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Updated: 18.12.2012 15:51
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Neues aus der Welt des CNE (Contrat nouvelle embauche, «Neueinstellungsvertrag»): Schöne neue Arbeitswelt ohne Kündigungsschutz

Zu Anfang dieser Woche machen in Frankreich erneut Kündigungsaffären im Rahmen des CNE oder «Neueinstellungsvertrags» von sich reden.

Vorab: Was war noch mal der CNE... ?

Zur Erinnerung: Der CNE, eingeführt durch eine Notverordnung der Regierung de Villepin vom 02. August 2005, ist ein unbefristeter Arbeitsvertrag. Er hebt den Kündigungsschutz für die ersten 24 Monate nach Begründung des Arbeitsverhältnisses auf. Abgeschlossen werden kann ein solcher CNE für alle Lohnabhängigen, gleichgültig welchen Alters, die in den kleinen und mittleren Betrieben bis zu 20 Beschäftigten neu eingestellt werden. (Die Einführung seines Zwillingsbruders, des CPE oder «Ersteinstellungsvertrag», der für alle Angehörigen der Altersgruppe bis 26 Jahre hätte abgeschlossen werden könne, konnte im März/April 2006 durch massive Proteste verhindert werden.)

Der Sondervertragstyp CNE erlaubt es dem Arbeitgeber zwar, das Arbeitsverhältnis ohne Angabe von Gründen aufzukündigen. Aber die Rechtsprechung konnte der Arbeitgeberwillkür gewisse (sehr enge) Grenzen setzen, indem sie zwar die jederzeitige Aufkündigung des Arbeitsverhältnisses als das grundsätzliche Recht des Arbeitgebers betrachtet - aber zugleich in manchen Fällen die erfolgte Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses als «Missbrauch dieses Rechts» einstuft. Dieser «Rechtsmissbrauch» wird dann gerichtlich anerkannt, wenn insbesondere eine «grundsätzlich rechtswidrige»Diskriminierung der reale Grund der Kündigung war. Nur muss erst einmal begründet werden, dass ein solcher «Rechtsmissbrauch» vorliegt, was dadurch erschwert wird, dass der Arbeitgeber seine Entlassungsgründe nicht mehr schriftlich vorlegen muss. Dies erschwert die gerichtliche Kontrolle.

Grenoble: Kündigung wegen Rückenschmerzen

Wie der Montagsausgabe der Wirtschaftszeitung 'Les Echos' zu entnehmen ist, hat das Arbeitsgericht von Grenoble am vergangenen Freitag (19. Mai) die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses im Rahmen eines CNE für unrechtmäßig erklärt. Einer Kurzmeldung in der Zeitung, die in etwa mit deutschem 'Handelsblatt' vergleichbar ist, kann folgendes entnommen werden: Die Betroffene, eine 30jährige Sekretärin, war nach einem ärztlichen Kontrollbesuch im Unternehmen entlassen worden. Der Arzt hatte die Empfehlung ausgesprochen, für die Lohnabhängige einen besonderen, ergonomisch gestalteten Sitz anzuschaffen, da sie unter Rückenschmerzen litt. Beflügelt von den Möglichkeiten, die der CNE (und also die Schleifung des Kündigungsschutzes) ihm tatsächlich oder vermeintlich gab, ließder Arbeitgeber dies für einen Hinauswurf genügen.

Das Arbeitsgericht hatte also prinzipiell eine Handhabe, die Kündigung auch im Rahmen eines CNE als rechtswidrig (da auf einer Diskriminierung aufgrund des Gesundheitszustands der Lohnabhängigen beruhend) zu analysieren. Es ging jedoch einen anderen Weg, da es - wie 'Les Echos' berichtet - die mehreren aufeinander folgenden Arbeitsverträge, die dasselbe Unternehmen mit der Sekretärin hintereinander abgeschlossen hatte, rückwirkend zu einem unbefristeten Gesamt-Arbeitsverhältnis umdeutete. Auf diesem Hintergrund war das normale Kündigungsrecht anwendbar.

Der Fall zeigt jedoch auch anschaulich, wie völlig unzureichend dieses Kündigungsschutzrecht ist - sogar dort, wo es überhaupt noch Anwendung findet. Der Wirtschaftszeitung sind folgende Zahlen zu entnehmen: Die Sekretärin, die auf einer Teilzeitstelle (für 26,5 Stunden pro Woche) beschäftigt worden war, verdiente im Monat 726 Euro. Nachdem der Arbeitgeber nunmehr aufgrund rechtswidriger Kündigung verurteilt worden ist, erhält sie 1.545 Euro Entschädigung für die unrechtmäßige Entlassung plus 100 Euro 30 Cents Entschädigung für die falsche rechtliche Qualifizierung des Beschäftigungsverhältnisses. (Zuzüglich 1.000 Euro für Gerichts- und Anwaltkosten, die der Arbeitgeber übernehmen muss.) Ferner werden ihr eine Kündigungsfrist, die aufgrund ihrer sofortigen Entfernung vom Arbeitsplatz nicht eingehalten worden zwar, in Höhe von 515 Euro sowie 51,50 Euro für nicht abgegoltenen bezahlten Urlaub ausbezahlt. Kurz: Das Ganze ist eher ein schlechter Witz, denn wie lange soll die Betroffene davon leben können?

Die allermeisten Kündigungsfälle enden aber in Frankreich (dort, wo das Kündigungsrecht überhaupt noch gilt) mit einer finanziellen «Entschädigung», die - siebe oben - oft nicht eben üppig ausfällt, außer wenn die Beschäftigten über eine hohe Anzahl an Dienstjahren im Betrieb verfügten. Einen rechtlichen Zwang zur Weiterbeschäftigung gibt es nur in den Fällen, wo ein Grundrecht durch die Entlassung verletzt wird (etwa: der/die Beschäftigte wird wegen rechtmäßiger Ausübung des Streikrechts oder gewerkschaftlicher Betätigung gekündigt) oder die Kündigung durch eine grundsätzlich rechtswidrige Diskriminierung motiviert wurde.

Der schlechteste Witz aber ist, dass in diesem konkreten Falle die Arbeitsrichter(innen) sich im Prinzip auf die letztgenannte Bestimmung hätten stützen können: Eine Diskriminierung aufgrund des Gesundheitszustands ist grundsätzlich rechtswidrig. Daher hätte das Arbeitsgericht theoretisch, auf der Grundlage des Artikels L. 122-45 im französischen Arbeitsgesetzbuch, die Entlassung für nichtig erklären und den Arbeitgeber zur Weiterbeschäftigung (oder jedenfalls Auszahlung der Löhne) zwingen können. Auf diese Idee kamen sie offenkundig nicht.  

Raum Paris: «Schwanger... also entlassen!»

Ebenfalls am Montag dieser Woche berichtet die KP-nahe Tageszeitung 'L'Humanité' über einen anderen Fall von Kündigung im Rahmen des CNE. Über ihn wird ein Arbeitsgericht im Département Val-de-Marne (in der Pariser Vorortzone) am 30. Mai dieses Jahres zu entscheiden haben. Von der entlassenen Lohnabhängigen, Séverine P., erfährt man nur den Vornamen, auf einer daneben stehenden Fotographie ist das Gesicht nicht zu erkennen.

In diesem Falle war die Lohnabhängige von ihrem Arbeitgeber, einem Transportunternehmen für Luftfracht auf dem Flughafen Orly (südlich von Paris), am 05. Januar 2006 durch einen CNE eingestellt worden. Der Direktor, so die Schilderung der Lohnabhängigen, habe ihr dies mit den Worten schmackhaft gemacht: «Ich stelle Sie per unbefristeten Vertrag ein. Es ist ein CNE, aber das ist das Gleiche (Anm.: wie ein 'normaler' unbefristeter Vertrag...).» Und: «Haben Sie keine Bange, unser Ziel ist es, Sie zu behalten.» 

Am 30. Januar dieses Jahres teilt die Lohnabhängige - «aus Ehrlichkeit, wie sie sagt, «und weil ich die Schwangerschaft nicht ewig hätt geheim halten können - ihrem Chef mündlich mit, dass sie schwanger sei. Zu diesem Zeitpunkt steht die Schwangerschaft an ihrem Anfang, so dass die Beschäftigte tatsächlich noch hätte langer zuwarten können. Ihr Chef habe ihr daraufhin zunächst mündlich geantwortet, «dass er sich für mich freue (und) dass dies nicht so schlimm sei, da er ja noch sechs Monate Zeit habe, um einen Ersatz für mich zu finden». Doch am folgenden Tag, dem 31. Januar, wird sie vom stellvertretenden Direktor vorgeladen, der ihr mündlich mitteilt, dass ihr Arbeitsvertrag ohne Angaben von Gründen aufgekündigt sei: «Ich habe Ihnen keine Begründung zu geben.» Genau wie es der CNE erlaubt.

Im Kündigungsschreiben vom 02. Februar heißt es dazu lapidar: «Unsere Gesellschaft hat sie durch einen Contrat nouvelle embauche eingestellt. Wir bedauern, Sie über unsere Entscheidung unterrichten zu müssen, diesen aufzukündigen.» Punkt und Aus.     

Es wird sich zeigen, wie das Urteil vom 30. Mai für die Lohnabhängige, die durch die CGT vertreten wird, ausfällt. In jedem Falle macht ihr 'Fall' deutlich, welche soziale Realität durch die Existenz des CNE geschaffen wird.

Bernard Schmid, Paris, 22.06.2006


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