Home > Internationales > Frankreich > Arbeitsbedingungen > CPE > junge20
Updated: 18.12.2012 15:51
Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

Frankreich: Politisch-soziale Kraftprobe vor dem Wendepunkt ?

Die französische Protest- und Streikbewegung gegen die Einführung des so genannten «Ersteinstellungsvertrags» (CPE) steht möglicherweise dicht vor einem entscheidenden Wendepunkt der Ereignisse. Die obersten Vertreter der Staatsmacht haben in den letzten drei Tagen, und vor allem zwischen Freitag Abend und Sonntag, ihre Strategie im Umgang mit der Krise präzisiert. Damit konnten sie bisher noch nicht zur Beruhigung der Lage beitragen. Aber mehrere Gewerkschaftsorganisationen, darunter die CFDT und die UNEF, haben ihre Bereitschaft zum «Dialogieren» bekundet - freilich auch ihre inhaltlichen Konditionen für einen Kompromiss vorab bekannt gegeben, die nicht mit den Vorgaben der Regierung in Übereinstimmung stehen. Gleichzeitig wächst der auf ihnen lastende Druck nunmehr, da das umstrittene Gesetzespaket (das u.a. den CPE einführt) bereits heute in Kraft tritt. Das «Angebot» an ihre Adresse lautet sinngemäß: Entweder, Ihr akzeptiert, über Änderungen zu diskutieren, die nur Details berühren und das Wesentliche am CPE unberührt lassen - oder aber das Gesetz bleibt anwendbar, so wie es ist.

Bislang konnte Präsident Chiracs Ansprache im französischen Fernsehen vom Freitag Abend (31. März), die ein höchst unklar belassenes Kompromissangebot enthielt, die Wogen nicht glätten. Eine taufrische Umfrage, die durch die Sonntagsausgabe des politisch moderaten Boulevardblatts 'Le Parisien' vom 02. April publiziert wurde, besagt, dass 62 % der befragten Französinnen und Franzosen nicht durch Chirac überzeugt wurden. (28 % fanden den Präsidenten «ziemlich wenig überzeugend» und sogar 34 % «überhaupt nicht überzeugend». Hingegen fanden ihn nur 08 % «sehr überzeugend», und 19 % «ziemlich».) Der gleichen Quelle zufolge wünsche immerhin 54 % spontan, «dass die Gewerkschaften und die Jugendorganistionen (den Protest) bis zur Rücknahme des CPE fortsetzen»; 39 % wünschen demnach, dass sie ihn «beendigen».   

Der Inhalt des von Chirac vorgeschlagenen «Kompromisses»

Dieses «Angebot zum Kompromiss» sieht ungefähr so aus: Der Präsident unterzeichnet das Gesetz, das damit automatisch in Kraft tritt, sobald es im Journal Officiel (Amtsblatt, Gesetzesanzeiger) publiziert wurde - uns dies ist seit dem gestrigen Sonntag nunmehr def Fall. Aber zugleich stellte er Änderungen in Aussicht, die ihrerseits ein neues Gesetzgebungsverfahren benötigen würden.

Diese Änderungen sollen, Chiracs Ansprache zufolge, zwei Knackpunkte betreffen, an denen auch Premierminister Dominique de Villepin bereits in der Vorwoche mögliche Abmilderungen in Aussicht gestellt hatte. Erstens soll, so Chirac wie auch de Villepin, die vorgesehene kündigungsschutzlose Periode im Rahmen des CPE von jetzt 24 Monaten auf 12 Monate verkürzt werden. (Kommentar dazu von Laurence Parisot, der Präsidentin des französischen Haupt-Arbeitgeberverbands MEDEF, in der Sonntagszeitung 'JDD' vom 02 ?. April: «Das ist vernünftig. Die Dauer von einem Jahr entspricht einem europäischen Durchschnitt. Das ist eine nützliche Flexibilität.»)

Zum Zweiten hat Chirac - wie zuvor de Villepin - nunmehr angekündigt, dass der Abbruch des Arbeitsverhältnisses im Rahmen eines 'Contrat première embauche' (CPE) künftig doch unter Angabe von Gründen durch den Arbeitgeber erfolgen müsse. Die Unternehmen sollen also den CPE nicht mehr völlig begründungslos aufkündigen künden. Doch Vorsicht Falle! Dies bedeutet nicht, einen schriftlichen Begründungszwang wie beim «Normalarbeitsvertrag» CDI nachträglich wieder einzuführen. Dieser allein ermöglicht eine gerichtliche Nachprüfung des Kündigungsgrunds, und ggf. die Sanktionierung des Arbeitgebers im Falle nicht rechtwirksamer Gründe. Daran ist aber hier keineswegs gedacht! Vielmehr ist ausschließlich die Rede davon, dass ein «Gespräch» des Arbeitgebers mit dem im Rahmen eines CPE beschäftigten jungen Menschen vor dessen Hinauswurf stattfinden soll.

Dazu merkt die Arbeitgeber-Präsidentin Laurence Parisot denn auch im 'Journal du dimanche' (02. April) an: «Dass der Chef des Unternehmens die Gründe für die Trennung sagt, das ist sehr gut. In der Praxis läuft dies bereits so ab. Wenn das zukünftige Gesetz (Anm. d.A.: das angekündigte zweite Gesetz, das das jetzige über den CPE abmildern kommen soll ...) präzisiert, dass er dies mündlich tun muss, habe ich nichts dagegen. Aber wenn man anfängt, eine neue Bürokratie zu erfinden ( sic! ), schafft man die Voraussetzungen für Rechtsstreitigkeiten. In Frankreich bildet jede vierte Entlassung einer Einzelperson den Gegenstand eines rechtlichen Verfahrens. (...) In zwei Dritteln der Fälle verliert das Unternehmen vor dem Arbeitsgericht. Unter diesen Bedingungen versteht man, dass die Arbeitgeber dazu neigen, nicht genügend einzustellen.» (Hervorhebung am Original durch uns, d.Verf.)

Der «jung-dynamisch-moderne» UMP-Abgeordnete Yves Jégo, der eine als eine der «rechten Hände» des hyperambitionierten konservativen Präsidentschaftskandidaten Nicolas Sarkozy gilt, erklärte dazu bereits seinerseits: «Es geht nicht darum, den CDI (Normalarbeitsvertrag) neu zu erfinden.» Und der Vorsitzende der UMP-Parlamentsfraktion Bernard Accoyer fügt hinzu: «Das Ziel des CPE besteht darin, aus dieser französischen Besonderheit heraus zu kommen, die eine der Ursachen für unsere hohe Arbeitslosigkeit ist, vor allem bei der Jugendarbeitslosigkeit: dass bei jeder Kündigung das Gericht angerufen wird.» (Zitiert nach L`Humanité vom 3. April 2006)

Dies alles bedeutet nichts anderes, als dass es darauf hinauslaufen soll, zwar (um die Form zu wahren) den oder die junge/n Beschäftigte/n im CPE mündlich seine Kündigungsgründe wissen zu lassen - aber bitte ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen! Nur keine gerichtliche Nachprüfbarkeit! Damit aber entfällt nach wie vor jeder Rechtsschutz gegen Kündigungen aus willkürlichen oder nicht rechtwirksamen Gründen - es sei denn, es gelingt dem/r (ehemals) abhängig Beschäftigten, nachzuweisen oder zumindest den «begründeten Verdacht» vor Gericht herzustellen, dass die Kündigung aus einem grundsätzlich rechtswidrigen Grund (Diskriminierung usw.) erfolgt ist. Die Aushebelung des Rechtsschutzes erweist sich also als hauptsächliches Ziel hinter dem CPE-Projekt.

Und die Gewerkschaften ?

Den Gewerkschaften von Arbeitern und Angestellten, aber auch den Verbänden der Studierenden sitzt nunmehr die Pistole auf der Brust. Entweder, sie akzeptieren das Angebot, mit dem Parteiapparat der konservativen Regierungspartei UMP - denn deren Chef Nicolas Sarkozy sieht sich seit Samstag mit der Verhandlungsführung beauftragt - über eventuelle Änderungen und Abmilderungen an dem Gesetz über den CPE im o.g. Sinne zu verhandeln. Dies schließt eine tatsächliche Abschaffung des CPE, wie sie nach vor durch alle Gewerkschaften prinzipiell gefordert wird, aus. Vielmehr müssten diese das Prinzip akzeptieren, um über konkrete Modalitäten der Anwendung des CPE zu diskutieren. Ausgeschlossen blieben dabei natürlich auch alle sonstigen Forderungen, wie die nach Abschaffung des «Neueinstellungsvertrags» CNE für die Kleinbetriebe (der im August 2005 dem «Ersteinstellungsvertrag» CPE voraus ging) oder nach Abschaffung der übrigen Bestimmungen des Gesetzespakets, das jetzt in Kraft tritt. Zur Erinnerung: Dieses so genannte «Gesetz zur Chancengleichheit» legalisiert den Eintritt ins Arbeitsleben ab 14 und Nachtarbeit sowie Wocheennddienst ab 15, sowie den Entzug bestimmter Sozialleistungen für in sozialen Problemen steckende Familien, der Kinder bzw. Jugendliche zu häufig die Schule schwänzen.

Bisher bleiben alle Gewerkschaften, jedenfalls vor der neuen Mobilisierungs-Kraftprobe vom morgigen Dienstag, bei ihrer Forderung nach prinizpieller Abschaffung des CPE.  

Doch die windelweiche Formulierung in einer ersten Reaktion der sozialliberalen CFDT auf dieAnsprache Chiracs vom Freitag abend lautet, nunmehr handele es sich darum «zu erreichen, dass das neue Gesetz unseren Anforderungen entspricht». (Vgl. http://www.cfdt.fr/actualite/presse/comm/comm580.htm externer Link) Dies lässt befürchten, dass der sozialliberale zweitgrößte Gewerkschaftsdachverband ernsthaft in Versuchung geraten könnte, sich erneut an den Verhandlungstisch ziehen zu lassen. Bisher nahm die CFDT (im Gegensatz zum Protest gegen die «Rentenreform» im Mai/Juni 2003) an der gewerkschaftlichen Einheitsfront gegen den CPE teil. Auch, um ihr seit den berüchtigten letzten «Kompromissen» mit konservativen Regierungen (im Streikherbst 1995 und erneut im Mai 2003) arg ramponiertes Image als Gewerkschaftsorganisation aufpolieren zu können, kurz vor ihrem Kongress im Juni 2005. Noch?    

Die sozialdemokratisch dominierte Studierendengewerkschaft UNEF erklärte am Montag durch den Mund ihres Vorsitzenden Bruno Julliard in einem Radiointerview, es komme «sehr wahrscheinlich zu einem Dialog» mit den UMP-Parlamentarieren, «wenn die durch deie UNEF gestellten Bedingungen respektiert werden». Zugleich machte Julliard in dem Rundfunkgespräch auf Radio France-Inter deutlich, dass seine Organisation für die Abschaffung des CPE eintrete und nicht über dessen nähere Ausgestaltung diskutieren möchte. Die Quadratur des Kreises, angesichts der realen Ausgangsbedingungen für die Verhandlungen, die durch Chirac, de Villepin und auch Sarkozy (der seit dem Wochenende wieder mit im Boot sitzt, nachdem er kurzzeitig an den Rand gedrängt worden war) «angeboten» werden? Oder wie wünscht die UNEF aus diesem Widerspruch herauszukommen?

Wie es weitergehend wird, das wird zum Großteil auch vom Erfolg der Mobilisierungen am morgigen Dienstag abhängen. Alle zwölf Gewerkschaftsorganisationen von Arbeitern, Angestellten und Studierenden rufen erneut zu Arbeitsniederlegungen, Streiks und Demonstrationen auf, ebenso die Nationale Koordination der Studierenden, Oberschüler/innen und jungen Prekären. Die Koordination, die an diesem Samstag/Sonntag im nordfranzösischen Lille versammelt war (30 Stunden Marathondebatte am Stück!, bei vielleicht zwei Stunden Schlaf, und dies auch nur für manche Teilnehmer), ruft ferner dazu auf, am Donnerstag wieder Verkehrs- und andere Blockadeaktionen durchzuführen. Am Freitag sollen Nadelstichaktionen bei Gerichten durchgeführt werden, um sich mit den mittlerweile mehrere hundert auf ihren Prozess wartenden Festgenommenen aus der Protestbewegung zu solidarisieren. Für Samstag beschloss sie den Aufruf zu erneuten Demonstrationen. Aber am selben Sonnabend beginnen im Großraum Paris die Schul- und Hochschulferien.

Ein «zweites Gesetz», das das jetzt in Kraft getretene über den CPE abändern oder abmildern könnte, kann frühestens Anfang Mai dieses Jahres im Parlament zwecks späterer Debatte hinterlegt werden. Denn bis dahin haben zwischenzeitlich auch die Parlamentarier Urlaub.

Am Montag morgen rief Arbeits- und Sozialminister Jean-Louis Borloo unterdessen die Arbeitgeber dazu auf, vorläufig keine Sonderverträge vom Typ CPE abzuschließen, bevor ein Kompromiss mit den Gewerkschaften darüber gefunden sei und ein neues Gesetz auf den Weg geschickt werde. Freilich könnte kein Arbeitgeber sanktioniert werden, der es dennoch tut, denn das den Abschluss von CPE-Verträgen erlaubende Gesetz ist nun mal seit heute in Kraft.

Handelt es sich um Rückzugsbewegungen der konservativen Regierung, um zu retten, was zu retten ist, denen weitere Zugeständnisse folgen könnten? Um den Versuch, händeringend doch noch die Unterschrift der Gewerkschaften unter irgend etwas, was mit dem CPE zusammenhängt, zu bekommen und so ein Mindestmaßan Legitimation herzustellen ? Oder aber um eine Falle, die zum passenden Moment für die Gewerkschaften errichtet wird ? Die weitere Entwicklung des Kräfteverhältnisses in den nächsten Tagen wird uns darüber Auskunft erteilen.

Artikel von Bernard Schmid, Paris, vom 3.4.06


Home | Impressum | Über uns | Kontakt | Fördermitgliedschaft | Newsletter | Volltextsuche
Branchennachrichten | Diskussion | Internationales | Solidarität gefragt!
Termine und Veranstaltungen | Kriege | Galerie | Kooperationspartner
AK Internationalismus IG Metall Berlin | express | Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken
zum Seitenanfang