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Updated: 18.12.2012 15:51
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Festsetzaktionen, Betriebsbesetzungen: "Die sozialen Konflikte radikalisieren sich" - Fortsetzung 

Umfrage: Verständnis für Festsetzaktionen relativ weit verbreitet

Auch Mitte dieser Woche kam es wiederum zu Aktionen, bei denen Manager und leitende Angestellte von Unternehmen für die Dauer einiger Stunden festgehalten wurden. Am Mittwoch wurden im Département Ain (Raum Lyon) vier Angestellte in führender Position bei einem britischen Unternehmen, das in Frankreich tätig ist, für mehrere Stunden festgesetzt. Rund 60 Arbeiter eines Werks in Bellegarde-sur-Valserine, das dem britischen Konzern Scapa gehört und Klebeband oder -streifen für die Automobilbranche herstellt, sind von Entlassung bedroht. Die Lohnabhängigen protestieren gegen zu niedrige Abfindungszahlungen. Die vier leitenden Angestellten - drei Briten und ein Franzose - wurden am Mittwoch Abend "freigelassen", um sich im Anschluss zu einer Verhandlungsrunde im Rathaus von Bellegarde-sur-Valserine zu begeben. (Vgl. Artikel 1 externer Link und Artikel 2 externer Link)

Laut einer Umfrage, die am Dienstag, den o7. April in der Tageszeitung ,Le Parisien' erschien, ist die französische Bevölkerung betreffend ihre Haltung im Hinblick auf die Festsetzaktionen gespalten. Generell bezeichnen (im allgemeinen Bevölkerungsdurchschnitt) 50 Prozent sie als "nicht akzeptabel", hingegen 45 % als "akzeptabel". Unter den Industriearbeiter/innen steigt der Anteil für letzt genannte Auffassung auf 56 Prozent, bei den Angestellten liegt er demnach bei 50 %. Hingegen sinkt er in der sozialen Kategorie "höhere Angestellte plus Freiberufler" auf 40 Prozent. Die Umfrage wurde am 1. und 2. April dieses Jahres erstellt.

Eine andere Befragung, die am 2. und 3. April für das bunte Wochenmagazin ,Paris Match' durchgeführt wurde, ergab folgendes Bild: 30 % "bejahen/unterstützen" (approuver) solche Aktionen, und 63 % "bekunden ihr Verständnis, ohne zu unterstützen". Nur 7 % "verurteilen scharf" solche Aktionen.

Sarkozy tritt in die Gegenoffensive ein

Präsident Nicolas Sarkozy griff am Montag Nachmittag (o6. April), vor rund 1.OOO Zuhörer/inne/n bei einer öffentliche Veranstaltung im Umland von Marseille, solche Aktionen und ihre Befürworter scharf an. "Wir leben in einem Rechtsstaat. Ich werde solche Dinge nicht zulassen" rief der Staatschef aus. Das könnte in näherer Zukunft das Eingreifen der Polizeiorgane und die Durchführung von Strafprozessen ankündigen. Und Sarkozy posaunte ferner hinaus: "Das Verhalten einer bestimmten Anzahl von Patrons ist nicht hinnehmbar, aber die übergroße Mehrheit ( immense majorité ) der Unternehmenschef leidet unter der Krise und verhält sich ausgezeichnet ( formidablement bien )."

Sarkoy nannte im selben Atemzug wie die militanten Lohnabhängigen auch die "Randalierer", sowie die kriminellen Brandstifter, vom Wochenende in Strasbourg - vgl. neben stehende Artikel zum NATO-Gipfel vom o3./o4. April. Zu Letzteren äußerte Sarkozy, es sei "merkwürdig, wenn man für den Frieden in der Welt demonstriert und dabei Äxte und Eisenstangen mitführt". Bei den angeführten Gegenstände handelt es sich um jene Werkzeuge, die bei am Montag in Strasbourg in Eilverfahren zu Haftstrafen verurteilten jungen Deutschen gefunden worden sind. Sie dienten aber offenkundig nicht zum Zuschlagen, sondern eher als Werkzeuge (etwa für Barrikadenbau). Doch das Verhalten der Verrücktesten unter den Polithooligans, insbesondere der kriminellen Brandstifter vom Samstag Mittag, bietet Sarkozy ein Einfallstor, eine weit offene Flanke für seine Argumentation. Die Tatsache, dass die Staatsmacht offenkundig in einer "Strategie der Spannung" auf Eskalation setzte (unter Einbeziehung des Agierens verrückter Polithooligans in ihr Kalkül) und dass Sarkozy nun die Vorkommnisse in Strasbourg in einem Atemzug mit den Formen radikalisierten sozialen Protests nennt, verheißt unterdessen nichts Gutes für die nähere Zukunft. Es kündigt eher eine Welle von Kriminalisierungsversuchen für sozialen Protest und politische Widerstände an.

Lohnabhängige des Baumaschinenherstellers Catarpillar, wo vor kurzem in Grenoble vier Manager festgehalten worden waren, haben unterdessen ihre Teilnahme an einem Gesprächstermin mit einbem Berater Nicolas Sarkozys abgesagt. Sie reagierten damit auf die jüngsten Äußerungen des Präsidenten: Die Aktionen von Lohnabhängigen würden darin als jene von "Ganoven" hingestellt. Und dies lasse man sich nicht bieten. Deshalb kommen sie an diesem Donnerstag nicht - wie ursprünglich vorgesehen - in den Elysée-Palast, wie ein Vertrauensmann der CGT erklärte. (Vgl. Artikel externer Link)

Sozipolitikerinnen bekunden (relatives) Verständnis

Zuvor hatte selbst die rechtssozialdemokratische, doch populistische Politikerin Ségolène Royal Verständnis für solche Aktionen von Lohnabhängigen in Betrieben bekundet, wenn "alle Verhandlungswege blockiert" seien. Allerdings hat Royal, die nach dem Parteikongress der französischen "Sozialisten" vom 12. - 14. November 2008 von der Parteispitze verdrängt worden ist, derzeit wenig zu verlieren und betreibt eine Sympathiekampagne in eigener Sache. Im Präsidentschaftswahlkampf 2006/07 hatte die damalige Kandidatin Ségolène Royal noch eine entpolitisierende und mit patriotischem Kitsch angereicherte Wahlkampagne unter dem unerklärten Motto "Dumm, Rechts und unfähig" durchgeführt.

Die aktuelle Parteivorsitzende, Martine Aubry, hat am Mittwoch früh (o8. April) erklärt, sie "verurteile" die Festsetzaktionen, aber letztere seien "erklärbar" und resultierten mitunter aus dem "Gefühl der Erniedrigung" bei Lohnabhängigen. (Vgl. Artikel externer Link)

Bernard Schmid, Paris, 09.04.2009


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