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Updated: 18.12.2012 15:51
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Krisenpläne - französische Art

"Auch in Paris werden Krisenpläne zur Unterstützung der Banken aufgelegt - während der größte Bankenskandal des Jahrzehnts für Schlagzeilen sorgt. Das konservative Kabinett faselt zur selben Zeit von der Notwendigkeit "nationaler Einheiten" und erwägt, im Geiste eines nationalen Notstands, die Bildung einer "Krisenregierung". Unterdessen erschüttern heftige Konflikte zwischen Paris und Berlin die Europäische Union: Das "tolle" EU-Projekt der europäischen Bourgeoisen ist einer heftigen Belastungsprobe ausgesetzt. Trotz scheinbaren gemeinsamen Handelns, in Form simultan anlaufender Krisenpläne (deren Umsetzung jedoch strikt im nationalen Rahmen bleibt!), kann man - in der Krise - die Rückkehr nationalstaatlicher Egoismen auf höchster Ebene beobachten. Sofern sie je verschwunden waren. Hinter den Kulissen ist es jedenfalls mit der "trauten Einheit" nicht so weit her. Unter anderem dank des entschlossenen Widerstands der Berliner Regierung gegen jegliche Ausgaben für "fremde Interessen"..." - so beginnt die hier wiedergegebene ausführliche Fassung eines Artikels von B. Schmid "Frankreich, die EU und die Finanzkrise" vom 17. Oktober 2008, der auszugsweise bereits in telepolis erschienen war.

Frankreich, die EU und die Finanzkrise: Auch in Paris werden Krisenpläne zur Unterstützung der Banken aufgelegt - während der größte Bankenskandal des Jahrzehnts für Schlagzeilen sorgt.

Das konservative Kabinett faselt zur selben Zeit von der Notwendigkeit "nationaler Einheiten" und erwägt, im Geiste eines nationalen Notstands, die Bildung einer "Krisenregierung". Unterdessen erschüttern heftige Konflikte zwischen Paris und Berlin die Europäische Union: Das "tolle" EU-Projekt der europäischen Bourgeoisen ist einer heftigen Belastungsprobe ausgesetzt. Trotz scheinbaren gemeinsamen Handelns, in Form simultan anlaufender Krisenpläne (deren Umsetzung jedoch strikt im nationalen Rahmen bleibt!), kann man - in der Krise - die Rückkehr nationalstaatlicher Egoismen auf höchster Ebene beobachten. Sofern sie je verschwunden waren.

Hinter den Kulissen ist es jedenfalls mit der "trauten Einheit" nicht so weit her. Unter anderem dank des entschlossenen Widerstands der Berliner Regierung gegen jegliche Ausgaben für "fremde Interessen"...

(AUSFÜHRLICHE und aktualisierte Fassung eines Artikels, von dem ein Auszug (den aktuell laufenden Ermittlungen in der Kerviel-Affäre gewidmet) am Mittwoch in der Online-Zeitung ,telepolis' erschien)

Ein Satz spukt im Kopf der Abgeordneten der französischen konservativen Regierungspartei UMP herum. So berichtet es die Pariser Abendzeitung ,Le Monde' in ihrer Donnerstagsausgabe, die ihn als ,la hantise' (ungefähr: den Spuk, den sie nicht loswerden) der betreffenden Parlamentarier bezeichnet. Er lautet: "Für die Banken, da habt Ihr 360 Milliarden locker machen können!" Die große Befürchtung lautet nun, dass dieser Satz immer wieder laut werden könnte, wenn in näherer Zukunft irgendwo gesellschaftliche Bedürfnisse angemeldet werden. Noch vor Jahresfrist hatte Premierminister François Fillon lauthals getönt: "Die Kassen sind leer", und Staatspräsident Nicolas Sarkozy hatte in seiner Neujahrs-Ansprache vor der Presse drohend nachgefragt: "Was wollen Sie (von mir), dass ich Kassen stürze, die schon leer sind?" Dies droht nun leicht unglaubwürdig zu werden, nachdem binnen weniger Tage ein Rettungspaket für das angeschlagene französische Bankensystem in Gesamthöhe von 360 Milliarden Euro (Näheres dazu s. unten) geschnürt werden konnte.

Eine Karikatur bringt es nun in diesen Tagen auf den Punkt. Sagt der Politiker zum Publikum: "Eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute zuerst: Die Kassen waren (doch) nicht leer. Und nun die schlechte: Jetzt sind es (wirklich)!"

Ungutes Symbol zum "richtigen" Zeitpunkt: Der Bankenskandal des Jahrzehnts bricht wieder auf

Das Symbol kam genau zur rechten Zeit. Oder genau zur falschen. Je nach Sichtweise. Am Montag dieser Woche fand, den ganzen Tag über, vor den Pariser Untersuchungsrichtern Renaud Van Ruymbeke und Françoise Desset die Anhörung gewichtiger Zeugen im prominentesten französischen Finanzskandal der letzten Jahrzehnte statt. Es handelt sich um die so genannte "Kerviel-Affäre", die im Januar dieses Jahres aufflog und der französischen Geschäftsbank Société Générale binnen kürzester Zeit einen Verlust in Höhe von 4,9 Milliarden Euro eintrug. Der Skandal ist zum Symbol für die, sozusagen, Va-banque-Politik führender französischer Finanzinstitute geworden. Er wirft auch die Frage nach der Schuld oder Mitschuld führender Manager bei riskanten Spekulationsgeschäften, die nun - im internationalen Zusammenspiel - eine Lawine ausgelöst haben, auf.

Am Montag von 9 bis 18 Stunden wurden nun die Repräsentanten der Finanzaufsicht, in Gestalt der beiden Wirtschaftsprüfungsunternehmen Ernst & Young sowie Deloitte, vernommen. (Vgl. http://abonnes.lemonde.fr/societe/article/2008/10/14/la-crise-financiere-s-immisce-dans-l-affaire-kerviel_1106694_3224.html#ens_id=1106333) Es ging darum, die Frage zu klären, ob der spektakuläre Absturz - der noch weitaus schlimmer für die Bank hätte ausfallen können, wäre es ihr nicht gelungen, den dramatischen Geldverlust drei Tage lang zu verbergen, um in dieser Zeit alle riskanten Posten abzustoßen - auch hätte vermieden werden können. Währenddessen fand, just zur selben Zeit, eine Dringlichkeitssitzung des französischen Kabinetts statt. Die "normalen" Tagungen des Ministerrats finden üblicherweise am Mittwoch Vormittag statt.

Bei der Sondersitzung zu Wochenanfang ging es - im aktuellen Kontext nicht verwunderlich - um ein Rettungspaket für die angeschlagenen oder durch die internationale Finanzkrise bedrohten, französischen Banken. Die Öffentlichkeit und die Medien des Landes verfolgten in diesem Kontext besonders intensiv die Justizaktivitäten rund um die "Kerviel-Affäre". Aber worum ging es dabei genau?

Ein Rückblick auf den Finanzskandal des Jahrzehnts

Der 31jährige Trader Jérôme Kerviel hatte zu Beginn dieses Jahres insgesamt 50 Milliarden Euro im Namen der drittgrößten französischen Bank - der Société Générale, für die er arbeitete - aufs Spiel gesetzt. Bei riskanten Börsenoperationen spielte er für "seine" Bank mit einem so hohen Einsatz, dass letzterer das Eigenkapital des Kreditinstituts, das ihn beschäftigte, bei weitem überstieg. Letzteres betrug, je nach Angaben, 24 respektive knapp 31 Milliarden Euro. Er habe darauf gehofft, dass nach dem damaligen ersten Börseneinbruch - der in den ersten Wochen dieses Jahres durch die Ausläufer der aus den USA herüber schwappenden "Subprime-Krise" verursacht wurde - damit zu rechnen sei, dass die Märkte schnell wieder anzögen und er daraus Gewinn schlagen könne.

Dies erklärte Jérôme Kerviel den Ermittlern, die ihn Mitte Januar vorübergehend festnahmen und nach dreitägigem Verhör unter Justizauflagen wieder auf freien Fuß ließen. (Vgl. ausführlich: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/27/27185/1.html)

Zunächst wurde dabei die Frage aufgeworfen, inwiefern Jérômé Kerviel - der laut ersten Angaben "glaubte, sich beweisen zu müssen", und seine Fähigkeiten unter Beweis stellen wollte - dabei ohne Wissen seiner Vorgesetzten handelte. Seitens der Bank wurde zunächst eine Version ausgestreut, wonach Kerviel beinahe an den internen Aufsichts- und Kontrollmechanismen gescheitert wäre, diese jedoch auf geschickte Art und Weise habe umgehen können: Dank intensiver persönlicher Kontakte, die er zu Arbeits- und früheren Studienkollegen im Back Office habe knüpfen können, sei es ihm gelungen, sich ständig die neuen Passwörter für die Computer der Bank - nach ihrer am laufenden Band erfolgenden Veränderung - zu besorgen. Auf diese Weise sei es ihm gelungen, im Rücken von Vorstand und Kontrollbeauftragten tätig zu werden. Diese Darstellung hat sich längst als völlig unhaltbar erwiesen.

Inzwischen ist bekannt, in welch hohem Ausmaß die Führung der Geschäftsbank, über Monate hinweg, im Detail über das Agieren ihres Angestellten informiert war. Seit April 2007 hatten nämlich mehrfach Krisensitzungen stattgefunden und waren E-Mails gewechselt worden, auf denen respektive in denen ausführlich von den fiktiven Operationen Kerviels die Rede war. Und davon, dass sie die Bank im Falle, dass es schief ginge, teuer zu stehen kommen könnten. (Vgl. http://www.lejdd.fr/cmc/societe/200842/la-hierarchie-de-kerviel-savait-tout-_156212.html) Nur Jérôme Kerviel wusste nicht, dass seine Vorgesetzten wussten, was er trieb, und dies ziemlich genau. Doch die Bankführung hatte sich damals - mehrheitlich - dazu durchgedrungen, nicht gegen die riskanten Spekulationsgeschäfte zu unternehmen, die ihren Angestellten zu Schwindel erregenden Höhenflügen trieben. So lange es gut ging, so die dahinter stehende Philosophie, konnten die Gewinne zugunsten der Bank verbucht werden. Denn Kerviel ging es kaum darum, sich persönlich finanziell zu bereichern, abgesehen vielleicht von steigenden Bonuszahlungen für seine "außerordentlichen Leistungen" - doch die Spekulationsgewinne steckte er keineswegs in die Tasche, sondern sie wurden der Société Générale zugeschrieben. Kerviel, der mutmaßliche aufgrund seiner unterschiedlichen Auskunft und Herkunft Minderwertigkeitskomplexe gegenüber den übrigen Tradern der Bank hegte, wollte wohl wirklich hauptsächlich seine "ungeahnten Fähigkeiten" unter Beweis stellten. Aber wäre es schief gegangen, so lautete jedenfalls die Erwartung, dann ließ sich Alles ihm allein in die Schuhe schieben.

Es ist nun schief gegangen, und zwar gründlich. Im Januar konnte die Société Générale gleich 7 Milliarden Verlust auf einmal schreiben: 4,9 Milliarden an roten Zahlen rührten aus den Spekulationsverlusten Jérôme Kerviels. Und mit weiteren 2,2 Milliarden Euro Verlust trug damals bereit das "Herüberschwappen" der so genannten Subprimes-Krise über den Atlantik zu Buche.

Banken wieder flüssig machen?

Die "Kerviel-Affäre" ist in Frankreich nun zum sinnfälligen Symbol für die Skrupellosigkeit, aber auch übertriebene Risikofreude der Privatbanken bei Spekulationsgeschäften geworden. Vor diesem Hintergrund verspürt das Publikum zunächst eine gewisse Unlust, die in Bedrängnis geratenen Bankinstitute wieder flüssig zu machen. "Es ist", meinen manche oppositionellen Stimmen, "als ob man jemandem einen Riesenhaufen Geld im Casino verzocken lässt - und sobald er ruiniert die Türe tritt, gibt man ihm (im Namen des Notstands) wieder Geld, damit er hineingeht und weiter zockt." Doch nachdem die Ausmaße der Krise nun vielen Französinnen und Franzosen bedrohlich zu erscheinen beginnen, hat sich nun doch ein teilweiser Sinneswandel eingestellt. Denn die drohende Verknappung des Kredits, für Privatkunden wie für Unternehmen, sorgt für eine Verlangsamung der "ökonomischen Maschinerie".

Im August (dem letzten Monat, für den bislang die offizielle Statistik der Arbeitslosenzahlen bekannt gegeben wurde) gab es allein in einem Monat 42.000 zusätzliche Arbeitslose, was als schlechtes Omen gilt. Und seit Anfang Oktober dieses Jahres hat die Regierung erstmals eingeräumt, dass Frankreich inzwischen in die Rezension eingetreten, was von der gängigen Definition her bedeutet, dass das Land in mindestens zwei Trimestern hintereinander ein negatives Wirtschaftswachstum verzeichnet. Nachdem für das laufende Vierteljahr zunächst ein Wachstum in Höhe von 0,8 % vorausgesagt worden war, räumte das Nationale Statistikamt INSEE vor kurzem ein, dass es bei höchstens Null oder darunter liege werde - und dies zum zweiten Mal in Folge.

Damit ist Frankreich im engeren Sinne in die Rezension eingetreten, wie die konservative Regierung nunmehr am 3. Oktober erstmals auch - widerwillig zwar - einräumte (vgl. http://www.france24.com/fr/20081003-france-recession-finance-pib-croissance-baisse-pouvoir-achat). Auch wenn der amtierende rechtskonservative Haushaltsminister, Eric Woerth, vor den Kameras dank einer feinsinnigen Wortwahl hinzusetzte, es handele sich um eine "technische Rezession", als ob dies einen Unterschied ausmachen würde (vgl. http://www.lepoint.fr/actualites-economie/eric-woerth-admet-une-recession-technique/916/0/279426).

Der Notfallplan des Kabinetts Fillon

Dem Beispiel anderer Länder folgend, hat das französische Kabinett nun am Montag einen Dringlichkeitsplan zugunsten der nationalen Banken aufgelegt respektive an diesem Tag verkündet.

In ihm geht es um zweierlei: Auf der einen Seite tritt der Staat für Kredite zwischen den Bankinstituten in Höhe von insgesamt 320 Milliarden Euro als Garant auf den Plan. Diese Maßnahme soll insbesondere dazu dienen, dass das Geschäft des gegenseitigen Geldverleihens zwischen den Kreditinstituten nicht zum Erliegen kommt. Ansonsten müsste nämlich jede Bank strengstens darauf beacht sein, dass sie ab jetzt nicht mehr Geld verleiht, als sie im schlimmsten Falle - also wenn infolge eines drastischen "Vertrauensverlusts" alle ihre Kunden auf einmal ihre bei der Bank geparkte Summen abholen möchten - auch auszahlen kann. Dies würde bedeutet, den Kredithahn auf drastische Weise zuzudrehen, also den Konsum der Haushalte ebenso wie Investitionen der Unternehmen zu erdrosseln.

Allerdings möchte der Staat den Banken dadurch, dass er als (notfalls in Haftung tretender) Garant einspringt, kein Geschenk bereiten: Er plant nämlich, den Banken das Geld, das er in seinem eigenen "guten Namen" auf den Finanzmärkten ausleiht, den Kreditinstituten teurer, also zu - etwas - höheren Zinssätzen, weiter zu verleihen. Deshalb sollen, so schwören Präsident Sarkozy und führende Regierungspolitiker bisher jedenfalls einhellig, für den Steuerzahler keine Verluste aus dieser Staatsgarantie erwachsen. Die Garantie über 320 Milliarden soll eine rein potenzielle Größe bleiben.

Soweit, jedenfalls, die Theorie: In der Praxis allerdings könnte jedenfalls ein Teil der 320 Milliarden fällig werden, sobald ein - oder mehrere - größeres Kreditinstitut nicht in der Lage sein wird, für Verbindlichkeiten aufzukommen, für die der Staat dann als Garant eingetreten ist. In dem Falle wird der Staat, ganz real, in Zahlungspflicht treten müssen. Zwar hat er vor, sich seinerseits durch Immobilienverkäufe oder (Zwangs-)Aufkäufe der durch die betroffenen Banken gehaltenen Gläubigerposten zu bedienen.

Allerdings: Falls diese Gläubigertitel nichts taugen bzw. ihnen in der Realität nur ein geringer Wert zukommt, beispielsweise weil es sich um stark risikobehaftete, so genannte "giftige Titel" - also bspw. Derivate, die ursprünglich aus Subprime-Geschäften stammen - handelt, dann bleibt der Staat auf seinen Verbindlichkeiten sitzen. In diesem Falle wird sich, ganz automatisch, seine Verschuldung um noch ein Stücken erhöhen.. (Vgl. http://www.marianne2.fr/Comment-depenser-360-milliards-qu-on-n-a-pas_a92260.html?preaction=nl&id=5908561&idnl=25533&)

Zum Anderen aber wird der Staat auch 40 Milliarden Euro unmittelbar in das Eigenkapital der Bank hineinpumpen. Diese vierzig Milliarden sollen durch die "Gesellschaft zur Anteilsnahme des Staates" (Société de prise de participation de l'Etat), deren Gründung Premierminister Fillon vorige Woche angekündigt hatte, verwaltet werden. Überall dort, wo "Not leidende" Banken in Zahlungsschwierigkeiten zu geraten drohen, soll dieser Organismus ihnen die erforderlichen Mittel zuschießen und in ihren Eigenkapitalstock investieren.

Hier liegen die Dinge nun anders als bei der, nur potenziell sich realisierenden, Staatsgarantie für die Kreditgeschäfte zwischen Banken: Diese 40 Milliarden Euro werden sofort fällig. Zwar sind sie nicht direkt vom Steuerzahler aufzubringen, aber sie werden unmittelbar auf die Neuverschuldung des Staates angeschrieben.

"Nationale Einheit" wird beschworen. Parlamentsopposition in der Klemme

Die parlamentarische Opposition zögerte zunächst, ihr Herangehen an den Krisenplan vom Montag betreffend, um dann (größtenteils) doch nicht dagegen zu stimmen. Die quantitativ bedeutendste Oppositionspartei, also die französische Sozialdemokratie, zeigte sich - wie im Augenblick bei jeder wichtigen wirtschaftspolitischen Frage - gespalten. Zwischen dem Ausruf "Sauerei" und dem Bestreben, "staatspolitische Verantwortung" inmitten des kapitalistischen Krisenprozesses (und seiner Verwaltung) zu übernehmen, zeigten sowohl die Sozialdemokratie als auch die Grünen alsdann eine Tendenz zum "konstruktiven" Herangehen an den Bankenplan. Und einer durch den regierenden Bürgerblock erzeugten, nationalen Notstandsstimmung konnte die Parlamentsopposition sich dann auch kaum entziehen.

Letztendlich enthielt die Sozialdemokratie sich im Parlament des Votums, wie bei vielen entscheidenden Abstimmungen der letzten Wochen und Monate (beispielsweise bei der durch Sarkozy angeordneten Überarbeitung der Verfassung der Präsidialrepublik, über die im Juli 2008 abgestimmt wurde und die - aufgrund der erforderlichen qualifizierten Mehrheit - gegen ihre Stimmen nicht hätte angenommen werden können).

Unterdessen beschwört die konservative Regierung unter François Fillon, unter Anrufung des Notstandsrisikos, die Notwendigkeit einer "nationalen Einheit". Premierminister Fillon benutzte mehrfach den Begriff. Und er erwog öffentlich die Bildung eines "Krisenkabinetts", das die Repräsentanten breitere politische und soziale Kräfte als die jetzige Regierung umfassen und so die hinter ihnen stehenden Formationen zusammenschweißen könnte. (Vgl. http://abonnes.lemonde.fr/la-crise-financiere/article/2008/10/13/contre-la-crise-fillon-en-appelle-a-nouveau-a-l-unite-nationale_1106457_1101386.html)

Deutsch-französische Konflikte erschüttern die EU

Der französische Rettungsplan ist nicht viel anderes als die "nationale Durchdeklinierung" des koordinierten Plans der Länder der Euro-Zone, den sie bei einem Treffen ihrer Staats- und Regierungschefs am Sonntag in Paris bekannt gegeben hatten. Die fünfzehn Staatslenker waren, zusammen mit dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB) sowie dem britischen Premierminister Gordon Brown - dessen Land nicht der Euro-Zone angehört -, für dieses Wochenende vom französischen Präsidenten Sarkozy in den Elysée-Palast eingeladen worden. Heraus kam eine Art von Kompromiss zwischen zwei grundsätzlichen Konzeptionen zum Umgang mit der Krise, die sich bislang gegenüber gestanden hatten.

Einerseits plädierten innerhalb der EU vor allem Deutschland, Irland und das Nicht-Euro-Mitglied Großbritannien - jedenfalls in der Anfangsphase der Zuspitzung der Krise - dafür, eine nationale Krisenverwaltung durchzuexerzieren. Jedes Land solle, im Prinzip im Alleingang, für die Rettung seiner eigenen Banken tätig werden.

Insbesondere die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Sarkozy, der eher für koordiniertes Abkommen plädierte, rasselten dabei zu Anfang aufeinander. Deutsche Regierungsmitglieder erklärten dabei den Franzosen, es komme in Vorwahlkampfzeiten nicht in Frage, den deutschen Steuerzahler - der ohnehin "größter Nettozahler" in der EU sei - für die Rettung einer portugiesischen oder britischen Bank aufkommen zu lassen. Kanzlerin Merkel plädierte ihrerseits: "Wir werden nicht allen Banken einen Blankoscheck ausstellen, selbst wenn ihr Verhalten tadellos war."

Aber die deutsche Seite fing dann ab dem 5. Oktober doch an, von ihrer bisherigen Position abzurücken, nachdem die akute Krise beim Institut Hypo Real Estate ausgebrochen war. Allerdings gingen die deutschen Repräsentanten auf den EU-weiten Treffen zu erst einmal auf Tauchstation, und entsandten zu einem Finanzministertreffen zu Anfang vergangener Woche einen weitgehend unbekannten Vertreter, der zu keiner aussagekräftigen Stellungnahme befugt war - Bundesfinanzminister Peer Steinbrück hatte sich krankschreiben lassen.

Die Tatsache, dass die EU in Krisenzeit nicht handlungsfähig schien, sondern die nationalen Egoismen sich durchzusetzen schienen, wurde übrigens sogleich durch die nationalistischen EU-Gegner oder "-Skeptiker" lautstark begrüßt. Die französische rechtsextreme Politikerin Marine Le Pen etwa beglückwünschte sich in der Öffentlichkeit für diese "Rückkehr der Nationen", die nur jede für sich in ihrem jeweiligen Eigeninteresse handelten. (Vgl. http://video2007.over-blog.com/article-23611471.html, zweites Video von oben, datiert vom 10. Oktober 2008) Angesichts des fortschreitenden Zuspitzung der Krise schien des Vorgehen jedoch kaum noch haltbar.

Nun hat sich die EU allerdings bisher auch nicht zum Gegenteil, also einem gemeinsamen "föderalen" Rettungspaket wie dem 700 Millionen Dollar schweren Paulson-Plan in den USA, durchringen können. Dennoch zeigte die Union sich bemüht, ihre Existenz als gemeinsam handelnde Struktur auch in dieser Krisenperiode nun doch noch zu zeigen. Also einigte man sich am Sonntag auf einen Kompromiss, der zwar immer noch auf nationalen Aktionsplänen der 15 Mitgliedsländer der Euro-Währung basiert - aber darauf hinausläuft, diese simultan zu verkünden und gleichzeitig anlaufen zu lassen.

Die Franzosen mussten sich dabei ihrerseits eine Maßnahme in ihr Paket hineinschreiben lassen, die sie zunächst nicht gewollt hatten. Die Übernahme einer staatlichen Garantie für Kredite zwischen den Bankinstituten (in Frankreich derzeit in Höhe von 360 Milliarden Euro, gegenüber 400 Milliarden in Deutschland) hatte nämlich das französische Finanzministerium unter Christine Lagarade zunächst abgelehnt: Es sei "zu kompliziert und zu teuer". Doch dieses Mal war es die deutsche Seite, die auf die Aufnahme dieses Aspekts drängte. Denn die finanzielle Situation der angeschlagenen deutschen Kreditinstitute wirkte weitaus schlechter als die vieler französischer Banken. In Paris hatte man zunächst nur an die staatliche Hilfe zur Rekapitalisierung "bedrohter" Banken (in Frankreich derzeit 40 Milliarden, in Deutschland aktuell 80 Milliarden Euro) denken wollen, aber dann an diesem Punkt nachgeben müssen.

Inwiefern die zwischenstaatlichen Konflikte nun beigelegt, lässt sich im Augenblick noch nicht mit Sicherheit feststellen. Während etwa in der Druckausgabe der Boulevardzeitung ,Le Parisien' am Dienstag von einer "unverbrüchlichen Einheit vor allem zwischen Berlin und Paris" in den letzten Krisentagen die Rede ist, sprach die Tageszeitung ,Libération' am Montag von einem "Paar, das es nur als Fassade gibt". In Wirklichkeit, so proklamierte der Untertitel ihres Artikels, "zerfetzten" sich Sarkozy und Merkel "bezüglich des Umgangs mit der Krise" (vgl. http://www.liberation.fr/economie/0101123861-paris-berlin-couple-de-facade).

Innenpolitischer Streit in Frankreich: Pluspunkt für Gaullisten Guaino

Im innerfranzösischen Streit hat sich unterdessen ein Teil der regierenden Rechten erfolgreich gegen andere Flügel, aber auch gegen die sozialdemokratische Parlamentsopposition profilieren können. Als einer der wichtigsten politischen Gewinner der Krisenverwaltung gilt derzeit der als "traditioneller Gaullist" - und ehemaliger Gegner des Maastricht-Vertrages zur EU von 1991 - geltende Präsidentenberater Henri Guaino durchsetzen können. Der bürgerliche Politiker, Anhänger einer (nicht sozialistisch ausgerichteten) starken Staatsintervention in der Tradition des Gaullismus der 1950er und 1960er Jahre, wird etwa durch das Wochenmagazin ,Nouvel Observateur' als wieder stark im Kommen dargestellt. (Vgl. http://hebdo.nouvelobs.com/hebdo/parution/p2292/articles/a385283-.html)

Zwischenzeitlich war der einem starken Staat, jedoch ohne sozialistische Aspekte, und einem teilweise dick aufgetragenen in gaullistischer Tradition verbundene Politiker unter starken Druck seitens der wirtschaftsliberalen Kräfte innerhalb des regierenden Rechtsblocks geraten. Im vergangenen Jahr sah es zeitweise so aus, als würde er durch ebenso glühend-katholische wie wirtschaftsliberale Präsidentenberaterin Emanuelle Mignon, seine direkte Konkurrentin, auf die Seite gedrängt. Und manche Angehörigen von Nicolas Sarkozys Wahlkampf- und Beraterteam hatten ihn 2007 zunächst zu belächeln begonnen.

Inzwischen aber ist Henri Guaino wohl wieder zum unbestrittenen wichtigsten Redenschreiber Nicolas Sarkozys aufgerückt. Ihm ist wohl auch Sarkozys Ansprache vor UMP-Anhängern im südfranzösischen Toulon vom 25. September zur Krise, die auch im französischen Fernsehen an die Nation übertragen wurde, zu verdanken. In dieser Rede hatte Sarkozy einerseits betont, "die Zeit des Laissez-faire" auf de Finanzmärkten und der Aufgabe jeglicher staatlicher Kontrolle über die Märkte sei "vorbei". Auf der anderen Seite hatte er seine Bindung an die kapitalistische Wirtschaftsordnung betont, indem er ausrief, "manche Verhaltensweise der letzten Jahre" hätten "sämtliche Werte des Kapitalismus verraten".

Wogegen ihn die Pariser Abendzeitung vom letzten Samstag Abend daran erinnerte, dass es aber - im Gegensatz zu der von ihm an dieser Stelle proklamierten Vorstellung - in der bisherigen Geschichte "keinen Kapitalismus ohne Krisen" gegeben habe. Nicht zuletzt bringt Henri Guainos Positionierung, die auch auf Präsident Sarkozys Rhetorik abfärbt, auch die Parlamentsopposition in Schwierigkeiten. Denn der französischen Sozialdemokratie als stärkster parlamentarischer Oppositionskraft ist es bisher kaum gelungen, eigenständige Vorstellungen vorzutragen, die über die Vorschläge aus dem Sarkozy-Lager zur "Neubegründung des Kapitalismus" hinausgingen. (Vgl. http://abonnes.lemonde.fr/web/son/0,54-0@2-1101386,63-1106633,0.html)

Die französische Sozialistische Partei (PS) bereitet sich unterdessen fieberhaft auf ihren nächsten Parteitag vor, der vom 14. bis 16. November in Reims östlich von Paris stattfindet - und ist vor diesem Hintergrund überwiegend mit Diadochenkämpfen zwischen ihren Parteiführern und -führerinnen sowie Anwärterinnen auf den künftigen Vorsitz beschäftigt. Kurz, in der Partei dreht sich im Moment fast alles um sich selbst. Malik Boutih, ein PS-Nachwuchspolitiker, schlug nun jedoch am zweiten Oktober-Wochenende vor, den Kongress zu verschieben, und zwar mit der Begründung: "Alle programmatischen Anträge zum Parteitag wurden vor der jüngsten Finanzkrise verfasst. Alle sind (deshalb) neben der Spur."

Die wichtigsten Kandidatinnen und Kandidaten für den Parteivorsitz lehnten dieses Ansinnen jedoch umgehend ab. Martine Aubry setzte ihm etwa entgegen: "Gerade jetzt brauchen uns die Französinnen und Franzosen dringender denn je." Ob daraus jedoch wirkliche Ausstrahlungskraft erwächst, bleibt wohl abzuwarten.

Artikel von Bernard Schmid aktualisiert am 17. Oktober 2008


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