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Updated: 18.12.2012 15:51
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Champagner! für einen wichtigen Teilsieg

Der CPE ist 'tot'. Andere Bestimmungen des «Gesetzes zur Chancengleichheit» und der CNE bleiben davon unberührt

«Der CPE ist tot, es lebe die Eingliederungshilfe für auf dem Arbeitsmarkt schwer zu vermittelnde Jugendliche»: So lässt sich der Tenor des Beschlusses zusammen fassen, den Premierminister Dominique de Villepin am Montag um 10.30 Uhr im Namen des konservativen Regierungskabinetts verkündete. De Villepin hatte es sich nicht nehmen lassen, die Entscheidung selbst zu verkünden, nachdem er sich ihr Tage lang heftig widersetzt hatte. Noch am Freitag hatte er sich mit Händen und Füßen dagegen gesträubt, die Abschaffung des CPE anzukündigen, und dadurch einen Versuch hochrangiger konservativer Abgeordneter zur «Auflösung der Krise» zum Ende der Woche (vorläufig) scheitern lassen. Präsident Chirac hatte seine liebe Not mit ihm, ließ'Le Monde' vom Samstag abend durchblicken: «Laut einem Führungsmitglied der UMP 'ist das Verhältnis zwischen den beiden inzwischen unglaublich, Chirac hat regelrecht Angst vor seinem Premierminister'». Und solche Durchgeknallten regieren uns...

Staatsbegräbnis für den CPE

Nunmehr konnte und wollte der Mann immer noch den Stolz wahren, der darauf beruht, höchstpersönlich den Beschluss publik zu machen, der seiner politischen Erfindung - dem CPE - den Garaus macht. Und ihn auch noch als seine eigene Entscheidung zu verkaufen: «Ich habe dem Präsidenten der Republik vorgeschlagen, den Artikel 8 des 'Gesetzes für die Chancengleichheit' zu ersetzen (...).» Bereits um 10 Uhr freilich hatte ein Kommuniqué des Präsidentenamts im Elyséepalast es noch vor ihm verkündet: «Auf Vorschlag des Premierministers (...) hat der Präsident der Republik entschieden, den Artikel 8 des 'Gesetzes für Chancengleichheit' durch ein Regelwerk zur beruflichen Eingliederung von jungen Leuten in (beruflichen) Schwierigkeiten zu ersetzen.»  Der besonders umstrittene Artikel 8 des Gesetzespakets «zur Chancengleichheit», das durch die Opponenten und Opponentinnen freilich insgesamt abgelehnt wird, enthält die Rechtsgrundlage für die Schaffung des CPE.

Es gebe heute kein Vertrauensverhältnis, das die Beibehaltung dieses - laut de Villepin immer noch fabelhaften - Instrument namens CPE erlaube, erklärte der Premierminister in seiner Rede: «Die notwendigungen Voraussetzungen des Vertrauens und der Gelassenheit sind weder auf Seiten der jungen Leute, noch auf Seiten der Unternehmen erfüllt, um die Anwendung des 'Contrat première embauche' zu erlauben.» Er habe sich doch nur um eine Superlösung bemüht, sei aber leider «nicht von Allen verstanden worden», klagte de Villepin ferner. So ein Jammer aber auch! («Ich wollte schnell handeln, da die dramatische Situation und die hoffnungslage Lage vieler junger Leute es erfordern. Ich wollte eine starke Lösung vorschlagen, da ich überzeugt war, dass (...) nur ein besseres Gleichgewicht zwischen mehr Flexibilität für die Unternehmen und mehr Sicherheit für die Beschäftigten uns erlauben wird, mit der Arbeitslosigkeit in diesem Lande zu brechen. Das ist nicht von Allen verstanden worden, und ich bedauere es.» Merke: Schuld tragen grundsätzlich immer die Anderen, die zu blöd sind, die guten Absichten des Regierungschefs zu erkennen und zu begreifen.)

Ansonsten gab de Villepin sich den Anschein, dass er nur aus Verantwortungsgefühl gegenüber denjenigen, die durch die soziale Krise bedroht seien, den entscheidenden Schritt doch noch tat: «Seit mehreren Wochen wird unser Land geschüttelt. Die Störungen der Ordnung in den Universitäten und Oberschulen drohen, die Abhaltung der Jahresendprüfungen zu beeinträchtigen. Die Straßendemonstrationen bedrohen die Sicherheit der jungen Leute. ( Sic! ) Dies alles erfordert nunmehr, einen schnellen Ausgang aus der Krise zu suchen.»

Kein Toter - aber vielleicht ein politischer Todesfall...

Glücklicherweise hinterlässt der massive soziale Konflikt, der die französische Gesellschaft seit nunmehr zwei Monaten in Atem hält, keinen Toten. Noch vor kurzem war dies nicht gesichert. Der 39jährige Cyril Ferez, Mitglied der linken Basisgewerkschaft SUD PTT und Personalvertreter bei der Télécom-Tochterfirma für Mobiltelefone Orange, lag 18 Tage hindurch im Koma. Mitte März hatte ihn ein Knüppeleinsatz der Bereitschaftspolizei CRS getroffen, während er am Ende einer Pariser Demonstration - angetrunken und friedlich auf dem Boden sitzend - zwischen die Fronten geriet, und Hirnblutungen verursacht. Doch am Freitag vormittag konnte nun bekannt gegeben werden, dass er am Vortag aus dem Koma aufgewacht ist.

Ein politischer Todesfall könnte hingegen in naher Zukunft, im Rückblick auf die sozialen Kämpfe gegen die Aushebelung des Kündigungsschutzes durch den «Ersteinstellungsvertrag» CPE, auf das Konto der Proteste gebucht werden. Die politische Karriere von Premierminister Dominique de Villepin, der beim CPE zurückrudern musste, ist schwer angeknackst. Laut Zahlen der Sonntagsausgabe von Le Parisien betrachten ihn 86 Prozent der befragten Franzosen als «geschwächt», nur 9 Prozent glauben an das Gegenteil. Glimpflicher kommt allerdings sein Rivale innerhalb des regierenden konservativen Blocks, der hyperaktive Innenminister Nicolas Sarkozy, davon. Ihn sieht sogar eine knappe Mehrheit (53 %) gestärkt aus dem jüngsten Konflikt hervorgehen. Sarkozy hatte vorige Woche unzweifelhaft signalisiert, dass er bereit dazu sei, den CPE - und den Premierminister - seinen eigenen politischen Ambitionen zu opfern, und die Verhandlungen mit den Gewerkschaften seit Wochenmitte zum Teil übernommen. Den Job von Amtsinhaber de Villepin möchte er jedoch nicht an dessen statt ausüben, da er Größeres vor hat und unbedingt im kommenden Jahr Präsident werden will.

Die Wahlchancen der konservativen UMP, deren Präsident Sarkozy ist, sind jedoch im Moment deutlich gesunken - manche ihrer Abgeordneten unken schon, das Kürzel CPE stehe für Comment perdre les élections (Wie man die Wahlen verliert). Sarkozy baut auf Reservestimmen und erklärte am 29. März 06 im Parisien , er wolle «die Wähler des Front National» gewinnen, und zwar «jeden einzeln». Am selben Tag legte er zudem einen neuen Entwurf für ein verschärftes Ausländergesetz vor, mit dem er Popularität gewinnen möchte. Gegen ihn wollen nun auch viele der Demonstranten gegen den CPE politisch kämpfen, und in den Demos wurde vielfach die Verbindung von der «Prekarisierung der Jugend» zur «Prekarisierung der Lebensbedingungen von Immigranten» gezogen. Der Chef des Front National, Jean-Marie Le Pen, dagegen sprach im Parisien vom Samstag (08. April) nicht Sarkozy, wohl aber dem aktuellen Regierungschef seine - ungebetene - Unterstützung aus: «De Villepin ist der einzige, der sich in seiner Rolle würdig verhält. Der Einzige, der aufrecht bleibt. (...) Wenn ein Gesetz verabschiedet worden ist, ändert man nichts mehr daran, unter dem Druck der Straße.» 

Der Trick mit dem «Kompromiss» ging nicht auf

Dass das Gesetz dann doch abgeändert werden musste, dafür sorgte der immense soziale Druck. Zunächst hatte Präsident Jacques Chirac sich am vorletzten Freitag an einer politischen Pirouette versucht: Er setzte das Gesetz über das CPE durch seine Unterschrift in Kraft, doch kündigte gleichzeitig ein zweites Gesetz an, das die Bestimmungen des erstgenannten später modifizieren würde. Dieser Trick war als Zusammenwirken von Zuckerbrot und Peitsche konzipiert: Entweder würden die Gewerkschaften bereit sein, an den Aushandlungen über das zweite Gesetz teilzunehmen - und also den CPE im Prinzip akzeptieren, um über Abänderungen an den konkreten Ausführungsmodalitäten zu diskutieren. Oder aber sie ließen sich nicht darauf ein; dann aber wäre der CPE schon eingeführt und bliebe einfach, wie er ist. Doch die Mobilisierungen wurden nach der Ansprache Chiracs und seinem «Kompromissvorschlag» noch stärker schwächer, nicht stärker. Der Pseudo-Kompromiss war nicht länger haltbar.

In den Tagen nach den Mammut-Demos vom Dienstag voriger Woche (04. April) drehten sich die Gespräche dann nicht mehr vorrangig um Modifikationen am CPE, sondern die Unterhändler der Regierungspartei UMP stellten seine Ersetzung durch eine Eingliederungshilfe für «auf dem Arbeitsmarkt schwer vermittelbare» Jugendliche in Aussicht. Dieses wird durch die Gewerkschaft grundsätzlich akzeptiert. Die näheren Bestimmungen dazu, die an diesem Montag (10. April) im Laufe des Tages publiziert werden, bleiben natürlich abzuwarten.

Der Abschluss eines Abkommens mit den Gewerkschaften wurde zunächst noch dadurch verzögert, dass Premierminister de Villepin am Freitag sein Veto dagegen einlegte. Aber auch der Arbeitgeberverband MEDEF drängte nunmehr auf ein Einlenken durch Rücknahme des CPE. Seine Mitglieder fingen an, über die Bedrohung ihrer ökonomischen Interessen durch die Vekehrsblockaden von Studierenden und Gewerkschaften, durch Lieferverzögerungen und «die Schädigung des französischen Images in der Welt» zu klagen. In diesem Sinne äußerte sich der Vorsitzende der französischen Vereinigung der Industrie- und Handelskammern, Jean-François Bernardin, in der Sonntagsausgabe des 'Parisien' vom 09. April. Insofern hatten der Streik und die Blockadeaktionen einen durchschlagenden Erfolg...

Ferner fürchteten die Arbeitgeber aber auch, dass in ihren 'eigenen' Betrieben die sozialen Spannungen noch anwachsen dürften. Denn zum ersten Mal seit längerem waren auch Unternehmen der Privatwirtschaft - in denen Streiken ungleich schwieriger ist als im öffentlichen Dienst, aus Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes - massiv in den Straßenprotesten vertreten. Die CGT-Branchengewerkschaft der Metallindustrie etwa gibt an, dass in ganz Frankreich (am 28. März, dem vorletzten Aktionstag) 740 Arbeitsniederlegungen in ihrer Branche stattgefunden hatten. In der nordost-französischen Region Nord-Pas de Calais, wo nach wie vor viele traditionelle Industriezweige konzentriert sind, wurde an jenem Tag die Beteiligung von 37.000 der insgesamt 140.000 Beschäftigten am Ausstand verzeichnet. Dennoch bleibt es schwierig, im Privatsektor effektiv zu streiken; zahllose Male musste man sich etwa in diesen Tagen beim Flugblätterverteilen anhören: «Sie haben absolut Recht, und ich bin mit der Bewegung gegen den CPE einverstanden. Aber ich kann nicht streiken, ich habe nicht das Recht dazu, denn ich bin in der Privatwirtschaft tätig.» Rein rechtlich betrachtet ist diese Aussage natürlich Humbug, aber sie ist zugleich auch Ausdruck eines (unter dem Druck der Massenarbeitslosigkeit) gravierend verschobenen Kräfteverhältnisses. Auch wenn man in Frankreich, nach dem Gesetz, auch ohne Unterstützung durch eine Gewerkschaft rechtmäßig streiken kann, so bleibt der Organisationsgrad ein wichtiger Gradmesser. Er beträgt heute in den öffentlichen Diensten rund 25 Prozent, in der Privatwirtschaft rund 05 Prozent. Sehr viele Beschäftigte der Privatwirtschaft kamen dennoch («in Massen») zu den Demonstrationen in Paris und anderswo. Aber viele hatten sich dafür auch einen Tag freigenommen, oder sie kamen am Nachmittag nach Beendigung ihres Vormittagsdienstes, oder sie ließen sich krank schreiben. Allerdings fanden sie in vielen Fällen den Mut, sich und ihren Arbeitsort durch Transparente und die Teilnahme an gemeinsamen Blöcken mit ihren ArbeitskollegInnen öffentlich auszuweisen. 

Im Übrigen fürchtete der MEDEF aber auch, dass eine sichtbare Niederlage beim CPE dann auch gleich für die kommenden Jahre Vorstöße zur Lockerung des Kündigungsschutzes verunmögliche, da das Thema sozusagen verbrannt sei. Daher solle man sich geschmeidiger zeigen, um sich künftige Optionen dazu nicht völlig zu verbauen. Die Wirtschaftstageszeitung 'La Tribune' vom Freitag (07. April) etwa resümiert die Position des MEDEF auch durch ihre Artikelüberschrift: 'Ne pas s'obstiner pour mieux rebondir' lautet der Untertitel, also sinngemäß: «Sich nicht versteifen, um besser wieder auf die Füße zu kommen». Der MEDEF möchte demnach in fernerer Zukunft gern «über alle Formen von Flexibilität reden». Dabei hatte er die Befürchtung, dass der Streit um den CPE - der unhaltbar geworden war - das Thema generell zu «verbrennen», und entsprechende Vorstöße auch in Zukunft zu blockieren drohe. Seine Argumentation dafür, warum der CPE ungerecht gewesen wäre, aber andere «Flexibilisierungsoptionen» beim Kündigungsschutz doch weitaus gerechter ausfallen würde, hat der Arbeitgeberverband schon bereit liegen. In der Sonntagszeitung 'Journal du dimanche' (JDD) vom 02. April erklärte Arbeitgeberpräsidentin Laurence Parisot: «Ich habe immer gesagt, dass ich reseviert gegenüber dem CPE eingestellt bin, da ich ihn zu stark diskriminierend gegenüber den jungen Leuten finde. Allgemein müssen wir hin zu mehr Flexibilität kommen, aber die Anstrengung muss in gerechter Weise auf Alle verteilt werden. Und nicht nur den jungen Leuten zur Last gelegt werden.» (Originalton) Nachtigall, ick hör' Dir trappsen...

Dennoch dürfte sich das Arbeitgeber- und Regierungslager derzeit, mit dem gescheiterten Vorstoßin Gestalt des CPE, für ein paar Jährchen ordentlich die Finger am Thema Kündigungsschutz verbrannt haben.

Es bleibt ein Problem...

Unterdessen bleibt das Problem bestehen, dass die nun erfolgte Rücknahme des CPE (durch Austausch des Artikels 8 im 'Gesetz für Chancengleichheit') nur ein wichtiger Etappen- oder Teilsieg ist. Denn die übrigen Bestimmungen des Gesetzes, die durch die Opponentinnen und Opponenten zu Recht ebenfalls abgelehnt worden sind und noch werden, bleiben damit bestehen: Die Legalisierung der Berufstätigkeit («zu Lehrzwecken») ab 14, von Nacht- und Wochenendarbeit ab 15...

Ebenfalls bestehen bleibt damit auch der CNE, der den Kündigungsschutz - nach demselben Muster wie der CPE - für die neu eingestellten Beschäftigten in kleinen und mittleren Betrieben aushebelt. In seinem Interview (das ursprünglich am vorigen Samstag in der konservativen Tageszeitung 'Le Figaro' hätte abgedruckt werden sollte, aber unter massivem Druck von Premierminister de Villepin verschoben werden musste und wohl am morgigen Dienstag erscheinen wird) von Nicolas Sarkozy äußerte dieser, eigenen mündlichen Angaben gegenüber Präsident Chirac zufolge: «Wir müssen verhindern, dass es zu einem Ansteckungseffekt vom CPE auf den CNE kommt». Das bedeutet: Es gilt zu vermeiden, dass letzterer durch den Strudel mit erfasst wird, der den CPE in den Abgrund, in den Orkus der Geschichte zu reißen droht.  

Bernard Schmid, Paris, 10.04.2005


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