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Updated: 18.12.2012 15:51
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Präsidialer Gnadenerlass: Keine Gnade für Anti-CPE-Demonstranten 

Alljährlich zum Nationalfeiertag am 14. Juli erlässt der französische Staatspräsident einen Gnadenerlass. Es handelt sich bei diesem Vorrecht des « Wahlmonarchen » der Fünften Republik um einen Erbbestand der früheren französischen Monarchie. Und es dient real vor allem dazu, für Platz in den reichlich überbelegten französischen Haftanstalten (offiziell 51.000 Gefängnisplätze, zum 1. Juli dieses Jahres real : 59.400 Strafgefangene) zu sorgen, damit neue Häftlinge nachrücken können. Pro noch nicht angetretenem Haftmonat werden 14 Tage erlassen, aber bis zu einer Höchstgrenze von vier Monaten. Früher rechneten die Verkehrssünder, die es schafften, ihre Geldstrafe bis zum 14. Juli nicht zu bezahlen, auch mit einem automatischen Erlass - doch in den letzten Jahren hat Chirac die Sicherheit im Straßenverkehr als wichtiges Anliegen entdeckt, und deshalb dieser Form der Straffreiheit ein Ende gesetzt.

Eine Reihe von Delikten oder von Häftlings-Kategorien werden jährlich von dem Gnadenerlass ausgenommen. Das gilt grundsätzlich für schwere Verbrechen (Mord, ...), für Drogenhändler und für solche Strafgefangene, die einen Ausbruch versucht haben. Im Jahr 2005 hat der Präsident die Wiederholungstäter ausgenommen, egal welcher Schwere die von ihnen begangenen Taten oder Delikte sind (was einer populistischen Forderung in der aktuellen Strafrechtsdebatte entspricht). In diesem Jahr 2006 nimmt er zusätzlich die Urheber ehelicher Gewalttaten aus, was einer Forderung vieler Frauenorganisation entspricht, da die Gewalt gegen Frauen in der Ehe nach wie vor erhebliche Ausmaße besitzt. Auch jene Verurteilten, die ihre (kurze) Strafe noch nicht angetreten haben, wurden von vornherein ausgenommen - damit es nicht zu dem Ergebnis kommen kann, dass sie gar nicht mehr hinter Gitter müssen. Solche Fälle betreffen etwa die Urheber von « Demonstrationsdelikten », da diese oftmals zu Strafen wie etwa einem Monat oder zwei Monaten ohne Bewährung verdonnert worden sind.

Und jetzt wird es spannend: Im Vorfeld stellte sich die Frage, ob die jungen Leute, die im März/April 2006 aufgrund ihrer Teilnahme an Demonstrationen gegen den CPE (« Ersteinstellungsvertrag »), an « Randale » oder an Blockadeaktionen verurteilt worden sind, aus diesem Anlass begnadigt würden. Die Antwort lautet klar NEIN. « Es gibt keine besonderen Bestimmungen im präsidialen Gnadendekret, die sie betreffen würden » hießes aus der Umgebung von Noch-Präsident Jacques Chirac (laut « L'Humanité » vom 13. Juli 2006). Berücksichtigt man die Regelung, dass noch nicht in den Knast « eingefahrene » Verurteilte vom Gnadenerlass gänzlich ausgenommen bleiben (s.o.), so ergibt sich sogar eine drastische Verschlechterung für diese Personengruppe gegenüber vielen anderen Kategorien von « Straftätern » (mit und ohne Anführungszeichen). Denn da die Verurteilungen aufgrund von « Demonstrationsstraftaten » im März/April 2006 in der Regel jüngeren Datums sieht, wurden die Strafen häufig noch nicht abgesessen. Womit die Betroffenen automatisch vom Gnadenakt ausgeschlossen wären.

Eine Delegation von linken Abgeordneten, GewerkschafterInnen und linken AnwältInnen hatte Ende Mai 2006 beim Premierminister-Amt eine Petition abgegeben, die durch die KP-nahe Tageszeitung « L'Humanité » lanciert worden war und 35.000 Unterschriften trug. In ihr wurde eine Amnestierung aller aufgrund ihrer Teilnahme an der Anti-CPE-Bewegung Verurteilten gefordert. Am Amtssitz des Premierministers hatte man den TeilnehmerInnen an der Delegation « eine Antwort » versprochen. Seitdem ist nicht einmal eine Antwort erfolgt.

Eine Amnestie ist übrigens etwas anderes als ein Gnadenerlass: Eine Amnestie hebt die Verurteilung und damit auch die Vorstrafe des oder der Betreffenden auf - die Person gilt, jedenfalls in dieser Sache, als nicht vorbestraft. Ein Begnadigung dagegen hebt den Vorstrafencharakter nicht auf, sondern entbindet den oder die Verurteilte(n) lediglich vom Absitzen der (Rest-)Strafe. Die letzte Amnestie wurde am 17. Mai 2002 vom französischen Parlament, kurz vor dessen damaliger Auflösung und Neuwahl, beschlossen.

« L'Humanité » vom 13. Juli beziffert die Zahl der Verurteilungen aufgrund der Teilnahme an der Anti-CPE-Bewegung des Frühjahrs auf « rund 200, darunter rund 70 Fälle, in denen Haftstrafen ohne Bewährung verhängt wurden ». Damit hat sich noch nicht viel Neues ergeben, denn die linksliberale Tageszeitung « Libération » hatte am 01. Juni von insgesamt 239 Verurteilungen und 72 Haftstrafen ohne Bewährung bis dahin gesprochen. Daran hat sich also anscheinend noch nicht viel geändert. Dafür gibt es eine Erklärung: Die Welle von Schnellverfahren (d.h. sofortige Vorladung vor den Richter bei Fällen, in denen der « Straftäter » in flagranti erwischt worden ist) aus dem Frühjahr ist vorbei. Und die jetzt noch laufenden circa 400 Strafverfahren werden noch einige Monate in Anspruch nehmen, bevor sie zu rechtskräftigen Urteilen führen.

Am 19. Juli findet der nächste größere Prozess in Aix-en-Provence statt, gegen Studierende, die größerenteils der Organisation Alternative Libertaire (AL) nahe stehen und die einen Besuch von Premierminister Dominique de Villepin an ihrer Hochschule durch Proteste beeinträchtigt hatten. (Vgl. http://www.labournet.de/internationales/fr/cpesoli.html ) Mehrere Jugendorganisationen und der örtliche Ableger des « übergewerkschaftlichen Aktionsverbands gegen den CPE » vom Frühjahr rufen bereits dazu auf, am 19. Juli (Mittwoch) um 14 Uhr in Aix-en-Provence vor dem Strafgericht zu demonstrieren. Dagegen wurde in Marseille der Prozess gegen die 19jährige LCR-Aktivistin (LCR = undogmatische TrotzkistInnen in Frankreich) Elodie D. bereits zum zweiten Mal verschoben. Er hatte ursprünglich Ende Juni dieses Jahres stattfinden sollen. Die junge Studentin, die gut 1,60 Meter groß und eher schmal ist, soll angeblich während einer Besetzungsaktion im Bahnhof von Marseille einem CRS-Bereitschaftspolizisten den Arm umgedreht haben. In Wirklichkeit hatte sie sich nur verbal über die Verhaftung eines Mitdemonstranten beschwert ; es existieren Videoaufnahmen von der Szene. Die Anklage wirkt eher lächerlich, führte aber bisher nicht zur Einstellung des Verfahrens, sondern zur erneuten Vertagung des Prozesses. Dieser soll nunmehr am 17. November dieses Jahres in Marseille stattfinden. Die Studentin darf so lange mit der bangen Ungewissheit leben.

Artikel von Bernard Schmid vom 17.7.06


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