Home > Internationales > Frankreich > Politik > gipfelmaniasarko
Updated: 18.12.2012 15:51
Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

Sarkozy organisiert (schon wieder) einen Gipfel...

"Genau der richtige Zeitpunkt also, um eine neue Konferenz mit Pauken und Trompeten abzuhalten. Am Mittwoch, den 18. Januar wurde also der „Sozialgipfel“ im Elysée-Palast anberaumt, zudem Gewerkschaften, Arbeitgebervertreter und Repräsentanten der Regierung eingeladen waren. Knappe einhundert Tage vor dem ersten Durchgang der Präsidentschaftswahl schien es für Sarkozy hohe Zeit, sich einmal als Mann der sozialen Wohltaten zu profilieren, auch wenn er theoretisch bereits über vier Jahre dafür Zeit gehabt hätte" - aus dem Artikel "Frankreich: Knack Dir den (Sozial-)Gipfel der zweifelhaften Genüsse" von Bernard Schmid vom 20. Januar 2012.

Frankreich: Knack Dir den (Sozial-)Gipfel der zweifelhaften Genüsse

Nicolas Sarkozy ist ein Freund aufwendig inszenierter Gipfeltreffen und Veranstaltungen, deren Ankündigungen einige Zeit später in der Rumpelkammer landen. Seit Anfang seines fünfjährigen Mandats, das nun in drei Monaten ausläuft, profilierte er sich etwa mit dem "Grenelle des Umweltschutzes" - als "Grenelle-Konferenz" bezeichnet man in Frankreich seit einer Verhandlungsrunde vom Mai 1968 zwischen Regierung, CGT und Arbeitgeberlager eine gro?e Veranstaltung am Runden Tisch. Nachdem einige seiner Berater erkannt hatten, dass ökologische Technologien einen neuen Wachstumsmarkt für das Kapital darstellen könnten, wurde auf allen Kanälen verkündet, Frankreich investiere nun in erneuerbare Energiequellen, Wärmedämmung und andere "Zukunftstechnologien". Allerdings wurde gleichzeitig etwa das französische Atomprogramm mit einem Diskussionstabu belegt. Ab Herbst 2007 fanden eine Reihe aufeinanderfolgender Konkurrenzrunden mit Regierungs- und Industrievertretern, Umweltschützern und anderen Akteuren statt.

Am Dienstag, den 17. Januar 12 nun konnte Sarkozy sich nicht mehr an seine damaligen Töne erinnern, als er eine Rede in Pamiers im Umland der Pyrenäen hielt. Vielmehr versprach er Landwirten, Jägern und anderen potenziellen Wählern vornehmlich in kleinen und mittleren Städten: "Ich mir bewusst, dass die kleinkarierten Verwaltungsvorschriften für Euch unerträglich sind." Darunter fasste er ausdrücklich etwa den Gewässerschutz, der als Hindernis für eine industrialisierte und hyperproduktivistische Landwirtschaft betrachtet wird, sowie zeitliche Einschränkungen bei der Vogeljagd. Letztere dienen dazu, dem Geflügel in Brützeiten eine Reproduktion der Arten zu erlauben, wurden durch Sarkozy jedoch als Luxus dargestellt, der dazu diene, ökologisch orientierte Gutmenschen bei Laune zu halten.

Genau der richtige Zeitpunkt also, um eine neue Konferenz mit Pauken und Trompeten abzuhalten. Am Mittwoch, den 18. Januar wurde also der "Sozialgipfel" im Elysée-Palast anberaumt, zudem Gewerkschaften, Arbeitgebervertreter und Repräsentanten der Regierung eingeladen waren. Knappe einhundert Tage vor dem ersten Durchgang der Präsidentschaftswahl schien es für Sarkozy hohe Zeit, sich einmal als Mann der sozialen Wohltaten zu profilieren, auch wenn er theoretisch bereits über vier Jahre dafür Zeit gehabt hätte.

Dabei ging Sarkozy jedoch wie auf rohen Eiern vor, denn im Vorfeld zeichnete sich ab, dass keiner der grö?eren Gewerkschaftsdachverbände eine Wiederwahl Sarkozys wünscht. Vielmehr setzen ihre Spitzen mehrheitlich auf eine Amtsübernahme durch den rechten Sozialdemokraten François Hollande. Aus historischen Gründen hält die CGT, ihr noch immer stärkster Dachverband, daneben auch Kontakte zur "Linksfront" (Front de gauche), einem Zusammenschluss aus französischer KP und einer Abspaltung von der Sozialdemokratie. CGT-Generalsekretär Bernard Thibault und ihr Kandidat Jean-Luc Mélenchon traten vergangene Woche gemeinsam auf. Mehrere tausend Menschen, vor allem aus Gewerkschaften, demonstrierten zudem kurz vor dessen Eröffnung gegen den "Unsozialgipfel".

"Unpopuläre" Ankündigungen, beispielsweise solche neuer sozialer Einschnitte, oder Kontroversen konnte Sarkozy bei dem Gipfel deswegen nicht gebrauchen. Und so beschränkte er sich bei den Diskussionen auf das "Konsensfähige", wie nahezu alle französischen Presseorgane am folgenden Tag unisono unterstrichen. Rund 430 Millionen Euro sollen für soziale Belange, vor allem solche von Lohnabhängigen mit "bedrohten" Arbeitsplätzen und Arbeitslosen - aus deren Reihen besetzten Aktivisten am Vortag einige Niederlassungen des Pôle emploi, der französischen Arbeitsagentur -, ausgegeben werden. Allerdings ist der Clou bei der Sache, dass Sarkozy gleichzeitig verkündete, es dürfe sich nicht um neue Ausgaben handeln, "wegen der Haushaltslage", sondern nur um eine Umschichtung bestehender Mittel. Wo diese also in naher Zukunft abgezogen werden müssen, blieb hingegen bislang noch offen.

Ausgegeben werden sollen davon etwa 140 Millionen für die Finanzierung von Kurzarbeit. Eine vorübergehende starke Reduzierung ihrer Arbeitszeit, bei einer Ersetzung eines Gutteils ihres Einkommens, soll Lohnabhängigen "ihren Arbeitsplatz erhalten". Die dafür vorgesehene Summe ist allerdings eher kümmerlich, verglichen mit den 600 Millionen, die Frankreich im Krisenjahr 2009 für denselben Zweck ausgegeben hat - in Deutschland waren es gleichzeitig sechs Milliarden. Die aus allen Nähten platzenden, völlig überlasteten Arbeitsagenturen sollen 1.000 zusätzliche Angestellte bekommen, allerdings nur kurzzeitig und mit befristeten Arbeitsverträgen ausgestattet. Ferner sind 150 Millionen dafür vorgesehen, dass alle seit über zwei Jahren arbeitslosen Menschen "entweder einen Arbeitsplatz oder eine Aus- oder Fortbildung angeboten bekommen". Just dasselbe Versprechen hatte Sarkozy allerdings schon einmal Anfang 2011 abgegeben.

Die Gewerkschaftsführer protestierten am Ausgang des Elysée-Palasts jedenfalls nicht laut und vernehmlich, da keine in ihren Augen total skandalösen Entscheidungen bekannt gegeben worden. Gefragt worden waren sie im Hinblick auf die gefällten Beschlüsse allerdings auch nicht. Die dicksten Hämmer kommen auf dem sozial- und wirtschaftspolitischen Gebiet freilich noch, da Sarkozy die betreffenden Themen sorgsam von den Diskussionen am Mittwoch aussparte, um einen Eklat zu vermeiden.

Noch bis zum Ende der Legislaturperiode des amtierenden Parlaments, die Ende Februar ausläuft, sollen nämlich zwei gro?e "Reform"eisen angepackt werden - im Schnelldurchlauf, da diese Vorhaben erst vor sehr kurzer Zeit verkündet worden waren. In seiner diesjährigen Neujahrsansprache hatte Sarkozy so das Thema der so genannten "sozialen Mehrwertsteuer" (TVA sociale) wieder auf den Tisch gepackt. Es handelt sich um ein wiederkehrendes Thema. Denn schon einmal hatte die aktuelle konservativ-wirtschaftsliberale Regierung eine solchen Vorsto? unternommen, bei der Parlamentswahl im Juni 2007. Unpassenderweise hatte der damalige Wirtschaftsminister Jean-Louis Borloo das Projekt allerdings zwischen ihren beiden Wahlgängen, die acht Tage auseinander lagen, angekündigt - statt bis nach dem Wahltag zu warten. Der Aufschrei war gro?, und es wurde damals geschätzt, dass diese Diskussion rund sechzig Kandidaten der Regierungspartei UMP ihr Mandat kostete, die daraufhin in der Stichwahl in ihren Wahlkreisen durchfielen. Denn die "soziale Mehrwertsteuer" ist, nun ja, nicht sonderlich populär.

Vom Kapital auf den Konsumenten umlegen - prima Idee...

Worum geht es? Im Kern um den Transfer von so genannten "Lohnnebenkosten", also der Finanzierung der Sozialversicherungssysteme, von den Unternehmen auf die beim Konsumenten erhobene Mehrwertsteuer. Ein Traum für jeden Kapitaleigentümer: die Sozialisierung der Kosten, während die Gewinne privat bleiben. Unsozial in denkbar höchstem Ausma? insofern, als die Mehrwertsteuer - anders als Sozialabgaben von Unternehmen und abhängig Beschäftigten, oder auch die Einkommenssteuer - in keinerlei proportionalem Verhältnis zu den Einkünften steht. Für dasselbe Produkt bezahlen alle Konsumentinnen, ob Millionärin oder Sozialhilfeempfänger, exakt dieselbe Verbrauchssteuer. Anteilsmä?ig an ihrem Einkommen bemessen, geben Geringverdienerinnen, die nur eine sehr geringe Sparquote aufweisen, dabei viel mehr von ihrem Monatslohn für die Mehrwertsteuer aus als Bezieher hoher Einkünfte. Bereits bisher liegt die französische Mehrwertsteuer mit 19,6 Prozent im EU-Vergleich relativ hoch. Es gibt eine reduzierte Mehrwertsteuer auf bestimmte Grundbedarfsgüter, die soeben - im Rahmen eines der "Sparpakete" von 2011 - von 5,5 auf 7 Prozent angehoben worden ist.

Verkauft und als "sozial" bezeichnet wird dieser Einfall nun allerdings mit einem protektionistischen Zungenschlag. Denn die französischen Unternehmen, so lautet die Werbeidee, werden gleichzeitig von der Senkung ihrer Sozialabgaben profitieren und also ihrer Verbraucherpreise senken. Dadurch werden sie wiederum Marktanteile gegenüber Importprodukten erobern oder zurückgewinnen. Dass dies so - abgesehen von einzelnen Waren vielleicht, an denen es zur Schau gestellt würde - niemals funktionieren wird, liegt auf der Hand. Zwei oder auch vier Produzent Mehrwertsteuererhöhung würden etwa bestimmte Produkte, die unter anderem aus China importiert werden, noch immer erheblich billiger sein lassen. Das Problem bei den T-Shirts für fünf oder den Schuhen für 15 Euro ist ja nicht der Preis, und sollte er um ein paar Prozente aufgeschlagen werden, sondern eher die oftmals miese Qualität. Umgekehrt wird sich bei den "französischen" Produkten keineswegs automatisch eine Preissenkung einstellen, denn die so genannten Lohnnebenkosten stellen ja nur eine von mehreren Variablen dar.

Ferner droht eine Erhöhung der Verbrauchsbesteuerung den Konsum, jedenfalls in bestimmten Bereichen, in Krisenzeiten noch weiter zu erdrosseln. Aber in diesen Zeiten national unterlegter Kampagnen, in denen etwa der christdemokratische Mitte-Rechts-Oppositionskandidat François Bayrou für den Kauf französischer Produkte wirbt und auf der extremen Rechten die Präsidentschaftsbewerberin Marine Le Pen gleich lautstark für einen nationalen Protektionismus trommelt, glaubt die Regierung an das protektionistisch klingende Werbeargument.

Die Details der geplanten Ma?nahme wird Sarkozy voraussichtlich Ende Januar verkünden, da er wahrscheinlich am übernächsten Sonntag (29. Januar) eine Ansprache an das Fernsehvolk halten wird. Nachdem Sarkozy in vielen Umfragen vor der Präsidentschaftswahl nur noch anderthalb Prozent vor der rechtsextremen Konkurrentin Le Pen liegt, muss er in seinen Augen unabhängig "Handlungswillen" auch in letzter Minute vor den näher rückenden Wahlen beweisen. Strittig im Regierungslager ist derzeit noch, ob nur die Sozialabgaben der "Arbeitgeber" oder auch die "Arbeitnehmer"-Anteile auf die Mehrwertsteuer umgelegt werden sollen. Im ersteren Falle fiele die Erhöhung der Verbrauchssteuer nicht so stark aus, gedacht wird an zwei Prozent; aber gleichzeitig würde die Ma?nahme sich auch nicht durch eine scheinbare Erhöhung der Kaufkraft auf den Lohn- und Gehaltszetteln niederschlagen, was die Sache vermeintlich populär aussehen lassen könnte. Hingegen würde im zweiteren Falle der Aufschlag auf die Mehrwertsteuer gleich vier oder fünf Prozent betragen müssen.

Derzeit scheinen die Weichen für die "kleinere" Lösung gestellt zu werden, also ein Umlegen nur bestimmter "Arbeitgeberanteile" an den Sozialabgaben, und eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um rund zwei Prozentpunkte. Gewerkschaften und sozialdemokratische oder linke Opposition protestieren bereits gegen diesen Vorhaben. Auch die Rechtsextreme Marine Le Pen opponiert jedoch dagegen, und bezeichnete die geplante erhöhte Mehrwertsteuer bereits als "Steuer für das Kapitel". Dabei vergessend, dass ihre eigene Partei in den 1980er Jahren explizit eine Umwälzung der "Nebenkosten" des Kapitals just auf die Mehrwertsteuer, deren Verdoppelung damals dabei vorgesehen war, in ihr Programm schrieb.

Nicht unbedingt noch in dieser Amtsperiode von Präsident und Parlament - das Staatsoberhaupt wird in einer Stichwahl am 06. Mai neu gewählt, die Nationalversammlung dann Mitte Juni - konkret durchkommen dürfte das zweite Vorhaben, welches Sarkozy derzeit in den Mittelpunkt rückt. Es handelt sich um den Plan, den Unternehmen dergestalt "Flexibilität" zu schenken, dass "flexible" Tarifabkommen oder Betriebsvereinbarungen in Zeiten schlechter Auftragslage eine Erhöhung der wöchentlichen Regelarbeitszeit, aber auch eine Senkung des vereinbarten Lohns erlauben. Der Arbeitgeberverband MEDEF ist bezüglich dieser Vorstellung natürlich völlig aus dem Häuschen. Eine solche "Reform" dürfte jedoch auf noch beträchtlich stärkere Widerstände sto?en als andere Pläne. Sollte das derzeitige Regierungslager jedoch die Wahl gewinnen, dann wird wohl im Nachhinein sicherlich auch diese Bombe gezündet werden.

Triple AAA ist futsch...

"Leben ohne ,triple A' (Dreifach-A, AAA)" titelt die französische Wirtschaftszeitung La Tribune an diesem Dienstag. "Es gibt nicht nur AAA im Leben", antwortet die Schlagzeile auf der Eins der sozialdemokratischen Tageszeitung Libération darauf. Am vergangenen Freitag hatte die US-amerikanische Ratingagentur Standard and Poor's (S&P), welche über die "Kreditwürdigkeit" von Staaten oder Unternehmen zu befinden hat, die Note Frankreichs von AAA - der Bestnote - auf AA+ herabgestuft. Am Dienstag Nachmittag folgten die Bewertungen französischer Staatsunternehmen wie EDF (Stromversorger) und der Bahngesellschaft SNCF, die ebenfalls abgewertet wurden, und kurz darauf auch noch öffentliche Einrichtungen ie die Krankenhausverwaltung AP-HP. Diese Beschlüsse stehen im Kontext der sich in den letzten Wochen verschärfenden Staatsschuldenkrise, nachdem die öffentliche Verschuldung nach der Finanzkrise von 2008 und der "Bankenrettung" massiv angewachsen war - und nun allenthalben die öffentliche Hand unter Druck gesetzt wurde, um zu beweisen, dass sie "rückzahlungsfähig" sei.

Eine solche Entscheidung war vielfach erwartet worden, nachdem sie bereits im Oktober 2011 durch die Agentur Moody's angedroht worden war. Sie bedeutet, dass die Erwartung eventueller Anleger auf eine fristgerechte und problemlose Zurückzahlung französischer Staatsschulden leicht gedämpft wird. Von zwanzig möglichen Noten erhält der französische Staat damit aber immer noch die zweithöchste. Innerhalb der Europäischen Union wurden neun Länder gleichzeitig durch die US-Agentur abgewertet. Allerdings ist von Bedeutung, dass Deutschland - also derjenige EU-Staat, mit dessen Wirtschaftskraft die französische Elite sich am liebsten misst - neben den Niederlanden und Finnland die Bestnote behält. Damit verschärft sich das Auseinanderdriften der Ökonomien beiderseits des Rheins.

Präsident Nicolas Sarkozy ist nicht nach Scherzen zumute. Anlässlich einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem neuen spanischen Premierminister Mariano Rajoy am Montag in Madrid fuhr er einen Journalisten, der eine Frage danach stellte, unfreundlich an. Mit den Worten "Sie haben wohl die letzten Informationen nicht mitbekommen?" blaffte Sarkozy ihn an. Stunden zuvor hatte eine andere grö?ere Ratingagentur, Moody's, sich im Gegensatz zu S&P zugunsten einer Beibehaltung der bisherigen französischen Note entschieden.

Auf verschiedenen Seiten wird die Abwertung der "Zensur" Frankreichs als persönliches Versagen Nicolas Sarkozys eingestuft. Das politische Interesse daran ist, nunmehr knapp 100 Tage vor der französischen Präsidentschaftswahl, offenkundig. "Eine Politik wurde abgewertet, nicht Frankreich" tönte der chancenreichste Herausforderer von Amtsinhaber Sarkozy - der sozialdemokratische Kandidat François Hollande - folgerichtig. Auch die rechtsextreme Politikerin Marine Le Pen, derzeit drittbestplatzierte Bewerberin mit rund 20 % der Stimmabsichten, ergreift die nützliche Gelegenheit. Ihrer Interpretation zufolge zeigt der Beschluss der US-Agentur allerdings gleich "die erste Stufe beim Auseinanderbrechen der Eurozone" aus, die "Rückkehr zum Franc" sei nunmehr "unausweichlich". "Meine zwei Jahren vertretenen Analysen wurden als richtig bestätigt", behauptete die Chefin des neofaschistischen Front National (FN). Umgekehrt mussten Politiker des konservativ-wirtschaftsliberalen Regierungslagers, wie Haushaltsminister François Baroin, natürlich "entdramatisieren". Hätten sie doch sonst ein Versagen ihrer Regierungspolitik direkt oder indirekt eingeräumt. Au?enminister Alain Juppé hatte etwa im Dezember erklärt, ein eventueller Verlust der Note AAA sei auch wieder "kein Weltuntergang".

Für die Regierungsmannschaft Sarkozys hat sich dadurch die politische Gleichung, im Vorfeld der Wahlen, kompliziert. Denn im zurückliegenden Jahr erhob sie selbst das Argument, eine andere Politik als die ihre führe zwangsläufig "zu einem Verlust unseres ,triple AAA' und damit einer Verteuerung unserer Kreditaufnahme" und damit zu ökonomischen Problemen, zum Ersatz für jegliche inhaltliche Debatte über wirtschafts- und sozialpolitische Orientierungen. Im Juli etwa drohte Alain Minc, einer von Sarkozys Beratern, für den Fall eines Wahlsiegs Hollandes "den Verlust unserer Note" als unausweichlich an. Auch die Sozialdemokraten haben, unter der Leitung François Hollandes, die Politikbewertung durch das Finanzkapital und seine spezialisierten Agenturen längst integriert. Deshalb droht sich auch das Spiel mit dem erpresserischen Argument "entweder eure Politik gefällt dem Kapital, oder aber es setzt schlechte Noten" auch in naher Zukunft fortzusetzen, selbst wenn es im Frühjahr 2012 zu einem Regierungswechsel kommen sollte.

Und so ist man allen wichtigen Wahlversprechen, die Sozi-Kandidat Hollande zu Beginn seines Wahlkampfs machte, längst nicht mehr sicher, was daraus wird oder ob nicht die Verbesserung der französischen "Note" doch Vorrang haben wird. 60.000 Lehrer wieder einstellen, nachdem unter Sarkozy über 80.000 Stellen im Schulwesen vernichtet worden waren? Nicht mehr sicher, unter Finanzierungsvorbehalt gestellt. Eine der unsozialsten - da nicht zum Einkommen proportionalen - Steuern, die "Abgabe zur Refinanzierung der Sozialversicherung" CRDS, abschaffen und in die einkommensproportionale Lohnsteuer integrieren? . Wurde vorgeschlagen, und wieder zurückgezogen. Ein "Generationenvertrag", durch den die öffentliche Hand Unternehmen dafür subventionieren sollen, dass sie junge Leute einstellen, Senioren behalten und die Letzteren die Ersten ausbilden? Unabhängig von der Frage, ob es überhaupt eine gute Idee war (wohl nein), aus schlechten Gründen wieder in Zweifel gezogen - vielleicht zu teuer. Und die Liste lässt sich verlängern. Auf diese Weise wird das technokratisch-kapitalistische Argument, wonach die Zensur durch Agenturen des Finanzkapitals über jede demokratische Debatte geht, wohl auch in den kommenden Jahren weiterhin in Anschlag gebracht werden.

Bernard Schmid, 20.1.2012


Home | Impressum | Über uns | Kontakt | Fördermitgliedschaft | Newsletter | Volltextsuche
Branchennachrichten | Diskussion | Internationales | Solidarität gefragt!
Termine und Veranstaltungen | Kriege | Galerie | Kooperationspartner
AK Internationalismus IG Metall Berlin | express | Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken
zum Seitenanfang