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Updated: 18.12.2012 15:51
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Nach der Sarkozy-Rede ist vor dem Streik

Die französischen Gewerkschaftsverbände rufen, nach der gelungenen Mobilisierung vom 29. Januar, zu einem neuen Streik—und Aktionstag am 19. März auf. Reichlich spät, wie Viele finden. Doch in der Zwischenzeit halten der Arbeitskampf der Hochschullehrer (inzwischen mit Unterstützung der Studierenden), der Generalstreik auf den französischen Karibikinseln Guadeloupe & La Martinique und andere Ereignisse den sozialen Druck aufrecht. Die Regierung darf sich in den kommenden Wochen warm anziehen

„Wir haben es mit einer Krise zu tun, wie die Welt sie seit einem Jahrhundert nicht gekannt hat. Ich verstehe die Besorgnis der Franzosen. Ich muss zudem so stark wie möglich jene beschützen, die schon bisher vom weltweiten Wachstum ausgeschlossen blieben.“

Beruhigend klangen sie nicht unbedingt, die Worte, mit denen Präsident Nicolas Sarkozy sich am vergangenen Donnerstag Abend (o5. Februar) auf den Fernsehbildschirmen an die Nation wandte. Paradoxerweise sollten sie aber gerade dafür sorgen, die soziale Unruhe im Zaum zu halten, die sich vor dem Hintergrund der Wirtschafts- und Finanzkrise Bahn gebrochen hat. Indem er nicht den Eindruck erweckt, die Probleme zu verharmlosen - sondern sie im Gegenteil noch dramatisch überzeichnet - möchte Sarkozy vermeiden, in den Augen des Publikums als „typischer Politiker, der den Leuten nur gut zuredet“ zu erscheinen.

Dabei ist seine Angabe, die Welt habe seit „einem Jahrhundert“ keine solche Krise erlebt, unzutreffend. Die bisher größte Weltwirtschaftskrise mit den katastrophalsten politischen Folgen ist noch keine 80 Jahre her, und noch ist nicht klar, ob die jetzige an die Ausmaße der damaligen Krise heranreichen wird. Durch die Dramatisierung aber will Sarkozy sich wie einen Steuermann in stürmischen Zeiten, auf dessen wachsames Auge es jetzt ankommt, darstellen. Und so den wachsenden Unmut in der französischen Bevölkerung von sich weg lenken. „Glauben Sie, dass meine Arbeit einfach ist?“ fragte er die Journalisten- die Nachrichtensprecher der beiden größten französischen Fernsehanstalten, Laurence Ferrari von TF1 und David Pujas von France2 - die ihm anderthalb Stunden lang vorher ausgewählte und abgesprochene Fragen stellen durften. 15 Millionen Zuschauer verfolgten die Sendung.

Ob die Übung aber Erfolg hatte, ist eine offene Frage. Laut ersten Umfragen zeigen sich nur rund 35 Prozent der Franzosen von seinem Auftritt überzeugt, über die Hälfte der Befragten erklären das Gegenteil - außer in einer Auftragsstudie für die konservative Tageszeitung Le Figaro, die eine gegenläufige Tendenz belegen soll. Und zudem ergab eine am Montag publizierte Befragung, dass 53 Prozent sich derzeit bereit zeigen, „einer sozialen Bewegung zu folgen“, also beispielsweise in den Streik zu treten.

Die enormen Demonstrationen vom Streik und Aktionstag der Gewerkschaften am 29. Januar dürften also nicht die letzten bleiben. Anderthalb Millionen Demonstrierende hatten an jenem Donnerstag vergangener Woche in ganz Frankreich gegen Sarkozys „unsoziale“ Politik zur Bewältigung der Krisenlasten protestiert. Die Polizei spricht von 1,08 Millionen Teilnehmer/inne/n – keine runde Zahl, damit es so aussieht, als habe man gerechnet -, die Gewerkschaften ihrerseits von 2,5 Millionen.

Ein Kurswechsel wird seitens der Regierung bislang energisch ausgeschlossen. In einem Interview in der Pariser Abendzeitung ‚Le Monde’ erklärte Premierminister François Fillon Anfang letzter Woche: „Nichts wäre schlimmer als ein Kurswechsel“. Stattdessen zog er es vor, seinen „Plan zur Ankurbelung der Wirtschaft“ nochmals en détail vorzustellen, in 1.000 Einzelpunkte aufgegliedert. Nichts Neues unter der Sonne unterdessen: Denselben Plan hatte sein Chef, Präsident Sarkozy, bereits Anfang Dezember vergangenen Jahres präsentiert, nicht ganz so sehr in die Einzelheiten gehend. Die grö b ere Detailfülle ändert nichts an der grundsätzlichen Ausrichtung des Krisenplans, der den Franzosen nun nur noch besser verkauft werden soll – „Erklärung und Pädagogik“ seien nun angesagt, tönte der neue Sozialminister Brice Hortefeux dazu am Montag. Hortefeux wechselte erst vor kurzem in dieses Amt, er amtierte bis dahin als Minister „für Einwanderung und nationale Identität“.

Aber es ist nicht mangelndes pädagogisches Talent, das die Gewerkschaften und viele Französinnen verärgert: Es ist der Kurs selbst. Das Regierungslager beruft sich darauf, es sei grundfalsch, eine „Ankurbelung der Wirtschaft durch den Konsum der Haushalte“ zu versuchen und also etwas für die Empfänger von Löhnen und Gehälter respektive von Arbeitslosengeld zu tun. Die Leute legten dann nämlich das so zusätzlich zur Verfügung stehende Geld als Sparguthaben auf die hohe Kante – oder aber sie kauften einfach ausländische Produkte. Konsequent, dass das berühmte „Ankurbelungsprogramm“, welcher 26 Milliarden Euro umfasst, nur eine knappe Milliarde für die Haushalte vorsieht.

Und letztere dient auch nur dazu, die Einführung des neuen „Aktiven Solidaritätseinkommens“ RSA schmackhaft zu machen – der französische Name für die Aktivierung der Sozialausgaben. Es handelt sich um eine Art Kombilohn aus Hungerlöhnen und staatlicher Zusatzfinanzierung, der zukünftig die Sozialhilfe restlos ersetzen soll: Die Bezieher unterer Einkommen sollen arbeiten, und die Arbeitgeber sollen extreme Tieflöhne bezahlen dürfen, die dann durch den Steuerzahler aufgestockt werden. Die Bezieher dieses RSA - der seit 2007 in einzelnen Bezirken erprobt wurde, und nun ab Juni flächendeckend eingeführt werden soll - erhalten nunmehr eine Prämie, um ihnen den Übergang zum neuen System zu versü b en. Dafür dient die einzige, zu „sozialen Zwecken“ vorgesehene Milliarde im Konjunkturprogramm. Sarkozy erklärte im Januar zugleich, wie er sich den RSA in den Praxis vorstellt: „Wer zwei Jobangebote ausschlägt, dem drehen wir den Hahn vollständig zu, aus.“

Der Rest geht an die Wirtschaft, etwa durch langfristige Aufträge für Bauma b nahmen - ohne sofortigen Beschäftigungseffekt - oder Steuer- und Abgabennachlässe. Bei den Erstgenannten wird im Übrigen der Stra b enbau gegenüber einer Förderung des Schienenverkehrs oder anderer, ökologisch verantwortlicher und sinnvoller Projekte einseitig bevorzugt. Zuvor hatte die Regierung im letzten Herbst immerhin 360 Milliarden Euro für die „Rettung der Banken“ aufgewendet: für 320 Milliarden übernahm sie Garantien für Ausfälle des Kreditsystems, und 40 Milliarden schoss sie für das Eigenkapital der Banken zu.

Die Gewerkschaften erwidern, in Zeiten, in denen die Realeinkommen ohnehin – durch seit Jahren anhaltende Teuerung, die Explosion der Mieten etwa in Paris und stagnierende Lohnentwicklung- sukzessive angeknabbert wurden, dürften die Lohnabhängigen „nicht auch noch die Krise bezahlen“. Die radikaleren Gewerkschaftskräfte erklären, das Kapital habe die Krise eingebrockt und solle sie nun auch bezahlen, ohne den Anteil der Lohnabhängigen bei der Verteilung des gesellschaftlichen Mehrprodukts zu senken. Der bei Bürgerlichen als „moderat“ geltenden François Chérèque, Vorsitzender des sozialdemokratischen Gewerkschaftsbunds CFDT, antwortet seinerseits mit „konstruktiven Gegenvorschlägen“: Man könne die Finanzlage der abhängig Beschäftigten auch bessern, indem man etwa gezielt die – in Frankreich, im EU-Vergleich, sehr hohe - Mehrwertsteuer als sozial ungerechteste Steuer für Grundbedarfsgüter absenke. Dadurch versichere man sich, dass das Geld nicht ausschließlich für Importwaren wie ausländische Autos ausgegeben werde. Das Argument, Kaufkraftgewinne würden in Sparguthaben umgewandelt, lässt Chérèque nicht gelten: Sehr vielen Haushalten sei dies schlicht nicht möglich, sie kämen bestenfalls gerade so über die Runden.

Andere Stimmen sprechen davon, die 2007 durch das Regierungslager verabschiedeten Steuergeschenke für Reiche und Besserverdienende aufzuheben. Alle acht Gewerkschaftsverbände in Frankreich sprechen sich inzwischen unisono dafür aus. In diese Richtung möchte das Regierungslager sich aber auf keinen Fall orientieren.

In seiner Ansprache vom Donnerstag versuchte Sarkozy die Vorwürfe nun abzufedern: Das Geld an die Banken sei für die Steuerzahler und die französische Bevölkerung auf keinen Fall verloren, der Staat strecke es den Banken ja nur vor. Und es trage dabei auch noch Zinsen: Sarkozy sprach von 1,4 Milliarden Euro jährlich, die er nach ihrem Eintreffen auf den Konten der Regierung für zusätzliche Sozialausgaben aufwenden wolle. Er nannte etwa die Möglichkeit, die unterste Stufe der Einkommenssteuer abzuschaffen oder das Kindergeld zu erhöhen. Allerdings bezweifeln Journalisten und Experten, dass die Rechnung auch nur annähernd zutrifft: Um das Kalkül aufgehen zu lassen, wäre es erforderlich, dass keine einzige der vom Staat für die Banken übernommenen Bürgschaften auch eingefordert wird, dass also keinem einzigen Kreditinstitut die Pleite oder Zahlungsunfähigkeit droht. Zudem trifft es zwar zu, dass der Staat für die Vorschüsse an die Banken Zinsen kassiert - zu einem niedrigeren Satz, 4 Prozent, als auf den privaten Finanzmärkten. Aber der Staat musste sich selbst neu verschulden, um die Verpflichtungen übernehmen zu können. Auch dies kostet Zinsen, die von der durch Sarkozy angeblich erwarteten Summe von vornherein abgezogen werden müssen.

Gleichzeitig enthielt Sarkozys Rede auch eine Ankündigung, die viele Beobachter stark überraschte und eine politische Zeitbombe darstellen dürfte: Schon ab dem kommenden Jahr, 2010, möchte er die Gewerbesteuer komplett abschaffen. Ein riesiges Geschenk an private Unternehmen, das den Kommunen aber überhaupt nicht gefällt: Die Einkommen der Kommunen hängen zu 29 Prozent von der Gewerbesteuer ab. Und knapp drei Viertel der Investitionen (73 %) der öffentlichen Hand werden aus den Kommunalfinanzen getätigt. Manchen Rathäusern würde durch eine solche Maßnahme der Ruin drohen. ‚LBürgerliche Experten monieren zudem auf einer anderen Ebene, dass die Rathäuser dadurch das Interesse verlieren könnten, sich für die Ansiedlung von Firmen in ihrer Stadt oder Gemeinde einzusetzen - was aber in der Folge auch weniger Arbeitsplätze zur Konsequenz hätte;

Präsident Sarkozy möchte seine Ankündigungen nun, hinterher, am 18. Februar mit Gewerkschaften und Unternehmervertretern bei einer Unterredung im Elysée-Palast besprechen. Allerdings werden nur fünf von acht bestehenden Gewerkschaftszusammenschlüssen eingeladen: die CGT (stärkster Dachverband, „postkommunistisch“), die CFDT (sozialdemokratisch und an der Spitze pro-neoliberal), FO (populistisch schillernd), die CFTC (Christenheinis) und die CGC (Gewerkschaftsbund der höheren Angestellten). Diese fünf Gewerkschaftsdachverbände sind bislang vom Gesetzgeber als „repräsentative“ Verbände der abhängig Beschäftigten anerkannt. (Auch wenn diese Anerkennung als „repräsentativ“ in den Betrieben zukünftig - ab spätestens 2012 - unter den Vorbehalt eines Mindest-Stimmenanteils bei Betriebsratswahlen von 10 Prozent gestellt wird. So will es ein Gesetz, das am 20. August 2008 in Kraft trat.) Ausgeschlossen bleiben also die Union syndicale Solidaires - der Zusammenschluss der linken Basisgewerkschaften SUD und anderer Einzelgewerkschaften -, die stärkste Bildungsgewerkschaft FSU sowie die eher „unpolitisch“-moderate UNSA.

Alle acht Gewerkschaftsverbände, die sich am Montag Abend (o9. Februar) zum zweiten Mal getroffen haben, möchten unterdessen gemeinsam am 19. März zu einem neuen Streik- und Aktionstag aufrufen. Spät, sehr spät, so finden viele Beobachter und Aktivist/inn/en - immerhin über sechs Wochen nach dem letzten Mobilisierungstermin vom 29. Januar. Allerdings halten unterdessen einige sehr starke soziale Mobilisierungen das Feuer am Köcheln und den Druck unter dem Kessel. So wird die französische Karibikinsel Guadeloupe seit dem 20. Februar durch einen Generalstreik in Atem gehalten. Gefordert wird u.a. eine wirksame Armutsbekämpfung, die Erhöhung des Mindestlohns und eine Aufwertung aller Tieflöhne um 200 Euro. Am gestrigen Donnerstag (12. Februar) brachen die Gewerkschaften die Verhandlungsrunde mit den Unterhändler der Regierung ab, „weil diese keine Ahnung haben und ihr Dossier nicht kennen“. Inzwischen hat der Generalstreik auch auf die andere französische Antilleninsel La Martinique, und in Ansätzen fern auch auf einen weiteren französischen „Überseebezirk“ - La Réunion im Indischen Ozean - übergegriffen. (ÜBER DEN GENERALSTREIK IN DEN FRANZÖSISCHEN „ÜBERSEEGEBIETEN“ FOLGT UNSER GESONDERTER, AUSFÜHRLICHER ARTIKEL AM MONTAG.)

Auch die Hochschullehrer sind seit nunmehr zwei Monaten im Ausstand (dazu folgt ebenfalls ein näherer Artikel in den kommenden Tagen). Um den sozialen Druck nicht sinken zu lassen, rufen ihre Gewerkschaften nun zu einem massiven Aktionstag am 19., nicht März, sondern am 19. Februar auf. Und am gestrigen Donnerstag setzte ebenfalls die Mobilisierung im Personal des Gesundheitswesens, besonders in den staatlichen Krankenhäusern, mit Streik und Demonstration ein. Warme Zeiten also für die Regierung…

Bernard Schmid, Paris, 13.02.2009


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