sowohl der rechtsextreme FN als auch der nationalkonservative RPF in die offizielle Kampagne aufgenommen werden konnten. (Letztgenannte Partei ist mit 6
Abgeordneten in der Pariser Nationalversammlung vertreten ­ die aber nicht im Namen des RPF gewählt worden sind, sondern auf Listen der konservativen Einheitspartei UMP, um sich erst später mit ihrem Mandat den rechten EU-Skeptikern unter Pasqua anzuschließen. Insofern würde es nahe liegen, diese parlamentarische Vertretung nicht als solche zu werten.)

Das Resultat des ganzen Vorgang ist jedenfalls, dass das sozial motivierte (und nicht nationalistische) "linke Nein" zur EU-Verfassung im offiziellen Abstimmungskampf allein durch die KP vertreten wird, die aber in einem Drei-zu-Eins-Verhältnis durch die rechten bis rechtsextremen Vertragsgegner übertönt werden wird. Die radikale Linke (die bei den Präsidentschaftswahlen
von 2002 immerhin gut 10 Prozent der Stimmen auf sich vereint hatte, in Gestalt der beiden trotzkistischen Parteien LCR und LO) bleibt vollkommen ausgegrenzt. Und auch die den Verfassungsvertrag ablehnenden Minderheiten bei Sozialdemokraten und Grünen sollen zumindest offiziell nicht zu Wort kommen. Dabei ergibt sich aus einem Zusammenzählen all dieser linken Kräfte, die diese EU-"Verfassung" ablehnen, dass eine größere Hälfte der organisierten Linken (aller Schattierungen) für das "Nein" eintritt.

Lohnerhöhungen im Privatsektor? Vorläufige Antwort: "Nichts da"

Was nun die Lohnentwicklung im Privatsektor betrifft: Am 18. März hat die Regierung die Arbeitsgruppe "Lohnpolitik" der Nationalen Tarifkommission ­ in der auch die Arbeitgeberverbände und die Gewerkschaften sitzen ­ einberufen. Das Treffen endete jedoch so gut wie völlig ergebnislos, da die Arbeitgeberverbände (d.h. vor allem der MEDEF und daneben die
Mittelständler-Vereinigung CGPME) zu keinerlei Zugeständnisse bereit zu sein schienen. Die Regierung ermahnt nunmehr das Arbeitgeberlager, in jenen Branchen, wo seit langen Jahren überhaupt keine Lohnverhandlungen stattgefunden haben ­ wie in den Supermärkten, in den Autobahngesellschaften und dem Verlagsgewerbe ­ welche zu eröffnen. Ansonsten ist eine weitere
Diskussion auf nationaler Ebene auf den 10. Juni vertagt. Also auf "nach dem Referendum verschoben", wie Le Monde richtig titelt, denn die Volksabstimmung über die EU-Verfassung findet Ende Mai statt.

Anders ausgedrückt, die Debatte wird dann wieder aufgenommen, wenn für die Regierung nichts mehr anzubrennen droht. Diese vertröstet einstweilen auf Gespräche zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften in den einzelnen Branchen, die in der Zwischenzeit stattfinden sollen. Die CGT-Vertreterin in der Tarifkommission, Maryse Dumas, erklärte jedoch nach dem ergebnislosen
Treffen vom 18. März, die Arbeitgebervertreter hätten klar zu erkennen gegeben, dass sie über nichts ernsthaft zu verhandeln gedenken. Die beiden Gewerkschaftsbünde CGT (ehemals KP-nahe) und FO (eher populistisch) erklärten sich im Anschluss "enttäuscht". Die CGT-Vertreterin Dumas rief die Lohnabhängigen dazu auf, "sich das nicht gefallen zu lassen", denn "die Beschäftigten wollen mehr Geld, die Regierung aber mehr Zeit gewinnen". Dagegen zeigte die sozialdemokratische und pro-neoliberale CFDT sich erst einmal beruhigt und bekundete ihr Vertrauen in die künftigen Gespräche auf Branchenebene. "Es wäre unseriös, schon wieder auf die Straße gehen, erst
müssen wir (gemeint: die Verhandlungsexperten) arbeiten" erklärte ihr Vertreter Rémi Jouan.

Bernhard Schmid (Paris)

Siehe ergänzend zu diesem Artikel auch die Photoserie, ebenfalls von Bernard Schmidt, von der Demo am 10.März 2005 in Paris.


Home | Impressum | Über uns | Kontakt | Fördermitgliedschaft | Newsletter | Volltextsuche
Branchennachrichten | Diskussion | Internationales | Solidarität gefragt!
Termine und Veranstaltungen | Kriege | Galerie | Kooperationspartner
AK Internationalismus IG Metall Berlin | express | Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken
zum Seitenanfang