Home > Internationales > Frankreich > Arbeitsbedingungen > CPE > junge19
Updated: 18.12.2012 15:51
Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

Frankreich: Extreme Rechte hetzt und schlägt gegen die Protestbewegung

Konservative suchen (eher erfolglos) Anti-Streik-Bewegung zu mobilisieren, Rechtsextreme wählen härtere Methoden

Frankreichs Jugend ist in Aufruhr, jedenfalls zu größeren Teilen. Auch unter Arbeitern und Angestellten nimmt die Bereitschaft zu Streiks und Arbeitsniederlegungen zu, um die Demontage des Kündigungsschutzes u.a. durch den so genannten «Ersteinstellungsvertrag» (CPE) noch zu verhindern. Auch wenn der von vielen Angehörigen der Protestbewegung geforderte «Generalstreik» bisher nicht eingetreten ist, sondern die Arbeitsniederlegungen von abhängig Beschäftigten (anders als die studentischen Streiks) sich jedenfalls bislang im Rahmen 24stündiger Aktionstage hielten, spitzt sich der soziale Konflikt derzeit zu.

Konservative Anti-Streik-Mobilmachung bislang gescheitert

Die Protestbewegung kann bisher auf die Unterstützung einer klaren Mehrheit in der französischen Gesellschaft bauen. In den letzten Märztagen sprachen sich etwa in Repräsentativumfragen 62 % zugunsten der Proteste aus, nur 27 % dagegen. Die Ablehnung des CPE, und damit der Aushebelung des Kündigungsschutzes, reicht also bis weit in die bürgerliche Mitte. Allerdings existiert ein harter Kern in der konservativen Wählerschaft der Regierungspartei UMP, der das Projekt dezidiert unterstützt. Bisher gelingt es der konservativ-liberalen UMP dennoch nicht, eine aktive Unterstützung für ihr Vorhaben auch auf der Straße oder in den Universitäten zu mobilisieren.

Dort, wo ihr dies zunächst ansatzweise gelingt und sie an die Frustration bzw. Ängste eines Teils der Studierendenschaft ob der Blockaden des Vorlesungsbetriebs anknüpfen kann, ist dies nur von vorübergehender Dauer. Solcherlei Stimmungen gibt es tatsächlich unter einer stärkeren Minderheit der Studierendenschaft, die sich folgendermaßen äußern und auf den Punkt bringen lassen: «Wir drohen unser ganzes Universitätsjahr zu verlieren», und: «Auch wenn wir selbst gegen den CPE sind - es ist autoritär, die Studierwilligen am Veranstaltungsbesuch zu hindern, jeder/r soll sich seinen Aktionsmodus selbst aussuchen». (Letzterer Vorwurf stößt allerdings auf den Einwand, dass diejenigen, die ihre Ablehnung des CPE auch in Streiks umzusetzen bereit sind, dadurch einer von Woche zu Woche immer enormer werdenden Benachteiligung ausgesetzt wären, falls der Universitätsbetrieb weiterhin normal abliefe. In Frankreich beinhaltet das Studium eine Reihe von Seminarveranstaltungen mit Anwesenheitspflicht, und die Fehlenden können sanktioniert werden, bis hin zur Aberkennung ihrer Jahres- oder Halbjahresergebnisse. Deswegen würden die Streikteilnehmer sich auf unerträgliche Weise selbst ins Fleisch schneiden, falls einfach der gesamte Betrieb weiterlaufen könnte.) Aber die Mehrheit dieser «Blockadegegner» unter den Studenten und Studentinnen sind selbst dennoch gegen den CPE. Daher sind sie zwar «Blockade-», aber oftmals nicht «Streikgegner», und erst recht keine aktiven Befürworter/innen des Regierungsvorhabens.

Vor diesem Hintergrund mussten die Versuche bürgerlich-konservativer Kräfte, die (bisher eher kleinen bis maximal mittelgroßen) Versammlungen zum Thema «Stoppt die Blockade» zu vereinnahmen und auf eine Pro-CPE-Position zu bringen, kläglich scheitern. Tatsächlich ließsich diese Linie nämlich nicht durchsetzen, und als die rechte studentische Aktivistentruppe UNI etwa in Paris in einer studentischen Versammlung «gegen die Blockaden» vor dem Rathaus äußerst sichtbar auftauchte, sprangen zahllose andere Teilnehmer/innen ab und distanzierten sich. Die UNI ist eine seit 1969 bestehende Aktivistenorganisation, die als Abwehrreaktion auf den Mai '68 gegeründete wurde und in den 80er Jahren zeitweise neben einer konservativen Mehrheit auch einen rechtsextremen Flügel (der dem Front National nahe stand) hatte. Heute steht sie der Regierungspartei UMP nahe, und macht aktiv Propaganda für den CPE.

Zu den Größenordnungen: In Paris demonstrierten vor nunmehr knapp zwei Wochen circa 1.000 eher bürgerliche, studentische «Blockadegegner» vor der Sorbonne ; einige Tage später vor dem Rathaus waren sie zunächst zahlenmäßig stärker, liefen aber aus den genannten Gründen zum Teil wieder auseinander. Am gestrigen Sonntag, 02. April demonstrierten dann rund 2.000 « Blockadegegner » (laut den Montagsausgaben der Zeitungen 'Libération' und 'Métro') durch die Pariser Innenstadt, von Châtelet bis zur Place de la Bastille, «unter ihnen Studierende, aber auch zahlreiche Senioren» (so 'Libération'). Dazu hatten 5 Anti-Blockade- und Anti-Streik-Plattformen, hinter den sich in mindestens zwei Fällen unmittelbar die UNI bzw. die UMP verbirgt, aufgerufen. Ansonsten handelt es sich z.T. um dieselben wirtschaftsliberalen Vereinigungen wie 'Liberté Chérie', die bereits die Gegendemonstrationen gegen den Transport- und Schustreik (damals gegen die «Rentenreform») im Juni 2003 organisierten, aber damals mit größerem Erfolg (15 bis 18.000 DemonstrantInnen am 15. Juni 03). Auch in Nantes demonstrierten am Donnerstag voriger Woche circa 400 Blockagegner. Aus anderen Städten liegt derzeit kein Zahlenmaterial vor. «Les anti-blocage» genießen vor allem in einer der beiden in größerer Zahl frühmorgens kostenlos verteilten «Gratis-Tageszeitungen» namens 'Métro' eine aktive Unterstützung. Dort wird häufig über sie berichtet, und neben den Artikeln sind regelmäßigihre Internetadressen angegeben, im Gegensatz zu denen der Protestbewegung. Zwischen den Zeilen liest man allerdings in manchen Artikeln (vielleicht von selbst eher mit den Streikenden sympathisierenden JournalistInnen ? ?) heraus, dass die Streikbefürworter/innen an den Universitäten doch wesentlich stärker seien...

Die konservative Rechte schafft es also bisher nicht, die real in Ansätzen vorhandenen Frustrationsgefühle in einem Teil dert Studierendenschaft zu bündeln, und in Erfolge für ihre Pro-Regierungs-Propaganda umzumünzen. 

Jean-Marie Le Pen: Streikende vor den Richter!

Die extreme Rechte ihrerseits bemüht sich um eine Profilierung auf absoluten Hardliner-Positionen, wohl mit dem Hintergedanken, dadurch als die konsequentere Rechte auftreten und auch um die Sympathien schwankender konservativer Wähler werben zu können. Dies in einer Periode, da sie selbst unter dem Abwerbedruck des hyperaktiven konservativen Innenminister Nicolas Sarkozy steht; dieser äußerte erst jüngst in einem Interview mitder Tageszeitung 'Le Parisien' (vom 29. März 06), er wolle tatsächlich «Wähler des Front National umwerben» und diese «jeden einzeln gewinnen».

In einem Kommuniqué an die französische Presse erklärte Jean-Marie Le Pen in den letzten Märztagen, es handele sich bei den neuerlich geplanten Arbeitsniederlegungen gegen den CPE um einen «Verstoßgegen die Demokratie». Sie seien schlichtweg «illegal», da das positive Recht (Anm.: Artikel L. 521-1 des Arbeitsgesetzbuches, Code du travail) vorschreibe, dass Streiks, um gesetzmäßig zu sein, auf die Erfüllung «berufsbezogener Forderungen» abzielen müssten. Und da es sich um politische Streiks handele, die Druck auf den Gesetzgeber ausüben sollten, sei diese Erfordernis nicht gegeben. Die Pariser Abendzeitung 'Le Monde' vom 30. März fasst den Auftritt des FN-Vorsitzenden vor der Presse tin einer Kurzmeldung zusammen: «Monsieur Le  Pen wünscht, dass die gegen den CPE Streikenden vor Gericht gestellt werden.»  

Die rechtsextreme Wochenzeitung 'National Hebdo', die der Partei Le Pens zu 40 % unmittelbar gehört, stößt in dasselbe Horn. Unter der Überschrift: «Einmal mehr, einmal zu viel: DER ILLEGALE STREIK» liest man in ihrer Ausgabe vom 30. März 2006: «Der vielfältige Streik, der mehr oder mindet die Aktivität in unserem Lande lähmt, ist total illegal. Genauer gesagt, handelt es sich um eine Vielzahl von illegalen Streiks, die organisiert werden, und die einen doppelten Skandal darstellen. Skandal der angeblich repräsentativen Gewerkschaften (...) die sich ohne Zurückhaltung illegalen Aktionen hingeben. Und Skandal einer Regierung, die so tut, als sähe sie nichts, während sie die Gewerkschaften niederschlagen könnte.»

Ansonsten bezieht die «nationale Wochenzeitung» (so lautet ihr Titel übersetzt) auf ihrer Seite 1 Position zu den Phänomenen von Gewalt und Randale in der aktuellen Protestbewegung. Dabei wendet sie sich gegen ein, ihr zufolge, mystifizierendes Schema: «Die Medien (...) hängen noch immer an dem Schema, demzufolge es die netten Studenten und Oberschüler gibt, die friedlich gegen den CPE demonstrieren, und die bösen Casseurs (Anm.: Krawallmacher, Chaoten), die das Ende dieser Demos stören und das Bild einer würdigen und verantwortungsvollen Bewegung beschmutzen. Eine der Auswirkungen dieser mythischen Sichtweise der Wirklichkeit, die durch die Linke durchgesetzt worden ist, ist, dass sie es erlaubt, die Sicherheitskräfte zu stigmatisieren (...).» Doch dieses Bild ist aus Sicht des Chefkommentators der rechtsextremen Zeitung, Yves Daoudal, völlig falsch. Und insofern kann er auch kaum mit seiner Schadenfreude hinter dem Berg halten, wenn gewalttätige Jugendgangs jugendliche DemonstrantInnen angegriffen haben (2. Spalte oben im Artikel): «Es wäre also grotesk, die unglücklichen Schüler zu beklagen, die geschlagen und ausgeraubt wurden. Erstens ist ihr Platz nicht auf der Straße, sondern in der Schule. Zweitens, wenn sie Wert darauf legen, an den anarcho-trotzkistischen Demonstrationen teilzunehmen, müssen sie die damit verbundenen Risiken auf sich nehmen (...).» Denn es sei klar, so liest man etwas unterhalb dieser Passage, «dass die linksradikalen Anführer des angeblichen Kampfes gegen den CPE die Banden aus der Banlieue (aus den Vorstädten, Anm.) in ihre Kampfvorrichtung integrieren, als Sturmabteilungen, unkontrollierbar, aber die Arbeit ausführend, die ihnen zukommt: Unordnung und Panik zu stiften.» Denn, so fährt der ideogolisch gefestigte Konterrevolutionär vom katholisch-fundamentalistischen Parteiflügel des FN weiter hinten fort: «Wenn man die Revolution macht, nimmt man, was man zur Hand hat. Dies ist nicht neu. Am 14. Juli 1789 waren die Revolutionäre, die die Bastille stürmten, mehrheitlich, was (Innenminister) Sarkozy 'la racaille' (Anm.: den Abschaum, das Gesocks) nennt.»  ( National Hebdo vom 30. 03. 2006, Seite 1)

Die Wochenzeitung 'Minute', die eine Scharnierfunktion zwischen der neofaschistischen Rechten und bestimmten konservativen Milieus inne hat (in in ihren letzten beiden Ausgaben finden sich etwa Gastbeitrëge von UMP- Abgeordneten), kommt am 22. März 06 auf die Verhaftung von militanten Neofaschisten in der Nähe der Pariser Sorbonne zurück. Dabei wird die Gewalttätigkeit gegen Protestierer oder «linke Randalierer» kein bisschen verheimlicht, vielmehr bekennt die Zeitung sich stolz dazu, um ein Komplott gegen die rechten Aktivisten anzuklagen. Originalton: «Nationalisten, Royalisten, Katholiken oder Identitäre (Anm. d. Verf.: letztere sind militante Neonazis) - sie waren gekommen, um 'linke Chaoten zu klatschen'. Sie glaubten, dass die Polizisten ihre Verbündeten seien. Sie sahen sich auf bösartige Weise in die Zange genommen und werden vor Gericht gestellt werden.» Der gesamte Artikel, eine Seite lang, ist aus Sicht der militanten rechten Aktivisten, die am 18. März im Pariser Quartier Latin unterwegs waren, verfasst. Er steht unter der Überschrift: «Die Nationalisten werden sich daran erinnern: Die bösartige Manipulation von (Innenminister) Sarkozy.»

Terrainverlust für extreme Rechte in der jungen Generation

Unterdessen belegt eine jüngste Umfrage des IFOP-Instituts unter 14.269 jungen Leuten zwischen 18 und 24 Jahren, dass die extreme Rechte parallel zum aktuellen sozialen Konflikt an Boden verloren hat. Die Sympathiewarte für den Front National fielen demnach in dieser Altersgruppe von 9,8 % (zum Jahreswechsel 2005/06) auf noch 6,9 %, im März dieses Jahres. (Vgl. 'Le Monde' vom 24. März)

Unter den älteren Generationen, so ist zu befürchten, könnte die extreme Rechte jedoch längerfristig von jener Berichterstattung in manchen bürgerlichen Medien profitieren, die sich anlässlich der Proteste hauptsächtlich auf «Gewalt»- und «Krawall»bilder stützen zu können meint. Mitnichten nützt ihr Auftreten der extremen Rechten in all jenen Kreisen der Gesellschaft, die bewusst (und aktiv) gegen den CPE opponieren. Aber bei jenen, die verängstigt zu Hause vor dem Glotzgerät sitzen... ?  

Artikel von Bernard Schmid, Paris, vom 3.4.06


Home | Impressum | Über uns | Kontakt | Fördermitgliedschaft | Newsletter | Volltextsuche
Branchennachrichten | Diskussion | Internationales | Solidarität gefragt!
Termine und Veranstaltungen | Kriege | Galerie | Kooperationspartner
AK Internationalismus IG Metall Berlin | express | Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken
zum Seitenanfang