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Updated: 18.12.2012 16:07
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Frankreich zwischen der "Kaufkraft"rede von Nikolas Sarkozy und neuen Angriffen auf das Arbeitsrecht

Kleine Serie zu den neoliberal inspirierten Umbrüchen in Frankreich (und den gesellschaftlichen Reaktionen) - Teil 2 von 4

"Verhandlungen" mit dem Revolver auf der Brust

Regierung stellt Gewerkschaften vor vollendete Tatsachen. Übergang zu 41 (statt ,nur' 40) Beitragsjahren bei Eisenbahner/inne/n scheint beschlossene Sache. Dagegen könnte ein neuer Streik der französischen Eisenbahner/innen ins haus stehen. Unterdessen sollen die Gewerkschaftsverbände mit der Pistole auf der Schläfe über die allgemeine Arbeitszeitpolitik verhandeln

Das neue Jahr hat auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet für die Französinnen und Franzosen genau so begonnen, wie das alte endete. Das bedeutet: Der Reformterror geht mit unvermindertem Tempo weiter. Anlässlich eines "Sozialgipfels" mit den Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden am Mittwoch, den 19. Dezember 07 hatte die französische Regierungsspitze ihre Marschroute für 2008 angekündigt. An einigen Punkten hielt sie den Kalender dabei allerdings bewusst vage, um über größeren Manövrierspielraum zu verfügen. Aber einige der wichtigsten Weichenstellungen nahm die konservative Regierung unter Premierminister François Fillon nun just in den Tagen zwischen Weihnachten und Neujahr vor. Also in jener Periode, welche die Französ/inn/en allgemein als "Waffenstillstandsperiode der Zuckerbäcker" ( trêve des confiseurs ) bezeichnen, seitdem französische und britische Soldaten sich im Dezember 1914 die Freiheit herausgenommen hatten, mitten an der Front gemeinsam eine Weihnachtspause einzulegen. In einer Periode also, die normalerweise den Konditoren und Feiertagsbeschäftigungen überlassen bleibt.

Per Überraschungscoup landete die Regierung am 21. Dezember (dem letzten Freitag vor dem durch Weihnachten verlängerten Wochenende) und am 26. Dezember einen Doppelschlag. Im einen Falle geht es um die Renten für die Eisenbahner/innen und die anderen, unter ,Régimes spéciaux' (Sonder-Pensionsregelungen) fallenden Beschäftigten. Im anderen Falle geht es um die gesetzliche Arbeitszeit(definition). Dazu sogleich ausführlich.

"Sozialer Dialog" als Blitzableiter

Ein Gesetz vom Januar 2007, das noch unter der alten Regierung (d.h. unter Präsident Jacques Chirac und dem konservativen Premierminister Dominique de Villepin) verabschiedet worden war, sieht vor, dass "Reform"vorhaben der Regierung erst dann im Parlament als Gesetzentwurf präsentiert werden dürfen, wenn die sog. "Sozialpartner" zuvor darüber verhandelt haben. Dieses "Dialog"geschwafel soll für eine stärkere Einbindung der Gewerkschaften und Interessenverbände, und damit für eine bessere gesellschaftliche Legitimierung der "Reform"projekte sorgen.

Unter Nicolas Sarkozy hat der regierende konservativ-wirtschaftsliberale Block allerdings ein neues "Verhandlungsmodell" erfunden: Die Verhandlung im Hussardentempo und mit aufgesetzter Pistole auf der Brust. Und das geht so: "Entweder, Ihr findet innerhalb von drei Monaten zu einer Einigung, oder aber wir werden von unserer Seite aktiv - mittels eines Regierungsdekrets oder einer Gesetzesvorlage." Auf vielen Gebieten ist Sarkozy bislang, mehr oder minder erfolgreich, so verfahren.

Verhandlungen oder Verarschung?

Die Verhandlungen in den Transportbetrieben SNCF und RATP über die Abschaffung der bisherigen, relativ günstigen Rentenregelungen der Eisenbahner/innen und anderer Gruppen waren Ende November -- während der Transportstreik nach neun Tagen auslief -- begonnen worden. Ursprünglich waren sie bis zum 22. Dezember angesetzt worden, also für die Dauer eines Monats. Mitte Dezember 2007 wurden sie dann allerdings bis im Februar 08 verlängert, nachdem die CGT für die zweite Dezemberwoche zunächst Warnstreiks angekündigt hatte, die sie dann jedoch aussetzte (Labournet berichtete damals).

Nun hat allerdings die Regierung am 21. Dezember dem Conseil d'Etat, dem obersten Gerichtshof im öffentlichen Recht (d.h. höchsten Verwaltungsrichter), einen Entwurf für ein Dekret zum Thema, über das noch verhandelt wird zugestellt. Der Conseil d'Etat -- desssen Name (wörtlich "Staatsrat") verrät, dass er ursprünglich ein Beratungsorgan für die Monarchen und späteren republikanischen Regierungen war, bevor er historisch einen Wandlungsprozess hin zu einem juristischen Kontrollorgan durchlief - hat neben seinen Richter- auch noch eine obligatorische beratende Funktion: Die französischen Regierungen müssen seinen Rat einholen, wenn sie eine Vorlage ausarbeiten, die zur Grundlage für ein Dekret oder für einen Gesetzesentwurf der Exekutive werden soll. Der Conseil d'Etat kann sich dann positiv oder negativ äußern; sein Rat ist für die Regierung nicht bindend, kann aber eventuell eine spätere richterliche Zensur ankündigen, sofern es sich um einen Verwaltungsakt handelt, der verwaltungsrichterlicher Kontrolle unterliegt. Dazu zählen auch Dekrete.

Der Dekret-Entwurf, der am 21. 12., also am Freitag vor der Weihnachtspause, an das oberste Verwaltungsgericht ging, enthält Neuregelungen zum Rentenregime in den bisher von Sonderregelungen (Régimes spéciaux) betroffenen Sektoren. Die neuen Bestimmungen sprechen äußerst expliziten Klartext: Die Anzahl der Beitragsjahre zur Rentenkasse, die erforderlich sind, um ein Anrecht auf einen vollen Pensionsbezug zu haben, werden demnach für die Eisenbahner/innen und die übrigen betroffenen Gruppen bis im Jahr 2012 schrittweise auf 40 Jahre angehoben (statt bislang 37,5). Doch damit nicht genug! Denn dasselbe Dekret sieht ebenfalls vor, dass ihre Anzahl dann weiter anwächst, und zwar um ein Trimester pro Kalenderjahr - bis auf 41 im Jahr 2016.

Damit nimmt der Entwurf für das Dekret zur Abschaffung der ,Régimes Spéciaux' bereits vorweg, was theoretisch im laufenden Jahr 2008 erst noch "im Einvernehmen zwischen Regierung und Sozialpartnern" (hihi) beschlossen werden soll. Nämlich den Fortgang der so genannten Rentenreform, welche der damalige Arbeits- und Sozialminister (und jetzige Premier) François Fillon 2003 durchgedrückt hatte. Damals war die Anzahl der obligatorischen Beitragsjahre - bei deren Ausbleiben Abzüge vorgenommen, d.h. Strafbeträge (décotes) auf die Renten angerechnet werden - für die meisten Berufsgruppen von 37,5 auf (bis in diesem Kalenderjahr) 40 Beitragsjahre angehoben worden. Aber die "Reform" sieht in ihrem Fahrplan ebenfalls vor, dass ihre Anzahl dann später noch weiter steigen soll, zunächst auf 41. Bis im Jahr 2020 dann auch gleich auf 42,5...

Im Prinzip soll im ersten Halbjahr 2008 nun eine "Bilanz" über die Anwendung der Reform von vor fünf Jahren gezogen, und über das Ob eines weiteren Anstiegs der Beitragsjahre (auf 41) diskutiert und entschieden werden.

Dadurch, dass die Regierung nun selbst für die Eisenbahner/innen und anderen Beschäftigten, die bislang unter ,Régimes spéciaux' standen (und die höchste Widerstandskraft beim Rententhema aufbrachten), explizit den Übergang zu den 41 Beitragsjahren vorsieht, hat sie eine äußerst klare Marschroute vorgegeben. Und dies allen, theoretisch derzeit laufenden (bei der SNCF und anderswo) oder in den übrigen Sektoren erst noch kommenden, Verhandlungen zum Trotz.

Neuer Streik der französischen Eisenbahner?

Dies dürfte nicht völlig widerstandsfrei über die Bühne gehen: Voraussichtlich am 22. Januar 08 sind die französischen Eisenbahner/innen dagegen erneut zum Ausstand aufgerufen. Angesichts des bisherigen Ausgangs der Arbeitskämpfe im November 2007 und des Verhaltens etwa der CGT, die aus der Mobilisierungsdynamik am Ende spürbar "die Luft herausließ" (um einer puren Verhandlungsstrategie den Vorzug einzuräumen), bleibt der Erfolg noch abzuwarten. In der Hoffnung, dass sich doch noch eine neue Dynamik entwickelt..

Sonstige neue Weichenstellungen

Ein paar Meilensteine auf der sonstigen Marschroute im begonnenen Jahr sind unterdessen schon bekannt. Ab dem 8. Januar wird das französische Parlament über die Reform der Arbeitslosenversicherung, d.h. die Fusion der bislang getrennten Institutionen ANPE (Arbeitsagentur, staatlich) und ASSEDIC (Arbeitslosenkasse, durch Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften paritätisch verwaltet) zwecks höherer Effizienz und besserer Kontrolle der Erwerbslosen, beraten. Die dort vertretenen Gewerkschaften lehnen diese Fusion, und die damit verbundenen Pläne, mehrheitlich rundheraus ab. Bei einem Streiktag am 27. November waren rund 30 Prozent der Beschäftigten der staatlichen Arbeitsagentur ANPE, aber rund 60 Prozent der Mitarbeiter/innen der Arbeitslosenkasse ASSEDIC in den Ausstand getreten. Die "Reform" wird jedoch kommen, wenn nichts Weiteres passiert.

Am 9./10. Januar werden die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände dann einen 48stündigen "Verhandlungsmarathon" zum Thema "Zukunft des Arbeitsmarktes" hinlegen. Dabei geht es um die Aufweichung des Kündigungsschutzes, für den die Arbeitgeberseite bereits präzise Forderungen vorlegt hat (Anhebung der Probezeit auf 6 Monate bzw. bis auf 12 Monate für höhere Angestellte, Einführung einer vertraglich vereinbarten ,Trennung in gegenseitigem Einvernehmen' unter Ausschluss der Gerichtsbarkeit, Legalisierung von auf die Durchführung eines thematisch bestimmten Projekts befristeten Arbeitsverträgen). Die Gewerkschaften stehen dabei unter erheblichem Druck. Denn am 15. Januar 08 bereits sind die Verhandlungspartner dann bei der Regierung vorgeladen, um ihre Ergebnisse zu präsentieren. Kommt es bis dahin zu keiner Einigung, so wird die Regierung im Februar 08 eigene Regelungen vorlegen. Und die werden bestimmt nicht im Sinne der Lohnabhängigen ausfallen... Wir werden in naher Zukunft näher darüber berichten.

Die beiden wichtigsten Themen sind derzeit allerdings die Arbeitszeit-Thematik sowie "die Kaufkraft". Dazu ab morgen an dieser Stelle mehr und Ausführlicheres...


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