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Updated: 18.12.2012 15:51
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Frankreich / Kündigungsschutz: Gute Nachrichten vom Rechtsstreit um den CNE. Doch die Regierung bleibt stur

Das Berufungsgericht von Paris hatte am Freitag der vergangenen Woche eine wichtige Entscheidung zu treffen. Es ging darum, ob die Arbeitsgerichte für Rechtsstreitigkeiten um den CNE zuständig sind, also etwa Kündigungen im Rahmen dieses « Contrat nouvelle embauche » (Neueinstellungsvertrags) überprüfen und dabei einen solchen Vertrag 'als solchen' für ungültig erklären können. Die französische Regierung wollte diese Frage verneint wissen.

Der CNE ist ein Sonder-Arbeitsvertrag, der den Kündigungsschutz während einer zweijährigen Periode nach Begründung des Beschäftigungsverhältnisses aushebelt. Er kann in allen Unternehmen bis zu maximal 20 Beschäftigten abgeschlossen werden. Der CNE war durch die konservative Regierung unter Premierminister Dominique de Villepin am 2. August 2005 auf dem Verordnungsweg eingeführt worden. Doch ein Arbeitsgericht in Longjumeau (südlich von Paris) hat im April 2006 dieser Verordnung jede Rechtskraft abgesprochen, da sie mit höherrangigem Recht nicht vereinbar sei. Die Konvention Nr. 158 der ILO (International Labour Organisation), die auch durch Frankreich ratifiziert worden ist, sieht nämlich vor, dass ein Schutz der abhängig Beschäftigten gegen grundlose oder willkürliche Kündigungen gewährleistet sein muss. Probezeiten, in denen der Kündigungsschutz entfällt, können deshalb nur eine « vernünftige Dauer » (so die ILO-Konvention) haben.

Rückblick auf den Rechtsstreit

Der Arbeitgeber ging gegen die Entscheidung in Berufung. Die Regierung in Paris forderte, über ihren Präfekten in Evry (Bezirkshauptstadt, die für Longjumeau zuständig ist), das Berufungsgericht dazu auf, sich für unzuständig zu erklären. Demnach hätte der Rechtsstreit an ein Verwaltungsgericht überwiesen werden müssen.

Dabei berief sie sich demgegenüber auf einen etwas merkwürdigen Rechtsstandpunkt: Zuständig für Rechtsstreitigkeiten um den CNE seien ausschließlich die Verwaltungsgerichte. Denn da Grundlage des jeweiligen Rechtsstreits eine Regierungsverordnung (also ein Verwaltungsakt) sei, könnten die « normalen » Gerichte - die für Zivil-, Arbeitsrechts- oder Strafsachen zuständig sind - nicht darüber urteilen. Es gehe ja um die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts, also könne nur der Verwaltungsrichter zuständig sein. Eine seltsame Konstruktion. Denn ein Arbeitsgericht kann zwar nicht über die Rechtmäßigkeit eines Gesetzes befinden und das Gesetz außer Kraft setzen (das kann nur das Verfassungsgericht, und auch nur VOR Verkündung des Gesetzes im französischen Amtsblatt). Aber es kann sehr wohl feststellen, dass dem Gesetz höherrangiges Recht in Gestalt einer internationalen Bestimmung entgegen steht. Das Gesetz bleibt dadurch dennoch grundsätzlich in Kraft, aber es ist dann eben nicht anwendbar, angewandt wird die internationale Norm (zum Beispiel die ILO-Konvention).

Das Gesetz, gegenüber dem Verwaltungsakt eine höherrangige Norm, soll also durch die Gerichte auf seine Vereinbarkeit mit einer ILO-Konvention überprüft werden können. Nicht aber die Regierungsverordnung, die « tiefer » in der Rechtsordnung angesiedelt ist. Eine merkwürdige Logik. Aber es gibt eine Erklärung. Sie fällt pragmatisch aus: Die Mehrheitsverhältnisse am Conseil d'Etat, dem obersten Verwaltungsgericht, scheinen der Regierung eine « richtige » Entscheidung in ihrem Sinne zu versprechen. Im Oktober 2005 hatte der Conseil d'Etat bereits die Regierungsverordnung zur Schaffung des CNE für rechtmäßig erklärt, indem er die dagegen gerichteten Klagen von Gewerkschaften abwies.

Ergebnis

Das Resultat des Rechtsstreits ist zunächst einmal positiv. Das Berufungsgericht von Paris erklärt in seiner Entscheidung vom 20. Oktober, dass die « normale » (Arbeits-) Gerichtsbarkeit für Verfahren um den CNE zuständig ist. Demnach konnte das Arbeitsgericht in Longjumeau kraft seiner Kompetenzen die Entscheidung vom April 2006 fällen, und sie kann vor « normalen » Gerichten überprüft.

Die konservative Regierung unter de Villepin lässt jedoch nicht locker. Wie am Wochenende bekannt wurde, will das Pariser Arbeitsministerium die Sache mit der Entscheidung nicht auf sich beruhen lassen. Laut 'Le Monde' (Ausgabe vom Sonntag/Montag) will es nun das Tribunal des Conflits anrufen. Dieses « Konfliktgericht » ist dann zuständig, wenn sonst definitiv nicht geklärt werden kann, in die Zuständigkeit welchen Gerichtszweigs ein Rechtsstreit fällt. Es muss dann zwischen der « normalen » und der Verwaltungs-Gerichtsbarkeit unterscheiden. Damit soll der zur Entscheidung anstehende Rechtsstreit nochmals den angerufenen Gerichten entzogen werden, solange, bis das Tribunal des Conflits dazu eine Grundsatzentscheidung getroffen hat.

Vor allem möchte die Regierung aber wohl auf Zeit spielen. Denn sie möchte nicht in die Wahlen vom kommenden Frühjahr (Präsidentschaftswahl vom 22. April und 06. Mai 2007, Parlamentswahlen im Juni 2007) ziehen und dabei in Sachen CNE auf eine Bilanz des Scheitern zurückblicken müssen. Die französische Sozialdemokratie hat unterdessen versprochen, im Falle ihres Wahlsiegs und eines Regierungswechsels den CNE abzuschaffen. Manche bürgherliche Beobachter zogen dies jedoch in Zweifel, das es derzeit bereits rund 400.000 CNE abgeschlossen worden und damit Fakten in den Unternehmen geschaffen worden seien. In den letzten Monaten sank die Anzahl von neu geschlossenen CNE jedoch kontinuierlich. Die Arbeitgeber beklagen sich über die mit dem CNE nunmehr verbundene « Rechtsunsicherheit ».

Bernard Schmid, 24.10.2006


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