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Updated: 18.12.2012 16:07
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Entscheidung zum neuen Ausländergesetz

Französisches Verfassungsgericht lässt DNA-Tests im Rahmen der Familienzusammenführung zu, zensiert aber einen anderen Punkt der neuen Ausländergesetzes als verfassungswidrig

Seine Entscheidung war viel erwartet worden, enthält aber nicht, was viele Beobachter vermutet hatten. Am gestrigen Donnerstag um 15 Uhr fiel die Entscheidung des Conseil Constitutionnel (C.C.), des französischen Verfassungsgerichts zum neuen Ausländergesetz. Das Gesetzeswerk, das vom neuen Minister „für Immigration und nationale Identität“ Brice Hortefeux ausgearbeitet worden war, wurde am 23. Oktober 2007 definitiv durch die beiden Kammern des französischen Parlaments verabschiedet. Die parlamentarische Opposition hatte daraufhin den C.C. angerufen, um die Verfassungswidrigkeit des Gesetzeswerks erklären zu lassen. (Vgl. im LabourNet)

Wie sich jetzt herausstellt, hat die – überwiegend sozialdemokratische - parlamentarische Opposition zwar erklärt, sie wolle „das gesamte Gesetz“ überprüfen lassen und ggf. zu Fall bringen. Es geht aber aus dem jetzigen Urteil des Verfassungsgerichtshofs hervor, dass nur zwei Artikel des aus 63 Artikeln bestehenden Gesetzeswerks mit juristischen Argumenten angegriffen worden waren, denn in dem Urteil steht: „Die Urheber der Anrufung des C.C. bestreiten die Verfassungsmäßigkeit der Artikel 13 und 63...“ Zwar hatte eine Gruppe von knapp 20 Abgeordneten, überwiegend der KP und der Grünen, einige Tage später eine zusätzliche Klageschrift eingereicht, am 31. Oktober, um auch andere Artikel des Gesetzespakets juristisch zu attackieren. Diese Abgeordnetengruppen erfüllte jedoch nicht die Voraussetzungen, um den C.C. anzurufen, da man dafür mindestens 60 Abgeordnete oder 60 Senatoren benötigt (Vgl. im LabourNet). Daher wurde ihre zusätzlich eingereichte Klageschrift, ohne Lektüre des Inhalts, zurückgewiesen. Die Hauptklageschrift, die überwiegend von Parlamentariern der „Sozialistischen“ Partei stammt, griff hingegen nur die beiden o.g. Artikel an. Beim erstgenannten Gesetzesartikel handelt es sich um jenen, der die Durchführung von DNA-Untersuchungen für Visabewerber im Rahmen der Familienzusammenführung erlaubt (Artikel 13). Beim anderen geht es um die Einführung „ethnischer Statistiken“ in die Datenerfassung, die bislang nach französischem Recht nicht zulsässig waren (Artikel 63), vgl ausführlich im LabourNet .

Vielfach war vermutet worden, dass der C.C. zumindest die heftig (und bis ins Regierungslager hinein) umstrittenen Gentests zu Fall bringen werde. Dem war aber nicht so. Das Verfassungsgericht macht zwar einige Auslegungsvorbehalte geltend, die sich jedoch weitgehend mit den Anwendungsbedingungen decken, die bereits der Senat – das Oberhaus des französischen Parlaments – in erster Lesung vom 2. bis 5. Oktober in den Artikel aufnehmen ließ. Es wird das Element der Freiwilligkeit betont, also die Tatsache, dass kein/e Visumsbewerber/in im Rahmen der Familienzusammenführung zur Durchführung des Gentests gezwungen werden könne. (Allerdings kann auch niemand das Konsulat zwingen, ihm oder ihr ein Visum zu erteilen, falls die Person „nicht mitspielt“.) Das Zivilgericht in Nantes, das frankreichweit für alle standesamtlichen Angelegenheiten von Ausländer/inne/n oder im Ausland geborenen Franzosen zuständig ist, soll den Gentest anordnen. Der Verfassungsgerichtshof betont jetzt zusätzlich, dass das französische Konsulat im Ausland zunächst überprüfen müsse, welche standesamtlichen Dokumente der oder die Visumsbewerber/in (oder dessen gesetzlicher Vormund) und Antragsteller/in auf Nachzug zu einem Frankreich lebenden Familienmitglied präsentiert. Gültige standesamtliche Dokumente eines ausländischen Staates müssen akzeptiert werden. Allerdings erklärt der C.C. gleichzeitig das Herangehen der französischen Regierung für gültig, für bestimmte Staaten pauschal Zweifel an der Gültigkeit oder Echtheit der im Umlauf befindlichen standesamtlichen Dokumente anzumelden. Eine Liste solcher Länder, bei denen systematische Zweifel geltend gemacht werden dürfen, wird „auf experimentale Weise“ (um später alljährlich Bilanz zu ziehen, und das Gesetz selbst nach 18 Monaten von jetzt ab zu überprüfen) durch die Regierung und ihre Ministerialbehörden festgelegt werden. Der Verfassungsgericht erklärt dieses Vorhaben für gültig, da die französische Verfassung es zulasse, „experimentale Regelungen“ einzuführen, deren Praxiserfolg nach absehbarer Zeit einer Bilanzierung zu unterziehen ist.

Die sozialdemokratischen Antragsteller auf die Überprüfung der Verfassungswidrigkeit dieser neuen Regel erklärten sich jedoch, überraschenderweise, zufrieden. Die konkreten Bedingungen, die die Bestimmung über die Gentests umgeben, sorgten dafür – so ihre Argumentation – dass diese in der Praxis so gut wie nicht Anwendung finden könne. Zwar trifft es zu, dass es zunächst in der Praxis eher wenige Durchführungsfälle geben dürfte, da die gesetzlichen Bedingungen im Moment tatsächlich einen engen Filter darstellen. Die Vorabdefinition einer Liste von Ländern mit prinzipiell „unzuverlässigen Standesamtsdokumenten“ (die Rede ist von Staaten wie Senegal, Togo, den beiden Kongo-Staaten, ..) schlägt dennoch schon eine relativ breite Bresche, auch wenn eine richterliche Kontrolle stattfinden wird, bei der die vorgelegten Dokumente zumindest berücksichtigt werden müssen. Und grundsätzlich ist ein „trojanisches Pferd“ für eine Logik, die auf der Überprüfung genetischer Abstammung insistiert, in die Ausländergesetzgebung eingeführt worden – für Französinnen und Franzosen gilt im Familienrecht keine vergleichbare Regelung. (Für Letztere müssen Gentests zur Überprüfung der biologischen Abstammung zumindest theoretisch die absolute Ausnahme darstellen. Auch wenn in der Praxis bei umstrittener Vaterschaft die engen Bedingungen oft dadurch umgangen werden, dass Personen den DNA-Test im europäischen Ausland durchführen lassen und dessen Ergebnisse dann dem französischen Richter als „erstes Beweiselement“ vorlegen. Dem neuen Ausländergesetz zufolge geht es allerdings nicht um die Überprüfung strittiger Vaterschaften – diese ist, nach anfänglicher Unklarheit, durch den Senat ausgeschlossen worden -, sondern um die Überprüfung der Realität der biologischen Abstammung eines Kindes gegenüber der (behaupteten) Mutter. Theoretisch unter strenger Auflage der „Freiwilligkeit“, doch wie ausgeführt, kann die Freiwilligkeit schnell zum stummen Zwang werden, falls de facto die Erteilung des Visums davon abhängig ist.) Ferner ist eine spätere Verschärfung nicht ausgeschlossen, da das Gesetz erklärtermaßen nach 18 Monaten überarbeitet werden soll. Grundsätzlich ist eine Logik des Verdachts, der zufolge Visumsbewerber, die das Recht auf Zusammenleben mit ihrer Familie geltend machen wollen, grundsätzlich unter potenziellen Betrugsverdacht gestellt werden.

Hingegen hat das Verfassungsgericht die umstrittenen „ethnischen Statistiken“, also die Durchführung von Datenerhebungen unter Einbeziehung von (anonymisierten) Daten zur Herkunft, „Rasse“ oder Konfession von Personen in der Bezugsgruppe, untersagt. Zu diesem Punkt – dem Artikel 63 des Gesetzeswerks – ist seine Entscheidung kurz und knapp. Es stellt lakonisch fest, dass „die ‚Rasse’ oder ethnische Zugehörigkeit’“ der Individuen nicht Gegenstand einer Datenerhebung sein dürften. Ferner konstatiert das französische Verfassungsgericht – etwas ausführlicher -, dass dieser Artikel 63 ohne Bezug zum Rest des Gesetzespakets sei. Tatsächlich hatten zwei konservative Abgeordnete, die Mitglieder der Nationalen Datenschutzkommission CNIL sind (die, im Zuge der Ernennungen von Mitgliedern durch die Regierung, eine zunehmende konservative Wende erfährt und sich der Datensammelwut gegenüber „offener“ zeigt als noch in jüngerer Vergangenheit), diese Bestimmung in allerletzter Minute in das Gesetzeswerk mit hinein flicken lassen. Es ging hier offenkundig darum, von der Gelegenheit der Annahme des neuen Ausländergesetzes zu profitieren, um auch zu diesem Thema der Datenerhebung zu Herkunft oder Konfession neue Pflöcke einzuschlagen. Das Thema dürfte damit möglicherweise nicht vom Tisch sei, und es wird fraglich sein, wie es aussieht, falls es je zum Gegenstand einer eigenständigen gesetzlichen Regelung erhoben wird.

Bernard Schmid, Paris, 16.11.2007


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