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Updated: 18.12.2012 15:51
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Frankreich: Nach dem Kulturstreik von 2003/04:

Neue "Reform" des Statuts der prekären Kulturschaffenden?

Lange Zeit war die Angelegenheit ein heikles Politikum, jetzt soll sie anscheinend wieder den "Experten" überantwortet werden. Der Verwaltungschef im Kulturministerium, Jacques Charpillon, hat Anfang September seinem Minister Renaud Donnedieu de Vabres ("RDV") einen vorläufigen Untersuchungsberichts vorgelegt, der die Konturen einer künftigen "Reform" des Status der intermittents du spectacle zeichnen soll. Ende Oktober soll der definitive Abschlussbericht folgen. Die Pariser Abendzeitung Le Monde konnte vor kurzem Auszüge des vorläufigen Berichts veröffentlichen.

Die intermittents sind die zahlreichen, auf Zeit ­ von Auftrag zu Auftrag ­ beschäftigten Kulturschaffenden, die bisher in Frankreich über ein spezifisches soziales Statut verfügen, das ihnen in auftraglosen Zeiten für einige Monate Überbrückungsgelder aus der Arbeitslosenkasse garantiert. Davon sind etwa 100.000 Menschen in Frankreich betroffen. Im Hochsommer 2003 wurde dieses Statut zum Gegenstand einer regressiven "Sozialreform", die sowohl die Zahl der Anspruchsberechtigten als auch die Dauer der Überbrückungsfinanzierung drastisch reduzieren sollte. Daraufhin blickte fast ganz Frankreich gebannt auf den Proteststurm, der sich in der Kulturwelt erhob und im Sommer/Herbst 2003 dafür sorgte, dass zahlreiche Theater- und andere Kulturfestivals ausfielen und dem französischen Staat damit Tourismuseinnahmen entgingen. Zuletzt hatte die Protestbewegung durch medienwirksame Aktionen sowie damit verbundene Zusammenstöße mit der Polizei beim Filmfestival von Cannes im Mai 2004 auf sich aufmerksam gemacht. Im Anschluss an die Konfrontationen von Cannes hatte Kulturminister "RDV" die Notbremse gezogen und den "in Not geratenden" intermittents eine neue soziale Absicherung zugesagt. Zwar sollte die "Reform" nicht zurückgenommen werden, aber ­ vorläufig jedenfalls ­ sollte ein vom Staat aufgefüllter Notfallfonds jene Kulturschaffenden alimentieren, die künftig keine Überbrückungsgelder mehr aus der Arbeitslosenlasse beziehen können. Vermutet wurde allerdings damals bereits, dass die Regierung auf mittlere Frist hin versuchen würde, durch eine Neudefinition des Statuts die Zahl der potenziell Betroffenen von vornherein abzusenken.

Genau in diese Richtung geht nunmehr der derzeit  auf dem Tisch liegende (vorläufige) Untersuchungsbericht, der Rapport Charpillon. Dieser sieht einerseits vor, generell für alle KünstlerInnen und Kulturschaffenden eine "Probeperiode" einzuführen: Während einer Berufsanfängerzeit, die "von 6 bis 24 Monate" dauern könne, sollen die Betreffenden gar nicht als intermittents behandelt werden, sondern als Zeitarbeiter. Die Beschäftigten von Zeitarbeitsfirmen sind in ihren auftrags- oder tätigkeitslosen Zeiten noch wesentlich schlechter abgesichert als intermittents. Dauerhaft in den Zeitarbeiter-Status abgeschoben werden sollen schließlich alle "technischen" Berufe der Kulturwelt, wie etwa Masken- und BühnenbildnerInnen, die zukünftig generell als Zeitarbeiter einzustufen seien. Gerechtfertigt wird das offiziell damit, dass diese Berufe "dem künstlerischen Schöpfungsakt fern" stünden. Dagegen wendet sich in Le Monde der Schauspieler Samuel Churin, der derzeitige Sprecher der "Nationalen Koordination der intermittents und der Prekären". Ihm zufolge betätigt sich etwa ein Bühnenbildner oder ­maler mindestens ebenso sehr künstlerisch wie etwa ein Regieassistent, der ohnehin zahlreichen Verwaltungstätigkeiten nachgeht. Erklärtermaßen ist das Kriterium, das dem Rapport Charpillon zugrunde liegt, freilich nicht die Anerkennung der künstlerischen oder sonstigen Arbeit ­ sondern "die Reduzierung der Zahl der Anspruchsberechtigten" zwecks "Reduzierung des Defizits in den Kassen".   

Bernard Schmid, Paris, 9.9.04

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