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Updated: 18.12.2012 15:51
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Frankreich: Militante Neofaschisten suchen als Speerspitze einer Streikbrecherbewegung zu agieren

In Frankreich weitet sich die Bewegung gegen den so genannten «Ersteinstellungsvertrag» oder Contrat première embauche (CPE) in den letzten Wochen rapide aus. Beim CPE handelt es sich um einen Sondervertrag, der eine zweijährige kündigungsschutzlose Periode nach Eintritt in das Arbeitsverhältnis beinhaltet. Er stellt dabei nur ein Glied in einer längeren Kette von Sonderbestimmungen dar: Der Regierung geht es darum, durch die Vervielfachung von Sonderverträgen geltende arbeitsrechtliche Schutzbestimmungen und insbesondere den Kündigungsschutz auszuhebeln. Näheres über die Proteste selbst und ihren Gegenstand kann, vom Autor dieser Zeilen, regelmäßig auf Labournet nachgelesen werden (Special zur Anti-CPE-Bewegung unter:  http://www.labournet.de/internationales/fr/cpe.html ).

Seit über einer Woche ist nun auch die extreme Rechte bzw. ihr militanter Flügel aktiv - aber mit dem Ansinnen, die Proteste zu brechen. Dabei sind ihre junge Anhänger selbst über die Einschätzung des CPE äu b erst gespalten. Dessen Einführung wurde durch den Chef der rechtsextremen Partei Front National, Jean-Marie Le Pen, in einem Kommuniqué vom 08. Februar 2006 prinzipiell begrüßt, obwohl er darin zugleich die Maßnahme «angesichts eines unbezahlbar gewordenen französischen Sozialsystems» als schwächliches Reförmchen abtat. (Das Kommuniqué vom 08. Februar findet sich, leicht kommentiert, unter folgender Adresse auf der Homepage einer antifaschistischen Gewerkschafterinitiative: http://isa.isa-geek.net/article.php3?id_article=27 externer Link)

Kontext politischer Polarisierung

Doch die Jugendorganisation der Partei scheint zerstritten, zumal mindestens ein Teil ihrer Anhänger nicht aus sozial besser gestellten Kreisen kommen dürfte und daher potenziell betroffen ist. Aber anscheinend stellt man zumindest in einem Teilbereich des rechtsextremen Spektrums das Kalkül auf, dass man in einer Situation starker Polarisierung Sympathien beim konservativen und streikfeindlichen Teil der Studierenden einheimsen könne, wenn man sich als die konsequentesten Streikgegner erweise.

Tatsächlich ist die derzeit amtierende konservative Regierung die erste, die grundsätzlich in der Lage ist, ansatzweise Teile ihrer sozialen Basis für eine Anti-Streik-Stimmungsmache zu mobilisieren. Ähnliches hatte sich bereits im Juni 2003 erwiesen, als während des damaligen Streiks in Transportmitteln und öffentlichen Diensten (gegen die «Rentenreform») erstmals 15.000 bis 18.000 DemonstrantInnen aus dem konservativ-liberalen Spektrum gegen die Ausstände mobilisiert werden konnten. Bei den Streiks im Dezember 1995 waren die «zornigen Nutzer der öffentlichen Transportmittel», die (vom damaligen konservativen und mitregierenden RPR, Vorläuferpartei der UMP, organisiert) gegen den Streik demonstrierten, noch mit 100 bis maximal 200 Anti-Streik-Demonstranten auf der Place du Châtelet im Pariser Zentrum unter sich geblieben. Derzeit macht zwar auch die rechte Studentenorganisation UNI kräftig gegen den Streik Stimmung, allerdings ist ihr eine reale Mobilisierung breiterer Kreise bisher nicht gelungen.

Gewalttätige Eingriffsversuche

Bereits am Dienstag abend (14. März 06) waren mehrere Dutzend Anhänger der Neonaziorganisation «Bloc identitaire» vor der geschlossenen, aber von Protestierenden umstandenen Sorbonne aufgetaucht. Unter anderem mit dem Ruf «Parasiten raus aus den Unis!» griffen sie Anwesende körperlich an. Die militanten Neofaschisten wurden am Dienstag abend durch die CRS-Einheiten zertreut, aber es wurden keinerlei Verhaftungen in ihren Reihen vorgenommen. Im Anschluss konnten die auseinander gelaufenen Rechtsextremen sich noch in unmittelbarer Nähe des Haupptquartiers der Pariser Polizei sammeln, um ein Gruppenfoto unter der Statue von «Karl dem Groen» (zwischen der Kathedrale Notre Dame und der Polizeipräfektur) aufzunehmen, wie die Tageszeitung ' Libération ' am folgenden Tag bemerkte.

Am Donnerstag abend (16. März) tauchten erneut militante Neofaschisten, rund 80 an der Zahl, mit Helmen und Schlagstöcken bewaffnet im Quartier Latin, dem Stadtviertel rund um die Sorbonne, auf. Sie riefen unter anderem wiederum Parolen gegen Linke («Linksradikale, gebt unsere Unis frei!») und «Parasiten». Dabei verfolgten sie auch einzelne Demonstranten oder Randalierer und schlugen zu. Erstmals kam es auch in ihren Reihen zu Verhaftungen. Letztere wurden durch Innenminister Nicolas Sarkozy jedoch genutzt, um ein Amalgam anzurühren und vor laufenden Kameras zu behaupten, es seien «Links- und Rechtsradikale sowie Rowdys aus den Banlieues» verhaftet worden. Dadurch rührte der konservative Minister jedoch ein Amalgam an, um den (falschen) Eindruck zu erwecken, Mitglieder gegensätzlicher politischer Lager fänden sich auf verwirrende Weise in dem Protest oder den im Anschluss an manche Demos nachfolgenden Krawallen wieder. Das ist jedoch absolut unzutreffend: Kommen Anarchos und manche Banlieue-Jugendliche vielleicht, um Auseinandersetzungen mit der Polizei zu suchen, so ist es das ausschlie b liche Ziel der Neofaschisten, Protestierer zu schlagen.

Am Freitag vormittag befanden sich noch insgesamt 77 Festgenommene «aus unterschiedlichen Lagern» in polizeilichem Gewahrsam, nachdem am Abend und in der Nacht zuvor insgesamt 187 Festnahmen in Paris (und annähernd 300 frankreichweit) erfolgt waren. Nur eine Minderheit von ihnen dürften Rechtsextreme gewesen sein. Große Überraschung: Unter diesen Verhafteten befand sich auch der «Direktor» (so lautet sein Titel) des Front national de la jeunesse (FNJ), also der offiziellen Jugendorganisation des Front National, namens Alexandre Ayroulet. Er blieb bis am Freitag um 17 Uhr in Polizeigewahrsam. Seine Festnahme, und Freilassung nach knapp 24 Stunden, wurde auch durch ein Kommuniqué des FN hochoffiziell bestätigt. Natürlich wird Alexandre Ayroulet darin als unschuldiger Politmärtyrer hingestellt. Aber Fakt ist, dass dieses Dokument belegt, dass er sich unter den rechtsextremen Militanten befand - und dass er sich im Umfeld der Demonstration bzw. der Örtlichkeiten der späteren Anarcho-Aktivitäten herumtrieb. (Das Kommuniqué findet sich hier: http://vox-fn.hautetfort.com/archive/2006/03/17/alexandre-ayroulet-est-libre.html externer Link)

An der Universität Toulouse-1, einer sehr konservativ geprägten Universität für Juristen und Sozialwissenschaftler, kam es am Donnerstag, 16. März ebenfalls zu ähnlichen Zwischenfällen. Die Hochschule Toulouse-1 hatte am Mittwoch zum ersten Mal überhaupt (denn das hatte es dort auch im Mai 1968 nicht gegeben!) per Mehrheitsvotum einer studentische Vollversammlung für die Blockade gestimmt. 449 Stimmen wurden dafür abgegeben, 322 dagegen. Man soll also nicht behaupten, die Gegner hätten sich nicht ausdrücken können! Aber am Donnerstag früh um 7.45 Uhr überfielen rund 25 mit Eisenstangen bewaffnete Rechtsextreme die Streikposten. Laut «Le Monde» in ihrer Freitagsausgabe handelte sich überwiegend um «Studenten dieser Universtität, die schon vorher für ihre extremistischen Positionen bekannt waren». Demnach begrüßten oder ermutigten auch einige anwesende Professoren die Angreifer ungeniert und offen, wie auch der Präsident der Hochschule feststellte und anscheinend beklagte («Einige Hochschullehrer haben sehr wenig Zurückhaltung an den Tag gelegt»). Gegen 9 Uhr früh verließen die rund 100 anwesenden Besetzer/innen das Hochschulgelände, um noch gewalttätigere Zwischenfälle zu vermeiden. Am Donnerstag tagsüber beschloss der Universitätspräsident Henry Roussillon daraufhin, die administrative Schließung der Hochschule anzuordnen.

Die rechtsextreme Presse

Die Wochenzeitung National Hebdo , die zu 40 % im direkten Eigentum des Front National steht, hetzt in einer der rechtsextremen Orientierung entsprechenden Form gegen die Protestbewegung (und vor allem gegen ihren studentischen Part). Ihre jüngste Ausgabe vom 16. März 06 ist übertitelt mit: «Die Studenten in den Krallen der Linksradikalen. Die Meuterer-Lemminge». Auf der Seite Eins liest man in einem ausführlichen Kommentar, es handele sich um «eine subversive Operation» (Zwischenüberschrift), die entsprechend niedergeschlagen werden müsse: «Wie Jean-Marie Le Pen schon am 9. März unterstrich, 'handelt es sich also nicht um eine studentische Bewegung gegen den CPE (der nicht derartige Leidenschaften verdient), sondern um eine offen subversive Bewegung, die durch eine winzige Minderheit angeführt wird'. Daber (Anm.: so wird Le Pen weiter wörtlich zitiert) 'besteht die Rolle der Staatsgewalt nicht darin, lange zu reden, sondern schlicht und einfach, die Ordnung wiederherzustellen, indem man die revolutionären Unruhestifter  aus den Universitäten hinauswirft.»

Im Blattinneren geht es in ähnlichem Tonfall weiter. «Offensive gegen den CPE: Trotzkisten und Sozialo-Marxisten im Angriff» ist der große Artikel, der die gesamte Seite 3 einnimmt, übertitelt.

Nicht unähnlich in der Sache reagiert man auch auf der Homepage der innerrechten Konkurrenz vom MPF (Mouvement pour la France" (= Bewegung für Frankreich) unter Philippe de Villiers. (Vgl. www.pourlafrance.fr ) Dort liest man in einem Kommuniqué vom 13. März 06, dass Parteichef Graf de Villiers «die Manipulationen und Einschüchterungen durch die radikale Linke beklagt». Am 15. März ist ein neuerliches Kommuniqué des Parteivorsitzenden des MPF unzweideutig übertitelt mit: «Philippe de Villiers unterstützt energisch das Handeln der Sicherheitskräfte». Am 09. März hatte Guillaume Peltier, der junge Generalsekretär des MPF, der von 1998 bis 2001 der Jugendorganisation des Front National angehörte, in einem eigenen Kommuniqué die «skandalöse Blockade der Universitäten» denunziert.  

Bernard Schmid, Paris 20.03.2006


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