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Updated: 11.03.2013 15:40
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EDF-Privatisierung verabschiedet - "Historische Mobilisierung" fällt in's Wasser

Eine « historische Mobilisierung » hatte die CGT-Branchengewerkschaft Energie für den Dienstag dieser Woche angekündigt. Denn am Nachmittag stimmte die Nationalversammlung, das « Unterhaus » des französischen Parlaments, über die Privatisierung der seit 1946 öffentlichen Energieversorgungsbetriebe EDF und GDF ab. Über den Ausgang konnten angesichts der Mehrheitsverhältnisse kaum Zweifel bestehen : 376 Abgeordnete der bürgerlichen Parteien UMP und UDF stimmten für die Umwandlung von EDF und GDF in privatrechtliche Aktiengesellschaften, 180 von Sozialdemokraten und KP votierten dagegen. Wenn der konservativ dominierte Senat (das parlamentarische "Oberhaus") ab dem 5. Juli der Gesetzesvorlage ohne Änderungen zustimmt, dann ist er definitiv verabschiedet.

Doch auf der Gegenseite blieb der proklamierte « historische » Charakter der Proteste aus. Am sechsten landesweiten « Aktionstag » binnen drei Monaten war die Luft draußen. Im Landesdurchschnitt wurde eine Streikbeteiligung von 12 Prozent der insgesamt 138.000 EDF- und GDF-Beschäftigten vermeldet. An den beiden vorangegangenen Aktionstagen, dem 27. Mai und dem 15. Juni, hatte sie noch 41,3 Prozent sowie 33 Prozent betragen. In Paris demonstrierten rund 4.000 EDF-Beschäftigte, wobei nur die CGT und die linke SUD Energie eine wirklich sichtbare Präsenz zeigten - während die « moderateren » Gewerkschaften (CFDT, FO, CFTC) nur mit bestenfalls symbolisch zu nennenden Kontingenten vertreten waren und nicht einmal eigene Flugblätter anzubieten hatten. Ein paar tausend weitere Demonstranten waren in Grenoble (1.000), Toulouse (1.000), Marseille und anderen Städten auf der Straße.

Der Tag der entscheidenden Abstimmung im Parlament wurde allerdings auch von Stromabschaltungen und anderen « Nadelstichaktionen » begleitet, wie sie bereits während der vergangenen 14 Tage von aktiven Minderheiten bei EDF praktiziert wurden. So blieben die Handelskammer von Bordeaux, die Atlantikwerften in Saint-Nazaire, der Handelshafen von Marseille und ­ am selben Ort - die rechtsbürgerliche Tageszeitung « La Provence » zeitweise ohne Strom. In der Nacht wurde vorübergehend auch der Flughafen von Toulouse vom Stromnetz genommen, auf dem zu dem Zeitpunkt ohnehin kein Verkehr herrschte; und auf einer Hochspannungsleitung nach Andorra und Spanien wurde die Leistung stark gedrosselt. Am Donnerstag wurden 22 besetzte Hochspannungs-Stationen in Frankreich gezählt. Das entspricht ziemlich genau den Dimensionen, die beim letzten Aktionstag (am 15. Juni, Beginn der parlamentarischen Debatte zu EDF und GDF) erreicht worden waren.

Dagegen distanzierte sich die CGT-Energie von der am Montag erfolgten Stromabschaltung für mehrere Pariser Bahnhöfe, besonders die Gare Saint-Lazaire. Wie bereits am 7. Juni hatten deswegen mehrere hunderttausend Fahrgäste vor allem von Pendlerzügen zwischen Paris und dem Umland mehrere Stunden ausharren müssen. Unbekannte hätten Hochspannungskabel durchschnitten, hieß es. Während die CGT am 7. Juni die Verantwortung für das Unterbrechen der Stromzulieferung übernommen hatte und für die folgenden Tag eine Umorientierung auf publikumsfreundlichere Aktionsformen versprach, ging sie dieses Mal deutlich auf Distanz.

Im nördlichen Pariser Vorort Saint-Ouen ist seit nunmehr 15 Tagen die - Ampère getaufte - Hochspannungsanlage von Streikenden besetzt. Drei unter ihnen drohen nunmehr disziplinarrechtliche Sanktionen; deswegen kämpfen die BesetzerInnen weiter und versuchen, Unterstützung zu mobilisieren, um die Rücknahme der drohenden Disziplinarstrafen zu erreichen.


Bewertung und Ausblick

Insgesamt ist den Gewerkschaften eine weitgehend wirksame Kanalisierung der Proteste gegen die Privatisierung geglückt. Während vor allem die CGT unter massivem Druck einer teilweise wesentlich radikaleren Basis stand, bremsten die Apparate von Anfang an die Forderungen nach einem konsequenteren sozialen Widerstand aus.

Das hatte zwei Hauptgründe. Erstens hatte die Mehrheitsgewerkschaft CGT vor 14 Tagen noch einige Zugeständnisse aushandeln können : Die vor der « Reform » eingestellten Beschäftigten behalten ihr bisheriges Statut als öffentlich Bedienstete, während die zukünftig Neueingestellten von Anfang an rein privatrechtliche Verträge haben werden. Man kann allerdings bei der ­ 1997 privatisierten ­ France Télécom bewundern, was das in der Praxis bedeutet : Dort wurde zahlreichen Beschäftigten, im Gegenzug zu einigen (kurzfristigen) materiellen Vorteilen, ihr bisheriges Statut abverhandelt ­ und jene, die öffentlich Bedienstete bleiben wollten, stehen oft unter massivem Druck von « oben » auf Umversetzung in andere Verwaltungsbereiche. Ferner hat die EDF-Spitze 4.700 Neueinstellungen zugestimmt. Die Gewerkschaften werten dies als soziales Zugeständnis, während es dem EDF-Betrieb auch darum gehen kann, eine industrielle Entwicklung zum "global player" fortzusetzen, die ohnehin seit 10 Jahren bereits begonnen hat, mit dem Aufkauf von Energieversorgungsbetrieben von Polen über Italien bis Argentinien.

Zum Zweiten hat der Staat der CGT und dem von ihr kontrollierten EDF-Betriebsrat bereits, etwa durch polizeiliche Durchsuchungen am 27. und 28. April, ihre Erpressbarkeit vorgeführt. In der Vergangenheit waren enorme Summen aus dem EDF-Vermögen aus gewerkschaftlichen und politischen Motiven zweckentfremdet worden ­ mit Wissen der Behörden. Doch jetzt verwandelt sich dieses Wissen in eine Waffe gegen die CGT-Betriebsräte, die man hatte gewähren lassen.


Weitere Reform- bzw. Abbruch-Tätigkeit

Richtig Arbeit haben unterdessen die bürgerlichen Abgeordneten. Nachdem am Dienstag nachmittag die EDF-Privatisierung verabschiedet worden war, wurde bereits am selben Abend die Lesung zum nächsten « Reform »vorhaben eröffnet. Dieses Mal geht es um die gesetzliche Krankenversicherung, die ­ genau wie die Vergesellschaftung der Energieversorgung von 1946 ­ eine Errungenschaft der Periode direkt nach der Befreiung vom Faschismus ist. Auch ihr soll es jetzt an den Kragen gehen, zunächst durch eine Einschränkung der Arzneimittel-Rückerstattung sowie durch eine systematische Jagd auf « Simulanten und Faule », die zu Unrecht Mittel der Krankenkasse in Anspruch nähmen. So sollen Ärzte bestraft werden, die zu gerne krank schreiben - und genauso Lohabhängige, die angeblich zu gerne krank feiern. In welchen Dimensionen dabei gedacht wird, verdeutlicht die Zahl von 800 Millionen Euro, die Gesundheitsminister Philippe Douste-Blazy allein durch diese Maßnahme einsparen will. Das entspräche immerhin 20 Prozent aller Krankschreibungen in Frankreich überhaupt. Nach Angaben der Leitung der gesetzlichen Krankenkasse hingegen hätten 6 Prozent der Krankverschreinbungen als zweifelhaft und potenziell ungerechtfertigt zu gelten.

Artikel von Bernhard Schmid, Paris, vom 30. Juni 2004


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