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Updated: 18.12.2012 15:51
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Tumult in Cannes

Premieren gab es auf dem diesjährigen Festival von Cannes nicht nur bei den Filmvorführungen. Zuvor nie gesehen hatte man auch, dass der Protest innerhalb der Kulturwelt sich während des prestigereichen Festivals und in unmittelbarer Nähe mit sozialem Protest von außerhalb verbindet. Um gegen ihre Arbeitsbedingungen, vor allem auch jene des für die Dauer des Festivals eingestellten prekären Personals, zu protestieren, legten viele Mitarbeiter des Luxushotels Carlton am Donnerstag die Arbeit nieder.

Eine solche Arbeitsniederlegung am Rande des Festivals ­ das Carlton beherbergt prominente Gäste ­ hatte es zuletzt 1971 gegeben. Dieses Mal aber vermengte sich der Unmut mit jenem der intermittents du spectacle, jener selbst eine prekäre wirtschaftliche Existenz führenden Kulturschaffenden, die seit einem Jahr gegen den drohenden Entzug ihrer Überbrückungsgelder aus der Arbeitslosenkasse ankämpfen. Ende voriger Woche kamen viele intermittents im Anschluss an ihrer Vollversammlungen, die sie während des Filmfestivals abhalten, im Carlton vorbeischauen.

Nicht repräsentativ für das soziale Klima während des Festivals war also jene erste Demonstration der vergangenen Woche, die bereits am Montag, drei Tage vor Festivalbeginn, stattgefunden hatte. Damals hatten die konservative Rathausmehrheit zusammen mit einigen hundert Geschäftsleuten von Cannes eine absolut karikaturreife "Demo" durchgeführt. Auf den mitgeführten Schildern stand zu lesen: "Es lebe Cannes", "Es lebe das Festival" oder auch "Es lebe die Arbeit". Die Teilnehmer verwahrten sich gegen eine drohende Störung ihres Festivals, verdienen sie doch ziemlich gut an demselben..

Versuche zur Kanalasierung des Protests

Dass der Protest der "Kulturprekären" sich auch im Rahmen des Cannes-Festivals niederschlagen würde, war vorher abzusehen gewesen. Denn unter den rund 30.000 TeilnehmerInnen des Festivals (unter ihnen 4.000 Pressevertreter) befinden sich auch an die 500 intermittents, die etwa an einem der preisgekrönten Filme mitgewirkt hatten oder auch als Techniker in Cannes arbeiten. Ihre Gesinnung kennt man im Einzelfall nicht. Eine Handvoll von Leuten würde aber genügen, um das Festival ernsthaft zu gefährden. Mitten im Mai 1968 etwa musste es abgeblasen werden, weil wenige junge und engagierte Kinomacher bei der Eröffnungsvorstellung den großen Vorhand festhielten und nicht loslassen wollten. Um handfesten Störungen vorzubeugen, hatte die Festivalleitung daher versucht, einen Kompromiss auszuhandeln und den Ausdruck des Unmuts in geordnete Bahnen zu lenken. So organisierte sie am Mittwoch eine montée des marches intermittente: Ein Dutzend Angehörige dieser sozialen Gruppe durften, im vorschriftsmäßigen Smoking oder Abendkleid, die berühmte Treppe (les marches) hochsteigen, an der auch die Preisverleihung der Goldenen Palme stattfindet. Im Rücken hatten sie ein Schild mit der Aufschrift Négociation! (Verhandlung!) kleben. Gemeint war die Forderung an die Regierung, über die regressive und viele prekäre Kulturschaffende in ihrer Existenz bedrohende "Reform" zu verhandeln. Davon sollten sie sich angeblich einen "Mediencoup" versprechen. Ausgehandelt worden war diese sehr kontrollierte Protestform durch die CGT Kultur und einen Flügel der Protestkoordinationen der intermittents. Sie sind der Ansicht, man dürfe das Festival insgesamt nicht gefährden und zugleich keine Zusammenstöße mit dem umfangreichen Wachpersonal ­ 500 Mitglieder privater Sicherheitsdienste und ebenso viele Polizisten schützen das Festivalpalais ­ riskieren. Andere, aus den Protestkoordinationen und der linken Basisgewerkschaft SUD Kultur, dagegen zeigen sich weniger kompromissfreudig. Ihrer Ansicht nach ist der Protest der intermittents auch keine interne Angelegenheit der Kulturwelt, sondern Bestandteil der allgemeinen Bewegung der Prekarisierten dieser Gesellschaft.

"Nutzlos außer für die, die dieses Stillhalteabkommen mit der Direktion geschlossen haben" nannten viele den "Kompromiss", der den Treppenaufstieg beinhaltete; dessen Einhaltung war bis Sonntag vereinbart worden, so dass für die Tage danach unkontrolliertere Aktionen erwartet wurden. Doch viele wollten von vornherein ein solches Kanalisieren ihres Protests gar nicht hinnehmen. Rund 300 intermittents, die mit ihren eigenen Mitteln und ohne Einladung angereist waren, nahmen die ganze Woche über an Vollversammlungen teil. Am Freitag besetzten sie spontan den "kiosque à musique", der ganz in der Nähe des Festivalpalasts liegt und für musikalische Aufführungen bestimmt ist, um ihn zu einem provisorischen Hauptquartier umzufunktionieren. Kurzzeitung besetzten sie am Freitag auch den Hafen von Cannes und schmückten ihn mit ihrer eigenen Forderung ­ Abrogation!, also "Abschaffung" der so genannten Reform.

Am Wochenende: Demoerfolg und Polizeigewalt

Am Samstag dann versammelte sich eine recht ansehnliche Demonstration mit rund 2.000 TeilnehmerInnen, was angesichts der Bedingungen im gut bewachten Cannes stattlich ist. In Gestalt von Michael Moore (der in Cannes seinen neuen Anti-Bush-Film "9.11 Fahrenheit" präsentierte) und José Bové, dem ehemaligen Sprecher der linken Bauerngewerkschaft Confédération paysanne (Conf'), fanden sich auch Prominente unter den TeilnehmerInnen.

Im Anschluss besetzten rund 100 intermittents und Prekäre zusammen mit Arbeitslosen, Aktivisten der Erwerbslosen-Selbstorganisation AC!, das Cinéma Star in der rue Antibes, das während des Festivals als Filmbörse dient. Am frühen Abend gegen 17.45, als sich circa 50 Personen in dem besetzten Gebäude aufhielten, wurde dieses durch ein Hundertschaft der Bereitschaftspolizei CRS auf brutale Art und Weise geräumt. Da anwesende, übereifrige und aggressive, Zivilpolizisten unbedingt Verhaftungen sehen wollten, kam es zu einem gewalttätigen Knüppeleinsatz gegen die bereits außerhalb des Gebäudes befindlichen, geräumten BesetzerInnen im Zusammengang mit gewalttätigen Festnahmeaktionen. Dabei wurden fünf Personen ernsthaft verletzt, die im Krankenhaus behandelt (insbesondere genäht) werden mussten. Der Unterpräfekt von Cannes, sichtbar ungehalten darüber, dass man ihn im Smoking aus seinem Abendbesuch beim Filmfestival zog, erklärte am späteren Samstag abend, beim Cinéma Star habe es "eine Schlägerei mit Engländern" gegeben. Die hatte aber niemand gesehen. Sollte Monsieur Unterpräfekt die Geschehnisse beim Festival mit einem Fußballspiel verwechselt haben?

Gegen 20 Uhr am Samstagabend dann versammelte sich erneut eine Menge von rund 100 Menschen vor der Polizeiwache, um die Freilassung der vier im Kommissariat befindlichen Festgenommenen zu fordern. Im Zuge des Geschehens kam es zu erneuten Gewalttätigkeiten der Polizei. Ein Kameramann des öffentlichen Fernsehsender France 3, Gwenaël Rihet, wurde dabei erheblich verletzt: Er wurde zuerst von einem Zivilpolizisten von hinten angefallen, später setzten sich Beamte auf ihn und traktierten ihn mit Schlägen auf Kopf, Rücken und Beine. Er musste später mit vier Stichen genäht werden, doch wurde erst gegen 23.30 Uhr aus dem Kommissariat entlassen. Zwei weitere Journalisten, von der Presseagentur AFP und dem Kabelsender LCI, wurden misshandelt. Am folgenden Tag, dem Sonntag, erklärte der Präfekt des Départements Alpes-Maritimes sein Bedauern: Er "entschuldige (sich), besonders bei den Journalisten". Von den verletzten intermittents sprach er nicht. Laut dem Unterpräfekten von Cannes am Vorabend gab es angeblich drei verletzte Demonstranten und acht verletzte Polizisten. Das ist nicht überprüfbar, aber fest steht, dass laut "Libération" vom Montag der Polizeikommissar Asso bei der Prügelei seiner eigenen Kollegen in Mitleidenschaft gezogen worden ist; er hinkte am Sonntag herum.

Unterstützung für die Proteste gab es auch dem Festival selbst von einigen Prominenten, darunter die "üblichen Verdächtigen" wie Ken Loach oder Michael Moore. Aber auch renommierte französische Filmemacher wie die Regisseurin und Schauspielerin Agnès Jaoui schalteten sich aktiv ein. Agnès Jaoui stellte am Sonntag ihren neuen Film "Comme une image" (in dem sie auch selbst mitspielt) vor. Als sie die viel beschworene Treppe hochstieg, trug sie einen Aufkleber mit der Aufschrift "Solidarité avec les intermittents", und sie ging auch in ihrer Rede auf die Sache ein.

Am Sonntag kam es noch zu einer Nachfolgeaktion im südfranzösischen Département Vaucluse: Rund 200 Angehörige der linken Bauerngewerkschaft Conf', José Bové vorneweg, und einige "intermittents" störten die Insassen der "Ferme des Célébrités" (ungefähr: Bauernhof der Berühmtheiten). Es handelt sich um einen eigens hergerichteten Bauernhof, in dem einige Leute aus dem Showbuziness und andere Promis nach dem Big-Brother-Prozess einige Zeit zusammen leben, um ständig gefilmt zu werden. Die Conf' hält diese Darstellung des Glamourlebens auf dem Hof für eine unverschämte Verzerrung der Realitäten, "während 40 Prozent der Bauern in Frankreich weniger als den gesetzlichen Mindestlohn SMIC" (der bei rund 1.000 Euro im Monat liegt) verdienen, wetterte José Bové. Die "intermittents" haben eigene Einwände gegen die Schrott"kultur", die durch Fernsehsender wie TF1 (der "La Ferme" ausstrahlt) verbreitet wird. Es kam erneut zu kleineren Zwischenfällen mit einer Hundertschaft Gendarmen, die einige Demonstranten zu Boden riss; aber insgesamt scheint das Geschehen glimpflicher abgelaufen zu sein.

Für die beginnende Woche werden weitere Aktionen erwartet, zumal das von Einigen mit der Direktion des Festivals ausgehandelte "Waffenstillstands"-Abkommen am Sonntag auslief. Die zweite Woche von Cannes ist nicht von der Vereinbarung abgedeckt.

Und die Regierung?

Frankreichs Kulturminister Renaud Donnedieu de Vabre zeigte sich am Sonntag von den "sehr bedauerlichen" und "schockierenden Zwischenfällen" in Cannes unerfreut. Ansonsten spielt er unterdessen, einmal mehr, auf Zeit. Er stellte in Aussicht, in drei Wochen eine Untersuchung zu veröffentlichen, aus der die genau Zahl der in ihrer sozialen Existenz bedrohten intermittents hervorgehen soll. "Zeitverschwendung" nennen das viele Betroffene. Ferner ist angekündigt, den "Missbräuchen", die etwa in der Nutzung des intermittent-Status durch große Fernsehstationen zur Prekarisierung ihres "eigentlich" ständig beschäftigten Personals besteht, einen Riegel vorzuschieben. Absehbar ist aber auch, dass die Abhilfe ihrerseits zu Lasten der prekären Kulturarbeiter gehen wird. Denn ganze Kategorien ­ wie Kameraleute und Bühnentechniker - von ihnen sollen aus ihrem bisherigen Status ausgeschlossen und der, wesentlich ungünstigeren, Zeitarbeiter-Regelung unterstellt werden.

Bernhard Schmid (Paris, und leider nicht Cannes...)


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